Interview mit Pablo Steinberg über »Bovine Milk and Meat Factors«

Kuhmilch für den Säugling?

»Bovine Milk and Meat Factors« (BMMF) sind DNA-Bestandteile in Rindfleisch und Kuhmilch. Sie stehen im Verdacht, für Dickdarm- und Brustkrebs verantwortlich zu sein. Als mögliche Maßnahme zum Schutz vor einer BMMF-Infektion in der frühen Kindheit wurde unter anderem eine einjährige Stillzeit – mit Verzicht auf Kuhmilch und Rindfleisch – vorgeschlagen. Prof. Dr. Pablo Steinberg, Präsident des Bundesforschungsinstituts für Ernährung und Lebensmittel, Max Rubner-Institut, ordnet die These ein. Birgit Heimbach
  • Prof. Dr. Pablo Steinberg: »Es gibt keine stichhaltigen Beweise dafür, dass BMMF- Moleküle aus der Kuhmilch infektiös sind.«

Birgit Heimbach: Als Prof. Harald zur Hausen vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg 2019 über Infektionen mit »Bovine Milk and Meat Factors« (BMMF) in der frühen Kindheit publizierte und dazu riet, Säuglingen keine Kuhmilch und kein Rindfleisch vor Abschluss des ersten Lebensjahres zu geben, ging dies durch die Medien. Er sah immerhin eindeutige Hinweise dafür, dass ein zu früher Kontakt mit BMMF zu Brust- und Darmkrebs im späteren Leben der Kinder führen würde. Ihr Bundesforschungsinstitut reagierte mit starkem Vorbehalt auf die These. Sie bestätigten nur, dass Stillen als Präventionsmaßnahme gegen diverse Krankheiten generell zu befürworten sei. Auf dem diesjährigen Kongress »Geburtshilfe im Dialog« im Februar untermauerte zur Hausen nun nochmals seine These mit neuen Ergebnissen. Wie stehen Sie inzwischen dazu?

 

Prof. Dr. Pablo Steinberg: Grundsätzlich ist Stillen aus verschiedenen Gründen zu empfehlen. So zeigt sich, dass Kinder, die länger gestillt werden, später seltener an Allergien leiden und weniger mit Übergewicht zu kämpfen haben. In Bezug auf die BMMF gibt es weiterhin keine stichhaltigen Beweise dafür, dass diese infektiös sind. Das würde nämlich bedeuten, dass sie ohne Weiteres in Zellen eindringen und diese infizieren könnten. Die bisher veröffentlichten Daten zeigen lediglich, dass es zu einer unspezifischen Zellreaktion kommt, wenn die DNA-Moleküle mit gentechnischen Methoden in dafür sehr empfängliche Zellen gebracht werden. Im Übrigen wurden die fraglichen Moleküle zuerst von der Ärztin und Neuropathologin Dr. Laura Manuelidis von der Yale Universität 2011 als SPHINX DNA beschrieben.

 

Birgit Heimbach: BMMF sind wohl ringförmige DNA-Moleküle, wie sie bei Bakterien weit verbreitet sind, die ihnen den Austausch genetischer Informationen ermöglichen. Gemäß zur Hausen agiert diese Variante komplett selbstständig und wird daher als infektiöses Plasmidom bezeichnet. Er sprach nicht davon, dass die BMMF in Zellen eindringen. Er erläuterte lediglich, dass sie zu kleinen chronischen Entzündungen im interstitiellen Gewebe im Darm führen. Die dabei entstehenden Sauerstoffradikale, die eigentlich Krankheitserreger bekämpfen sollen, würden auch die DNA von körpereigenen Zellen schädigen und dadurch mutagen wirken. Zwei bis drei Mutationen in einer einzigen Zelle würden ausreichen, dass Krebs entstehe, vor allem Dickdarmkrebs, aber auch Brustkrebs.

Prof. Dr. Pablo Steinberg: Es gibt keinerlei Beweise dafür, dass die SPHINX DNA selbstständig agiert oder gar infektiös ist. Im Gegenteil, Laura Manuelidis hat gezeigt, dass diese DNA geschützt, also vermutlich von einer Proteinhülle umgeben ist und nicht frei vorliegt. Das deutet darauf hin, dass diese DNA Teil eines Virus oder Bakteriums ist, oder dass sie vielleicht auch natürlicherweise im menschlichen Körper vorkommt. Wir dürfen nicht vergessen, dass etwa 5 % des menschlichen Genoms aus retroviraler DNA bestehen, also aus Fremd-DNA, die sich im Laufe der Entwicklung zu unserer DNA gesellt hat. Der Mensch lebt nicht isoliert, sondern in einer belebten Umwelt, auf die er reagiert.

 

Birgit Heimbach: Zur Hausen war nicht der erste, der Krebserkrankungen auf Viren oder virenähnliche Erreger zurückführte. Bereits 1970 stellte der Krebsforscher Dr. Alfons Weber die These auf, dass Krebs eine Infektionskrankheit sei. Er hatte Erreger gefunden, die er Protozoen nannte. Wie lässt sich die Arbeit von zur Hausen einordnen oder bewerten?

Prof. Dr. Pablo Steinberg: Ich kann und möchte hier nicht die Arbeit des geschätzten Kollegen zur Hausen bewerten. Ob es sich bei den BMMF um Viren beziehungsweise virenähnliche Erreger handelt oder ob sie natürliche Bestandteile unserer DNA sind, ist noch nicht geklärt. Diese Untersuchungen fallen in den Bereich der Grundlagenforschung und können im Max Rubner-Institut nur eingeschränkt durchgeführt werden. Sobald ausreichend Daten vorliegen, kann eine Bewertung in einer öffentlichen Stellungnahme erfolgen.

 

Birgit Heimbach: Laut zur Hausen betrifft seine These vor allem die Milch unserer heimischen Milchkühe, Nachfahren der Auerochsen. Zebus oder Yaks tragen diese BMMF offensichtlich nicht in sich. Wäre die Lösung, Kindern unter einem Jahr die Milch von Galloway- oder anderen Rindern zu geben? Oder dann doch gleich Hafermilch oder Formula – jedenfalls so lange, bis die Forschung weitere Ergebnisse liefert?

Prof. Dr. Pablo Steinberg: Es gibt bisher keine offiziellen Daten zum Vorkommen der BMMF oder SPHINX DNA in Zebus oder Yaks. Dass diese DNA nur in Nachfahren des Auerochsen vorkommen, ist reine Spekulation. Wir stehen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern anderer Institutionen in Kontakt und sowohl unsere eigenen vorläufigen Untersuchungen, wie auch die der anderen Institutionen, zeigen, dass die BMMF auch im Fleisch anderer Tierarten nachzuweisen sind. Das spezifische, also alleinige Vorkommen in »heimischen Milchkühen«, ist demnach widerlegt. Es ist jedoch ein Grundgedanke der These, dass durch BMMF Krebs entstehen könnte.

 

Birgit Heimbach: In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 21. Februar 2021 war zu lesen, dass das Max Rubner-Institut, das Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, auf Auswertungen verweise, wonach Milch – also wohlgemerkt unverarbeitete Milch – womöglich sogar eine schützende Wirkung vor Brust- und Darmkrebs hat.

Prof. Dr. Pablo Steinberg: Ja, das stimmt. In verschiedenen Studien wurde nachgewiesen, dass der Verzehr von Milch und Milchprodukten der Entstehung von Krebs entgegenwirkt. Ich beziehe mich hier unter anderem auf die Aussage in der systematischen Literaturbewertung des World Cancer Research Funds von 2017. Dabei wurde die gesamte Gruppe der Milchprodukte berücksichtigt.

 

Birgit Heimbach: Laut zur Hausen enthält Kuhmilch allerdings auch noch die Sialinsäure Neu5Gc. Sie bindet sich an die Rezeptoren der Epithelzellen im Darm und erleichtert Pathogenen das Andocken. Humane Milch-Oligosaccharide (HMO) aus der Muttermilch dagegen schützten gegen Pathogene – auch gegen BMMF. Bakterien binden sich einerseits mit ihren Rezeptoren an die HMO und werden ausgeschieden, andererseits verändern sie offensichtlich die Rezeptoren an den Epithelzellen, so dass die Bakterien dort auch nicht mehr so gut andocken können. Nutzen möglicherweise auch die BMMF diesen Weg? Haben diese eventuell ebenfalls diese Rezeptoren?

Prof. Dr. Pablo Steinberg: Auch hier gibt es keine zugänglichen Daten, die die Hypothese bestätigen würden, dass BMMF-Moleküle von HMO »abgefangen« werden könnten. Sie setzen bei dieser Frage offenbar voraus, dass BMMF infektiös sind, dass sie im späteren Leben Krebs auslösen oder zumindest entscheidend daran beteiligt sind, und dass ihre Wirkung ferner durch HMO aufgehoben werden. Keine einzige dieser Annahmen ist bisher belegt. Ich möchte mich nicht an solchen Spekulationen beteiligen, sondern zunächst fundierte wissenschaftliche Ergebnisse abwarten.

 

Birgit Heimbach: Wie sollen Hebammen bis dahin junge Mütter beraten?

Prof. Dr. Pablo Steinberg: Solange sich an der aktuellen Datenlage nichts ändert, sehe ich aufgrund von BMMF keinen zusätzlichen Beratungsbedarf der jungen Mütter. Die Nationale Stillkommission empfiehlt ohnehin, dass Säuglinge im ersten Lebenshalbjahr voll gestillt werden sollten, mindestens bis zum Beginn des fünften Monats ausschließlich. Außerdem bestehen Beschränkungen zum Verzehr von Kuhmilch im ersten Lebensjahr. Nach Einführung der Beikost sollten neben der Muttermilch oder der Milchersatznahrung lediglich 200 ml Kuhmilch täglich als Bestandteil des Milch-Getreide-Breis zugeführt werden. Die Empfehlung bezieht sich darauf, dass eine regelmäßige Überschreitung dieser Menge an Kuhmilch aufgrund des hohen Proteingehalts zu Nierenschäden führen kann. Als Getränk sollte Kuhmilch daher erst gegen Ende des ersten Lebensjahres angeboten werden, wenn die Kinder üblicherweise bereits an den Familienmahlzeiten teilnehmen. Empfohlen wird dabei ein Glas Milch am Tag, entweder zum Frühstück oder zum Abendbrot.

 

Birgit Heimbach: Herzlichen Dank für Ihre Einschätzung!

 

Der Interviewte

 

Prof. Dr. Pablo Steinberg ist habilitierter Toxikologe und war zwischen 1998 und 2008 Inhaber des Lehrstuhls für Ernährungstoxikologie an der Universität Potsdam. Anschließend war er Direktor des Instituts für Lebensmitteltoxikologie und Chemische Analytik an der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover. Seit 2017 leitet er das Max Rubner-Institut (MRI) in Karlsruhe, eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).

Rubrik: 1. Lebensjahr | DHZ 08/2021

Literatur

World Cancer Research Funds: Diet, Nutrition, Physical Activity and Cancer. A global Perspective 2017

Kuroczik J: Milch ohne Tier. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 21. Februar 2021

Heimbach B: Bericht über Kongress »Geburtshilfe im Dialog«. 5/2021, Seite 97
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