Leseprobe: DHZ 08/2014

Väter in der „tragenden“ Rolle

Väter sind keine Ersatzmütter. Sie haben andere Eigenschaften und Kompetenzen, mit denen sie ihr Kind intuitiv fördern und fordern. Die Kinder lernen das sehr schnell und erwarten es dann auch von ihnen. Ihre spezifische Bindung zum Kind können die Väter gut entwickeln und pflegen, wenn sie es am Körper tragen. Bei Tragehilfen haben sie allerdings andere Vorlieben als Mütter. Dr. Evelin Kirkilionis,

Es gibt sie inzwischen, die engagierten Väter. Erzeuger, die ihr Kind erst wahrnehmen, wenn es laufen und als Junge Fußbälle bearbeiten kann, gehören weitgehend der Vergangenheit an. Es ist heute gang und gäbe, dass zukünftige Väter an Schwangerschaftskursen teilnehmen. Nicht nur, um die Partnerin unterstützen zu können, sondern auch um das Geburtsgeschehen möglichst aktiv mitzuerleben. Trotzdem liegt hier manches im Argen: Väter erleben sich nicht selten während des großen Ereignisses überflüssig, hilf- und nutzlos. Oder sie fühlen sich mehr oder weniger von den Fachleuten beiseite geschoben. Das kann einen gehörigen Knick in der Bereitschaft verursachen, sich später engagiert an der Betreuung des Kindes zu beteiligen. Eine verschenkte Chance, denn der Charme dieses frisch geborenen Wesens wirkt auch auf den Vater. Es kann ihn von Anfang an für sich einnehmen. Diese starke Gefühlsregung des Vaters auf sein soeben geborenes Kind wird auch mit dem englischen Begriff „engrossment" bezeichnet – Verzückung oder das völlige Vereinnahmt- und Absorbiertsein. Viele Väter versuchen, wenigstens die ersten Wochen nach der Geburt frei zu nehmen, um den kleinen Erdenbürger erst einmal gründlich kennenzulernen. Wichtig, da meist bald der Arbeitsalltag die Zeiten mit dem Nachwuchs stark reduziert. Denn bei uns sichern in jungen Familien nach wie vor überwiegend die Väter das Familieneinkommen in den ersten Lebensjahren eines Kindes, nicht zuletzt, damit die Mütter mit dem Stillen einen wichtigen Beitrag für die gesunde Entwicklung des Neugeborenen leisten können. Zwar entscheiden sich manche Väter zur Elternzeit. Aus vielerlei Gründen ist dies jedoch die Ausnahme, und es sind zudem meist kaum mehr als zwei Monate, auch wenn die Zahlen laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beziehungsweise Statistischem Bundesamt stetig leicht steigen.

Väter lassen sich heute auf Füttern, Baden, Wickeln und Herumtragen des Nachwuchses von Beginn an ein. Selbst wenn manche Mütter und Großmütter den bemutternden Fähigkeiten der männlichen Pendants skeptisch gegenüberstehen: Sie beherrschen diese Rolle ohne weiteres. Vorausgesetzt, die Mütter lassen dies zu. Dass Mütter inzwischen nicht mehr als die alleinig wichtigen Bindungspersonen gesehen werden, zeigt sich darin, dass man heute nicht mehr nur von der Mutter-Kind-Bindung, sondern allgemein von der Eltern-Kind-Bindung oder Eltern-Kind-Beziehung spricht.

Väter lösen die Aufgabe Babybetreuung auf ihre Weise. Das wissen Babys übrigens auch und reagieren schon nach kurzem ganz unterschiedlich auf die beiden Elternteile. Wobei Väter anfangs etwas mehr „Anlaufschwierigkeiten" zu haben scheinen, das heißt etwas länger benötigen, um dieselbe Betreuungskompetenz wie Mütter zu erlangen (Borke et al. 2011). Man darf jedoch nicht vergessen, dass in unserem Kulturkreis Kinderbetreuung für Männer meist überhaupt kein Thema ist, bevor es ums eigene Kind geht. Sie haben somit eine noch „schlechtere Ausgangsbasis" als Frauen, die manchmal zwar mit ihrem ersten Baby auch das erste Kind im Arm halten, aber sich dennoch meist länger, intensiver und aktiver mit dem Thema Kinderbetreuung beschäftigt haben.

 

Anders, aber ebenso kompetent

 

Väter beeinflussen anfangs vor allem beim Spiel die Entwicklung ihrer Kleinen. Im Vergleich zu den Müttern betonen sie dabei die motorische Stimulation und fördern stärker die Eigenständigkeit ihrer Kinder (Seifge-Krenke 2001). Dabei scheint es eine Rolle zu spielen, dass die wenige Zeit, die berufstätige Väter mit ihrem Kind verbringen, eben für dieses emotional positiv belegte Spiel genutzt wird, während die pflegerischen Anteile „traditionsgemäß" entsprechend der üblichen Arbeitsaufteilung den Müttern zufallen. Nebenbei bemerkt: Aushäusig arbeitende Mütter spielen, sind die Väter zu Hause, ebenfalls anteilig mehr mit ihren Kindern als Mütter, die zu Hause sind. Die Verhaltensweisen der Eltern verändern sich also entsprechend der familiären Aufgabenverteilung und haben nicht nur mit dem Geschlecht zu tun (Field 1978).

Allgemein spielen Väter wildere Spiele und gestalten die Übergänge einzelner Spielsequenzen überraschender, sie agieren schon bei den ganz Kleinen mehr über Körperstimulation (Gaunt 2005). Entsprechend reagieren Babys schon früh unterschiedlich auf die verschiedenartigen elterlichen Spielangebote und erwarten diese auch. Während sie sich bei ihren Müttern eher ruhig und hilfesuchender geben, sind sie bei ihren Vätern von vornherein munterer und agiler. Eine beobachtete Filmszene zeigte dies recht deutlich, auch eigene Beobachtungen bestätigen dies: Zusammen mit seiner Mutter – einer ruhigen und vorsichtigeren Person – verhielt sich das etwa sechs Monate alte Baby aufmerksam, ruhig und eher zurückhaltend. In dem Augenblick, in dem der temperamentvolle Vater die „Bühne" betrat, veränderte sich das Kind schlagartig. Arme und Beine ruderten voller Energie in Vorfreude auf „Action" in der Luft, begleitet von erwartungsvollem Glucksen und Krähen. Trotz der Verhaltensunterschiede von Vätern und Müttern stehen die Männer in ihren intuitiven Elternfähigkeiten den Frauen in nichts nach. Das intuitive Elternverhalten ist generell nicht die alleinige Domäne von Müttern und ebenso nicht von Vätern. Jeder einfühlsame Erwachsene, der für kindliche Signale offen ist, besitzt dieses Fingerspitzengefühl und passt seine Handlungsweisen unbewusst an das Kindesalter und die hiermit verbundenen Fähigkeiten an. Väter und Großväter beherrschen genauso den Babytalk wie Mütter und Großmütter, auch wenn die Männer einen kleinen Nachteil haben: Babys bevorzugen eine höhere Stimmlage (Papoušek & Papoušek 1997). Das tut den Elternfertigkeiten aber keineswegs Abbruch und wenn die Väter Gelegenheit und Muße haben, so werden sie genauso wie die Mütter intensive Zeiten zu zweit genießen, ihre Kinder gekonnt altersgerecht dirigieren und sich an den richtigen Stellen zurückhalten. Nur steht dem oft die beschränkte Zeit im Wege; womöglich nur ein knappes Stündchen am Feierabend vor dem Einschlafen des Kindes. So bleiben lediglich die arbeitsfreien Tage, an denen dann oft noch andere dringende Familientätigkeiten anstehen.

Die Entwicklungssprünge sind immer wieder frappierend und die sich ständig erweiterten Fähigkeiten des Kindes bedeuten für einen berufstätigen Vater manchmal, sein Baby immer wieder neu kennenlernen zu müssen. Demgegenüber steht die vertraute Mutter-Kind-Dyade. Teilzeitväter fühlen sich durch die fehlende Vertrautheit und aufgrund der veränderten Paarbeziehung nicht selten ausgeschlossen, insbesondere wenn sie sich als Vater wirklich engagieren wollen. So stellt sich bei manchen Vätern eine Art Neidgefühl beim Anblick des intensiven Mutter-Kind-Kontaktes während des Stillens ein. Um dieses „Manko" zu kompensieren und die oft diffusen Spannungsgefühle zu meistern und ins Positive zu kehren, sind auch für Väter eigene Zeiten der intensiven Nähe mit dem Kleinen wichtig. Den Kommentar einer Mutter sollte man als Hinweis verstehen: „Wenn ich mein Baby trage, fühle ich mich noch wie ein klein bisschen schwanger."

 

Vertrautheit durch Nähe

 

Neben den üblichen Möglichkeiten Nähe zu schaffen, wie Baden, Wickeln, Schmusen, intensive Interaktionen zu zweit, bei denen Eltern ihr Baby halten und seinen Blick einzufangen versuchen, und Bewegungsspielen, ist das Tragen von Babys eine wichtige Nähe-Ressource. Getragen werden kommt nicht nur den Bedürfnissen eines Babys entgegen, sondern fördert und stärkt auch das Gefühl der Verbundenheit auf Seiten des Tragenden. Emotionale Nähe wird durch körperliche Nähe gefördert, wenn nicht gar erst veranlasst (Kirkilionis 2012).

Sein Kind so nahe am Körper zu fühlen, erleichtert es allgemein allen Eltern, seine momentane Gemütslage zu erspüren und immer vertrauter mit diesem kleinen Wesen und seinen anfangs noch unklaren Signalen zu werden. Diese Ressource nehmen mehr und mehr Mütter wahr. Aber auch Väter entdecken glücklicherweise zunehmend, wie durch diese Art des intensiven körperlichen Kontakts Vertrautheit entsteht. Das Kind im Tragetuch oder anderen Tragehilfen umherzutragen ist eine recht einfache Möglichkeit, die Zeiten des Körperkontaktes zu „kompensieren", die Müttern automatisch durch das Stillen zufallen. Dabei die Gewissheit zu haben, gleichzeitig auch noch nahezu alle Sinne des Kleinen anzuregen, seine emotionale wie kognitive Entwicklung zu fördern und ganz nebenbei einer Dysplasie vorzubeugen, macht diese Art des Transportes für jeden Elternteil attraktiv (Kirkilionis 2012).

 

Tragemethoden

 

Den Nachwuchs am Körper zu tragen ist schon aus praktischer Sicht eine willkommene Alternative zum Schieben eines Kinderwagens. Die Ansichten der Väter, wie man ihn am besten trägt, unterscheiden sich jedoch von denen der Mütter, vor allem wenn sie eine passionierte Tragetuchnutzerin ist. Väter bevorzugen die technisch angehauchten Möglichkeiten, also Tragehilfen mit Gurten, Reißverschlüssen und Schnallen, die heute Komforttragen heißen. Dieser allgemeine Eindruck bestätigte sich auch in einer Langzeituntersuchung zu den Tragegepflogenheiten von Eltern: Kommentare wie, „Ich verwende immer das Tragetuch, mein Mann kommt damit nicht zurecht und bevorzugt die Tragehilfe …", waren die Regel (Kirkilionis 2014). Tragesäcke, -beutel, Komforttragen, vielleicht einmal ein Mei Tai, das ist eher die Domäne der Väter als Tragetücher.

Nicht umsonst erhielt wohl ein kürzlich erschienener Väter-Ratgeber den Titel „Das Baby: Inbetriebnahme, Wartung und Instandhaltung". Das Drehen und Wenden eines langen Tuchungetüms, das Binden, Knoten und Ziehen an allen Ecken und Enden scheint dem männlichen Elternteil nicht besonders zu behagen. Vielleicht, weil die Tücher doch einiges an feinmotorischen Anforderungen stellen, einer der wenigen Bereiche übrigens, in dem sich Männer und Frauen tatsächlich unterscheiden. Frauen sind da geschickter, Männer eher grobmotorisch ausgelegt (Eliot 2010).

Dennoch: Seitdem die Tragetuchhersteller nicht nur bunte Gewebe anbieten, sondern auch dezentere Farbkompositionen zu finden sind, lassen sich Väter immer häufiger auch auf das Tragen im Tuch ein. Hierbei pflegen Väter dann jedoch eher einen pragmatischeren Ansatz. Einfach, praktisch, schnell, am besten eine Bindevariante, die man sofort und über die nächste Zeit hinweg gut benutzen kann. Die gesamte Bindepalette rauf und runter, das überstrapaziert üblicherweise die Geduld, es muss gleich funktionieren und möglichst universell einsetzbar sein. Beim Binden zeichnen sich Väter meist durch ein größeres Laissez-faire aus. Wenn nicht jede Falte hundertprozentig sitzt, fürchten sie nicht gleich eine schädigende Wirkung auf die Kleinen – eine durchaus vernünftige Einstellung.

Rubrik: 1. Lebensjahr | DHZ 08/2014

Literatur

Borke, J.; Eickhorst, A.; Lamm, B.: Väter: Eine entwicklungspsychologische Bestandsaufnahme. In: Keller, H.: Handbuch der Kleinkindforschung. 250–269 (2011)

Cannon, E. A.; Shoppe-Sullivan, S. J.; Mangelsdorf, S. C.; Brown, G. L.; Skolowski, M. S.: Parent characteristics as antecedents of maternal gate keeping and fathering behaviour. Family process. 47(4): 501–519 (2008)

Eliot, L.: Wie verschieden sind sie? Die Gehirnentwicklung bei Jungen und Mädchen. Berlin-Verlag. Berlin (2010)
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