Wissen um die Logik des Gebärens

  • Physis aus dem Altgriechischen bedeutet „Natur" und Logos ist die „Vernunft" oder die „Lehre". Was ist vernünftig an einem Naturprozess, der so unberechenbar und noch immer in weiten Teilen unbeherrschbar ist wie der der Geburt?

    Erfahrene Hebammen und ärztliche GeburtshelferInnen wissen, dass die Geburt eines Kindes ihrer eigenen Logik folgt. Jenseits von Klinikstandards, Normen, Forensik und pekuniären Interessen an schnellen und sicheren Geburten wissen sie, dass die individuellen Voraussetzungen und die besonderen Umstände jeder einzelnen Geburt wesentlichen Einfluss haben auf den Verlauf. Trotzdem gelingt es in vielen modernen Kliniken nur noch selten, dieser Logik konsequent zu vertrauen, ihr zu folgen und sie zu hüten.

    Viele vorsorgliche Interventionen scheinen dazu zu dienen, einen an sich physio-logischen Prozess noch physiologischer zu machen – damit er schneller, sicherer, besser wird. Aber ist das überhaupt möglich? Wir wissen, dass Eingriffe von außen diesen Körperprozess stören können. Wissen die Fachleute heute wirklich schon ganz genau, in wie viele physiologische Abläufe sie mit ihren Eingriffen intervenieren, und ob das für den Geburtsprozess in seiner Komplexität wirklich hilfreich ist?

    Bei der Erstellung dieses Titelthemas und der Auseinandersetzung mit den Texten und deren Autorinnen, die allesamt SpezialistInnen auf ihrem Gebiet sind, wurde mir einmal mehr bewusst, wie viele Wissenslücken über die detaillierten Abläufe in Körper und Psyche der gebärenden Frau und ihres Kindes immer noch bestehen. All das muss immer wieder hinterfragt und überprüft werden und zu praktischen Konsequenzen führen. Aus meiner Arbeit als Dozentin mit Hebammen und geburtshilflichen Teams weiß ich, wie selten viele von ihnen überhaupt noch die Chance haben, eine größere Anzahl Geburten zu begleiten und zu beobachten, die tatsächlich ganz und gar ihrer eigenen Logik folgen dürfen – ohne Zeitdruck und ohne vorsorgliche Interventionen. Hinzu kommen die unterschiedlichsten Wünsche der Gebärenden (und ihrer Partner) nach Schmerzerleichterung, Beschleunigung oder operativer Beendigung einer bevorstehenden oder sie überwältigenden Geburt – mögen sie berechtigt erscheinen oder nicht.

    Wir sollten daher nicht vergessen: Es gibt sie natürlich immer noch, die individuelle Logik der Geburt, die Weisheit jedes Körpers für den ihm eigenen besten Weg. Das evolutionäre Programm des Gebärens ist Millionen Jahre alt, und viele kleinere Herausforderungen oder Hindernisse in diesem Prozess können Mutter und Kind ohne Schaden bestens kompensieren. Auch wenn es immer einen Anteil pathologischer Verläufe gab und geben wird, die professionelles Eingreifen erfordern, so sollte dies nicht dazu verführen, bei all den anderen etwas Perfektes noch verbessern zu wollen. Dazu braucht es neben Geduld, Vertrauen und Demut vor allem: Wissen. Wir hoffen, mit dieser Ausgabe dazu beitragen zu können, Wissen zu vertiefen und das Vertrauen in die Natur der Geburt einmal mehr zu bestärken.