Leseprobe: DHZ 05/2019
Geburtseinleitung

Selten nötig, niemals physiologisch

Mehr als jede fünfte Geburt wird in Deutschland eingeleitet – ungeachtet der Tatsache, dass die Evidenzen für eine Einleitung bei 41+6 Schwangerschaftswochen spärlich sind. Selbst wenn unstrittig ist, dass eine Geburt ohne Wehen nicht beginnen kann, gibt es keine einheitliche Empfehlung, wie diese Wehen erzeugt werden sollen. Eine Literaturstudie im Rahmen einer Bachelorarbeit versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Antje Roth,

Zahlreiche Hebammen haben regelmäßig beruflich mit Geburtseinleitungen zu tun. Rund 22 % aller Geburten wurden 2016 und 2017 in Deutschland eingeleitet (IQTIG 2017/2018).

Ziel einer jeden Geburtseinleitung sollte es sein, das mütterliche und kindliche Outcome zu verbessern beziehungsweise die Zahl der Totgeburten zu senken. Aber diese ist in Deutschland seit 2005 nahezu unverändert geblieben, während der prozentuale Anteil an Geburtseinleitungen stetig stieg (Schwarz et al. 2016). GeburtshelferInnen in Großbritannien hingegen tendieren zu einem abwartenden Verhalten. Ab der abgeschlossenen 42. Schwangerschaftswoche empfehlen sie den Frauen zweimal wöchentlich eine CTG-Kontrolle, eine generelle Empfehlung zur Geburtseinleitung wird dennoch nicht ausgesprochen (National Collaborating Centre for Women›s and Children›s Health 2008/NICE Guideline CG70).

Spätestens die Dissertation der Hebamme und Gesundheitswissenschaftlerin Prof. Dr. Christiane Schwarz zum Thema Geburtseinleitung bestätigt, was viele Hebammen längst vermutet hatten: Eine Einleitung der Geburt vor 41+6 Schwangerschaftswochen weist nur eine geringe Evidenz auf. Die fetale Mortalität ist bis zu diesem Zeitpunkt sehr gering, weshalb Schwarz keine Empfehlung für eine Geburtseinleitung ausspricht (Schwarz 2017).

Unabhängig von einer Aussage zum richtigen Zeitpunkt einer Einleitung bleibt die Frage: Welche Maßnahmen ab der vollendeten 42. Schwangerschaftswoche können sinnvoll sein? Geburtseinleitung, ja oder nein? Wenn ja, dann wie?

Die WHO empfiehlt, 24 Stunden nach einem vorzeitigen Blasensprung die Geburt einzuleiten, sagt jedoch nicht, womit und wie diese Einleitung erfolgen sollte (WHO 2011).

 

Welche Einleitungsmethode wirkt eigentlich wie?

 

Gibt es eine klare Indikation, eine Schwangerschaft zu beenden, stellt sich die Frage nach der Art der Geburtseinleitung. Indikationen sind zum Beispiel ein Blasensprung von mehr als 24 Stunden ohne Wehen oder eine leichte Schwangerschaftsgestose, damit diese nicht zwangsläufig einen Kaiserschnitt nach sich zieht.

Mittels einer Literaturrecherche sollte daher im Rahmen einer Bachelorarbeit folgende Frage beantwortet werden: Im Vergleich von mechanischen, medikamentösen und komplementären Geburtseinleitungsmethoden – wie ist das Outcome von Mutter und Kind hinsichtlich der folgenden Parameter zu bewerten:

  • Einsetzen der Wehentätigkeit (Zeitpunkt nach Einleitung)
  • Schmerzmittelbedarf unter der Geburt
  • geburtshilfliche Komplikationen wie sekundäre Sectiones
  • höhergradige Dammverletzungen und Atonie post partum
  • Apgar und pH-Werte des Neugeborenen.

Zusätzlich wurde das Geburtserleben der Mutter bei den einzelnen Einleitungsmethoden betrachtet.

Ziel der Arbeit war es, eine Methode zu identifizieren, die möglichst innerhalb von 24 Stunden Wehen bei den Frauen auslöst und außerdem einem physiologischen Wehenbeginn nahekommt. Gleichzeitig soll die Methode so wirksam sein, dass keine protrahierten Verläufe entstehen, und dennoch so sanft, dass es nicht zum Wehensturm und damit verbundenem Herzfrequenzabfall des Ungeborenen kommt. Weiterhin soll das Kind in guter körperlicher Verfassung sein, welche sich am physiologischen pH-Wert zeigt und einem Apgar > 7 nach 5 Minuten Lebenszeit.

Anhand des Relativen Risikos (RR) wurde ein Vergleich zwischen den einzelnen Einleitungsmethoden ermöglicht, um valide Aussagen über die jeweiligen Vor- und Nachteile zu treffen. Das Ergebnis zeigte mehrere Tendenzen – welche Methoden zur regelmäßigen Anwendung im klinischen Umfeld empfehlenswert sind.

Theoretische Grundlage war unter anderem die genannte Dissertation von Schwarz aus dem Jahr 2017, die Diplomarbeit der Hebamme und Diplom-Berufspädagogin Prof. Dr. Barbara Baumgärtner und der Hebamme und Gesundheitswissenschaftlerin Dr. Katja Stahl zur Risikoorientierung in der Schwangerenvorsorge von 2005 sowie die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), der WHO und die NICE-Guidelines aus Großbritannien. Es wurden aktuelle Studien zu den verschiedenen Methoden recherchiert und abschließend miteinander verglichen.

 

Rizinusöl als komplementäre Geburtseinleitungsmethode

 

Es konnten keine aussagekräftigen Studien zur Geburtseinleitung mit homöopathischen Mitteln, durch Akupunktur oder mithilfe der Stimulation der Mamillen gefunden werden, so dass als komplementäre Einleitungsmethode letztlich der Rizinuscocktail verblieb.

Eine der neuesten und zugleich umfangreichsten Studien hinsichtlich der Zahl der Teilnehmerinnen stammt von der Gesundheitswissenschaftlerin Andrea L. DeMaria und ihren Kolleginnen (DeMaria et al. 2017). Die WissenschaftlerInnen aus den USA untersuchten Frauen, die Rizinusöl zur Einleitung der Geburt erhalten hatten – und zwar in folgendem Cocktail: 60 ml Rizinusöl, 240 ml Sekt, Aprikosensaft (die Menge wurde nicht beschrieben) sowie 4 TL Mandelmus. Durchgeführt wurde diese Studie in einem Geburtszentrum (Birth Center) ohne Krankenhausanbindung im Südosten der USA im Bundesstaat Indiana. Von Januar 2008 bis Mai 2015 fanden dort 1.606 Geburten statt, von denen 323 (Versuchsgruppe) mit dem Rizinuscocktail eingeleitet wurden. 293, also 90,7 % der Frauen, gebaren innerhalb von 24 Stunden spontan. Da es sich um ein Birth Center handelte, gab es wahrscheinlich keine Schmerzmittel; zumindest wurde dies in der Auswertung nicht erwähnt. 30 Frauen (9,2 %) bekamen eine sekundäre Sectio, eine Frau wurde mittels einer vaginal operativen Methode entbunden. Bei 6 der 30 Frauen (20 %) kam es zu uterinen Hyperstimulationen beziehungsweise zu einem überstürzten Geburtsverlauf. Ob dieser jeweils mit einem Abfall der fetalen Herzfrequenz einherging, bleibt unerwähnt. Fünf Frauen erlitten nach der Geburt eine Atonie. Mekoniumhaltiges Fruchtwasser konnte bei sechs Geburten beobachtet werden, und fünf Kinder hatten einen Fünf-Minuten-Apgar < 7 (DeMaria et al. 2017).

Sowohl ein Cochrane-Review von Kelly, Kavanagh und Thomas aus dem Jahr 2013 als auch die Studie der Neurologin Dr. Ronit Gilad und ihrem Team aus dem Jahr 2017 hatten derart wenige Teilnehmerinnen, dass sie keine statistisch signifikanten Ergebnisse erzielen konnten. Zudem nennen diese AutorInnen keine klaren Rezepturen zur Einleitung mit Rizinusöl. Auch waren die Ergebnisse zum Outcome der Mütter und Kinder uneindeutig. Bei Gilad und KollegInnen zeigte sich lediglich, dass der Cocktail bei Mehrgebärenden häufiger wirkt als bei Erstgebärenden (Gilad et. al. 2017).

Die Zufriedenheit der Mütter mit ihrem Geburtserleben wurde in keiner dieser Studien erhoben.

 

Mit Medikamenten die Geburt einleiten

 

Bei den medikamentösen Methoden lag das Augenmerk auf Oxytocin, Misoprostol (auch bekannt als Cytotec) sowie vaginal appliziertem Dinoprostongel (Minprostin); hierzu konnten die meisten und neuesten Studien gefunden werden.

In ihrer Dissertation untersuchte die Ärztin Andrea Kipping 2011 den Unterschied von eingeleiteten Geburten zu Geburten mit spontanem Wehenbeginn (Normalkollektiv). Vermutlich unbeabsichtigt von der Autorin, ergab die Untersuchung, dass die Geburtseinleitung ein deutlich höheres Risiko für einen sekundären Kaiserschnitt birgt. Ähnlich deutlich war auch das Ergebnis zum Schmerzmittelbedarf (hier PDA): Während mit Einleitung rund 19 % der Frauen in der Dinoproston- und Misoprostolgruppe eine Periduralanästhesie benötigten, brauchten von denen ohne Einleitung nur knapp 10 % eine PDA. Hinsichtlich Atonien post partum ließ sich keine eindeutige Aussage treffen. Allerdings zeigte Kipping, dass Frauen mit spontanem Wehenbeginn während der Geburt weniger Oxytocin zur Wehenanregung benötigen als eingeleitete Frauen. Die Outcome-Parameter »uterine Hyperstimulation« sowie »Zufriedenheit der Frau« wurden nicht bewertet. Hingegen wurden beim Fünf-Minuten-Apgar große Unterschiede zwischen eingeleiteten und nicht eingeleiteten Frauen deutlich – die Einleitungsgruppen untereinander ließen hingegen keine großen Unterschiede erkennen (Kipping 2011).

 

Misoprostol: Dilemma der Dosierung

 

Trotz zahlreicher Studien hat das Medikament Misoprostol weiterhin keine Zulassung in der Geburtshilfe, ob es im sogenannten Off-Label-Gebrauch zum Einsatz kommt, obliegt der ärztlichen Behandlungsfreiheit.

Deshalb gibt es in Deutschland keine einheitliche Dosierungsempfehlung für die Anwendung zur Geburtseinleitung mit Misoprostol – obwohl es häufig Anwendung findet (Uphoff 2014). Alfirevic und KollegInnen gingen in einem Cochrane-Review der Frage nach, ob Misoprostol eher vaginal oder oral verabreicht werden sollte, und in welcher Dosierung. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass das beste mütterliche und kindliche Outcome erreicht werden kann, wenn 20 bis 25 µg Misoprostol alle zwei Stunden oral verabreicht werden. Dann gibt es die geringste Rate an sekundären Kaiserschnitten und weniger uterine Hyperstimulation in Kombination mit Herztonabfällen der Kinder. Dies gilt auch im Vergleich mit für die Geburtseinleitung zugelassenen Medikamente, wie dem vaginal angewendeten Dinoproston (Alfirevic et al. 2014). Auch die britische International Federation of Gynecology and Obstetrics (FIGO) empfiehlt diese Dosierung (Morris et al. 2017).

Das Problem ist, dass es in Deutschland Misoprostol nur als Tablette mit 200 µg gibt, und die lässt sich an ihrem Falz nur halbieren. Achteln ist nicht vorgesehen, so dass es zu Dosierungsfehlern kommen kann, wenn dies dennoch versucht wird. Deshalb empfehlen sowohl das Cochrane-Review als auch die FIGO und die Website misoprostol.org eine 200 µg-Tablette in 200 ml Wasser aufzulösen und der Frau alle zwei Stunden oral 25 ml dieser Lösung zu geben – die beispielsweise jeweils in eine Spritze aufgezogen werden können. Diese Spritze mit der Lösung sollte mit dem Namen der Frau versehen und ­maximal 24 Stunden aufbewahrt werden – andernfalls muss sie verworfen werden (Alfirevic et al. 2014; Morris et al. 2017; Weeks & Fiala 2018). Alternativ kann die Krankenhausapotheke beauftragt werden, Kapseln mit 25 µg Misoprostol herzustellen. Das hätte den Vorteil, dass sie nicht speziell für eine Frau angesetzt werden müssen und länger haltbar sind als ein Flüssigkeitsgemisch. Somit ließen sich Überdosierungen mit unerwünschten Nebenwirkungen vermeiden.

Allerdings haben auch Medikamente mit einer Zulassung in der Geburtshilfe ihre Tücken. So ist eine Nebenwirkung des Oxytocins, dass es sehr häufig uterine Hyperstimulationen in Verbindung mit einer Asphyxie des Ungeborenen hervorrufen kann. Weiterhin steht es im Verdacht, bei längerer Anwendung gehäuft zu Uterusrupturen, verstärkten atonischen Blutungen und Kreislaufkollaps durch Fruchtwasserembolien zu führen. Außerdem darf es nicht angewendet werden, wenn die letzte Prostaglandingabe noch keine sechs Stunden zurückliegt (Grotegut et al. 2011; Hexal AG 2016). Oxytocin sollte daher – beispielsweise nach der Einleitung mit Misoprostol – mit Bedacht eingesetzt werden.

 

Der Ballonkatheter als mechanische Methode

 

In einem Review zur Geburtseinleitung mit einem Ballonkatheter wurden unter anderem Studien aufgenommen, die mechanische Methoden mit Prostaglandinen kombiniert haben. Hier zeigte sich eine Zunahme der Zahl der Frauen, die innerhalb von 24 Stunden geboren hatten. Die uterine Hyperstimulation mit Veränderung der Herzfrequenz zeigte sich auch in der Kombinationsgruppe seltener, obwohl sie insgesamt in beiden Gruppen verhältnismäßig hoch war. Aussagekräftige Berichte über die Zufriedenheit der Schwangeren mit den Methoden wurden, wie auch in den anderen Studien zuvor, wenig bis gar nicht dokumentiert. Vereinzelt zeigte sich ein vaginales Druckgefühl und damit teilweise eine Unzufriedenheit bei der Verwendung von Einzelballonkathetern. Frauen, bei denen Doppelballonkatheter in Kombination mit Prostaglandinen genutzt wurden, gaben weniger Unbehagen an. Weitere Vorteile zeigten sich in der Lagerung der mechanischen Methoden, denn eine spezielle Unterbringung der Materialien ist nicht erforderlich. Außerdem ist die Methode recht kostengünstig (Jozwiak et al. 2012).

 

Mehr Raum für Zeit

 

Bereits dieser kurze Auszug der Bachelorarbeit macht deutlich, dass die Geburtseinleitung nicht physiologisch ist, ganz gleich mit welcher Methode. Deshalb sollte bei jeder Frau genau abgewogen werden, ob die vorzeitige Schwangerschaftsbeendigung zwingend notwendig ist.

Weitere Studien zu den verschiedenen Einleitungsmethoden, die das Geburtserleben der Frauen einbeziehen sind wichtig und wünschenswert. Den komplementären Methoden sollte dabei besondere Aufmerksamkeit zukommen, da diese bisher wenig untersucht wurden, viele Frauen sich jedoch wünschen, während der Schwangerschaft möglichst wenig Medikamente einzunehmen.

Zusätzlich zu den ÄrztInnen, sollten Hebammen die Frauen vor einer Einleitung umfassend aufklären und bereits in Geburtsvorbereitungskursen über mögliche Alternativen zu den medikamentösen Methoden informieren. Das funktioniert nur, wenn die Hebammen ihrerseits gut informiert sind und Kenntnis über die aktuellen Studien besitzen, um Fehlinformationen zu vermeiden.

Ebenfalls wichtig ist die Dosierung der Einleitungsmedikamente. Gerade beim Misoprostol sind die aktuellen Erkenntnisse hilfreich: Eine zu hohe Dosierung führt nicht nur zu einem schlechten gesundheitlichen Outcome von Mutter und Kind, sondern auch zu einem unguten Geburtserleben der Frauen. Wenn das Medikament in der empfohlenen Dosierung von 25 µg alle zwei Stunden verabreicht wird, können Nebenwirkungen wie Wehensturm mit Herztonabfall beim Ungeborenen, sekundärer Notkaiserschnitt und ein schlechter Apgar deutlich reduziert werden. Dies gilt auch im Vergleich mit bekannten Medikamenten wie Oxytocin und Dinoprostongel, so dass hier eine Neubewertung der Methoden in den Kliniken anzuraten ist.

Abseits der Einleitungsmethode sollte auch der Zeit selbst wieder größere Bedeutung zukommen. Dem Rizinuscocktail sollte man 24 Stunden Zeit geben, um zu wirken. Schwangerschaften sollten nicht um jeden Preis aufgrund einer Ultraschalldiagnose vorzeitig beendet werden, denn wer kennt sie nicht, die Geburtseinleitungen, die sich über mehrere Tage hinziehen? Am Ende entscheiden die Kinder oftmals selbst, wann sie geboren werden möchten.

Rubrik: Geburt | DHZ 05/2019

Literatur

Alfirevic Z, Aflaifel N, Weeks A: Oral misoprostol for induction of labour. The Cochrane database of systematic reviews 2014. (6) CD001338. https://doi.org/10.1002/14651858.CD001338.pub3

Baumgärtner B, Stahl K: Einfach schwanger? Wie erleben Frauen die Risikoorientierung in der ärztlichen Schwangerenvorsorge? Bücher für Hebammen, Bd. 3. Frankfurt am Main: Mabuse 2005

DeMaria AL, Sundstrom B, Moxley GE, Banks K, Bishop A, Rathbun L: Castor oil as a natural alternative to labor induction: A retrospective descriptive study. Women and Birth 2017. 31 (2) e99-e104. https://doi.org/10.1016/j.wombi.2017.08.001
»