Leseprobe: DHZ 05/2014

Für alle Fälle

Klare Absprachen und Zuständigkeiten sowie ein gutes Fehlermanagement können Notfällen und Fehlern vorbeugen. Wenn es trotzdem zu einem Schadensfall kommt, ist es wichtig, alles Notwendige getan und ausreichend dokumentiert zu haben. Zwei Sachverständige aus dem Hebammenwesen geben Hinweise, wie es im schlimmsten Fall bestenfalls laufen sollte. Regine Knobloch, Patricia Gruber,
  • Muss das Neugeborene reanimiert werden, ist das Vorgehen sehr genau zu dokumentieren, um gegen den eventuellen Vorwurf, nicht „alles“ getan zu haben, etwas in der Hand zu haben.

Jedes Jahr kommen in Deutschland rund 650.000 Kinder zur Welt. Und jedes Jahr werden dem Deutschen Hebammenverband (DHV) und dem Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands (BfHD) zusammen etwa 100 Schadenfälle gemeldet. Im Vergleich zur Gesamtgeburtenzahl ist dies ein sehr geringer Anteil. Die Zahl der Fälle hat sich in den vergangenen Jahren nicht geändert.

Etwa die Hälfte der Fälle wird vorsorglich gemeldet. Vorsorglich bedeutet, dass etwas in der Betreuung nicht optimal gelaufen ist, aber (noch) keine konkreten Vorwürfe gemacht oder Ansprüche gestellt werden und auch offen ist, ob der Schaden überhaupt durch einen Fehler verursacht wurde. In der anderen Hälfte der Fälle hat die Hebamme beispielsweise ein Schreiben eines Rechtsanwalts der Eltern mit dem Vorwurf eines Behandlungsfehlers bekommen, ein Schreiben eines Gerichts mit einer Klage, ein Schreiben einer Krankenkasse mit einer Regressforderung für Behandlungskosten oder gar eine Ladung der Polizei. In all diesen Fällen sollte die Hebamme sich unverzüglich an die Geschäftsstelle ihres Berufsverbandes wenden, um zu erfragen, was konkret zu tun ist. Außerdem kann sie bei juristischen Fragen zu Schadensfällen die jeweiligen VerbandsjuristInnen kontaktieren. Wer nicht über einen der Berufsverbände versichert ist, wendet sich direkt an seine Berufshaftpflichtversicherung oder an einen Rechtsanwalt.

Mitglieder des DHV können bei vermuteten Schadensfällen die Dokumentation in anonymisierter Form auf Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit von einer unabhängigen Sachverständigen des DHV prüfen lassen. Die Sachverständige kann das Mitglied auch fachlich beraten.

 

Bis ins Mark erschüttert …

 

Für die betroffene Hebamme kann die Meldung eines Schadensfalls ein katastrophales Ereignis sein, das sie tief erschüttert und an sich selbst und an der Fähigkeit, eine gute Hebamme zu sein, zweifeln lässt. Nicht selten dauert ein Rechtsstreit zehn Jahre oder noch länger. Generell sehen sich Kolleginnen in ihrem Arbeitsumfeld häufig Anschuldigungen ausgesetzt. Durch die lange Dauer von Verfahren und eine mangelnde Fehlerkultur entsteht ein enormer Druck auf die einzelne Hebamme. Einige geben ihren Beruf komplett auf. Es gibt jedoch Möglichkeiten, sich Hilfe für die Aufarbeitung zu holen. DHV-Mitglieder finden beispielsweise auf der Website des Verbandes eine Notfallkarte für Geburten mit kritischem Ausgang. Hier erhalten sie Informationen, was sie tun müssen (Dokumentation sichern und aufarbeiten, Schaden melden), welche Gespräche sie führen sollten (mit den beteiligten Fachkräften, den Vorgesetzten, vertrauten Kolleginnen, den Eltern) und was der eigenen Entlastung dient.

Die meisten Meldungen der letzten Jahre an die beiden genannten Hebammenverbände betreffen Geburten. Dabei geht es häufig um CTG-(Fehl-)Interpretationen oder technische Probleme mit dem CTG. Hinzu kommen geburtshilfliche Notfälle, insbesondere Schulterdystokien. Es geht aber auch um Interventionen unterschiedlichster Art von der Wehenmittelüberdosierung bis zum „Kristellern“ mit dem Knie.

Eine Studie aus Skandinavien von Stine Andreasen und Kollegen aus dem Jahr 2013 deckte auf, dass in 50 Prozent der Fälle inadäquates CTG-Monitoring als Grund für die Schädigung eines Kindes angegeben werden.

 

Falsch bewertet?

 

Bei den Meldungen fällt immer wieder auf, dass entweder die zu späte Erkennung einer CTG-Pathologie und der dadurch zu späte Arztruf bei einer Klinikgeburt ein wichtiger Grund ist. Fast genauso oft wird eine vermeintliche CTG-Pathologie festgestellt, worauf eine Intervention erfolgt, welche wiederum oder überhaupt erst dann zu einer Pathologie führt.

„Die Probleme bei der CTG-Beurteilung führen letztlich dazu, dass das CTG als alleiniges Instrument zur sicheren Beurteilung des kindlichen Befindens vor und während der Geburt nicht geeignet ist. Tatsächlich kann der routinemäßige Einsatz bei gesunden Gebärenden nicht empfohlen werden … Trotzdem wird das CTG in Deutschland fast überall großzügig eingesetzt – auch wenn die Empfehlungen anders lauten. Dies ist eine schwierige Situation für Fachleute. Viele kennen eine Geburtshilfe ohne CTG nicht mehr und es fällt ihnen entsprechend schwer, darauf zu verzichten. Davon abgesehen gibt es eine große Lobby für das CTG, nicht zuletzt aufgrund des forensischen Drucks. Das Wissen darum, dass mit dem routinemäßigen Einsatz des CTG bei gesunden Frauen potenziell eher Schaden angerichtet wird, verschärft den Konflikt. Wenn also der aus wissenschaftlicher Sicht erforderlich klare Schnitt aus ‚kulturellen‘ Gründen nicht möglich ist, sollten Fachleute die physiologischen Mechanismen kennen und die Beurteilung des CTG nach möglichst objektiven Kriterien vornehmen“ (Gruber, Oehler, & Schwarz 2013).

Ein weiterer Grund ist, dass immer wieder der Puls der Mutter statt der Herzfrequenz des Kindes aufgezeichnet wird, und somit davon ausgegangen wird, dass es dem Kind gut gehe, weil sich die Herzfrequenz im „normalen“ Bereich befindet. „Während der Geburt sollte an Folgendes gedacht werden: Bei körperlicher Anstrengung oder bei Einsatz von Oxytocin oder anderen Medikamenten kann der mütterliche Puls deutlich erhöht sein und daher als fetale Herzfrequenz fehlinterpretiert werden“ (Gruber, Oehler & Schwarz 2013).

Daher ist es empfehlenswert, sich immer davon zu überzeugen, dass die Herztöne des Kindes und nicht die der Mutter aufgezeichnet werden. Dies kann geschehen, indem der Puls der Mutter parallel palpiert oder ein Gerät benutzt wird, bei dem Mutter und Kind parallel aufgezeichnet werden können. Ist die Ableitung der Herztöne mit dem Ultraschallabnehmer nicht sicher, sollten die Herztöne mit einem Hörrohr (Pinard-Stethoskop) geprüft oder eventuell eine Kopfschwartenelektrode gelegt werden. Auch wenn die Herztöne mit dem Dopton gehört werden, ist eine Verwechslung möglich und ein paralleles Tasten des mütterlichen Pulses notwendig.

Das CTG kann gut als Notizpapier genutzt werden, indem zum entsprechenden Zeitpunkt des Geschehens „gemarkert“ wird. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Uhrzeit des CTG-Gerätes identisch mit der Kreißsaaluhr ist. Davon abgesehen werden muss, erst im Nachhinein gewisse Ereignisse auf das CTG-Papier zu schreiben. Ebenfalls ist es nachteilig, wenn auf dem CTG so viel handschriftlich notiert wird, dass die Herztonkurve kaum noch erkennbar ist (siehe Abbildung 1).

 

Abbildung 1: Eine solche Beschriftung gehört nicht zum CTG, sondern in die Dokumentation, da sie zur Unlesbarkeit führt.

In aller Regel reicht es aus, wenn mit dem Marker ein Strich gemacht wird. Denn meistens erinnert man sich an die Reihenfolge der Maßnahmen, aber nicht an die Uhrzeiten. Einige Geräte haben voreingestellte Kurzlisten und können somit direkt das Ereignis auf das Papier drucken. Oder außerhalb der Herztonkurve wird ein Ereignis handschriftlich eventuell mit Abkürzungen notiert (siehe Abbildung 2).

 

Abbildung 2: Eine übersichtliche Dokumentation bedeutet, entweder neben der Herztonkurve zu schreiben, den Marker oder die Legende des Gerätes zu benutzen.

 

Lückenlos dokumentieren

 

Im außerklinischen Bereich ist es das Hauptproblem, wenn ein Neugeborenes in einem überraschend schlechten Zustand zur Welt kommt. Dabei ist immer wieder festzustellen, dass die Herztöne zu selten oder nicht lange genug gehört wurden und der Puls der Mutter zur sicheren Unterscheidung nicht getastet wurde. Auffallend sind dabei auch oft lange Zeiträume vom vollständigen Muttermund bis zur Geburt des Kindes. Nicht die Dauer ist das Problem, auch wenn ärztliche Gutachter darin immer wieder per se die Ursache erkennen wollen für den schlechten Zustand des Kindes. Problematisch ist die lückenhafte Überwachung des Kindes durch zu seltenes, zu kurzes oder nicht gesichertes Herztöne hören – mit der Frage, ob Mutter oder Kind gehört wurde? Bei kräftigen Wehen in der aktiven Eröffnungsphase sollen die Herztöne mindestens eine Minute lang, direkt nach der Wehe alle 15 Minuten und in der Austreibungsphase direkt nach jeder Wehe oder alle 5 Minuten (je nachdem was häufiger ist) gehört werden (NICE 2007).

Ein „Aufnahmebefund des Kindes“ wird häufig nicht dokumentiert: Welche Lage und Haltung nimmt das Kind ein? Wann hat die Mutter zuletzt Kindsbewegungen gespürt? Kann die Hebamme Kindsbewegungen spüren? Wenn das Kind sich gerade nicht bewegt, sollte sie die Basalfrequenz feststellen. Sie sollte prüfen, ob mit der Bewegung Akzelerationen auftreten. Sind Kindsbewegungen und Akzelerationen vorhanden, ist die Basalfrequenz normal, ist der mütterliche Puls zu unterscheiden und liegen keine Risikofaktoren, wie Fieber, grünes Fruchtwasser oder eine Blutung vor, kann mit dem Einverständnis der Frau auskultiert werden (Gruber, Oehler, & Schwarz 2013).

Die Dokumentation der Herztöne in einem fortlaufenden Text (Geburtsbericht) erschwert das Erkennen einer fortschreitenden Verschlechterung der fötalen Situation. Eine ansteigende Basalfrequenz etwa von 130 auf 160 kann leicht übersehen werden, wenn sich die Herzfrequenz noch im Normalbereich befindet. Sichtbarer wird eine Veränderung der Herztöne in einem Partogramm. Häufig fehlen Aussagen über Kindsbewegungen und gehörte Akzelerationen, obwohl die Hebamme sie wahrgenommen hat.

Wenig aussagekräftig sind auch sporadische Aufzeichnungen der kindlichen Herztöne von etwa zwei Minuten Dauer auf dem CTG. Diese Vorgehensweise geschieht häufig in dem Glauben, Aufzeichnungen auf dem CTG hätten in juristischen Auseinandersetzungen einen höheren Beweiswert als eine rein durch Auskultation ermittelte Zahl. Das ist nicht der Fall. Herztöne ohne parallele Wehenaufzeichnung sind oft nicht eindeutig interpretierbar. Wenn das CTG eingesetzt wird, sollte es richtig angewendet werden.

 

Ausreichend reanimiert?

 

Ein weiteres Problem bei außerklinischen Geburten tritt auf, wenn das Neugeborene reanimiert werden muss. Hier fehlen häufig genauere Beschreibungen des Zustandes des Kindes, was getan wurde und welche Veränderungen durch die Maßnahmen eingetreten sind. Die fehlenden Beschreibungen des konkreten Vorgehens können dazu führen, dass von Klägerseite behauptet wird, es sei nicht oder nicht ausreichend reanimiert worden. Nicht ausreichend ist zum Beispiel:

  • „12.05 Uhr Spontangeburt eines Jungen aus I. vo HHL, Apgar 1, Reanimation, gleichzeitig Notruf“

Besser:

  • „12.05 Uhr Spontangeburt eines Jungen aus I. vo HHL, HF < 60, keine Atmung, schlapp, blass, trockenreiben, blutiges Sekret abgesaugt aus Mund und Nase, keine Reaktion auf Absaugen, Apgar 1. Kopf positioniert, 5 initiale Beatmungen, HF < 60, keine Atembewegungen sichtbar, Korrektur Kopfposition, jetzt Brustkorbbewegungen sichtbar, Reanimation nach Arbeitsanleitung (AA) mit Herzdruckmassage (HDM) und Bebeutelung 3:1
  • Gleichzeitig 12.06 Uhr Notruf 112 durch Heb. A: Notarzt (NA), Kinderklinik (Ki.kl) und Baby-Notarztwagen (NAW) angefordert
  • 12.08 Uhr HF ca. 80 spm, weiter mit Maskenbeatmung
  • 12.09 Uhr Kind wird etwas rosiger, kurze Bewegung Arme und Beine
  • 12.10 Uhr Körper rosig, Extremitäten (Extr.) blass, wenig Arm-/Beinbewegung, schnappt etwas nach Luft, kei ne Reflexe, HF > 100, Apgar 5“

Abkürzungen, die verwendet werden, sollten auf einer Abkürzungsliste im QM-Handbuch hinterlegt sein.

In Geburtshäusern finden meist regelmäßige Notfalltrainings statt. Hausgeburtshebammen müssen sich selbst darum bemühen – zur Häufigkeit besteht derzeit noch keine klare Regelung. Die Vorgaben der Berufsordnungen sind zu beachten. Möglichkeiten gibt es in umliegenden Geburtshäusern oder in den Geburtskliniken. Gemeinsame Fortbildungen und Trainings erleichtern die Zusammenarbeit und helfen Vorbehalte abzubauen.

In einigen Fällen fehlt auch eine klare Regelung für Verlegungen. Es sollten Vereinbarungen mit der Rettungsleitstelle getroffen werden: Was kann und soll in welcher Situation angefordert werden? Welche Medikamente führt der Rettungswagen mit sich? Wer hat in welchem Fall das Sagen? Gegenseitige Fortbildung ist hilfreich. Die Hebamme mit außerklinischer Geburtserfahrung kann den Rettungskräften Fortbildung geben, was bei einer normalen Geburt zu tun – oder auch zu lassen – ist. Die Hebamme wiederum kann an Reanimationstrainings teilnehmen. Grundsätzlich übernehmen die Rettungsfachkräfte die Verantwortung, sobald sie anwesend sind.

Der herbeigerufene Notarzt ist jedoch in den seltensten Fällen ein Gynäkologe, sondern ein beliebiger Facharzt. Beispiel: Die Frau hat einen Nabelschnurvorfall. Die Hebamme hat hier darauf zu achten, dass die Frau mit erhöhtem Becken etwa im Vierfüßlerstand transportiert wird. Das steht jedoch im Widerspruch zu den Transportvorschriften. Damit Diskussionen vor Ort vermieden werden, sollten solche Fälle im Voraus in einem protokollierten Gespräch mit der Rettungsleitstelle geklärt werden. Neugeborene sollten in aller Regel nicht im Privat-PKW verlegt werden.

 

Aufarbeitung

 

Oft werden Hebammen und ÄrztInnen unter Schuldvorwurf schon im Vorfeld so behandelt, als würde es keinen Zweifel an ihrer Schuld geben. Einen besonders schweren Stand haben da die freiberuflichen Hebammen, die eine Frau von zu Hause oder aus dem Geburtshaus in die Klinik verlegen müssen. Nicht selten sehen sich die außerklinischen Hebammen Vorverurteilungen gegenüber. Immer wieder hört man von klugen Menschen auf Kongressen, dass Menschen nicht fehlerfrei arbeiten könnten, trotz allergrößter Anstrengungen. Aber wenn dann doch etwas passiert, ist davon oftmals leider keine Rede mehr.

Nach wie vor ähneln in vielen geburtshilflichen Abteilungen Fallbesprechungen eher einem vorgezogenen Tribunal, als dass daraus ein positives Fehlermanagement entsteht. Schlimmer noch, oft steigt nach einem Zwischenfall in einer geburtshilflichen Abteilung und einer sogenannten „Fallbesprechung“ für eine gewisse Zeit die Interventionsrate bei den Geburten, die Ähnlichkeiten mit dem besprochenen Fall haben könnten. Diese Handlungen basieren vorwiegend auf der Angst, den gleichen Fehler noch einmal zu machen.

Noch heikler wird es, wenn nach solchen Fallbesprechungen Protokolle angefertigt, allen Beteiligten zur Unterschrift vorgelegt und bei späteren juristischen Auseinandersetzungen herausgegeben werden. Im schlimmsten Fall wird eine solche Unterschrift als Schuldeingeständnis gewertet, je nachdem, wie das Protokoll verfasst wurde. Wenn überhaupt ein Protokoll geschrieben wird, dann sollten darin nur die eventuellen Änderungen beziehungsweise Neuerungen protokolliert werden, und wer sich bis wann um deren Umsetzung kümmert.

Die Nachbesprechung eines Zwischenfalls mit allen Beteiligten, möglicherweise auch mit dem gesamten Team, kann jedoch außerordentlich wertvoll sein. Wenn die Arbeit in einem Notfall richtig gut gelaufen ist, loben Sie sich gegenseitig! In einer gelungenen Nachbesprechung wird vorwurfsfrei und sachlich über den Fall gesprochen. Es werden nicht Schuldige oder Fehler gesucht, sondern es wird gefragt: „Wie konnte das passieren?“ Diese Form der Gesprächsführung haben viele von uns nicht gelernt oder es regiert, wie in alten Zeiten, die Hierarchie. Wer ganz oben steht, entscheidet, ob das Vorgehen richtig oder falsch war. Daher sollten die ersten Besprechungen moderiert werden, eventuell durch jemand externes aus einer anderen Abteilung. Die Kunst des Moderierens ist, keine Bewertungen zum Fall abzugeben, sondern darauf zu achten, dass alle Beteiligten zu Wort kommen. Solche Fallbesprechungen können ein Team stärken, indem ein Gefühl von „gemeinsam durch dick und dünn gehen“ entsteht und sich aufeinander verlassen zu können, nicht alleine dazustehen und die ganze Verantwortung zu tragen, sondern vielmehr das Gefühl: Gemeinsam sind wir stark.

Gleichermaßen wichtig ist das (Nach-)Besprechen der Ereignisse mit den Eltern. Gut ist es, wenn solche Gespräche nicht alleine durchgeführt werden, kein Schuldeingeständnis abgegeben wird und sich die Beteiligten anhand der Krankenakte vorher darauf vorbereiten. Zum Thema Kommunikation gibt es eine Broschüre vom Aktionsbündnis Patientensicherheit „Reden ist Gold – Kommunikation nach einem Zwischenfall“.

 

Ist ein Nachtrag sinnvoll?

 

Schwierig wird es für alle Beteiligten dann, wenn die Dokumentation nicht nachvollziehbar ist und/oder unterschiedliche Darstellungen von den Eltern und dem geburtshilfichen Team wahrgenommen und protokolliert werden, so dass Aussage gegen Aussage steht. Es gilt der Grundsatz: Was nicht dokumentiert ist, gilt als nicht gemacht. Daher sollten Sie sich nach kritischen Verläufen oder nach Notfallsituationen Zeit nehmen, innerhalb der nächsten Stunden die eigene Dokumentation nochmal durchzulesen und, falls Maßnahmen und wichtige Beobachtungen fehlen, in einem Nachtrag ergänzen.

Sollten Dissonanzen beispielsweise innerhalb des geburtshilfichen Teams vorhanden sein, empfiehlt es sich, dieses in einem Gedächtnisprotokoll aufzuschreiben, um sich später – beispielsweise im Gespräch mit dem Anwalt – noch genau an die Situation erinnern zu können. Dieses Gedächtnisprotokoll sollte nicht an andere Personen herausgegeben werden.

Immer wieder wird von juristischer Seite allen Beteiligten empfohlen, die Geburtsdokumentation direkt nach Abschluss der Geburt zu kopieren. Leider kommt es vor, dass im Nachhinein die Dokumentation verändert wird oder Hebammen oder junge ÄrztInnen gezwungen werden, die Dokumentation neu zu schreiben. Gemeint ist damit nicht eine Ergänzung oder ein Nachtrag, sondern die Dokumentation so zu verändern, dass sie nicht mehr den Tatsachen entspricht. Das wäre Dokumentenfälschung und würde strafrechtlich verfolgt. Hier ist es klug, bei der eigenen Dokumentation zu bleiben, wenn möglich eine weitere Person als Zeugin dazu zu holen, Vorgesetzte darüber zu informieren oder Meldung bei einem der Berufsverbände zu machen.

 

Pflicht, auf Fehler hinzuweisen

 

Unstimmigkeiten müssen aber nicht erst oder nur in der Dokumentation notiert werden. Vielmehr haben Hebammen das Recht und die Pflicht zu remonstrieren. Das bedeutet, dass sie eine andere Fachkraft – auch wenn es ein Arzt oder der Vorgesetzte ist – darauf hinweisen muss, wenn sie erkennt, dass er gerade im Begriff ist, einen Fehler zu begehen.

„Im Übrigen muss jeder Arzt wissen, dass unabhängig davon, ob eine horizontale oder vertikale Arbeitsteilung anzunehmen ist, die Hebamme nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht hat, Bedenken gegen ärztliche Anordnungen oder Tätigkeiten zu erheben, wenn hiermit nach ihrer Überzeugung Gefahren für die Mutter oder das Kind verbunden sein können. Jede Arbeitsteilung zwischen Arzt und Hebamme sollte die umfassende Berufsausbildung der Hebammen und ihre häufig erworbene praktische Berufserfahrung berücksichtigen und sie bei aller Weisungsgebundenheit nicht auf den Status eines Heilhilfsberufs herabsetzen“, heißt es in den „Empfehlungen zur Zusammenarbeit von Arzt und Hebamme in der Geburtshilfe – aus ärztlicher Sicht“ (DGGG 2012).

 

Recht oder Pflicht zur Remonstration

 

„Wenn eine ärztliche Verordnung den anerkannten Regeln der Geburtshilfe widerspricht, hat die Hebamme den Arzt oder die Ärztin darauf hinzuweisen und den Hinweis zu dokumentieren. Ist der Hinweis nach Satz 2 erfolgt und dokumentiert, dann kann die Hebamme die Durchführung der ärztlich verordneten Behandlung verweigern."

Niedersächsisches Gesetz über die Ausübung des Hebammenberufs (NHebG). Diese Pflicht ist nicht in allen Berufsordnungen verankert.

Rubrik: Recht | DHZ 05/2014

Literatur

Aktionsbündnis Patientensicherheit: Reden ist Gold – Kommunikation nach einem Zwischenfall. www.dgu-online.de/fileadmin/published_content/5.Qualitaet_und_Sicherheit/PDF/Reden_ist_Gold_final.pdf

Anderson, A.: Ten years of maternity claims: an analysis of the NHS Litigation Authority data – key findings. doi: 10.1177/1356262213486434. Clinical Risk. 19, 1: 24–31 (2013)

Andreasen, St.; Backe, B.; Øian, P.: Claims for compensation after alleged birth asphyxia: a nationwide study covering 15 years. DOI: 10.1111/aogs.12276. Nordic Federation of Societies of Obstetrics and Gynecology. Acta Obstetricia et Gynecologica Scandinavica. 93, 2: 152–158 (2014)
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