Ein liebevoller Abschied
Freitag, 10. April 2015, 8+0 SSW: Seit 32 Tagen weiß ich durch einen Urin-Frühtest, dass ich schwanger bin. Wir freuen uns auf unser viertes Kind. Meine Ungeduld hat mich fest im Griff: Eigentlich wollte ich erst den regulären „Kassenultraschall" zwischen der neunten und zwölften Schwangerschaftswoche wahrnehmen. Aber jetzt suche ich doch schon mit meinem Mann und unseren drei Kindern eine Gynäkologin auf. Sie ist eine Freundin, arbeitet im Krankenhaus und hat heute Dienst. Während unsere siebenjährige Tochter und unser fünfjähriger Sohn im Wartezimmer bleiben, begleitet uns unser fast zweijähriger Sohn in den Untersuchungsraum zur Ultraschalluntersuchung. Das erste Mal den Herzschlag sehen zu dürfen, verliert auch beim vierten Kind nicht den Reiz. Es rührt mich immer wieder zutiefst. Wir sind überglücklich. Wir beschließen, schon heute unsere Kinder einzuweihen, und auch unsere Familie erfährt an diesem Wochenende vom erwarteten Nachwuchs. Unsere Kinder verbreiten die frohe Nachricht im Kindergarten und in der Schule. Nach und nach streuen auch wir die Neuigkeit im Freundeskreis.
Montag, 20. April 2015, 9+3 SSW: Die zweite Vorsorgeuntersuchung steht an, diesmal bei meiner regulären Gynäkologin. Mein Mann und alle drei Kinder sind dabei. Ich lasse beim kurzen Smalltalk mit der Gynäkologin meine Angst durchscheinen. Sie bietet mir an, die Ultraschalluntersuchung zuerst zu machen und hinterher weiter zu sprechen. Schnell ist das Kind auf dem Bildschirm sichtbar. Doch der Bildschirm zeigt quasi ein Standbild: Nichts regt sich. Der konzentrierte Gesichtsausdruck meiner Gynäkologin unterstreicht dieses Bild.
Adrenalin durchflutet meinen ganzen Körper. Ich bin wie elektrisiert und höre nur noch wie durch Watte. Ich höre meine eigene Stimme wie von außen: „Bitte sagen Sie nichts! Suchen Sie noch einmal!" Die Gynäkologin erwidert: „Ja. Ich suche noch einmal." Doch wenige Sekunden später steht das Unfassbare fest. Der Satz, der alles ändert: „Es ist nicht mehr!" Das Bild auf dem Monitor erscheint mir nicht mehr wie mein Kind, sondern wie ein grauer Klumpen. Die Gynäkologin streichelt mein Bein. Sie sagt, das Kind wäre vermutlich nicht gesund gewesen. Die Nackentransparenz des Kindes würde auffällig aussehen. „Aber wir nehmen kranke wie gesunde Kinder", sage ich verzweifelt. Sie entgegnet, dass das leider nicht mehr meine Wahl sei, sondern dass die Natur das entschieden habe.
Sie bietet mir an, dass ich mich wieder anziehe, bevor wir weiter sprechen. Unter Tränen ziehe ich mich an. Sie fragt, ob ich das Ultraschallbild trotzdem haben wolle. „Auf jeden Fall! Sofort her damit", ist meine unmissverständliche Antwort. Mir ist selbst in diesem Moment bewusst, dass dies eines der wenigen Erinnerungsstücke sein wird, die uns von unserem Kind bleiben. Das Bild zeigt ein winziges Wesen mit einer Scheitel-Steiß-Länge von 2,4 Zentimetern. Ich setze mich an den Schreibtisch der Gynäkologin. Meine Familie sitzt wie ein Rudel begossener Pudel auf der Behandlungsliege. Mein Mann fragt die Kinder, ob sie verstanden haben, was los ist. Er fasst es in klare Worte: „Das Kind in Mamas Bauch lebt nicht mehr."
Abschied nehmen
Das Gespräch mit der Gynäkologin geht weiter: Sie sagt, sie werde mir jetzt die Überweisung ausstellen, mit der ich dann ins Krankenhaus fahren solle. „Kann ich nicht alternativ zur Kürettage Medikamente nehmen?" Die Ärztin antwortet, dass sie das in ihrer Praxis nicht anbiete. Aus einem halbjährigen Praktikum in einer Schwangerschaftsberatungsstelle weiß ich allerdings, dass es einen Arzt in unserer Stadt gibt, der medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche in seinem Leistungskatalog hat. Meine Ärztin lässt ihre Sprechstundenhilfen in der besagten Praxis nachfragen, ob dieser Arzt diese Behandlungsoption sieht. Dort heißt es, man würde diese Behandlungsform nur bis zur achten Schwangerschaftswoche vornehmen, da nach diesem Zeitpunkt die Wahrscheinlichkeit erhöht sei, dass dennoch eine Kürettage nötig wird.
Ich erkläre meiner Gynäkologin, dass es mir nicht vorrangig um das Vermeiden der Operation gehe, sondern dass ich bewusst von meinem Kind Abschied nehmen wolle. Sie äußert, dass sie sich gut vorstellen könne, dass das für meine Trauerbewältigung wichtig wäre. Ich bekomme einen Termin in der Praxis ihres Kollegen für den Nachmittag des Folgetages. Auf dem Überweisungsschein steht „Missed Abortion" – verhaltene Fehlgeburt.
Auf dem Weg ins Auto sagt mein großer Sohn zu uns, dass er in dem Moment, als ich anfing zu weinen, wusste, dass das Baby nicht mehr lebt. Im Auto fallen mein Mann und ich uns in die Arme und weinen. Den Rest des Tages verbringe ich auf dem Sofa. Per Kurznachrichten informiere ich alle Leute, die bereits von der Schwangerschaft wussten, über die jetzige Situation. Ich recherchiere im Internet über einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch. Die Frist, die in den Publikationen genannt wird, ist die 9+0 SSW. Ich wappne mich innerlich, dass ich beim morgigen Termin mit dem Arzt verhandeln muss, da ich mich an diesem Tag rechnerisch schon in der 9+3 SSW befinde. Meine Schwiegermutter ist bei uns und kümmert sich sehr rührend um uns. Sie bereitet das Abendessen und bringt die Kinder ins Bett. Ich fühle mich liebevoll umsorgt und behütet.
Dienstag, 21. April 2015, 15:15 Uhr: Ich bin mit meinem Mann in der Praxis des besagten Gynäkologen. Im Vorzimmer bekommen wir Telefongespräche mit, bei denen aufgezählt wird, welche Unterlagen mitzubringen sind, damit ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden kann. In der Praxis kommt es zu einer skurrilen Situation: Der Gynäkologe denkt, wir kämen zu einem Schwangerschaftsabbruch bei intakter Schwangerschaft, bevor ihm die Überweisung mit der Diagnose „Missed Abortion" in die Hände fällt. Der folgende Dialog gestaltet sich wie folgt: „Ach so! Kann ich davon ausgehen, dass es sich um eine durchaus erwünschte Schwangerschaft handelt?" Meine unmissverständliche Antwort: „Ja! Sie würden uns einen großen Gefallen tun, wenn Sie jetzt eine Herzaktion finden würden."
Doch auch er kann nur bestätigen, dass dem nicht so ist. Innerlich wappne ich mich für eine Verteidigungsrede, um meinen Wunsch nach einer medikamentösen Beendigung der Schwangerschaft durchzusetzen. Doch das ist gar nicht nötig. Er sagt, dass es für ihn zwar Neuland sei, eine Schwangerschaft mit einer verhaltenen Fehlgeburt so zu behandeln. Allerdings habe er umfangreiche Erfahrungen mit den verwendeten Medikamenten und könne sich vorstellen, dass die Behandlung eine gute Alternative zur Kürettage sei. Man würde keine iatrogenen Verletzungen setzen. Diese Behandlungsform bringe kein Risiko von Verwachsungen oder Verklebungen (Synechien) der Gebärmutterwand mit sich, da keine Traumata durch eine Kürettage gesetzt würden. Somit bestehe auch anschließend keine erhöhte Gefahr für eine Amenorrhoe, Hypomenorrhoe, habituelle Aborte, eine sekundäre Sterilität oder Plazentationsstörungen in einer Folgeschwangerschaft. Anschließend könnte ich noch ohne erhöhte Risiken acht weitere Kinder bekommen. Trotz der ernsten Situation bringt mich die genannte Kinderzahl zum Schmunzeln. Es folgt ein Aufklärungsgespräch über die Wirkungsweisen der Medikamente: Mifegyne® kann bei anschließender Verwendung mit einem Prostaglandinanalog offiziell bis zum 63. Tag nach Ausbleiben der Periode gegeben werden. Auch für die Einleitung von Wehen bei Tod des Fetus in utero ist es zugelassen, das heißt zur Auslösung einer verhaltenen Fehlgeburt. In dieser Praxis erfolgt frühestens 24 Stunden nach oraler Einnahme von Mifegyne® die ärztliche Gabe von Cytotec® (Freiname: Misoprostol). Für gynäkologische und geburtshilfliche Anwendungen sind Misoprostol-haltige Fertigarzneimittel nicht in Deutschland zugelassen, die Anwendung von Cytotec® erfolgt also im Off-Label-Use. Nach der Einnahme von Mifegyne® kommt es, laut Aussagen des Arztes, in 90 Prozent der Fälle innerhalb von 24 Stunden zu Blutungen. Davon seien 10 Prozent direkt starke Blutungen und 80 Prozent leichte Schmierblutungen. In 10 Prozent der Fälle bleibe die Blutung aus.
Ich nehme also direkt im Beisein des Arztes die Mifegyne® ein. Etwas schüchtern formuliere ich, dass ich diesen Weg der Behandlung besonders deshalb gewählt habe, um mein Kind sehen zu können. Ich frage ihn, ob es eine Möglichkeit gebe, das Kind aufzufangen, falls die Blutungen rasch nach der Gabe von Cytotec® noch in der Praxis einsetzen würden. Der Arzt erklärt mir, dass ihm eine Patientin von ihren Erfahrungen mit der Verwendung einer Menstruationstasse berichtet hätte, um Blutungen und das Kind aufzufangen. Eine Menstruationstasse besteht häufig aus Silikon und ist eine Art geschlossener Trichter, der tamponähnlich in die Scheide eingeführt wird. Man kann die Tasse also gezielt entnehmen und entleeren. Für den Heimbedarf kaufe ich für diesen Zweck in der Apotheke einen Toiletteneinsatz.
Wir vereinbaren einen Termin für den folgenden Donnerstagmorgen, da der Ablauf der 24-Stunden-Frist auf einen Mittwochnachmittag fällt, an dem die Praxis geschlossen ist. Am Abend werde ich erneut durch meine Familie von den Alltagspflichten entlastet und nutze die Zeit, um bei einem Spaziergang meine Gedanken zu sortieren. Durch diverse Fortbildungen ist mir bewusst, wie wichtig Fotos vom Kind für die Trauerverarbeitung sind. Ich halte Ausschau nach Blüten, die geeignet erscheinen, um sie nach der kleinen Geburt neben meinem toten Kind zu drapieren.
Angst vorm Kontrollverlust
Mittwoch, 22. April 2015, nachmittags: Ich liege in der Badewanne und weine. Währenddessen telefoniere ich mit meiner Hebamme. Schon beim Telefonat am Diagnosetag gab sie mir zu bedenken, ob ich nicht warten möchte, bis spontan Blutungen einsetzen. Mein Körper werde irgendwann die Signale verstehen, dass es keinen Sinn macht, die Schwangerschaft aufrecht zu erhalten. Doch schon jetzt hinterlässt der unerwartete Tod meines Kindes bei mir das Gefühl, die Kontrolle über meinen Körper komplett verloren zu haben. Beim Gedanken, auf spontane Blutungen warten zu müssen, läuft immer wieder ein Szenario vor meinem geistigen Auge ab: Ich gehe mit meinen Kindern und unserem Hund im Wald spazieren und fange plötzlich an zu bluten. Um mich herum sonst keine Menschenseele oder nur gänzlich fremde Menschen. Ich bin nicht bereit, mein Kind quasi ein zweites Mal unkontrolliert zu verlieren. Ich möchte es in Ruhe im Kreise meiner Lieben im heimischen Umfeld in Empfang nehmen.
Ich hoffe darauf, dass nur wenig Zeit bis zur Geburt vergeht, so dass die Morphologie meines Kindes gewahrt bleibt und nicht die Auflösung des kindlichen Gewebes schon fortgeschritten ist. Die Vorstellung der Zersetzung löst ebenfalls Beklemmungen in mir aus. Mein Mann sagt für die folgenden Tage sämtliche Termine ab, um immer da zu sein. Meine Hebamme kann meine Entscheidung nachvollziehen. Sie ist glücklicherweise für Hausgeburten versichert und bietet mir an, dass wir sie zur kleinen Geburt hinzuziehen können. Ich bin sehr dankbar für das Angebot, auch wenn ich später nicht darauf zurückkommen werde.
Donnerstag, 23. April 2015, 9 Uhr: Ich gehöre offensichtlich zu den zehn Prozent der Fälle, in denen keine Blutung nach Mifegyne®-Einnahme eintritt. Es wundert mich nicht, schließlich bin ich emotional gar nicht bereit, dieses Kind herzugeben. Der Plan war es, mein Kind bis zur Geburtsreife in mir zu tragen und es nach der Geburt glücklich und vital aufwachsen zu sehen. Gegen 9 Uhr bekomme ich die erste Cytotec®-Gabe vaginal verabreicht. Anschließend setze ich die Menstruationstasse ein und kann mit meinem Mann für eine Stunde die Praxis verlassen. Mir wird empfohlen, etwas zu essen, da die gastrointestinalen Nebenwirkungen der Medikamente so geringer ausfallen. Also gehen wir frühstücken.
Ein perfektes Minibaby
Eine Stunde später, nach der zweiten Gabe, dürfen wir nach Hause gehen. Wir holen unsere Kinder ab. Mein Mann isst mit ihnen zu Mittag und legt unseren jüngsten Sohn zum Mittagsschlaf. Während ich die Zeit auf dem Sofa verbringe, spüre ich deutlich Kontraktionen in meinem Unterleib. Sie sind jedoch gut zu ertragen. Erst als mein jüngster Sohn schläft, wage ich es erstmals aufzustehen. Auf dem Weg ins Badezimmer merke ich, wie Blutungen einsetzen. Als ich auf der Toilette sitze, unter mir der Toiletteneinsatz, entleert sich meine Gebärmutter in einem großen Schwall. Ich rufe meinen Mann. Mit einem Teesieb hebe ich unser winziges Kind aus der Blutlache heraus, wasche es mit Wasser ab und bette es in eine Papierschale. Die Schale stammt aus dem Heilhaus Kassel. Sie ist verwendbar als ein kleines, sargähnliches Behältnis für den Abschied und eine würdevolle Bestattung. Geformt ist sie wie ein halbes Ei, das mit Mull ausgekleidet ist.
Mein Mann weint bitterlich. Wir legen ein Gänseblümchen, eine Löwenzahnblüte, ein Glockenblümchen und einen herzförmigen Stein zu unserem Kind in die Schale. Mein Eindruck in der Praxis meiner Gynäkologin, dass das Bild auf dem Monitor nicht mehr mein Kind abbilde, sondern einen grauen Klumpen, wird durch das echte Kind revidiert. Nun habe ich den Eindruck, dass das perfekte Minibaby vor mir liegt. Man kann die Finger und Zehen unseres Kindes deutlich erkennen. Ich bin hingerissen von der Schönheit der Natur. Wir haben den Eindruck, unser Kind sei ein Junge, denn man kann den Urogenitalspalt deutlich sehen und der Entwicklungsstand lässt einen Penis vermuten.
Ich bin fassungslos, dass dieses perfekte Wesen nicht länger Leben durfte. Ich stehe in diesem Moment vermutlich absolut unter Hormoneinfluss, denn ich fühle mich nicht traurig. Ich bin eher glücklich, das Privileg zu haben, dieses kleine Wesen sehen zu dürfen. Diese Form des Abschieds ist so, wie ich es wollte. Wir machen unzählige Fotos. Auch unsere beiden großen Kinder betrachten fasziniert ihr verstorbenes Geschwisterkind. Unsere Tochter berührt es vorsichtig mit dem Zeigefinger. Beide fangen von sich aus an, das Erlebte zu malen. Es vergehen Stunden und auch meine Eltern kommen, um ihr verstorbenes Enkelkind zu sehen. Wir nehmen uns viel Zeit für den Abschied. In unserem Garten entsteht an diesem Tag eine Gedenkstätte für unser Kind.
Montag, 4. Mai 2015: Zehn Tage nach der „kleinen Geburt" erfolgt eine medizinische Kontrolle in Form einer Abschlussuntersuchung beim behandelnden Gynäkologen. Er führt erneut eine Ultraschalluntersuchung durch und ist mit dem Befund zufrieden. Genau eine Zykluslänge später setzt meine Menstruationsblutung wieder ein. Eine ß-HCG-Kontrolle aus dem Blutserum nach der Periode ergibt einen Wert von 20 mIE/ml Gute zehn Wochen nach der Geburt, nach zwei Regelblutungen, liegt der Wert im Blutserum bei unter 5 mIE/ml. Eine Kürettage ist somit nicht mehr nötig.
Trauerbewältigung und Anteilnahme
Wir bekommen Karten und Blumen von Verwandten und Freunden. Auf der Gedenkstätte blühen diese geschenkten Blumen. Ich ergänze das Bild noch durch eine Gedenktafel. Dort ist jetzt zu lesen: „Deine Zeit im Bauch: 27. Februar bis 23. April 2015. Im Herzen bleibst Du uns ganz nah". Immer wieder brennt auch eine Kerze an diesem besonderen Ort des Gedenkens.
Unserer Tochter bittet uns, ihrer Lehrerin Fotos von ihrem verstorbenen Geschwisterchen zeigen zu dürfen. Die Lehrerin hatte danach gefragt, nachdem unsere Tochter erzählt hatte, dass es Bilder gebe. Wir stecken ausgewählte Fotos in einen Briefumschlag und bitten unsere Tochter, sie nur ihrer Lehrerin zu zeigen. Wir haben die Sorge, dass es anderen Eltern nicht Recht sein könnte, wenn ihre Kinder ungefragt Fotos eines toten Menschen betrachten.
Was dann folgt, ist für uns ziemlich überraschend. Die Lehrerin beschließt von sich aus, dass man die Bilder den Kindern zeigen könne. Letztlich zeigen die Fotos ein ähnliches Bild, wie es in den Materialien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung für den Unterricht in der Grundschule abgebildet ist. Dazu wird häufig ein Leporello verwendet mit dem Titel „Das kleine 9 x 2 – Die Geschichte von Mutter und Kind in den 9 Monaten der Schwangerschaft bis zur Geburt" (BZgA 2012). Allerdings hatte ich dennoch Sorge vor Stürmen der Entrüstung aus der Elternschaft. Aber das Gegenteil war der Fall. Mehrere Mütter kamen auf mich zu, drückten ihre Anteilnahme aus und berichteten von ihren eigenen Fehlgeburten. Über Fehlgeburten wird viel zu oft ein Deckmantel des Schweigens gehüllt. Doch es scheint, dass ein offener Umgang damit auch anderen hilft, die Sprachlosigkeit zu überwinden.
Auf der Homepage einer Kollegin finde ich im Zusammenhang mit den Themen Fehl- und Totgeburt den Begriff „Glücklose Schwangerschaft". War meine Schwangerschaft glücklos? Nein. Ganz im Gegenteil. In einem Buch der Psychologin Verena Kast las ich einen Satz, der meine Gefühlslage gut beschreibt: „Man kann immer wieder feststellen, dass Trauernde (...) immer wieder auch ein Gefühl der Freude haben, dass diese Beziehung überhaupt existiert hat, dass das ein Stück Leben ist, das ihnen niemand wegnehmen kann, auch der Tod nicht." (Kast 2013) Ich habe eine Beziehung zu diesem Kind aufgebaut und zwei Monate mit ihm durchlebt. Diese Zeit war auch viel von Glück geprägt. Ich habe Vorfreude empfunden und gelebt. Selbst die Geburt hat mich in einer gewissen Form glücklich gemacht, denn ich durfte mein Kind betrachten und würdevoll von ihm Abschied nehmen. Schaue ich mir heute die Fotos an, empfinde ich zwar tiefes Bedauern, dieses Kind nicht aufwachsen sehen zu dürfen und ein starkes Gefühl der Sehnsucht nach ihm, aber auch tiefe Liebe zu diesem zarten Wesen. Ich bin dankbar dafür, wenn auch nur kurz, seine Mutter gewesen sein zu dürfen.
Literatur
BZgA: Das kleine 9 x 2 – Die Geschichte von Mutter und Kind in den 9 Monaten der Schwangerschaft bis zur Geburt. Bestellbar als Leporello oder Download unter: http://www.bzga.de/botmed_13100000.html (letzter Zugriff: 26.11.2015). Köln (2012)
Kast, V.: Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses. Kreuz Verlag. Freiburg im Breisgau (2013)