Hebammendiagnostizierte Makrosomie

Ein Verdacht

Eine fetale Makrosomie sicher zu diagnostizieren, ist fast unmöglich. Und doch gibt es einige Möglichkeiten, den Verdacht zu konkretisieren. Welche sind das? Anna Brodersen
  • Auch die Leopoldschen Handgriffe können Aufschluss über eine mögliche fetale Makrosomie geben.

Wir fühlen in der Hebammenarbeit im Rahmen der Leopoldschen Handgriffe, wie das Kind »in der Hand liegt« und wie es sich im Vergleich zu anderen Kindern in dieser Schwangerschaftswoche anfühlt. Zunehmend erlernen Kolleg:innen auch den Einsatz von Ultraschallgeräten in der Schwangerenvorsorge, so dass sie nach einer Zeit der Übung zuverlässig Biometrien erstellen können. Für unsere Beratung können wir selbstverständlich auch auf die von der mitbetreuenden Gynäkolog:in erhobenen Befunde im Mutterpass zurückgreifen. Grundsätzlich möchte ich mich in diesem Artikel wegen der international uneinheitlichen Definition der Makrosomie gerne auf die Verdachtsdiagnose LGA konzentrieren: Large for Gestational Age. Diese bezieht, neben dem reinen Schätzgewicht, auch das Gestationsalter mit ein und bezieht sich auf Feten oberhalb der 95. Perzentile (AWMF, 2018).

 

Tasten und Messen

 

Ein Indikator für adäquates fetales Wachstum kann der Fundusstand sein. Diesen erheben wir mit dem ersten Leopoldschen Handgriff meist direkt zu Beginn der abdominalen Untersuchung der Schwangeren. Bei gesichertem Schwangerschaftsalter kann uns dieser einen Hinweis auf die Schwangerschaftswoche liefern. Für die Durchführung liegt die Schwangere in Rückenlage, hat eine leere Harnblase, die Hebamme legt beide Hände an die obere Uteruskante und beurteilt die Entfernung zu verschiedenen Orientierungspunkten wie Symphyse, Nabel oder Rippenbogen. Wir erwarten dabei, je nach Schwangerschaftswoche, jeweils einen bestimmten Befund. Meilensteine sind dabei die Symphyse in der 12. Schwangerschaftswoche, der obere Nabelrand in der 24. Und der Rippenbogen in der 36. SSW. Und ein bis zwei Querfinger unter dem Rippenbogen in der 40. Schwangerschaftswoche (Höfer et al., 2020). Diese Werte können wir allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen sicher einordnen. Es mus sich dabei um eine Einlingsschwangerschaft handeln, wir schätzen eine normale Fruchtwassermenge und wir erheben durch die anderen Leopoldschen Handgriffe Befunde zur Lage des Kindes und dem Eintritt des Köpfchens ins Becken. Der Fundusstand ist wie der Symphysen-Fundus-Abstand nicht bei einer Lageanomalie, wie einer Schräg- oder Querlage, heranzuziehen.

Ein weiteres Werkzeug ist der Symphysen-Fundus-Abstand. Dabei befindet sich die Schwangere ebenfalls in Rückenlage, hat eine leere Harnblase und die Hebamme führt ein Maßband von der Symphyse entlang der Längsachse des Kindes bis zum Fundus. Auch diese Methode hat ihre Grenzen: Neben den Voraussetzungen wie beim Fundusstand muss die Schwangere sich im normgewichtigen Bereich befinden. Es gibt allerdings eine Cochrane-Untersuchung zur Zuverlässigkeit, die aufgrund mangelnder Evidenz keine Empfehlung für unsere praktische Arbeit zulässt (Peter et al., 2015).

In Großbritannien arbeiten die Professionen in der Schwangerenvorsorge teilweise mit dem sogenannten Growth Assessment Protocol (GAP) von Prof. Jason Gardosi (siehe auch DHZ 9/2020, Seite 30ff.). Dabei wird mittels Messung des Symphysen-Fundus-Abstands eine für diese Schwangere individuell erstellte Wachstumskurve genutzt, um eine fetale Unterversorgung früh zu erkennen. Für diese Kurve wird das maternale Gewicht, die Parität sowie Ethnizität einbezogen. Des Weiteren werden den Schwangeren je nach Risiko für SGA (Small for Gestational Age) verschiedene Untersuchungsmodelle angeboten. Standardmäßig wird das Wachstum durch Fundusstand und Symphysen-Fundus-Messung überwacht. Auch wenn Gardosi überwiegend auf die Detektion von SGA-Feten abzielt, um frühzeitig eine Plazentainsuffizienz mit einfachsten Mitteln zu erkennen und LGA-Feten nicht im Fokus sind, profitieren Mutter und Kind eventuell von individuellen Wachstumskurven. Für eine generelle Empfehlung liegen allerdings bisher nicht ausreichend Daten vor.

 

Messen mit Ultraschall

 

Bei der Ultraschallbiometrie durch Gynäkolog:in oder Hebamme werden verschiedene Formeln zur Berechnung des Gewichts herangezogen. Eine gängige Methode wäre die Hadlock Formel (siehe Seite 8ff.), die den biparietalen Durchmesser (BPD), Abdomenumfang (AU) und die Femurlänge einbezieht. Die erhobenen Messwerte werden entweder automatisiert im Ultraschallgerät oder händisch im entsprechenden Programm ausgewertet und im Zusammenhang mit dem exakten Gestationsalter in einer Perzentilenkurve dargestellt.

Da das Ultraschallgerät absolute Zahlen ausspuckt, verlassen wir uns sehr gerne auf diese. Leider gibt es auch hier, wie bei den hebammenhandwerklichen Methoden, ein gewisses Fehlerpotenzial. Die modernen Geräte messen sehr zuverlässig, allerdings fällt die korrekte Darstellung des Kindes sowie das Einzeichnen der Messpunkte in den Aufgabenbereich der Untersucher:in. Je nach Erfahrung derselben, der Mobilität des Kindes in utero und der allgemeinen Untersuchungsbedingungen können sich also kleine Messfehler einschleichen, die am Ende über die Gewichtsperzentile entscheiden. Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Punkt ist der unbewusste Einfluss der Untersucherin auf das Messergebnis, je nachdem was sie erwartet. Es gibt Untersuchungen, dass bei insulinpflichtigen Gestationsdiabetikerinnen die Kinder tendenziell falsch eingeschätzt werden. Bei einem Schätzgewicht von über 4.800 g liegt die Wahrscheinlichkeit laut dem Gynäkologen Rodney McLaren nur bei 50 %, dass das Kind bei der Geburt tatsächlich über 4.500 g wiegt (McLaren et al. 1995). Andere Kinder werden bei gleichen Voraussetzungen fälschlicherweise zu leicht geschätzt (Cohen et al. 2010).

 

Hand in Hand

 

Wenn alle uns zur Verfügung stehenden diagnostischen Hilfsmittel nicht exakt sind, warum nutzen wir sie dann? Das Vorliegen einer echten Makrosomie ist mit Risiken für Mutter und Kind assoziiert. Besonders ist das dann der Fall, wenn die Ursache der Makrosomie in einem fetofetalen Transfusionssyndrom begründet liegt. Gänzlich auf eine Gewichtsschätzung zu verzichten, kann nicht die Lösung sein. Wir werden allerdings die handwerklichen und technischen Tools für die Diagnostik und die Befundauswertung noch voranbringen müssen.

Äußert die Hebamme während der Schwangerenvorsorge den Verdacht auf ein makrosomes Kind, ist es sinnvoll zur Ursachenabklärung Hand in Hand mit den betreuenden Fachärzt:innen zu arbeiten. Neben Veranlagung oder Fehleinschätzungen kann ein eventuell noch unentdeckter oder schlecht eingestellter Gestationsdiabetes ursächlich sein. Auch kindliche Pathologien sind nicht auszuschließen und bedürfen auf Wunsch der Schwangeren weiterer Abklärung.

Aus einer solchen Verdachtsdiagnose ergeben sich für die Hebammenarbeit – je nach Ursache der Makrosomie – verschiedene Beratungsthemen. Bei Schwangeren mit Ursachen, die beeinflussbar sind (beispielsweise Gestationsdiabetes), kann eine Beratung zu einer ausgewogenen, an den Nährstoffbedarf von Schwangeren angepasste Ernährung erfolgen, je nach maternaler Ausgangslage mit Fokus auf eine gute Zusammensetzung der Makronährstoffe wie Kohlenhydrate und Proteine (siehe Kasten). Ein weiteres Thema kann die Suche nach individuell geeigneten Bewegungsangeboten sein. Auch da gilt es, die Anamnese und Präferenzen der Schwangeren in die Beratung einfließen zu lassen. Ein dritter großer Beratungsblock kann sich mit weiterführenden pränataldiagnostischen Maßnahmen befassen. Selbstverständlich klären die durchführenden Fachärzt:innen ebenfalls auf, unser Fokus kann darauf liegen, die Frau in ihren eigenen Bedürfnissen durch Informationen zu einzelnen Maßnahmen sowie ihren Rechten über Wissen und Nichtwissen zu unterstützen.

 

Nährstoffbedarf in der Schwangerschaft

Gesamtkalorienbedarf pro Tag:

 

  • 1. Trimenon: wie vor der Schwangerschaft
  • 2. Trimenon: + 250 kcal
  • 3. Trimenon: + 500 kcal.

Makronährstoffbedarf gesunde Schwangere:

 

  • 30 % Fett
  • 25 % Protein
  • 45 % Kohlenhydrate.

Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zu Proteinen:

 

  • 1. Trimenon: 0,8 g je Kilogramm Körpergewicht
  • 2. Trimenon: + 7g/d
  • 3. Trimenon: + 21g/d
  • Stillzeit: + 25g/d.

Bei einem Gestationsdiabetes kann die Ernährung so angepasst werden, dass der Proteinanteil steigt und die Kohlenhydrate entsprechend reduziert werden, wobei eine Gesamtkohlenhydratmenge von mindestens 150 g/d in Deutschland sehr gerne gesehen wird.

 

www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/?L=0

 

Die Geburtsplanung bei Verdacht auf Makrosomie ist eine Herausforderung. Einerseits sind potenzielle Risiken wie Claviculafraktur, fetomaternales Missverhältnis oder Schulterdystokie klar und ehrlich zu benennen, andererseits entscheidet die Schwangere nach Aufklärung über alle relevanten Risiken und Optionen im Sinne eines Shared-decision-making natürlich eigenständig und souverän, ob für sie eine Einleitung, ein abwartendes Vorgehen oder eventuell auch die primäre Sectio in Frage kommt.

 

Die Geburt planen

 

Generell sind die Risiken für die beschriebenen Komplikationen bei einer fetalen Makrosomie erhöht, weshalb man der Schwangeren ab 39+0 Schwangerschaftswochen eine Geburtseinleitung nahelegen kann. Der genannte Zeitpunkt berücksichtigt sowohl die Risiken einer frühen Geburt wie Hyperbilirubinämie als auch die Verhinderung einer weiteren kindlichen Gewichtszunahme. Die »Kann«-Formulierung resultiert daraus, dass die number needet to treat (NNT), die Zahl der benötigten Geburtseinleitungen, um eine Clavikulafraktur zu verhindern, bei 60 liegt (Boulvain et al., 2015).

Für einen geplanten Kaiserschnitt wegen fetaler Makrosomie gibt es keine wissenschaftliche Empfehlung, die aktuelle S3-Leitlinie Sectio Caesarea benennt dies nicht einmal unter den möglichen Indikationen, während auf die IUGR als Nichtindikation explizit eingegangen wird (AWMF, 2020).

Hebammen und Gynäkolog:innen haben bei der Geburt ein besonders wachsames Auge auf Abweichungen von der Physiologie, um schnell und passend intervenieren zu können. Dennoch sollten sie sich nicht durch Vorurteile gegenüber adipösen Schwangeren, Gestationsdiabetikerinnen oder makrosomen Feten beeinflussen lassen. So kann es durch eine echte Makrosomie zu einem protrahierten Geburtsverlauf kommen, der weitere Interventionen wie Wehenmittel oder eine PDA nach sich zieht. Durch eine PDA wiederum kann sich die Gebärende eventuell nicht mehr frei positionieren und so die Beweglichkeit des Beckens voll ausschöpfen.

Ein sekundärer Kaiserschnitt kann bei cephalopelvinem Missverhältnis, auffälligen Herztönen des Kindes oder einem stark protrahierten Verlauf notwendig werden. Wichtig ist allerdings, dass wir nicht in eine Art vorauseilenden Gehorsam verfallen und zunächst alle konservativen Methoden wie Mobilisierung, Lagerung und Motivation der Gebärenden ausschöpfen, bevor wir zum äußersten schreiten. Dieses Abwägen zwischen Abwarten und Intervention ist nicht so leicht und erfordert eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit im Sinne von Gebärender und Kind. Das Risiko für die Gebärende, einen höhergradigen Dammriss zu erleiden, ist ebenfalls größer (Thubert et al., 2018), wobei wir durch bewusste Entscheidung für eine geeignete Geburtsposition und den zurückhaltenden Einsatz von Wehenmitteln wahrscheinlich einen positiven Einfluss auf das maternale Outcome haben.

 

Nach der Geburt

 

Das Kind ist geboren und nach dem ersten Bonding bestätigt sich auf der Waage der Verdacht. Für die Pädiater:innen gelten Kinder bereits ab der 90. Perzentile (Speer, 2019) als makrosom und werden deshalb im Kreißsaal und im Anschluss genauer untersucht. Neben der Untersuchung auf einen möglichen Bruch der Claviculae oder Extremitäten konzentrieren wir uns dabei besonders auf die Vermeidung und Erkennung einer Hypoglykämie (siehe auch Seite 38ff.). Unabhängig von einer potenziellen Diabetesdiagnose der Gebärenden kann mit einer Frühfütterung etwa 30 Minuten post partum und im Anschluss regelmäßiger oraler Nahrungsaufnahme das Risiko für Hypoglykämien deutlich gesenkt werden.

Für das Erkennen einer neonatalen Hypoglykämie wird im Alter von etwa zwei Stunden vor Verlegung auf die Wochenstation ein Nüchternblutzucker gemessen. Dieser sollte bei asymptomatischen Kindern nicht unter 35 mg/dl liegen, bei auffälligen Kindern nicht unter 45 mg/dl. Liegt er darunter, wird durch Anlegen, die Gabe von handentleertem Kolostrum, wenn die Mutter nicht stillen möchte oder keine Muttermilch zur Verfügung steht, auch Formulanahrung oder Glucose-Gel, ein Anstieg auf 45 mg/dl angestrebt. Wird vor dem Lebensalter von zwei Stunden bereits ein Blutglucosetest durchgeführt, kann der Wert physiologisch bedingt auf bis zu 25 mg/dl abgesunken sein (AWMF, 2017).

 

Fazit

 

Der Verdacht auf eine fetale Makrosomie sollte immer ernstgenommen werden, um schwerwiegende Komplikationen während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett zu vermeiden. Er stellt uns als Hebammen im Team mit Gynäkolog:innen und Pädiater:innen im gesamten Betreuungsbogen vor Herausforderungen, doch es ist unsere wichtigste Aufgabe, die Souveränität der Schwangeren und Gebärenden zu fördern und sie in der Entscheidungsfindung professionell und ohne »Panikmache« zu unterstützen.

Rubrik: Ausgabe 06/2023

Vom: 23.05.2023