Worte schaffen Wirklichkeit

  • Wie war es, als ich geboren wurde? Wie haben Sie die Geburt Ihres Kindes erlebt? Welches sind die leitenden Werte unserer geburtshilflichen Abteilung? Was hat zu dieser interventionsreichen Geburt geführt? Wir können unterschiedliche Perspektiven einnehmen, wenn wir über Geburt und Gebären sprechen – im Dialog mit den Frauen, im kollegialen Austausch oder interdisziplinär im Team.

    Mit Sprache erzeugen wir (Welt-)Bilder und Wirklichkeiten. Als Hebammen definieren wir auch, was Gebären ist und wem es gehört. Wir benennen Ereignisse und definieren die Rollen der Beteiligten. Mit unseren Worten und durch unseren Ton erzeugen wir Nähe oder Distanz.

    Worte können inspirieren, ermuntern, aktivieren, sie können ermutigen, stärken, die Perspektive verändern oder das Herz öffnen. Oder aber: schockstarr werden lassen, zurückstoßen, irritieren, verunsichern, entmutigen, isolieren, abwerten, vorführen, klein machen oder demütigen. Einzelne Worte können äußerst bedeutungsreich sein und eine nachhaltige Wirkung haben. Manches wird nie vergessen, so etwa die ersten Worte nach der Geburt eines Kindes mit einer Behinderung. In existenziellen Situationen sind die Sinne weit offen.

    Indem wir etwas in die Sprache bringen, uns mitteilen, das Geschehen deuten und benennen, kommen wir nicht nur den Anderen, sondern auch uns selbst näher – wir eignen uns unsere Geschichte an, integrieren sie in unsere Biografie. Insbesondere bei schmerzlichen Erfahrungen hilft das Sprechen, den Weg zum eigenen Inneren zu bahnen, Worte zu finden für das Unbegreifliche. In diesem Prozess können sich Transformationen ereignen: Aus dem Schmerz kann Ermächtigung werden, aus Starre Bewegung, aus Lähmung Aktion.

    Nicht nur für die Frauen ist das Sprechen über ihre Geburtserfahrungen wichtig, sondern auch für die Begleitenden, wie etwa bei einem kritischen Geschehen während der Geburt. Immer wieder berichten Hebammenschülerinnen und -studierende, dass sie Notfälle und tragische Ereignisse im Kreißsaal erlebten und dass nicht darüber gesprochen wurde. Nicht nur die werdenden Hebammen haben dann große Probleme, das Erfahrene zu verarbeiten. Auch ein Team nutzt die Chance nicht, die Situation zu analysieren und aus Fehlern zu lernen.

    Kommunikative Kompetenz – Sprechen, Zuhören und Reflektieren – ist eine der Kernkompetenzen, die der internationale Hebammenverband (ICM) für die Hebammentätigkeit definiert hat. Das bedeutet: sich bewusst sein über die Macht von Sprache, bereit sein, sich auf die Perspektive der anderen einzulassen, sie anzuerkennen, das Eigene zu hinterfragen und in respektvoller Haltung miteinander zu sprechen – eine Übung, die nie zu Ende ist. Wir sind es unserer Arbeit, den Frauen, aber auch uns selbst schuldig, uns immer wieder darauf einzulassen. Leben heißt wachsen und eine wichtige Voraussetzung dafür ist, das Herz zu öffnen, zuzuhören und miteinander zu sprechen. Denn Worte können heilen.