Eine Matratze macht mobil

Geburt ist Bewegung. Aber allzuoft sind Gebärende doch nicht so mobil, sei es aus Erschöpfung oder wegen einer PDA. Damit auch sie die Vorteile der Bewegung nutzen können, hat eine Hebamme mit klaren Fragestellungen, Mut und tatkräftigen MitstreiterInnen eine überzeugende Idee entwickelt. Anna Peters
  • Das Team des Universitätsspitals Basel unter der Leitung von Prof. Irene Hösli war maßgeblich an der Entwicklung der bewegten Matratze beteiligt.

  • Zu Besuch im St. Joseph Krankenhaus Berlin. Ulrike Harder sieht eine zeitliche und körperliche Entlastung der Hebammen. Prof. Abou-Dakn hat sich selbst auf der Matratze bewegen lassen, freut sich auf den Einsatz in seinem Kreißsaal und hofft, dass Kaiserschnitte vermieden werden können.

  • Bewegte Geburtshilfe in Wismar: Dr. Beata Loj und Renate Kriening des Sana HANSE-Klinikums und Michaela Kny & Andrea Tasler der Hebammenpraxis Mudder Griebsch

In der Ausbildung zur Hebamme lernen wir, wie wichtig es ist, dass sich die Frau korrekt positioniert und bewegt, um die Geburtsmechanik zu fördern. Man bringt uns diverse manuelle Mobilisierungstechniken bei, unter anderem mit dem traditionellen mexikanischen Rebozo-Tuch. Zweifellos ist das sinnvoll, wie verschiedene wissenschaftliche Studien zeigen. Eine Cochrane-Metaanalyse aus dem Jahr 2013 von Lawrence et al. untersuchte 25 Studien mit 5.218 Frauen zur aufrechten und bewegten Geburt in der Eröffnungsphase. Die durchschnittlichen Werte liegen bei:

  • 29 % weniger ungeplanten Kaiserschnitten
  • 1 Std. 22 Min. kürzeren Geburten
  • 19 % weniger PDAs.

Nach anderthalb Jahren Theorie durfte ich als Hebammenschülerin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur für das erste Praxismodul endlich in den Kreißsaal! Ich war topmotiviert und hatte genug Zeit, die manuellen Techniken einzusetzen. Doch die Tücher waren meistens verschollen oder in der Wäsche. Deswegen wurde ich kreativ und verwendete alles Mögliche, von der Stoffwindel bis hin zum Nachthemd, um die oft immobilen Frauen in ihrer Bewegung zu unterstützen.

 

Bis an die Grenzen

 

Bei einer dieser Geburten schlummerte das Kind weit über dem Beckeneingang und wollte keinen Millimeter tiefer treten. Deswegen bat ich meine damalige Hebammenausbilderin die Gebärende gemeinsam mit mir auf dem Tuch hin und her zu schaukeln. Sie schaute mich mit großen Augen an und sagte: »Such dir eine andere Hebamme, die blöd genug ist, ihren Rücken für eine fremde Frau zu verbiegen.« Sie fügte hinzu, dass ich aufhören müsse mit dieser Spinnerei, wenn ich den Beruf für längere Zeit ausüben wolle.

Im weiteren Verlauf des Praxismoduls stellte ich fest, dass die betreffende Hebamme ein einziges Tuch regelmäßig verwendete: das Bettlaken der Frau zur Anwendung des Kristeller-Handgriffs. Aber ich möchte diese Hebammenausbilderin nicht an den Pranger stellen. Ähnliche Bemerkungen hörte ich regelmäßig auch von anderen Kolleginnen. Und ich gelangte selbst bald an meine Grenzen. Nicht immer hatte ich die nötige Kraft, um eine Frau während der Geburt zu motivieren und dabei zu unterstützen, genügend aktiv zu sein. Bei manchen Frauen konnte ich die Seitenlage von rechts nach links und umgekehrt nur mit großer Mühe und fremder Hilfe wechseln. Ich sah, dass auch bei anderen Kolleginnen die Frauen oft immobil in ihren Betten lagen und sich nicht groß bewegen konnten. Das war insbesondere dann der Fall, wenn es mal wieder »brannte« im Kreißsaal und die Hebammen lediglich Zeit für das Allernötigste hatten.

 

»Ist doch logisch«

 

Eines Tages sollte ich eine Frau nach einer abgebrochenen Geburtshausgeburt aufnehmen. Ihr Muttermund war bereits seit Stunden vollständig eröffnet, der vorangehende Teil jedoch noch weit über der Interspinal-Linie. Ich bereitete alles vor für eine PDA-Einlage, damit sich die Frau entspannen konnte. Zudem machte ich Pläne für eine eventuelle Sectio. Als die Frau dann ankam und auf das Gebärbett umgelagert wurde, gebar sie problemlos innerhalb weniger Minuten ihr Kind.

Meine neue Hebammenausbilderin, eine erfahrene Frau, nahm mich zur Seite, lächelte und sagte: »Ist doch völlig logisch, dass das Kind nach all der Umlagerei und dem Holperweg in der Ambulanz durch das Becken der Mutter gerutscht ist.« Dieser Satz gab mir zu denken. Immer wieder überlegte ich mir, ob es nicht möglich wäre, eine Art Rüttelambulanz im Kreißsaal zu installieren – schließlich können nicht alle Frauen, bei denen die Geburt nicht vorwärtsgeht, eine Rundfahrt um die Klinik machen.

 

Überraschung im Patentamt

 

Gegen Ende meiner Ausbildung im Praxisjahr im Universitätsspital Basel lernte ich meinen heutigen Lebens- und Geschäftspartner Tobias von Siebenthal kennen. Ich brannte für meinen Beruf und erzählte ihm bald von der Problematik und meiner Idee, die inzwischen konkrete Formen angenommen hatte. Auch meinen Hebammenausbilderinnen in den letzten zwei Praxismodulen berichtete ich davon und bat sie um ihre Meinung. Beide fanden den Ansatz sehr spannend und ermutigten mich, dranzubleiben. Denn sie sahen großes Potenzial darin.

So organisierte ich den ersten Termin mit meinem Partner auf dem Patentamt der Schweiz in Bern. Dort suchten wir zusammen mit einer weiteren Hebamme und einem Patentspezialisten nach ähnlichen Ideen in der Geburtshilfe. Zu unserem Erstaunen gab es nur wenige Patentanmeldungen auf diesem Gebiet. Sie betrafen starre Hilfen wie Gebärstühle und Hocker für die Positionierung bei der Geburt.

Kurz darauf lernten wir unseren Projektleiter Dr. Michael Sauter kennen. Sein Job war es, neuartige Projekte zu finden, einen Förderungsantrag bei der Innosuisse (der Innovationsförderung der Schweiz – ehemals KTI) zu stellen und die Realisierung zu begleiten. Im Juni 2015 standen wir unter enormem Zeitdruck: Im Laufe weniger Tage mussten wir unseren Antrag schreiben, eine Firma gründen und uns einen Namen dafür ausdenken.

Die größte Hürde für mich persönlich war allerdings, dass ich unsere Chefärztin und Leitende Hebamme am Universitätsspital Basel vom Projekt überzeugen musste. Damals fühlte ich mich noch nicht bereit, meine Vorgesetzten mit einer so verrückten Idee zu überfallen. Doch ich hatte keine Zeit und deswegen auch keine Wahl. Zu meiner Überraschung erklärten sich meine innovativen Chefinnen beim ersten Treffen sofort einverstanden damit, als Praxispartnerinnen bei diesem Projekt mitzumachen. Und so begann die konkrete Umsetzung meiner Idee mit Unterstützung des Universitätsspitals Basel und eines Projektleiters, den nur der Himmel geschickt haben konnte.

 

Von der Idee zum Produkt

 

Seither sind zwei Jahre vergangen. In dieser Zeit fand ein reger Austausch zwischen Hebammen und Ingenieuren statt. Mit einem Team von Hebammen drehten wir Videos von manuellen Techniken und Bewegungen, die sich bewährt hatten und die die Gebärenden als angenehm empfinden. Die Videos führten wir Ingenieuren vor, die verschiedene Möglichkeiten der Umsetzung aufzeigten. Die Hebammen wiederum testeten die Varianten und wählten eine davon aus. Danach begannen unsere »Daniel Düsentriebs« zu werkeln.

Verschiedene Kolleginnen in der Klinik fragten mich, woran ich denn die ganze Zeit herumtüftelte. Als ich ihnen von der Idee erzählte, bekam ich ganz unterschiedliche Reaktionen. Die einen sagten: »Genial! Wieso habe ich das denn nicht selbst erfunden?« Die anderen: »Was? Eine Maschine im Geburtsbett? Bist du denn völlig bescheuert?« Solange wir nichts Greifbares vorzeigen konnten, gab es viele kritische Stimmen. Einige Male bereute ich, dass ich überhaupt jemandem davon erzählt hatte.

Doch eines Tages im Sommer 2016 konnten wir den Hebammen endlich den ersten Prototyp vorstellen. Wir hatten ein Mobilisierungsmodul entwickelt, das auf dem Geburtsbett installiert werden kann und komplett in der Matratze eingebettet ist. Es ahmt die bewährten manuellen Techniken nach, das Geburtsbett wird in keiner Weise eingeschränkt. Die Gebärende kann die Intensität der Bewegungen selbst wählen. Die Hebamme steht ihr dabei beratend zur Seite und schlägt den Erfordernissen angepasste Bewegungen und Positionen vor. Die bewegte Matratze kann und soll keineswegs die Arbeit der Hebamme ersetzen, sondern ihr als Hilfsmittel dienen. Unabhängig vom Kraft- und Zeitbudget der Hebamme kann sich die Frau stundenlang schaukeln, rollen oder sanft schütteln lassen. Die Rückmeldungen der Hebammen waren unglaublich! Das bestärkte mich sehr, auf dem richtigen Weg zu sein.

 

Überwältigendes Feedback

 

Auf dem Hebammenkongress in Mannheim hielt Ulrike Harder im Frühjahr 2016 einen einstündigen Vortrag über korrekte Lagerung und Mobilisierung während der Geburt. Sie ist Co-Autorin des Standardlehrbuches »Die Hebammenkunde«, vieles von meinem Hebammenwissen stammt von ihr. Sie live und ganz in ihrem Element zu sehen mit all ihrer Energie und ihrem Einsatz, verursachte mir Gänsehaut. Unter anderem stellte sie eine Tuchschlaufe mit Sling Ring vor, ein von ihr weiterentwickeltes Rebozo-Tuch, das die Hebamme entlastet (siehe DHZ 2/2018, Seite 16ff).

Nach dem Ende ihres Vortrags nahm ich all meinen Mut zusammen, schritt zum Bühnenrand und bat sie um ein paar Minuten ihrer Zeit. Sie bat gleich noch einen Arzt, der in der Nähe stand, dazuzukommen, damit er mein Projekt auch anhöre. Nachdem ich es ihnen vorgestellt hatte, luden sie mich ein, ihnen unseren Prototyp vorzustellen. Wie ich später erfuhr, handelte es sich bei dem Arzt um Prof. Michael Abou-Dakn, Chefarzt der größten Geburtsklinik in Deutschland des St. Joseph Krankenhaus in Berlin. Das machte mich gleich noch nervöser.

So reisten Tobias von Siebenthal und ich nach Berlin und stellten unsere Mobilisierungsmatratze in den drei größten Kliniken vor: zuerst im St. Joseph Krankenhaus, dann im Vivantes Klinikum Neukölln und schließlich im Universitätsklinikum Charité. Das Feedback war geradezu überwältigend. Nun hatten wir die Gewissheit, dass wir uns auf dem richtigen Weg befanden.

Ulrike Harder gestand mir später, dass sie sich damals in Mannheim nicht wirklich habe vorstellen können, was genau sich diese junge Hebamme ausgedacht hatte, zumal sie bei ihrer Geburtsbegleitung die persönliche »Handarbeit« sehr wichtig findet, doch der Prototyp habe sie überzeugt.

Nach der erfolgreichen Feedback-Tour nahmen wir Anpassungen am Prototyp vor, danach kamen erneut die Techniker zum Zug. Parallel dazu machte sich unsere Firma einen Namen in der Start-up-Welt. Als wir aus Berlin sogar einige Vorbestellungen mitbrachten, stieg das Interesse markant. In der Folge gewannen wir verschiedene Wettbewerbe für Jungunternehmen. Nebenher mussten wir uns um viele andere Dinge kümmern wie zum Beispiel das Qualitätsmanagement und die langfristige Finanzierung.

Ein Highlight war, als Ulrike Harder die bewegte Matratze auf dem Hebammenforum in Mainz im November 2016 vor 1.200 Hebammen vorgestellt hat.

Mit Ulrike Harder habe ich auch ein kleines Video gedreht, das die bewegte Matratze erklärt: www.video.vibwife.com

 

ICM-Kongress und Marktzulassung

 

Im Juni 2017 stellten wir unser Mobilisierungsmodul auf dem ICM-Kongress in Toronto der Fachwelt vor. Hunderte von Hebammen aus über 60 Ländern testeten unsere Matratze. Viele berichteten, dass sie zu wenig Zeit hätten, um diese Mobilisierungstechniken im Alltag per Hand anzuwenden. Und dass sie sich sehr gut vorstellen könnten, dass Gebärende die Matratze als angenehm und bestärkend empfänden. Einige Hebammen wollten gleich auf der Matratze liegen bleiben oder kamen jeden Tag vorbei, um sich zu entspannen und bewegen zu lassen. Und viele Hebammen meinten, dass die Bewegungen sehr angenehm sein müssten für Schwangere, die wochenlang in der Klinik lägen.

Inzwischen ist die bewegte Matratze europaweit zugelassen. Das medizintechnische Gerät wurde von der unabhängigen Stelle TÜV Rheinland Süd erfolgreich geprüft. In einer Pilotstudie beobachten wir 50 Frauen während der Eröffnungsphase im Universitätsspital Basel. Die Studie ist wichtig, um zu lernen, wie man die Wirkung der bewegten Matratze misst. Sobald dies abgeschlossen ist, planen wir eine randomisierte Multicenter-Studie, um mögliche Vorteile klinisch nachweisen zu können.

 

Aufruf: Pionier-Kliniken und Botschafterinnen gesucht

 

Wir suchen Pionier-Kliniken in Deutschland, Österreich und der Schweiz, welche die bewegte Matratze als erstes in ihren Klinikalltag integrieren wollen. Die erste definitive Zusage als Pionier-Klinik haben wir von Frau Dr. Beata Loj, Chefärztin der Frauenklinik des Sana HANSE-Klinikums Wismar, erhalten. Zudem sind wir sehr interessiert an Hebammen, die als Botschafterinnen für unser Projekt mehr Bewegung in die Geburtshilfe bringen wollen. Durch meine Erfahrungen bin ich mittlerweile gut vernetzt und weiß, wie Innovationen entwickelt werden können. Falls eine Kollegin ebenfalls eine Idee zur Verbesserung der Geburtshilfe hat, bin ich gerne bereit, sie bei der Umsetzung zu unterstützen.

Ich werde in nächster Zeit an Veranstaltungen die bewegte Matratze zum Ausprobieren ausstellen. Unter anderem am Kongress Gynäkologie und Geburtshilfe in Frankfurt am Main vom 16.–17. Februar 2018.

Rubrik: Geburt | DHZ 02/2018

Literatur

Api O et al.: The effect of uterine fundal pressure on the duration of the second stage of labor: A randomized controlled trial. Acta Obstetricia et Gynecologica Scandinavica 2009. doi: 10.1080/00016340902730326. 88: 320–324.

Galid-Lobmeyr I et al.: Die Kristeller-Technik: Eine prospektive Untersuchung. Geburtshilfe Und Frauenheilkunde 1999. 59. 558-561. 10.1055/s-1999-5984.

Lawrence A et al.: Maternal positions and mobility during first stage labour. Cochrane Database of Systematic Reviews 2013. Issue 10. Art. No.: CD003934. DOI: 10.1002/14651858.CD003934.pub4
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