Leseprobe: DHZ 12/2013
Große Haie, kleine Fische, Teil 2

Ein Abschiedsbrief

Eine Schülerin erzählt, wie es weiterging, nachdem sie in der Hebammenschule mitteilte, dass sie schwanger ist. Nach der Veröffentlichung des ersten Teils ihrer Geschichte (siehe DHZ 2/2013, Seite 64ff.) bekam sie viele Nachrichten von Kommilitoninnen, die von ähnlich gelagerten Schicksalen erzählten. Die Suche nach einem gangbaren Weg, Hebamme zu werden, ging auch nach der Geburt des Sohnes weiter. Und: Ein Rest Optimismus ist geblieben.

Die Tür fliegt auf: „Am Unterricht dürfen Sie nicht mehr teilnehmen! Ich möchte, dass Sie sofort das Schulgelände verlassen. – Ich bin hier die Leitung.“ Macht. Stille. Ein nachdenklicher Moment. Ein einschneidender, einer indem sich auf einmal alles verändert: Ich wurde rausgeworfen. Noch nie zuvor wurde ich in meinem Leben irgendwo rausgeworfen. Es war mein letzter Tag an meiner Hebammenschule. Meine Entscheidung. Ich bleibe sitzen, schließlich ist Unterricht. Starr vor Erstaunen und fassungslos vor Scham. Scham darüber, dass so etwas aus dem Mund einer Hebamme kommt. Einer Person, die damit beauftragt ist, Wissen zur Verbesserung der Frauengesundheit zu vermitteln. Für Mütter hat man an diesem Ort offensichtlich kein Verständnis. Warum auch – an einer Hebammenschule? Minuten vergehen, erneut platzt sie in den Unterricht und fordert mich auf zu gehen. Ich schenke ihr ein bitteres Lächeln und gehe. Was soll ich auch machen? Draußen sind es 26 Grad, die Luft ist schön – ich fahre nach Hause. Mein Freund ist mit unserem Sohn daheim. Als ich den Schlüssel in die Tür stecke, höre ich unser Kind lachen. Es liegt auf dem Wickeltisch und strahlt mich an. Jetzt erst fange ich zu weinen an, Tränen tropfen auf mein Kind – aber ich bin glücklich. Nie wieder muss ich da hin. Ein Gefühl der Befreiung breitet sich aus. Nie wieder. Es war die Hölle. Millionen Erinnerungen rasen durch meinen Kopf: Da waren ihre demütigenden Worte: „Es ist der falsche Zeitpunkt zum Schwangersein“. Der vernichtende Blick, als ich meine Krankschreibung abgab: „Wie, Ihnen ist schlecht?“ „Ja! Ich bin schwanger…“, aber dafür hat meine Schulleitung kein Verständnis. Traurig. In meinem Freundeskreis erzähle ich meine Geschichte. Ungläubige Blicke übersäen mich. Wozu lässt du dich nochmal ausbilden? Zur Hebamme? Unfassbar.

 

Undankbare Alternativen

 

Zwei Monate zuvor ist mein Sohn geboren. Als Hebammenschülerin mit Kind wird man hier jedoch nicht geduldet. Keine Chance. Ich habe alles probiert. Ich hatte darum gebeten, während meiner Elternzeit an den zweimal wöchentlich sattfindenden Schultagen teilnehmen zu dürfen. Vergeblich. Mit der Ablehnung meines Antrags auf Teilzeit wartete man bis zur letzten Minute. Mir blieben lediglich die letzten sechs Tage meiner Mutterschutzfrist, um zu überlegen, ob ich zu 100 Prozent wieder einsteige. Als Alternative bot man mir einen Platz im nächsten ersten Lehrjahr an – leider hat der Kurs noch nicht einmal begonnen. In Anbetracht der Tatsache, dass ich schon über die Hälfte meiner Ausbildung absolviert hatte, reizte mich die letztere Variante ohnehin wenig. Unser ewiger Streitpunkt war das bevorstehende Examen: Während meine Schulleitung vehement darauf pochte, dass ich mich doch gemeinsam mit meinem Kurs prüfen lassen sollte, bat ich um eine Verschiebung des Examens um ein halbes Jahr. Zu viel Aufwand. Eine Einzelprüfung – undenkbar.

 

Kein Erbarmen

 

Wieder und wieder versuchte ich zu erklären, dass ich mir das gemeinsame Examen mit meinem Kurs nicht zutraue – immerhin fehlte mir mittlerweile ein halbes Jahr! Kein Erbarmen – das würde ich ja wohl schaffen, anderen wäre das schließlich auch gelungen. Auf meine Frage, ob nicht auch ein Einzelexamen organisiert werden müsse, falls jemand durchfallen sollte, antwortete sie mit: „Bei uns fällt keiner durch“. „Ach so“, dachte ich und schwieg. Vorsorglich hatte man meinem Ablehnungsbescheid gleich ein weiteres Schreiben beigefügt, aus dem hervorging, dass man mir bis zu meinem Vertragsende Elternzeit aufdiktierte. Diese hatte ich zwar nie beantragt, aber im Nachhinein ist sie der Inbegriff meiner Befreiung. Ich spreche mit einer Hebamme aus dem Kreißsaal – sie erzählt mir von einer Freundin, die während der Ausbildung schwanger wurde und genau diesen Wahnsinn durchlaufen hatte. Dringend riet sie mir davon ab, die Prüfung gemeinsam mit den anderen zu machen.

 

Ein Teufelskreis

 

Mir fehlte die Rechtsgrundlage, um meiner Forderung Nachdruck zu verleihen. Es gibt einfach keine. Man konfrontierte mich mit folgendem Teufelskreis: Die Schulleitung stimmte der Teilzeitausbildung zu, sofern die zuständige Landesschulbehörde einverstanden sei. Ich wandte mich an die Landesschulbehörde und erfuhr, dass sie sehr wohl zustimmen würde, sofern die Verwaltung des Klinikums dies genehmigen würde. Meine Anfrage bei der Verwaltung ergab, dass sie prinzipiell zustimmen, sofern die Landesschulbehörde grünes Licht gibt. Ich musste schmunzeln, als ich im Rahmen meiner derzeitigen Recherche folgenden Satz las: […] (es) findet sich eine Bandbreite in der Qualität der Ausbildung, die davon abhängig ist, wie engagiert und innovativ einzelne Schulen beziehungsweise die dort tätigen Lehrerinnen und das Ausbildungspersonal sind (zu Sayn-Wittgenstein 2007, Seite 169).

 

Schicksalsschläge

 

Das ist meine Geschichte. Stellvertretend für all die Hebammenschülerinnen mit Kind, die es auch schwer haben. Und es gibt einige von ihnen. Nach der Veröffentlichung meines letzten Artikels (siehe DHZ 2/2013, Seite 64ff.) häuften sich die Schicksale meiner Kommilitoninnen in meinem E-Mail-Postfach. Offensichtlich gibt es nur einige wenige Hebammenschulen in Deutschland, die gemeinsam mit ihren schwangeren Schülerinnen gute Mittel und Wege finden, die Ausbildung weiter fortzusetzen. Leider viel zu wenige. Eine Schülerin rief mich an: „Für meinen Kreißsaaleinsatz musste ich abgestillt haben, um eingesetzt werden zu können!“ Ohne Worte. Wir beauftragten den Anwalt unseres Berufsverbandes und hofften auf Unterstützung. Leider dauerte die Bearbeitung so lange, dass jede Hilfe zu spät kam. Die rechtliche Lage ist verworren: Fast jeder deutsche Ausbildungsberuf macht es einem möglich, Elternzeit und berufliche Bildung zu kombinieren. Unserer leider nicht, denn im Hebammengesetz heißt es im § 26: „Für die Ausbildung der Hebamme und des Entbindungspflegers findet das Berufsbildungsgesetz keine Anwendung.“ Schade. Warum eigentlich nicht? Man weiß es nicht. Daraus folgt, dass man als Hebammenschülerin keinerlei gesetzlichen Anspruch auf die Rechte des Elternzeitgesetzes hat. Unterstrichen wird diese Reglementierung durch § 9 des Hebammengesetzes: „Auf die Dauer der Ausbildung werden Unterbrechungen durch Schwangerschaft bis zur Gesamtdauer von zwölf Wochen angerechnet.“ Leider hatte man mir während meiner Schwangerschaft schon ein Beschäftigungsverbot von vier Monaten auferlegt, weshalb mir ohnehin schleierhaft war, wie ein Examen mit meinem Kurs noch möglich sein sollte.

 

Ungeahnte Kräfte

 

Aber ich gebe mich nicht meinem Backfischdasein hin. Die Geburt unseres Sohnes und mein Mutterdasein setzen ungeahnte Kräfte in mir frei. Von der Ruhe, die einer Wöchnerin zusteht, erfuhr ich wenig – denn ständig musste ich mich rechtfertigen. Ich sollte Formulare ausfüllen, auf abgelehnte Anträge reagieren und den Überblick behalten. Aber ich bekam schnell wieder neuen Schwung, schaffte es bis nach Osnabrück – studierte dort ein Modul Midwifery. Dort zeigte man mir das Mutter-Kind-Zimmer auf dem Campus, ich durfte während der Vorlesung stillen – alles kein Problem, wenn man nur will. Wenn man allerdings nicht will, ist alles ein Problem. Wir, die wir Hebammen werden oder es vielleicht auch schon seit vielen Jahren sind, sollten uns ernsthaft Gedanken machen, wo unsere Zukunft hinführt. Wenn es in den eigenen Reihen nicht mehr genug Muße gibt, Schwangeren und Müttern Geduld, Achtsamkeit und Respekt entgegenzubringen, dann frage ich mich, wie es möglich sein soll, diese Prinzipien grundlegend im eigenen Berufsalltag zu verankern. Man kann nur hoffen, dass das „Problem Schwangersein“ im Rahmen der Akademisierung des Berufsstandes abgeschafft wird. In der Regel ist es an deutschen Hochschulen kein Problem, familienkompatible Lösungen zu finden. Ich schaue gespannt in die Zukunft.

 

Neue Perspektiven

 

Warum also dieser Abschiedsbrief? Weil ich mich für mein Kind und meine Familie und eine Hebammenausbildung an einem anderen Ort entschieden habe. Es ist meine ganz persönliche Entscheidung, die ich getroffen habe, weil ich mir nicht in einigen Jahren vorwerfen möchte, die ersten Monate mit meinem Kind verpasst zu haben. Ich würde es mir nie verzeihen. Zwar habe ich mein neues Zuhause noch nicht endgültig gefunden, aber überall, wo ich angeklopft habe, hat man mich freundlich willkommen geheißen. Ich bin gespannt, wo es hingehen wird.  

Rubrik: Ausbildung und Studium | DHZ 12/2013

Literatur

zu Sayn-Wittgenstein, F.: Geburtshilfe neu denken. Bericht zur Situation und Zukunft des Hebammenwesens in Deutschland. 1. Auflage. Bern. Huber. (2007)