Leseprobe: DHZ 07/2014
Impfen als Thema in der Hebammenarbeit

Offenes Ergebnis

Eltern sind mit einer Impfentscheidung zum Wohle ihres Kindes oft überfordert. Warum wird die Diskussion ums Impfen überhaupt so emotional geführt? Wo bekommen werdende Mütter und Väter nützliche Informationen? Und: Was kann die Hebamme ihnen an Sicherheit mit auf den Weg geben – wie die Emotionalität entschärfen? Diese Chance gilt es zu nutzen, damit es am Ende eine stimmige Entscheidung ist. Frauke Lippens,
  • Eltern dürfen ihre Ängste vor Impfschäden oder Erkrankungen ihrer Kinder äußern, ohne dafür Kritik zu ernten.

Eine Diskussion ums Impfen wird häufig ähnlich emotional geführt wie die um Hausgeburten oder längeres Stillen. In nahezu jedem Geburtsvorbereitungs- oder Babypflegekurs und erst recht in den Rückbildungsgruppen wird die Hebamme um Rat gebeten. Eltern fragen: Was soll ich machen? Was würden Sie impfen? Unsere Antworten sollten darauf abzielen, dass die Eltern ihre Entscheidung in ihrer Lebenssituation nach ihren Einstellungen für ihr Kind treffen können. Dazu gehört auch die Option, sich nicht zu entscheiden und die Maßnahmen der Kinderärztin zu überlassen.

In meinen Fortbildungen für Hebammen bin ich schon gefragt worden: Wie berate ich Eltern, dass sie dann ihr Kind nicht impfen lassen? Dass hier keine ergebnisoffene Beratung angestrebt wird, ist offensichtlich. Gerade wir Hebammen genießen oft ein sehr großes Vertrauen der werdenden und jungen Eltern. Mit diesem Einfluss, mit dieser Macht heißt es verantwortungsvoll umzugehen.

Eine ergebnisoffene Beratung wird dadurch erschwert, dass einige Berufsordnungen für Hebammen vorschreiben, „auf die Zweckmäßigkeit von Schutzimpfungen gemäß den öffentlichen Empfehlungen" hinzuweisen, so beispielsweise die Hamburger Berufsordnung. Den ÄrztInnen wird eine Impfberatung nur honoriert, wenn sie in einer Impfung mündet – also eher den Charakter eines Verkaufsgespräches hat. So bestimmt es der Vertrag nach § 132e SGB V zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und den GKV über die Durchführung von Schutzimpfungen gemäß § 20d Abs. 1 in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Nr. 15 des fünften Sozialgesetzbuches.

Bei intensiver Beschäftigung mit dem Thema und den Argumenten der Impfbefürworter und -gegner wird es der Kollegin – ähnlich wie den Eltern – ohnehin schwerfallen, „die Wahrheit" herauszufinden. Der Kinderarzt Dr. Martin Hirte weist darauf hin, dass viele Mitglieder der Ständigen Impfkommission (STIKO) Interessenkonflikten unterliegen (Hirte 2005). Sie arbeiten zum Beispiel an den Impfempfehlungen mit und sind gleichzeitig für die Pharmaindustrie tätig (siehe Seite 20ff.).

Wie dieses Thema in der Arbeit mit den werdenden oder jungen Eltern angehen? Eine Möglichkeit ist es, die Teilnehmenden im ersten Schritt zu bitten, ihre Gedanken und Gefühle zum Impfen zu benennen. Dabei können Spielregeln sinnvoll sein:

  • Jedes Gruppenmitglied teilt unkommentiert in wenigen Sätzen seine momentane Position mit. Die Hebamme bittet darum, nur die Gefühle bei diesem Thema mitzuteilen, und stellt vorab schon eine zweite Runde mit Sachaspekten in Aussicht.
  • Erst nachdem alle zu Wort gekommen sind, wird die Diskussion freigegeben. Hierbei kann es wichtig werden, dass die Hebamme Minderheitspositionen zu ihrem Recht auf Akzeptanz verhilft.
  • In der „Gefühlsrunde" werden meist Ängste ausgedrückt; Angst vor schwerwiegenden Folgen bei möglichen Erkrankungen oder Angst vor schädlichen Nebenwirkungen der Impfungen. Damit wird deutlich, dass alle Teilnehmenden das Beste für ihr Kind wollen. Im günstigsten Fall entsteht eine größere Bereitschaft, sich in der zweiten Runde auf ungewohnte Gedankengänge einzulassen.

Der unterschiedliche Grad der Ängstlichkeit könnte zudem bei der angemessenen Entscheidung, was geimpft werden soll, eine Richtschnur sein. Es darf hier auch das Unbehagen darüber ausgedrückt werden, ein gesundes Kind zu behandeln. Stellt das Impfen doch einen nicht unerheblichen Eingriff in einen gesunden Organismus dar.

Im zweiten Schritt stellt die Hebamme die ganze Bandbreite der Impfdiskussion dar. Das sollte sachlich-informativ geschehen, ohne eine Position abzuwerten. Dazu gehören zum Beispiel die Empfehlungen der STIKO, der ÄrztInnen für individuelle Impfentscheidung, der klassischen Homöopathie. Unsere Aufgabe ist es auch hier wieder zu informieren und zu begleiten, nicht zu bevormunden oder zu manipulieren. Ich weise gern darauf hin, dass Eltern häufiger im Leben schwerwiegende Entscheidungen für ihr Kind treffen müssen: Wo soll es geboren werden? In welche Schule soll es gehen? Und dass es nicht eine einzige richtige Antwort gibt, sondern verschiedene, die gleichberechtigt nebeneinander stehen.

Hilfreich können auch ein paar Anmerkungen zum Risikobegriff sein. Wir leben in einer Gesellschaft, die versucht, sich gegen nahezu jedes Risiko abzusichern – was schlicht unmöglich ist oder Lebendigkeit abtötet. Das drückt der Volksmund in dem flapsigen Spruch aus: „Das Leben ist tödlich." Es gibt gesellschaftlich akzeptierte Risiken und solche, die nicht akzeptiert sind.

Die STIKO und die Pharmaindustrie propagieren ein umfassendes Impfprogramm. HomöopathInnen, AnthroposophInnen und andere – auch einige KinderärztInnen – sehen das recht kritisch. Sei es, weil sie den Kinderkrankheiten eine wichtige Funktion in der Entwicklung von Kindern zuschreiben; sei es, weil sie einen Zusammenhang zwischen Impfungen und der zunehmenden Verbreitung von Neurodermitis und anderen allergischen Erkrankungen annehmen. Auch die Zunahme von Diabetes im Kindesalter, Autismus und Multipler Sklerose wird in diesem Kontext höchst kontrovers diskutiert.

Eigentlich ist der Gedanke der Prophylaxe oder Prävention verlockend. Hier einige Argumente aus dem Spektrum der Pro- und Kontrapositionen, wie sie beispielsweise in Internetforen diskutiert werden und folglich auch in den Elterngruppen ein Thema sind:

  • Manche gefährliche Erkrankung hat dank Impfung ihren Schrecken verloren – oder auch dank der Verbesserung von „Public Health": Hygiene (sauberes Trinkwasser, Hände waschen nach der Toilette, vor dem Essen), Wohnverhältnisse (trockene, helle, belüftete Wohnungen ohne Ungeziefer), Ernährung (Lebensmittel werden kontrolliert).
  • Sowohl Kinderkrankheiten als auch Impfungen können in sehr seltenen Fällen zu ernsthaften Komplikationen führen.
  • Eine Impfung hinterlässt nicht so einen guten Schutz wie die durchgemachte Erkrankung. So können beispielsweise werdende Eltern zum ungünstigsten Zeitpunkt (Schwangerschaft) an Kinderkrankheiten erkranken, weil nun die Wirkung der Impfung nachlässt. Eine Impfung wirkt in der Regel höchstens zehn Jahre. Manchmal kommt es auch zu Impfversagen, beispielsweise bei Hepatitis B Non-Responder. Das bedeutet, dass etwa drei bis fünf Prozent der gegen Hepatitis B geimpften Menschen nach der ersten Impfung keine oder viel zu wenig Antikörper bilden. Dies lässt sich durch eine Blutuntersuchung im Labor nach etwa einem Monat feststellen. In einem solchen Fall gilt man als Non-Responder. Wer also den Impfschutz haben möchte, muss regelmäßig die Titer bestimmen lassen.
  • Schwangere geben ihren Babys im Mutterleib einen Nestschutz für die ersten Lebensmonate gegen die Krankheiten mit, die sie selbst durchgemacht haben. Dieser Schutz der Natur entfällt oder ist geringer, wenn die Frau geimpft ist statt selbst Abwehrkräfte gebildet zu haben.
  • Der Gedanke der Impfung – Ausrottung der Erreger – funktioniert nur, wenn ein sehr hoher Prozentsatz der Bevölkerung geimpft ist; das ist in Deutschland bei Weitem nicht der Fall. Manche Krankheitserreger mutieren im Umfeld der Impfstoffe und werden gefährlicher – so geschehen mit dem Masernerreger. Deshalb raten auch impfkritische ÄrztInnen wegen der extrem seltenen, aber katastrophalen Spätschäden (SSPE) inzwischen zu dieser Impfung.
  • Eine Impfung belastet das noch nicht ausgereifte Immunsystem des Babys. Deshalb ist zu überlegen, ob es sinnvoll ist, später zu impfen. Eine Fünf- oder gar Sechs- und Siebenfachimpfung belastet den kleinen Körper noch mehr. Auch wenn es verlockend erscheint, sich viele zusätzliche Arztbesuche mit Wartezeiten und dem Baby etliche Piekser zu ersparen.
  • Es ist möglich, nur gegen die Krankheiten zu impfen, bei denen es den Eltern sinnvoll erscheint. Allerdings werden nicht mehr alle Impfstoffe einzeln und für alle Altersstufen produziert.
  • Es gibt Untersuchungen, die zu dem Ergebnis kommen, dass nicht geimpfte Kinder weniger allergische Erkrankungen bekommen. Allerdings stellt sich die Frage, ob hier wirklich ein kausaler Zusammenhang besteht oder ob eben diese Kinder besser ernährt werden. Für immungeschwächte Menschen, die einerseits besonderen Schutz brauchen, aber gerade wegen ihrer Immunschwäche nicht geimpft werden dürfen, ist es wichtig, dass die Gesunden geimpft sind, um ihr eigenes Ansteckungsrisiko zu senken. Aus diesem Grunde werden ImpfgegnerInnen auch manchmal „asozial" genannt.
  • Wer hierzulande sein Kind gar nicht impft, stellt sich gegen den Mainstream und muss sich nach allen Seiten rechtfertigen. Im Falle eines Schadens durch Erkrankung mit Komplikation wird es Schuldzuweisungen geben. Wird das Kind durch eine Impfung geschädigt, können die Eltern sich hingegen des allgemeinen Mitgefühls sicher sein.
  • Impfungen sind bei uns zwar freiwillig, aber es gibt Kindergärten, die keine geimpften Kinder aufnehmen.
  • Ein Problem scheinen immer wieder die Begleitstoffe wie zum Beispiel Konservierungsmittel in den Impfseren zu sein, nicht die Impfkeime selbst. Die Masernimpfung als Einzelimpfung ist beispielsweise frei von Zusatzstoffen (Hartmann 2013).

 

Entscheidungen respektieren

 

Warum wird die Impfdiskussion eigentlich so emotional geführt? Ich unterstelle einfach mal, dass alle das Wohl der Kinder im Auge haben. Zum Wohl gehören auch die Stilldauer und das Schlafen im elterlichen Bett oder Schlafzimmer. Über diese Themen wird aber längst nicht so emotional diskutiert wie über das Impfen. Eltern beziehungsweise Müttern wird ihre eigene Entscheidung über das Stillen oder den Ort des Schlafens zugestanden. Beim Impfen ist das anders: Denn die Grundidee des Impfens kann nur funktionieren, wenn ein hoher Teil der Bevölkerung geimpft ist. Insofern schwingt hier immer auch ein ethischer Appell an die Eltern mit.

Auch hier geht es um „Geburtshilfe" in dem Sinne, dass wir wie beim Gebären den Eltern zutrauen, die für sie stimmige Entscheidung zu finden und dafür Verantwortung zu übernehmen – so ist es auch beim Thema Impfen. Die individuelle Gewichtung der Vor- und Nachteile bleibt den Eltern überlassen.

 

Impfberatung

 

Es ist wichtig, Eltern darauf hinzuweisen, dass Impfungen den kleinen Organismus eines Babys belasten und dass dem Rechnung getragen werden muss: am Impftermin und am Tag danach keine großen Aktionen wie Reisen, Babyschwimmen oder Rückbildung mit Baby. Es braucht vielleicht noch mehr Körperkontakt und Trost als sonst. Vor jede Impfung gehört ein ausführliches Informationsgespräch mit anschließender Bedenkzeit, also zwei Termine. Fragen Sie nach! Wechseln Sie die ÄrztIn, wenn Sie unzufrieden sind.

Rubrik: Hebammenarbeit | DHZ 07/2014

Buchtipp

Goebel, W.: Schutzimpfungen selbst verantwortet – Grundlagen für eigene Entscheidungen. Verlag Freies Geistesleben (2006)

Graf, F. P.: Die Impfentscheidung. Ansichten, Überlegungen und Informationen – vor jeglicher Ausführung! 5. vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage. Sprangsrade Verlag (2013)

Graf, F. P.: Nicht impfen – was dann? Sprangsrade-Verlag (2008)

Hirte, M.: Impfen. Broschüre für den DHV e.V., Sonderdruck Hebammenforum, 2. Auflage (2011)

Hirte, M.: Impfen - Pro und Contra. Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung. Droemer Knaur (2005)

Rouw, E.: Das Für und Wider abwägen. Deutsche Hebammen Zeitschrift. (11) 6–11 (2007)

Tank, M.: Impfen oder nicht – was tun? Ein Ratgeber für verantwortungsbewusste Eltern. Igelsburg Verlag (2011)

Literatur

Literatur

Hamburger Berufsordnung für Hebammen, §14,Art.(7) in der aktuellen Fassung von 1992

Hartmann, K.: Impfen, bis der Arzt kommt? DHZ 10/2013, S.3
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