Selbstschutz geht vor

  • Es dürfte hierzulande kaum eine Berufsgruppe geben, die mit so hoher Verantwortung so sparsam honoriert wird – und die neben ihrem wirtschaftlichen ein so hohes juristisches Berufsrisiko trägt. Die aktuelle dramatische Entwicklung für die freiberuflichen Hebammen angesichts untragbarer Haftpflichtprämien ist nur die Spitze eines Eisbergs: Die Gesellschaft, vor allem der Gesetzgeber, tut sich schwer, Geburtshilfe, die diesen Namen verdient, nachhaltig zu schützen. Zum Glück regt sich langsam massiver Protest von Elternseite. Dass der größte Schutzfaktor für eine glückliche Geburt eine Eins-zu-eins-Betreuung ist, sollte sich inzwischen herumgesprochen haben.

    Engagierte Hebammen und Ärzte sind heutzutage latent in Gefahr vor rechtlichen Konsequenzen – denn die Geburt hält sich selten an einen idealen Plan. Ihre Physiologie und die Abweichungen davon sind zuweilen nicht konform mit der aktuellen Lehre. Sie werden manchmal im Rückblick von Gutachtern bei Gericht anders bewertet als in der akuten Situation. Was als „State of the art" zu gelten hat, ist nicht immer ausreichend erforscht. Die sogenannte „defensive" Geburtsmedizin, die zur überhöhten Kaiserschnittrate beiträgt, soll oftmals vor allem die Geburtshelfer schützen. Ein spezielles Risiko für außerklinisch tätige Hebammen: wenn Ärzte aus dem universitären Bereich als Gutachter vor Gericht Situationen aus der Hausgeburtshilfe zu bewerten haben, die ihnen nicht unbedingt vertraut ist. Handelt es sich doch dabei um zwei verschiedene Modelle, bei denen Schutz- und Risikofaktoren unterschiedlich gelagert sind.

    In der Dynamik eines individuellen Geburtsvorgangs kann es Geburtshelfern manchmal sinnvoll erscheinen, von den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Frau auszugehen und weniger von äußeren Vorgaben. Wenn dann das Kind glücklich geboren ist, können diese „Elastizität" und das Zutrauen in Mutter und Kind entscheidend für deren weiteres Leben sein. Die Freiheit der Frau kann allerdings im Zweifelsfall später auch zur Bedrängnis für ihre Helfer werden, wenn die Geburt einen unerwünschten Ausgang nimmt. Die frühere Faustregel interventionsarmer Geburtshilfe für eine normale Geburtsdauer, „die Sonne darf zweimal auf- und untergehen", könnte heute vor Gericht gefährlich werden.

    Geburtshilflich „aus dem Fenster lehnen" sollte sich die Hebamme nicht, wenn ihr ihre eigene Existenz lieb ist. Und nur sattelfest in der Geburtshilfe zu sein, reicht auch nicht aus: Die gesetzlichen Vorgaben zu kennen und eine gerichtsfeste Dokumentation zu beherrschen, kann im Fall der Fälle die eigene Lebensgrundlage absichern. Und ohne vollwertigen Versicherungsschutz „nur als Freundin" sollte sie heute keine Frau bei ihrer Geburt ergänzend begleiten – auch nicht als Doula. Wenn die Hebamme eine umfassende Aufklärung der Schwangeren mit negativen Szenarien als gravierende geburtshilfliche Intervention sieht, mag sie das in ein Dilemma verwickeln. Ihr Selbstschutz geht vor, solange die Rahmenbedingungen so prekär sind.