Geburtsvorbereitung

Feinfühlige Väter

Um bei werdenden Vätern schon vor der Geburt die Bindung zu ihren Kindern zu fördern und Hindernisse aus dem Weg zu räumen, haben sich in Stuttgart zweistündige Bindungsschulungen bewährt. Christoph Brandes

Seit fünf Jahren werden zweistündige Bindungsschulungen exklusiv für die werdenden Väter in einer Stuttgarter Familienbildungsstätte im Rahmen von Geburtsvorbereitungswochenenden erfolgreich angeboten (siehe Kasten). Die Schulung behandelt den Bindungsaufbau und stellt ihm drei Hindernisse gegenüber, die von außerhalb der Bindungstheorie stammen: Minderwertigkeitsgefühle der Väter, Selbstzweifel der Mütter sowie doppelter Rückzug bei Paarproblemen. Vermittelt werden die Themen durch Fragen, wie: »Was würden Sie tun, wenn …«. Zudem werden prägnante Zitate aus der Forschung erläutert und berührende Vater-Kind-Fotos besprochen.

 

Väterkurse

 

2013 begann die Familienbildungsstätte »Haus der Familie« in Stuttgart-Bad Cannstatt mit Kursen für werdende Väter. 2015 wurden sie in die Geburtsvorbereitung eingebunden. Seit 2017 finden die Kurse als Bindungsschulungen statt und sind auch von der Bezahlung in den gesamten Geburtsvorbereitungskurs integriert, was zu einer lückenlosen Teilnahme führte.

Entwickelt wurden die Bindungsschulungen von Christoph Brandes. Die von allen Teilnehmern erfolgten Rückmeldungen fallen durchweg positiv aus. Eine wissenschaftliche Evaluation der Wirksamkeit steht aber noch aus.

Der Kurs findet einmal monatlich mit jeweils acht bis zehn werdenden Vätern statt. Die Schulung in der im Artikel vorgestellten Form haben bisher etwa 450 werdende Väter besucht.

 

 

Die »sichere Bindung«

 

Die Bindungstheorie wurde in den späten 1950er Jahren entwickelt. Mit ihrem Schlüsselthema Vertrauen war sie nicht zuletzt eine Antwort auf die Weltkriegserfahrungen. Bereits 1946 hatte Kinderarzt und Psychiater Benjamin Spock in seinem Säuglingsratgeber den bis dahin bestehenden Vorgaben widersprochen, das Kind emotional auf Distanz zu halten, und wurde sehr populär (Spock 1946). Das Urvertrauen des Kindes wird »sichere Bindung« genannt und das zentrale Kriterium dafür ist die Feinfühligkeit der Erziehungsperson. Eine sichere Bindung entsteht durch eine kontinuierlich fürsorgliche Haltung der Bezugsperson vor allem gegenüber den kleinkindlichen Hilfeappellen. Vereinzelte Aktionen oder bloße Nähe sind nicht konstituierend.

Das Kind lernt erst nach und nach, negative Emotionen wie Angst, Schmerz, Hunger, Langeweile oder allgemein Unwohlsein alleine zu bewältigen. Die Erfahrung, dass eine vertraute Person zuverlässig auf die negativen Gefühle eingeht, bildet eine Repräsentation im Gedächtnis und prägt fortan die Sicht des Kindes auf die Welt. 60 bis 70 % der Kinder machen diese Erfahrung (Lohaus & Vierhaus 2019). Allerdings gilt der Prägungseffekt größtenteils nur für die Feinfühligkeit der Mutter.

1998 endete eine 20-jährige Längsschnittstudie in Bielefeld, die unter Federführung von Karin und Klaus Grossmann als neue Facette von Bindung die Interaktion beider Eltern im Spiel mit ihrem Kind untersucht hat (Grossmann & Grossmann 2012). Seit der Publikation der Ergebnisse ab 2002 wurde in der Entwicklungspsychologie weitgehend die Erkenntnis rezipiert, dass das väterliche Potenzial, sein Kind zu prägen, die feinfühlige Herausforderung im Spiel ist. Väter unterstützen das Explorationsverhalten des Kindes, indem sie zuverlässig auf dessen Äußerungen und Wünsche reagieren. Sie bringen demnach eigene Ideen als Vorschläge ein, vermitteln Zuversicht für das Gelingen eines Projekts, werten die Werke des Kindes durch Bezeichnung ihrer Bedeutung auf und bestehen einfühlsam auf gutem Benehmen während des Spiels (Grossmann et al. 2002). Eine spielfeinfühlige Unterstützung zeigte sich besonders deutlich an der Wahrnehmung des Kindes, ein Vorhaben allein geschafft zu haben.

Auswirkungen ließen sich am Ende der Studie bei den nun jungen Erwachsenen feststellen. Diejenigen mit einem spielfeinfühligen Vater hatten mehr Selbstvertrauen in neuen Situationen, einen besseren Umgang mit negativen Emotionen in einer Partnerschaft und waren eher bereit, einen Wunsch nach Fürsorge gegenüber dem Partner oder der Partnerin zu äußern (Grossmann & Grossmann 2012). Der Umgang des Vaters mit dem Kind beim Spiel hat offenbar die Funktion eines Beziehungsmodells.

 

Der eigene Vater als Vorbild

 

Es liegt nahe, die Vorbildfunktion des eigenen Vaters oder einer Vaterfigur zu thematisieren. Ein unsensibles Vorbild verinnerlicht zu haben, führt zur Destabilisierung des Kindes (Kindler 2002). Allerdings kann ein großer zeitlicher Umfang väterlichen Engagements ein Stück weit fehlende Sensibilität ausgleichen (Brown et al. 2012). Angesichts der väterlichen Zurückhaltung noch vor einer Generation ist es jedoch wahrscheinlich, dass die Bindungsrepräsentationen heutiger Väter von ihren Erfahrungen mit der Mutter dominiert sind.

Wie auch immer dies ausgeprägt sei, wäre Sinn eines Austauschs über Vorbilder, auch negative Erfahrungen zuzugeben. Denn die bewusste Erinnerung unerfüllter Zuwendungsbedürfnisse an die Eltern verbessert das Einfühlungsvermögen gegenüber dem eigenen Kind (Grossmann & Grossmann 2012). Nach den Erfahrungen zahlreicher Interviews ist bei unzuverlässigen Bindungserfahrungen aber mit Widerstand in Form von Idealisierung oder konfuser Darstellung zu rechnen (Main 2016). Ähnlich verlief es in den Bindungsschulungen in der Stuttgarter Familienbildungsstätte. Eine Reflexion über eigene Vorbilder findet daher in den Schulungen nicht mehr statt.

 

Minderwertigkeitsgefühle des Vaters

 

Da als spielfeinfühlig attestierte Väter bereits ab der Geburt zuverlässig für das Kind sorgen, ist davon auszugehen, dass das frühe väterliche Engagement Voraussetzung der spielfeinfühligen Bindung ist (Grossmann & Grossmann 2012). Diese Kinder haben zwei enge Bindungen. Säuglinge fühlen sich dann in der parallelen Kommunikation mit beiden Eltern wohl, wenn die Eltern »triadische Kompetenz« besitzen beziehungsweise eine »kooperative Allianz« zeigen, wenn sie also auf den jeweils anderen Elternteil Bezug und Rücksicht nehmen (Schwinn & Frey 2012; Klitzing & Stadelmann 2011).

Bereits vor 40 Jahren stellte sich heraus, dass Väter grundsätzlich dieselbe Empathie für die Bedürfnisse von Säuglingen aufbringen können wie Mütter (Parke & Sawin 1980). Bei den Bedürfnissen der Nahrungsaufnahme des Neugeborenen mangelt es beiden Eltern an Kompetenz. Sie müssen ihr Kind erst kennenlernen.

Bindung entsteht ab der sechsten Lebenswoche. Eine sichere Bindung erfordert ein einfühlsames Eingehen auf das Baby spätestens zwei bis drei Sekunden nachdem es begonnen hat, intensiv zu schreien, damit es bei seinem kurzen Gedächtnis Selbstwirksamkeit erlebt (Lohaus & Vierhaus 2019). Hingegen führt ein Eingehen auf alle, auch die kleineren Stresssignale, zu einer unsicheren Bindung, da der Säugling diese Probleme offenbar selbst bewältigen möchte (van Ijzendoorn & Hubbard 2000). Der Schlüssel liegt in der Kenntnis seiner verschiedenen Arten zu weinen.

In der Schulung wird auch erörtert, welche Möglichkeiten einem Vater zur Verfügung stehen, der sein Kind trösten will, das aber erkennbar nach der Mutter verlangt. Die verbreitete Variante, das Kind an die Mutter zu übergeben, ist bei diesem Gedankenspiel ausgeschlossen. Zielführend sind Absprachen mit der Partnerin, ihn als Bindungsperson zum Zuge kommen zu lassen.

Beides, die frühe Entstehung einer Bindung und das prompte Beruhigen als Fundament, überraschte viele Teilnehmer. Sie gingen davon aus, erst ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes wichtig zu sein. Bei ihnen bestanden Minderwertigkeitsgefühle gegenüber der Mutter. Sie waren überzeugt, dass das erste Lebensjahr eine Mutterdomäne wäre, vor allem, weil sie das Kind nicht stillen können. Und dass das Beruhigen des Säuglings so zentral ist für die Beziehung, wussten sie zuvor nicht. Ohne die Schulung hätten sie sich im ersten Jahr anders verhalten.

 

Selbstzweifel der Mutter

 

In der Familienpsychologie werden Mütter beschrieben, die durch größtenteils unbewusste Zweifel belastet sind, ob sie eine »gute Mutter« seien. Äußerungsform dieser Zweifel sind hohe Ansprüche an sich selbst und an den Vater. In der Folge bessern diese Mütter dann kindbezogene Arbeiten des Vaters nach, woraufhin er sich langfristig resigniert aus der Kinderbetreuung zurückzieht. Diese Dynamik ist als »maternal gatekeeping« erforscht worden (Brandes 2017). Bis jetzt wird davon ausgegangen, dass jede fünfte Mutter in dieses Muster fällt (Allen & Hawkins 1999).

In den Schulungen werden die Teilnehmer sowohl gebeten, sich in einen betroffenen Vater hineinzuversetzen, als auch, sich einen Ausweg aus der verstrickten Lage der Mutter zu überlegen. Wenn ein Vater die Kränkung durch die Nachbesserungen überwindet, kann er günstigenfalls den Konflikt kausal angehen und hinter der Unsicherheit der Mutter ihr Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung erkennen. Ohne Bearbeitung in der Partnerschaft wird die Anspruchshaltung der Mutter leicht zu einer Barriere für die Vater-Kind-Bindung. Teilnehmer, die sich davon betroffen sehen, fühlen sich durch die Thematisierung gestärkt.

Als marginal in der Literatur vertretene, alternative Erklärungen der mütterlichen Anspruchshaltung seien noch väterlicher Rückzug als Ursache erwähnt, nicht als Wirkung, außerdem Schuldgefühle berufstätiger Mütter und ein Machtanspruch aus Furcht vor einem Bedeutungsverlust (Brandes 2020).

 

Doppelter Rückzug

 

Unabhängig voneinander haben zwei Forschungsgruppen bei Vätern einen eklatanten Übertragungseffekt von der Paar- auf die Vater-Kind-Beziehung herausgefunden. Vaterschaft kann »verwundbar« sein, wenn der Vater die Beziehung zur Partnerin als unbefriedigend erlebt oder er unter Streit mit ihr leidet. Manche Väter ziehen sich dann nicht nur von der Partnerin, sondern auch von ihrem Kind zurück. Diesen Zusammenhang haben der US-amerikanische Psychologe E. Mark Cummings und Kolleginnen in ihrer »fathering vulnerability hypothesis« beschrieben (Cummings et al. 2010). Für Mütter gilt das nicht.

Wenn Väter ihr Gefühl mitteilen, dass sie die vorher vertraute abendliche Frage der Partnerin, »Wie war Dein Tag?«, vermissen, dürfte dies schon ein Lösungsschritt sein. In der Geschäftigkeit um den Nachwuchs ist sie möglicherweise untergegangen. Viele Väter nennen die Wichtigkeit des Gesprächs mit der Partnerin über Befindlichkeiten am Ende der Schulung als Erkenntnisgewinn.

Die Konzeption der Bindungsschulung eignet sich auch als Multiplikatorenschulung für Hebammen in der Geburtsvorbereitung.

Rubrik: 1. Lebensjahr | DHZ 02/2022

Literatur

Allen SM, Hawkins AJ: Maternal Gatekeeping: Mother´s Beliefs and Behaviors That Inhibit Greater Father Involvement in Family Work. Journal of Marriage and the Family 1999. 61, 199–212

Brandes Ch: Wunde Punkte bei Müttern und bei Vätern. Konflikthaftes Verhalten zwischen Eltern im Spiegel der Forschung. Kontext. Zeitschrift für Systemische Therapie und Familientherapie 2017. Band 48, 5–16

Brandes Ch: Zur Historie der Vätermarginalisierung bei Trennungen und Vorschläge für bindungsorientierte Interventionen. Zeitschrift für Sozialpädagogik 2020. 18. Jg., H. 2, 146–162
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