Gendern in der DHZ?

In der letzten Redaktionssitzung haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir die Diversität der Geschlechter in der DHZ auch in der Sprache noch besser spiegeln können. Über das Binnen-I haben wir bislang nur das binäre Geschlecht abgebildet, doch dies soll sich ändern.

Was verspricht sich die Redaktion der DHZ vom Gendersternchen oder -doppelpunkt? Wo betrifft ein »diverses Denken und Sprechen« auch die Arbeit der Hebamme – und unseren Auftrag als Fachzeitschrift?

 

»Es müsste ›Geschlechtssternchen‹ heißen«

 

»Im Deutschen wird für »Sex« und »Gender« nur der eine Begriff Geschlecht verwendet. Sex bezieht sich auf die biologischen und physiologischen Merkmale, die Männer und Frauen definieren. Viele Geschlechtsmerkmale, die typischerweise mit Männern und Frauen assoziiert werden, können bei transsexuellen oder intersexuellen Menschen vorhanden sein oder fehlen. Gender bezieht sich auf die sozial konstruierten Rollen, Verhaltensweisen, Aktivitäten und Eigenschaften, die eine bestimmte Gesellschaft für Männer und Frauen als angemessen betrachtet. Die meisten Menschen, die »Gender« als Ersatz für »Geschlecht« verwenden, tun dies, weil sie denken, dass es politisch korrekt sei. Das Gendersternchen, welches die Mitglieder der LGBTQIA-Gemeinschaft für ihre legitimen Bestrebungen nach Anerkennung einfordern, müsste korrekterweise Geschlechtssternchen heißen. Es geht ihnen nämlich nicht um sozial konstruierte Rollen, die sie wieder ablegen können.

Ich finde es sprachlich noch keine ausgereifte Lösung, Lücken, Sterne oder Doppelpunkte in Worte einzubauen und zu hoffen, es beseitige Ungleichbehandlung und Diskriminierung. Mir gefällt sehr, dass Hebamme für Männer und Frauen gilt, weil die sozial konstruierte Rolle der Hebamme unabhängig vom Körperbau und -funktion der Ausübenden ist.«

Peggy Seehafer, Hebamme, Anthropologin und Redakteurin der DHZ

 

 

»Sprache ist ein Ausdruck für Wirklichkeit«

 

»Mit 18 sagte ich in einer Diskussion über frauengerechte Sprache im Familienkreis: »Meinetwegen können wir das Geschlecht ganz abschaffen. Ich finde die Einteilung der Menschheit in männlich und weiblich nicht nur überflüssig, sondern schädlich, denn sie führt doch nur dazu, dass die einen privilegiert sind und die anderen benachteiligt werden.« Das löste damals Unverständnis und Ablehnung aus. Ich denke das aber bis heute.

In meinen Fortbildungen heute gendere ich mal so mal so. Manchmal sage ich »Väter«, manchmal »Begleitperson«, manchmal »Partner oder Partnerin«. Ich möchte diese Freiheit haben und finde das angemessen. Wenn ich schreibe, gendere ich dagegen durchgehend oder bemühe mich lieber noch um geschlechterneutrale Ausdrücke wie »Studierende«.

Ich verstehe den Ansatz, mit Sprache Diskriminierung vermeiden zu wollen, aber ich denke, es gibt neben queeren bzw. LGBTQ-Menschen noch so viele, die irgendwie »anders« sind, die deswegen Nachteile haben und die nicht explizit in der Sprache genannt werden – sei es als Menschen mit körperlichen oder psychischen Einschränkungen, als Alleinerziehende oder weil ihr Pass nicht deutsch ist, die Religionszugehörigkeit nicht christlich, das Aussehen nicht »weiß« ist…, dass ich mir heute nach wie vor einfach nur wünsche, dass wir die absolute Gleichheit aller Menschen ganz konkret in den Gesetzen festschreiben und wirklich im Alltag leben.

Sprache ist ein Ausdruck für Wirklichkeit – lasst uns also die Wirklichkeit verbessern, mit allen Kräften, mit Herz und Verstand, auf politischer und gesellschaftlicher Ebene. Dann wird es auch seinen Ausdruck in der Sprache finden.«

Tara Franke, Hebamme, Sexualpädagogin und Redakteurin der DHZ

 

 

»Auch der sprachliche Gap muss sich weiten«

 

»Anfangs hat mich der Begriff »Gender-Gap« verwirrt. Ich kannte ihn im Zusammenhang mit dem Gender-Pay-Gap, der auch den Hebammenberuf betrifft. Hier klafft immer noch eine Lücke in der Bezahlung, Männer werden in einer so verantwortungsvollen Tätigkeit in der Regel besser bezahlt.

Dann sprachen plötzlich alle vom Gender-Gap – und das war nun eine aus meiner Sicht positive Errungenschaft: die schriftliche Lücke, ausgedrückt durch ein Sternchen, einen Doppelpunkt oder Unterstrich, die genau das zeigen soll: dass es nicht nur Männer gibt, die Handwerker, Bürgermeister oder Manager sind, sondern diverse Menschen, auch nicht nur Frauen. Es sind eben Handwerker*innen, Bürgermeister*innen oder Manager*innen, von denen wir heute sprechen.

Bei den Hebammen ist es etwas anders. Die Entbindungspfleger*innen fühlen sich dem ursprünglichen Frauenberuf der Hebammen zugehörig und meinen, keine andere Berufsbezeichnung zu benötigen. Aber auch wenn die Frauen bei den Hebammen früher meinten, unter ihresgleichen zu sein, gab es schon immer auch dort eine bunte Vielfalt. Vielleicht schreiben wir »es« am Ende »Hebammen*«. Ich hoffe, dass der gesellschaftliche Gap der Ungleichbehandlung sich nicht nur finanziell schließt, der sprachliche Gap sich aber mehr und mehr weitet und etabliert. Als Redakteur*innen der DHZ möchten wir unseren Beitrag dazu leisten – zu beidem.«

Elisabeth Niederstucke, leitende Redakteurin der DHZ

 

 

»Wir stehen noch ganz am Anfang«

 

»Geschlechterdiversität muss zum Wohl, Schutz und der Gleichbehandlung der Personen, die aus dem binären Raster fallen, in das Alltagsverständnis von Hebammen Einzug halten! Ich denke nicht, dass ein Satzzeichen allein die so wichtige Änderung der Realität von Trans- und Interpersonen beeinflussen kann. Vielmehr müssen die Inhalte unserer Sprache und das selbstverständliche Wissen um die Möglichkeiten von Konstellationen und geburtshilflichen Situationen sich diesem Fakt respektvoll angleichen.

Drückt man mit diesem Zeichen aus, dass alle möglichen Selbstdefinitionen zu jeder Zeit eingeschlossen sind, so müsste der Konsequenz halber auf Beschreibungen wie »frauenzentriert«, »Mutter« oder »Frau während der Geburt« verzichtet werden. Für alle Frauen und Mütter im geburtshilflichen Kontext ist es jedoch wichtig, sie genau so weiter anzusprechen und zu repräsentieren. Es darf nicht passieren, dass wir sie nicht mehr benennen können, denn sie machen den größten Anteil der gebärenden und schwangeren Personen aus. Was tun wir nun, ein Diversitätszeichen benutzen oder sprachlich konsequent sein?

Mit der Frage der »richtigen« Darstellung von Diversität in der Sprache stehen wir noch ganz am Anfang. Der Genderstern oder der Doppelpunkt sind derzeit nicht mehr als Wege, um zu zeigen, dass sich mit der Thematik auseinandergesetzt wird — ein gesetztes Zeichen, auf dem wir uns weder ausruhen, noch uns von ihm verunsichern lassen sollten. Wir sollten diese Frage in regelmäßigem Austausch und fortlaufender Reflexion als einen Prozess betrachten.«

Alessandra M Scheede, Hebamme und Redakteurin der DHZ

 

 

Es wird keine Lösung geben, die für alle passt

 

»Was bedeutet Geschlechtergerechtigkeit für den Umgang mit Sprache in einer Zeitschrift, deren Fokus der Frauenkörper, Weiblichkeit und die Begleitung im Prozess des Mutterwerdens ist? Gute Absicht, also »mit gemeint«, ist ganz sicher nicht ausreichend. Aber wie weit gehen? Und wo erscheinen Ver-rückungen nicht mehr stimmig, weil sich der Fokus wiederum so verschiebt, dass andere Interessen aus dem Blick geraten – wie beispielsweise bei »Menschen mit Uterus«? Als Feministin hätte ich ein Problem, wenn Frauen hier »mit gemeint« wären.

Es ist ein Unterschied, ob wir Diversität im Sprechen oder im Schreiben ausdrücken wollen – ob ich als Hebamme eine Person fragen kann, wie sie persönlich angesprochen werden möchte oder ob ich der Diversität der Geschlechter in einem Fachartikel gerecht werden will. Geschlechtergerechtigkeit muss kontext- und personenbezogen umgesetzt werden. Das wird jeweils ganz unterschiedliche Erscheinungsformen haben.

Sprache ist ein lebendiger Prozess, ebenso dynamisch wie das Zusammenleben von Menschen aus verschiedenen Kulturen, woraus Neues entsteht. Dabei geht es immer auch um Machtverhältnisse und Aushandlungsprozesse. Geschlechtergerechtigkeit fordert den Perspektivwechsel. Es wird keine Lösung geben, die für alle passt. Es braucht auch Kreativität. Auch in der DHZ wird es ein Aushandlungsprozess bleiben. Das ist gut so, denn es bedeutet, im Dialog zu sein.«

Angelica Ensel, Hebamme, Ethnologin und Redakteurin der DHZ

Rubrik: Politik & Gesellschaft | DHZ 06/2021

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