Leseprobe: DHZ 05/2015

„Heißes Wasser, schnell!“

Das heiße Wasser spielt in der Kulturgeschichte der Geburtshilfe eine bedeutende Rolle. Heute ist sauberes warmes Wasser nicht weniger wichtig, aber in den Industrieländern so selbstverständlich wie sterile Handschuhe und Instrumente. Peggy Seehafer,
  • Bei einer Geburt wird jede Menge heißes Wasser verbraucht – heute wohl noch mehr als früher.

"Schnell. Ich brauche heißes Wasser", rief die Hebamme. Unzählige Spielfilme und Romane untermauern mit dieser Szene die unersetzliche Notwendigkeit kochenden Wassers in der Geburtshilfe. So auch der Roman „Am schwarzen Wasser" von der schwedischen Autorin Kerstin Ekman über eine Hebamme, die um 1920 praktiziert. Einzelne Szenen daraus illustrieren hier die medizinisch-hygienischen Erfordernisse des heißen Wassers.

Böse Zungen behaupten bei geburtshilflichen Kongressen immer wieder gern: „Das heiße Wasser ist für den Kaffee der Hebamme" (Kraft 2005). Diese Erklärung ist nicht nur deswegen unsinnig, weil die Hebamme im spannendsten Moment der Geburt wirklich anderes zu tun hat, als hektisch Kaffee zu ordern. Außerdem würde sie dann nach Kaffee rufen und nicht nach heißem Wasser. Zudem gehörte Kaffee lange Zeit zu den Genussmitteln, die sich nur privilegierte Schichten der Bevölkerung leisten konnten.

Über viele Jahre, wahrscheinlich Jahrhunderte, wurde tatsächlich kochendes oder abgekochtes Wasser für verschiedene Verrichtungen während der Geburt benötigt:

  • zum Händewaschen
  • zum Sterilisieren der Instrumente
  • zur Vorbereitung eines Klistiers oder Einlaufs
  • zum Baden des Neugeborenen.

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts bekamen viele Frauen ihre Kinder im eigenen Haus. Auf dem Land musste das Wasser vom Brunnen geholt werden, die Wasserleitungen in städtischen Wohnungen führten nur kaltes Wasser. Und dieses war nicht immer sauber. Als in Hamburg 1892 die Cholera ausbrach, kamen die Keime über das damalige 400 Kilometer lange Rohrleitungssystem nahezu in jeden Haushalt. Tausende, die sich selbst und ihre Kinder darin badeten, ihre Nahrungsmittel damit abwuschen oder das verunreinigte Wasser tranken, wurden krank und starben. Die Medizinalbehörde rief seinerzeit dazu auf, nur abgekochtes Leitungswasser zu verwenden. Heute gehört sauberes, warmes fließendes Wasser wie selbstverständlich zur Grundausstattung jedes Geburtshauses oder Kreißsaals.

 

Reinigung der Hände

 

Auch die Latexhandschuhe, die heute jede Hebamme zu einer Untersuchung trägt, sind erst eine Verpflichtung der jüngeren Geschichte. Das mutet mit dem Wissen von heute merkwürdig an, weil Johann Julius Walbaum bereits 1767 Geburtshilfehandschuhe aus Schafdarm für die vaginale Untersuchung entwickelt hatte (Lathan 2010).

Knapp 100 Jahre später hatte Charles Goodyear 1844 bereits sein Patent 3633 zum Vulkanisieren für Gummi eingereicht und eine erste Firma zur Produktion von Gummihandschuhen gegründet. Aber erst 1891 wurde die erste Operation beschrieben, bei der dünne und flexible chirurgische Handschuhe getragen wurden (Lathan 2010).

Vorher gehörte die Reinigung der Hände für die Hebamme zu einem ausgeprägten Ritual. Erst dann konnte sie eine Frau innerlich untersuchen. Vor jeder neuen Untersuchung mussten die Hände wieder gewaschen werden (Runge 1903; Hebammenlehrbuch 1920). Die Lehrbücher der vorletzten Jahrhundertwende weisen deutlich darauf hin, dass es angesichts der Infektionsgefahr nur wenig Grund gibt, mehrfach innerlich zu untersuchen. In jedem Hebammenkoffer befand sich eine Handbürste, Kerosolseife, ein Nagelreiniger und Karbolsäure.

„Kochen Sie Wasser und scheuern Sie eine Waschschüssel aus und füllen Sie sie mit sauberen Wasser".

Jetzt nahm Hillevi (Anmerkung: die Hebamme) die Glycerinseife und die Nagelbürste aus dem Rucksack... Sie kochte die Bürste zusammen mit einem Nagelreiniger in dem Wasser, das jetzt auf dem Herd aufwallte. ... Dann zog sie sich die Schürze an, krempelte die Ärmel auf und rieb sich mit der Seife Hände und Unterarme ein. ... Sie sah zu, dass die Seife bis in die letzte Pore und unter die Nägel gelangte, bevor sie zu bürsten begann. Zuerst schrubbte sie die Nägel und Fingerspitzen, dann krümmte und streckte sie die Finger, während sie mit der Bürste darüber ging. Sie hatte ihre Uhr umgekehrt auf dem Brustlatz befestigt, und als diese zeigte, dass sie gut fünf Minuten gebürstet hatte, nahm sie das Handtuch... und trocknete sich ab. Dann bat sie Bäret (Anmerkung: die Großmutter), das Wasser in der Waschschüssel zu erneuern, und während sie wartete, reinigte sie sich die Nägel. Nachdem sie frisches Wasser bekommen hatte, fing sie noch einmal von vorn an.

Nach dem zweiten Bürsten rieb sie sich die Hände mit Karbolsäure ein. ....

Hillevi wusch sich erneut, um noch einmal eine Untersuchung vorzunehmen.

Genauso liest es sich auch noch im Geburtshilfelehrbuch von 1941 (Stoeckel):

  • 5 Minuten Bürste, heißes Wasser, Seife, Nagelreinigung
  • 5 Minuten Bürste, heißes Wasser, Seife
  • 3 Minuten Alkohol (70-prozentig)
  • 3 Minuten ½-prozentiges Sagrotan oder Zephirol.

In die Geburtshilfe wurde der Gummihandschuh von Albert Döderlein um 1930 eingeführt. „Eine Berührung der Genitalien einer Graviden oder Gebärenden ohne Gummihandschuh ist ein Fehler. Der Gummihandschuh ist auf der anderen Seite ein guter Schutz für den Arzt. … Der Handschuh macht die oben geschilderte Desinfektion der Hände nicht überflüssig." (Stoeckel 1941)

 

Sterilisieren der Instrumente

 

Sterilisationsöfen, wie sie in Krankenhäusern und Arztpraxen zu finden sind, gehören bis heute nicht zur Ausstattung einer Hebamme. Ihre Utensilien wie die Nabelschere, die Nabelbänder, Verbandsläppchen, eine Geburtszange oder das Klistierbesteck wurden früher vor jeder Anwendung frisch abgekocht. Damit konnte man einigermaßen sicher sein, dass keine Keime auf die Mutter oder das Kind übertragen wurden.

... als sie Bäret zurief, dafür zu sorgen, dass das Wasser im Topf wieder aufkoche, damit sie die Zange sterilisieren könne.

Heute werden in der außerklinischen Betreuung überwiegend sterilisierte Einmalartikel verwendet.

 

Klistier und Waschwasser

 

In der Geburtshilfe hat der Einlauf eine lange Tradition. Die Reinigung des Darms gehörte über viele Jahre zur Routine bei jeder Hausgeburt und in jedem Kreißsaal.

Dafür gab es mehrere Gründe:

  • Wenn das Kind sich durch den ohnehin engen Geburtskanal schiebt, kann ein voller Darm mit sehr hartem Stuhlgang ein echtes Geburtshindernis sein.
  • Durch den Druck des Köpfchens werden alle Reste aus dem Mastdarm nach außen gedrückt. Diese sogenannte „Vorgeburt" ist für viele Frauen sehr unangenehm, weil sie nicht aufzuhalten ist. Die meisten Frauen würden sich dafür lieber auf die Toilette zurückziehen und verschließen den Beckenboden eher, als dass sie ihn lockerlassen. Wenn der Darm leer ist, fallen diese Hemmungen weg, was der Geburt durchaus zuträglich ist.
  • Die drohende Infektion mit E-Choli-Bakterien. Es wurde befürchtet, dass der Kontakt von Stuhlgang mit den Geburtswegen zu einer Infektion führen könnte
  • Das warme Wasser regt nicht nur die Darmperistaltik an, sondern durch die unmittelbare Nähe zum Uterus auch die Wehentätigkeit. Deswegen wurde ein Einlauf früher häufig zur Geburts­einleitung oder bei Verzögerungen während der Geburt verwendet.

Nach großen Protesten der Frauen Ende der 1980er Jahre, für die ein Einlauf unter Wehen alles andere als angenehm ist, wird heute auf den Einlauf als Routinemaßnahme verzichtet. Allerdings stellt er eine weniger invasive Maßnahme dar als ein Wehentropf, der auf manch eine Frau jedoch viel ästhetischer wirkt als ein Einlauf.

Während und nach der Geburt wurde die Mutter früher gewaschen. Heute können die Frauen während der Geburt baden oder sich hinterher duschen.

Die Wehentätigkeit war äußerst schwach. Hillevi ... mochte nichts anderes einfallen, als ihr ein Klistier zu verabreichen und zu warten. Immerhin kamen die Wehen regelmäßig. Als das Klistier erledigt war und sie das Mädchen und sich selbst noch einmal gewaschen hatte ...

 

Babybad

 

Bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts war es allgemein üblich, das Baby unmittelbar nach der Geburt zu baden. So „klebrig" wie heute legte man keiner Mutter ihr Kind in den Arm. Neben der Körperreinigung wurde dem Bad auch eine kreislaufaktivierende Funktion zugeschrieben. Deswegen war die Temperatur mit 35 Grad auch schon um die Jahrhundertwende nicht so warm wie ein normales Babybad (Runge 1903).

Das Kind, das geboren wurde, war ein Mädchen. „Anzeichen von Scheintod. Nach dem Absaugen des Schleims wurde das Kind mit einem Bad wiederbelebt. Geburtsgeschwulst am linken Scheitelbein", schrieb Hillevi in ihr Journalbuch. … Nachdem das Mädchen gebadet war ... atmete es ruhig und gleichmäßig.

In den späteren Jahren wurden die Neugeborenen bei 37 Grad gebadet. Heute werden die Kinder nach der Geburt gar nicht mehr routinemäßig gebadet, sondern der Mutter direkt auf die Brust gelegt, um ein zu starkes Auskühlen des Körpers zu verhindern (LL 024/005 2012).

Resümee

Bis ein Kind geboren ist, wird jede Menge heißes Wasser verbraucht, heute sicher mehr als damals. Dennoch avanciert das kochende Wasser zur Geburt immer mehr zu einer netten Anekdote. Aber nur weil der Luxus des fließend warmen Wassers als solcher gar nicht mehr wahrgenommen wird. Obwohl die Kaffeekompresse in der geburtshilflichen Literatur im Gegensatz zu heißen Kompressen keine Erwähnung findet, mag es dennoch nicht ausgeschlossen sein, dass das von der Hebamme gewünschte warme Wasser ab und an doch für Kaffee oder den in Norddeutschland und Dänemark üblichen Kaffeeersatz Zichorie genutzt wurde, um daraus Kompressen für den Dammschutz gewinnen zu können.

Rubrik: Beruf & Praxis | DHZ 05/2015

Buchtipp

Zitate aus: Kerstin Lillemor Ekman: Am schwarzen Wasser. Piper Verlag. 2002, S. 56 ff. Die junge Hebamme Hillevi aus Uppsala wird 1916 nach Jämtland in Nordschweden beordert und muss sich mit dem vorherrschenden Aberglauben auseinandersetzen.

Literatur

AWMF Leitlinie: Betreuung von gesunden Neugeborenen, http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/024-005l_S2k_Betreuung_von_gesunden_reifen_Neugeborenen_2012-10.pdf (letzter Zugriff: 25.3.2015)

Bilek, K.; Rothe, K.; Ruckhäberle, K.E.; Schlegel, L.: Lehrbuch der Geburtshilfe für Hebammen; J. A. Barth Vlg. (1985)

Hebammenlehrbuch: herausgegeben im Auftrage des preußischen Ministers für Volkswohlfahrt (1920)
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