Einfach nachhaltig essen

Eine nachhaltige Ernährung ist nicht nur gut für die Gesundheit, sondern auch für die Umwelt und das Klima, für eine gerechtere Verteilung und das Leben künftiger Generationen. Hebammen können mit einfachen Empfehlungen bei sich selbst anfangen, während sie Schwangere, Stillende und Eltern zur besten gesundheitsfördernden Ernährung in der jeweiligen Lebensphase beraten. Jana Hartwig
  • In der Weihnachtszeit mit der Familie backen, statt Plätzchen aus der Tüte zu kaufen: Hier fängt eine nachhaltige Ernährung bereits an.

Wie viele Plätzchen haben Sie in diesem Advent schon gebacken? Hatten Sie Zeit, durchzuatmen, mit Ihren Lieben gemütlich beisammen zu sein und gemeinsam einen Teig herzustellen, ihn auszurollen und vielleicht sogar mit den Ausstechformen aus der Kindheit kulinarische Köstlichkeiten und Balsam für Augen und Seele anzufertigen und diese dann in Ruhe zu genießen? Falls dem so ist, haben Sie schon nachhaltig gehandelt. Sie haben den aufwendigen industriellen Herstellungs- und Verpackungsprozess eingespart und somit Müll vermieden, heutzutage meist Plastik. Sie haben mit Bedacht die Zutaten ausgewählt und wissen, wie viel Zucker, Fett und Salz in Ihrem Gebäck enthalten sind und von welcher Qualität sie sind. Sie haben mit allen Sinnen Ihre Nahrungsaufnahme vorbereitet, ein gesundheitsförderliches Verhalten.

Aber wie oft ist das im Alltag einer Hebamme möglich? Sowohl die Arbeit im Schichtsystem in einer Klinik als auch die Rufbereitschaft in der Freiberuflichkeit erschweren den überlegten Einkauf gesunder und frischer Lebensmittel, die man sich erst einmal leisten können muss, sowie die regelmäßige bedarfsgerechte Nahrungsaufnahme, die Basis einer jeden gesundheitsförderlichen Ernährung.

Die gute Nachricht: Sich gesund zu ernähren, ist in unseren Breiten vergleichsweise einfach möglich. Ein wunderbarer Nebeneffekt von gesundheitsförderlichem Ess- und Trinkverhalten ist der Schutz des Klimas auf der Erde, welches die menschliche Existenz ermöglicht. Dennoch ist es für einen Großteil unserer Bevölkerung sehr schwierig, die Empfehlungen für gutes Essen und Trinken der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) von 2024 umzusetzen. Dabei sollten wir es uns wert sein.

 

Fünf Forderungen

 

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) nennt fünf Handlungsempfehlungen für eine bessere Ernährung in Deutschland:

  1. Qualitativ hochwertige, gebührenfreie Schul- und Kita­verpflegung
  2. Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf gesunde Lebensmittel
  3. Herstellerabgabe auf Softdrinks
  4. Regulierung von Kinder-Lebensmittelmarketing
  5. Gesundes Essen in öffentlichen Einrichtungen.

Quelle: BMBF, 2022

 

Wege aus der Gesundheitskrise

 

Deutschland lag 2022 hinter den USA, China und Japan auf dem vierten Platz bei den weltweit größten Bruttoinlandsprodukten als Ausdruck der jeweiligen volkswirtschaftlichen Leistung. Gleichzeitig leiden hier geschätzte drei Millionen Menschen unter Ernährungsarmut (vgl. FIAN, o.J.). Dementsprechend erlebt unsere Region eine noch nie dagewesene Gesundheitskrise, insbesondere durch immer mehr Menschen mit starkem Übergewicht, dessen Folgen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als bekannt vorausgesetzt werden.

Adipositas wird seit 2020 als eigenständige chronische Erkrankung definiert, 24 % aller Erwachsenen leiden darunter. Es löst viele persistierende Krankheiten aus, wie Diabetes mellitus, Arthrose, aber auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die in Herz­infarkt oder Schlaganfall gipfeln können, sowie schmerzhafte Zustände wie Fettleber und Gallensteine. Auch bestimmte Krebs­arten werden durch Adipositas getriggert. Laut Deutscher Adipositas-Gesellschaft verringert krankhaftes Übergewicht die Lebenserwartung der Menschen im Vergleich zu Normalgewichtigen um rund fünf Jahre (vgl. BMBF, o.J.).

Chronische Unterernährung tritt in Deutschland selten auf, aber auch bei uns findet sich diese Form der Ernährungsarmut in zwei Dimensionen: Einerseits die materielle Ernährungsarmut, die durch einen Mangel an Nahrung oder durch fehlendes Geld zum Lebensmittelkauf gekennzeichnet ist. Andererseits zeigt sich ein qualitativer Mangel der konsumierten Nahrung. Erst die Möglichkeit, sich gesund zu ernähren, wird als Nahrungssicherheit bezeichnet (vgl. FIAN, o.J.). Die Problematik ist bekannt und wird beforscht, sodass uns viele wertvolle Empfehlungen zur Verbesserung der Ernährungssituation in Deutschland zur Verfügung stehen, unter anderem die »Fünf Handlungsempfehlungen für eine bessere Ernährung in Deutschland« (siehe Kasten).

Ein Schaubild mit den wesentlichen Bausteinen für eine nachhaltige Ernährung zeigt wohl die wichtigsten Ansatzpunkte (siehe Abbildung 1, Seite 38). Es stammt aus einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft von 2020.

Die Ziele der nachhaltigen Ernährung sind:

  • Gesundheitsförderung, die zu einer höheren Lebenserwartung mit mehr gesunden Lebensjahren führt und zum Wohlbefinden aller beiträgt
  • Soziale Mindeststandards entlang von Wertschöpfungsketten
  • Tierwohl nach den ethischen Vorstellungen und Ansprüchen der modernen Gesellschaft
  • Umwelt- und Klimaschutz entsprechend den mittel- und langfristigen Nachhaltigkeitszielen der BRD (vgl. Politik für eine nachhaltigere Ernährung, 2020).

Nachhaltige Ernährung bedeutet, »dass die gesamten gesundheitlichen, ökologischen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen unseres Ernährungsstils möglichst positiv sind. Übergeordnetes Ziel einer nachhaltigen Ernährung ist es, die Erde dauerhaft generationengerecht zu bewirtschaften und Lebensmittel wertzuschätzen: Die Lebenssituation der heutigen Generation soll verbessert werden, ohne gleichzeitig die Lebenssituation künftiger Generationen zu gefährden.« (BMEL, 2020, 3)
Die für Hebammen relevante Entlastung unseres überforderten Gesundheitssystems durch eine nachhaltigere Ernährung mit der Folge einer gesünderen Bevölkerung sollte unser Engagement anfeuern. Also, wie können wir dazu beitragen, diese Ziele erreichen?
Die Herausforderung für eine gelingende, wissenschaftlich fundierte Ernährungsberatung stellt dabei unser kultureller Hintergrund dar, vor dem Ernährung etwas sehr Privates ist und meist mit starken Emotionen einhergeht (vgl. Christenson et al., 2018; Ha & Lim, 2023). Es bedarf immer individueller Einschätzungen und Empfehlungen. Denn jeder Mensch bringt seine Konstitution und Biografie mit und der Bedarf an Nährstoffen kann durch akute Erkrankungen wie eine Infektion mit Covid-19 oder eine Mastitis stark variieren. Interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Ernährungsfachkräften, Gynäkolog:innen sowie Pädiater:innen empfiehlt sich in diesem komplexen Beratungsfeld unbedingt.

 

Nachhaltige Ernährung in der Hebammenpraxis

 

 

Abbildung 1: Neun Bausteine für eine nach­haltige Ernährung, die ­Gesundheit, sozialen Ausgleich, Umwelt und Tierwohl fördern.

Quelle: Gutachten des Wissenschaftlicher Beirates für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2020 (https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ministerium/Beiraete/agrarpolitik/wbae-gutachten-nachhaltige-ernaehrung.pdf?__blob=publicationFile&v=3

Schon beim Einkauf Ihrer Lebensmittel können Sie Ihren ökologischen Handabdruck vergrößern, indem Sie Abfall vermeiden und auf unnötige Verpackungen verzichten, einen Unverpackt-Laden nutzen, Nahrungsmittel aus einer solidarischen Landwirtschaft (Solawi, siehe Links) beziehen oder direkt auf dem Markt oder im Hofladen von ortsansässigen Erzeugenden kaufen. Gesunde und nachhaltige Lebensmittel sind frisch und so wenig wie möglich verarbeitet.
Essen Sie, wenn Sie hungrig sind, und genießen Sie es. Denn Ernährung sollte nicht nur pure Energiezufuhr sein, auch wenn eine bedarfsgerechte Nährstoffversorgung aus dem 3D-Drucker schon verheißungsvoll in einigen Publikationen beschrieben wurde. Der Energiebedarf für diese Art der Nahrungsherstellung dürfte erheblich sein. Essen Sie in Ruhe und kauen Sie jeden Bissen gründlich. Denn zu schnelles Kauen und Schlucken stehen dem Sättigungsgefühl im richtigen Verhältnis zur Energieaufnahme entgegen. Deshalb sollte jeder Bissen bis zu 30 Mal gekaut werden (vgl. Zielinski, 2022).
Um Energie für die Nahrungszubereitung und Zeit zu sparen, empfiehlt es sich, frische, regional-saisonale, auch in einer Großküche zubereitete Bio-Lebensmittel zu verzehren, die mithilfe von echtem Ökostrom zubereitet wurden, so dass möglichst wenig Essen übrig bleibt und verworfen werden muss. Geben Sie veganen und vegetarischen Gerichten eine Chance – damit helfen Sie dem Klima (vgl. Knöbel et al., 2020).
Haben Sie Lebensmittel übrig und schaffen es nicht, diese vor dem Verfall selbst zu verzehren? Spenden Sie Ihre Reste, um sie vor dem Wegwerfen zu bewahren, beispielsweise in der Nachbarschaft oder an die »Tafel«. Vielleicht kennen Sie auch eine Station zum »Fairteilen« von Lebensmitteln (siehe Link: Foodsharing). Wir müssen dringend unsere Lebensmittelabfälle reduzieren. Hier sind wirklich alle in der Pflicht, denn mit 60 % entsteht ein Großteil der Lebensmittelabfälle in privaten Haushalten. Bei dieser Zahl ist im letzten Jahrzehnt ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen. Durchschnittliche Verbraucher:innen werfen demnach etwa 79 kg Lebensmittel im Jahr weg (vgl. BMEL, 2021).
Die DGE empfiehlt, bunt und gesund zu essen und so die Umwelt zu schonen. Wir sollten uns für eine gute Gesundheit also vorrangig von Obst, Gemüse, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten, Nüssen und pflanzlichen Ölen ernähren und so auch die Ressourcen der Erde schonen. Das

 

Abbildung 2: Zufriedenes Einjähriges mit Kürbis­suppe nach der selbst ­einge­nomm­enen Mahlzeit

Foto: © Jana Hartwig

deckt sich weitgehend mit den Empfehlungen der Planetary Health Diet, einer Strategie für Landwirtschaft und Ernährung von der EAT-Lancet-Kommission, die auf Forschungsergebnissen basiert und gleichermaßen die Gesundheit des Menschen und der Erde schützen soll.
Um die planetaren Grenzen zu wahren, sollten wir grob das Doppelte an Obst und Gemüse, Hülsenfrüchten und Nüssen als Proteinlieferanten konsumieren wie heute, unseren Fleisch- und Zuckerverbrauch hingegen um die Hälfte reduzieren.
Als weiteren wichtigen Aspekt gilt es, die Lebensmittelproduktion zu verbessern. Mit der Planetary Health Diet bietet sich die Möglichkeit, bis 2050 etwa zehn Milliarden Menschen auf der Erde gesund zu ernähren, ohne den Planeten zu zerstören (vgl. Kirk-Mechtel, 2020).
Ziel einer gesunden Ernährung ist ein Körpergewicht, das unsere optimale Funktionsfähigkeit gestattet. Bei Übergewicht trägt eine Reduktion des Körpergewichts zur Verkleinerung des individuellen CO2-Fußabdruckes bei. Denn mit sinkendem Gewicht verringert sich auch der Energiebedarf unseres Körpers, wodurch weniger Nahrung aufgenommen werden muss und zusätzliche Energiekosten für mutmaßliche Folgeerkrankungen und Unterstützungsbedarfe eingespart werden können. Der Energiebedarf eines Menschen ergibt sich aus dem Ruheenergieverbrauch und dem Energieverbrauch für körperliche Aktivität. Dieser Bedarf differiert von Mensch zu Mensch sowie von Tag zu Tag. Der Ruheenergieverbrauch hängt von unterschiedlichen Faktoren ab wie Geschlecht, Alter, Körpergröße und -gewicht, Stress, Hormonen, Gesundheitszustand und Klima (vgl. DGE, o.J.). Ein gesundes Körpergewicht erleichtert die Konzeption und reduziert Risiken für mögliche Schwangerschaftserkrankungen und Pathologien sub partu.

Nachhaltig trinken: Leitungswasser für alle
Tun Sie alles dafür, dass uns Leitungswasser weiterhin in der gewohnten Qualität zur Verfügung steht. Dafür sind regelmäßige Kontrollen und Wartung der Leitungs- und Aufbereitungssysteme nötig. Durch Überschwemmungen und Dürren wird diese Versorgung zukünftig stärker gefährdet sein. Aber auch große Konzerne greifen durch massive Entnahmen aus dem Grundwasser für ihren Profit in die allgemeine Ernährungssicherheit ein. Abwechslung im Geschmack lässt sich durch Zugabe von Zitronen- und Limettensaft oder ein Minzblättchen sicherstellen.
Wenn Sie Tee oder Kaffee zubereiten wollen, kochen Sie eine Tagesration, um so den Energieverbrauch beim Wassererhitzen zu minimieren. Wer eine Schwangerschaft plant, sollte auf Energydrinks verzichten, da bereits ein erhöhter präkonzeptioneller Konsum mit einem größeren Risiko für Schwangerschaftshypertonie einhergeht (vgl. Ding et al., 2023).

Nachhaltige Ernährung für Neugeborene
Stillen ist Klimaschutz (Smith et al., 2024) – also ein weiterer Grund, Stillen optimal zu fördern und in der Schwangerschaft gezielt vorzubereiten (Jack et al., 2024). Für den Notfall, dass postpartal dem Neugeborenen nicht genug Muttermilch zur Verfügung steht, sollten sich die Eltern bereits in der Schwangerschaft für eine gut durchdachte Entscheidungsfindung mit den Formulanahrungen und ihren persönlichen Schwerpunkten auseinandersetzen mithilfe von Leitfäden, die unter anderem vom FeS®- Institut zur Verfügung gestellt werden (siehe Links).
Wünschenswert ist zudem der Ausbau der Frauenmilchbanken, damit auch gesunden und reifen Neugeborenen und Säuglingen die wertvolle Ressource zur Verfügung steht (siehe Links). So kann auch Energie gespart und durch die gesundheitsförderlichen Vorteile der Frauenmilchernährung eine gesundheitliche Nachhaltigkeit erreicht werden.

Nachhaltige Ernährung für Säuglinge und Kinder
Die WHO empfiehlt, die ersten sechs Lebensmonate ausschließlich zu stillen. Dann sollte dem Kind zusätzlich regelmäßig angemessene Nahrung angeboten werden. Bis zum zweiten Geburtstag wird das Kind nach Bedarf gestillt (WHO, 2023). Währenddessen sollte eine entspannte Beikosteinführung stattfinden, idealerweise mit frischen Lebensmitteln aus kontrolliert biologischem Anbau ohne Zugabe von Zucker und Salz. Bedürfnisorientiert ist der Übergang vom selbstbestimmten Stillen zum Motoriktraining durch eigenes Greifen, Fühlen, Schmecken und schließlich Schlucken und Verdauen der angebotenen Lebensmittel (siehe Abbildung 2).
Streben die Eltern eine pflanzenbasierte Ernährung an, wird dazu eine Beratung bei Fachleuten empfohlen. Das Kind sollte für eine gute Entwicklung des Nervensystems regelmäßig Vitamin-B12 als Tropfen erhalten. Geeignete Eiweißlieferanten sind Kichererbsen, rote Linsen, Haferflocken, Reis, Gerste, Buchweizen, Hirse sowie Nudeln, Vollkornbrot und Nüsse. Kombinationen aus Kartoffeln und Getreide oder Hülsenfrüchten, Nuss- und Mandelmus liefern besonders hochwertiges Eiweiß. Die Calciumzufuhr muss stimmen: Milch-Alternativen wie mit Calcium angereicherte Hafermilch, Sojamilch und Reisdrinks können Kinder ab einem Jahr in denselben Mengen trinken wie Kuhmilch. Weiter helfen calciumreiche Mineralwasser (Calcium >400 mg/l) und Brokkoli, Grünkohl oder Rucola. Ferner liefern Haselnüsse, Mandeln und Sesam als Mus oder Tahin Calcium (vgl. Tölle, 2024).
Ausreichend Jod kann über jodiertes Speisesalz oder Nori-Algen sichergestellt werden kann. Hier sollte der Jodgehalt jedoch 20 mg/kg nicht übersteigen. Eisen und Zink stehen durch Erbsen, Bohnen, Linsen, Nüsse, Ölsamen wie Sesam und Leinsamen, Vollkornprodukte aller Art und auch einige Gemüsesorten wie Spinat, Feldsalat und Schwarzwurzeln zur Verfügung. Durch gleichzeitige Aufnahme von Vitamin-C-reichen Lebensmitteln wie Obst verbessert sich die Eisenaufnahme. Ausreichend Vitamin B2 kann durch den Verzehr von Pilzen, Nüssen, Mandeln, Ölsamen, Hülsenfrüchten und Vollkorn aufgenommen werden. Bananen, Möhren und Kartoffeln sowie Walnüsse liefern Vitamin B6.
Unbedingt im Fokus bleiben muss zudem die Versorgung mit den biologisch aktivsten Fettsäuren Eicosapentaensäure EPA und Omega-3-Fettsäure Docosahexaensäure DHA, die durch Mikroalgenöle beziehungsweise damit angereicherten Lebensmittel gewährleistet werden kann.
Die DGE positioniert sich aufgrund der verbesserten, aber immer noch eingeschränkten Datenlage weder für eine Empfehlung noch gegen eine gut geplante vegane Ernährung, auch für die von Hebammen betreuten vulnerablen Gruppen der Schwangeren, Stillenden und Kinder (vgl. Klug, 2024). Vielmehr liegt der Fokus auf der respektvollen intensiven Begleitung, um den Kontakt zu diesen Familien nicht zu verlieren und eine optimale Überwachung und Beratung in der sensiblen Lebensphase rund um die Geburt zu gewährleisten (siehe Abbildung 3).
Die empfohlene Fleischmenge wurde von der DGE auf maximal 300 g pro Woche reduziert und auch die Empfehlung für Milch und Milchprodukte wurde von drei auf zwei Portionen pro Tag verringert, ein wichtiger Schritt hin zu mehr Nachhaltigkeit. Generell ist die Entwicklung des Kindes im Ganzen genau zu beobachten. Bei Bedarf sollte es auch zwischen den Vorsorgeuntersuchungen der vertrauten Kinderärzt:in vorgestellt werden.

 

 

Abbildung 3: Vegane Ernährungspyramide für Schwangere und Stillende

Quelle: Modifiziert nach: Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE)


Nachhaltige Ernährung für Schwangere
Gerade in der Schwangerschaft schaffen es viele Menschen, ihr Leben gesünder zu gestalten (Rockliffe et al., 2021). Diese Gelegenheit für eine positive Veränderung sollten Hebammen unterstützen. Möchten sich Schwangere vegan ernähren, sollten sie möglichst schon vor der Konzeption eine kompetente Ernährungsberatung in Anspruch nehmen. Denn die Versorgung mit Vitamin B12, DHA, Zink, Eiweiß, Eisen, Calcium und Jod wird mutmaßlich kritisch. Jedoch ist bei allen Ernährungsformen eine unzureichende Zufuhr dieser lebensnotwendigen Stoffe möglich (vgl. Gätjen, 2019). In den dunkleren Monaten von Oktober bis März kann die Haut nicht genug Vitamin D bilden und es trägt zum Wohlbefinden bei, Vitamin D 3 zu supplementieren. Für Menschen, die sich verschleiern, die wenig Zeit in der Sonne verbringen oder eine stärker pigmentierte Haut haben, kann es auch in den Sommermonaten schwierig sein, selbst genug Vitamin D herzustellen. Hier liefert eine Blutentnahme mit Kontrolle des 25-Hydroxyvitamin D Klarheit. Für Schwangere und Stillende sieht die Supplementierung 20 Mikrogramm täglich vor, wenn noch kein Vitamin-D-Mangel herrscht (DGE, 2011).
Eine Unterversorgung mit Vitamin B12 stellt ein Risiko für schwere und dauerhafte Schädigungen des kindlichen Nervensystems dar. Deshalb sollte die konsequente Supplementierung von Jod, Folsäure und Mikronährstoffen wie Vitamin B12 bei regelmäßigen ärztlichen Überprüfungen und/oder Hebammenvorsorgeterminen sowie qualifizierter Ernährungsberatung stattfinden (vgl. Netzwerk Gesund ins Leben, 2018). Wichtig ist, dass es den Schwangeren gut geht, mögliche Ernährungsprobleme auffallen und auf dem Fundament belastbarer und wertschätzender Vertrauensverhältnisse besprochen werden können. Was ist in der Schwangerschaft zu beachten?

  • Täglicher Mehrbedarf an Energie: 255 kcal = z.B. 1 Scheibe Vollkornbrot mit Aufstrich + 1 Apfel
  • Mehrbedarf an Proteinen, mehrfach ungesättigten Fettsäuren, Vitamin A, D, B2, B6 und B12, Folsäure, Calcium, Eisen, Jod und Zink
  • Vegane Diät muss für gute Versorgung von Mutter und Kind vollwertig, frisch und naturbelassen zubereitet sein
  • Unbedingt Substitution: regelmäßig zweimal täglich oral Vitamin B12, Folsäure oft schon präkonzeptionell, Jodversorgung durch Jodsalz und Algenpräparate sicherstellen
  • In Bewegung bleiben.

Für genussvolles und gesundes Essen mit konkreten Mengenangaben gibt es inzwischen viele ansprechende Rezeptbücher, von denen eine Auswahl bei den Empfehlungen »Zum Weiterlesen« zu finden ist (siehe Kasten).

Die Zeit der Schwangerschaft ist physiologisch durch eine Gewichtszunahme gekennzeichnet (siehe Kasten: Leitlinien).

Nachhaltige Ernährung in der Stillzeit

Stillende verbrauchen deutlich mehr Energie als Schwangere, nämlich etwa 650 kcal pro Tag (vgl. Gätjen, 2019). Deshalb ist es gesundheitsfördernd, wenn die Frau in dieser Zeit möglichst viel Entlastung bekommt, zum Beispiel durch gemeinsames Essen mit Freund:innen oder in der Großfamilie, um Einkauf, Kochen und Nachbereitung so effektiv und wenig belastend wie möglich zu gestalten und nicht vor Hunger und Überforderung in den unkontrollierten Zuckerkonsum abzurutschen. Empfehlenswert aus ernährungswissenschaftlicher Sicht ist der ausreichende Konsum pflanzlicher Öle wie Raps- oder Walnussöl, kalt gepresstem Olivenöl, Hanf- oder Leinöl, und zudem einmal täglich ein bis zwei Esslöffel mit DHA-angereichertem Leinöl einzunehmen, zum Beispiel zu Pellkartoffeln. Ein Wechsel zwischen den Ölen bietet auch hier die gesunde Vielfalt.

 

Leitlinien für Schwangere

 

Das US-amerikanische Institute of Medicine (IOM) gibt Leitlinien heraus, an denen sich Ärzt:innen global orientieren. Folgende Empfehlungen für die Gewichtszunahme in der Schwangerschaft gelten aktuell:

  • Bei Untergewicht vor der Schwangerschaft (Body-Mass-Index, BMI <18,5): zwischen 12,5 und 18 kg
  • Bei Normalgewicht vor der Schwangerschaft (BMI 18,5-24,9): zwischen 11,5 und 16 kg
  • Bei Übergewicht vor der Schwangerschaft (BMI 25-29,9): zwischen 7 und 11,5 kg
  • Bei Adipositas vor der Schwangerschaft (BMI >30): zwischen 5 und 9 kg.

Die Gewichtszunahme der Schwangeren gibt keine Auskunft über die Qualität der intra­uterinen Versorgung des Kindes und dessen Wachstum, da dies ein multifaktorielles Geschehen darstellt (IQWiG, 2022). Zur Berechnung des BMI wird das Verhältnis von Körpergewicht und Körpergröße ermittelt: BMI = Körpergewicht in kg / (Körpergröße in m)²

Stillende benötigen fast doppelt so viel Vitamin A wie nicht stillende Erwachsene. Die Vorstufe Carotin wird über pflanzliche Kost aufgenommen. Eine Überdosierung, wie die bekannte schädigende Wirkung von Vitamin A auf das intrauterine Kind durch Nahrungsergänzungsmittel oder mit Vitamin A-angereicherte Getränke, ist bei einem übermäßigen Genuss von Carotinhaltigen Lebensmitteln wie gelbem, orangenem und grünem Obst und Gemüse nicht möglich, da nur bedarfsentsprechend Vitamin A synthetisiert wird. Um die Aufnahme dieses fettlöslichen Vitamins zu ermöglichen, muss spätestens in den zwei Stunden nach dem Essen auch Fett zugeführt werden.

Der Vitamin-B6-Bedarf bleibt weiterhin erhöht und kann durch Hülsenfrüchte, Getreide, Walnüsse, Ölsaaten und Kohl gezielt gedeckt werden, um einen guten Aminosäurestoffwechsel zu gewährleisten.

Ebenso brauchen Stillende um die Hälfte mehr Folsäure (Vitamin B9). Dies kann durch grünes Blattgemüse, Kohl, Tomaten, Erdbeeren, Hülsenfrüchte und Getreide abgedeckt werden. Folsäure ist empfindlich und wird beim Waschen, Erhitzen und im Kontakt mit Sauerstoff deutlich weniger verfügbar. Daher ist es sinnvoll, mindestens die Hälfte der folathaltigen Lebensmittel frisch und ohne Erwärmung zu verspeisen. Wird doch eine Lagerung nötig, halten Lebensmittel mit Folsäure am besten im Dunklen. Der gründlichen Reinigung mit Wasser sollten die Lebensmittel im Ganzen und möglichst kurz unterzogen werden. Anschließend sollten sie schonend gegart, gedämpft oder gedünstet werden in der Garflüssigkeit. Ist das Gericht fertig, sollte es nicht warmgehalten werden, sondern schnell abkühlen, etwa im Keller, und dann bei Bedarf aufgewärmt werden. Der Vitamin-B2-Bedarf ist ebenfalls erhöht, dieses Vitamin ist sehr lichtempfindlich und wasserlöslich. Brokkoli, Grünkohl, Pilze, Cashewkerne und Hefeflocken bieten sich als Lieferanten an. Vitamin B12 kann nicht über pflanzliche Lebensmittel aufgenommen werden. Stillende haben jedoch einen mehr als doppelt so hohen Mehrbedarf wie Schwangere. Vitamin B12 ist essenziell für Wachstum und Entwicklung. Es ermöglicht unter anderem die Wirksamkeit der Folsäure, daher muss es substituiert werden. Da die Empfehlung für die einmalige Tagesdosis Vitamin B12 50–200 g lautet, ist es nachhaltiger, der Stillenden zu zweimal täglich 10–20 g Vitamin-B12-Einnahme zu raten nach Rücksprache mit den anderen betreuenden Fachkräften (Gätjen 2022, 28).

Um einen Mangel rechtzeitig zu erkennen, empfiehlt die Fachberaterin Edith Gätjen die Bestimmung folgender Blutwerte: Holo-Transcobalamin, Homocystein und Methylmalonsäure. Nachhaltig bedeutet auch, so früh wie möglich Mangelzustände auszugleichen, um pathologische Zustände zu verhindern, die das Familienleben schwer beeinträchtigen. Der Eisenbedarf ist auch in der Stillzeit noch um 33 % erhöht. Pflanzliches Eisen wird schlechter resorbiert als tierisches, jedoch steigt die Aufnahme in Verbindung mit Vitamin-C-haltigen Nahrungsmitteln. Phytate, Tannine, Ballaststoffe und Calcium erschweren die Eisenaufnahme. Um besser auf das in Hülsenfrüchten, besonders in Kichererbsen, Hirse, Hafer, Roggen, Kürbiskernen, Möhren und Petersilie enthaltene Eisen zugreifen zu können, empfiehlt es sich, diese Lebensmittel einzuweichen oder zu garen.

 

Zum Weiterlesen

 

  • Enders, G. (2014). Darm mit Charme. Ullstein Verlag.
  • Foer, J.S. (2010). Tiere essen. Kiepenheuer & Witsch Verlag.
  • Keller, M., Gätjen, E. (2021). Vegane Ernährung. Schwangerschaft, Stillzeit und Beikost. 2. Aufl., Verlag Eugen Ulmer.
  • Keller, M., Gätjen, E. (2024). Vegane Kinderernährung. Gut versorgt in jeder Altersstufe. 2. überarb. Aufl., Verlag Eugen Ulmer.
  • Ottenschläger, V. (2022). Gesunde Ernährung von Anfang an. Von der Schwangerschaft bis zum Kleinkindalter mit der westlichen 5-Elemente Ernährung. Springer Nature. https://doi.org/10.1007/978-3-662-63768-5
  • Renner, B., Arens-Azevêdo, U., Watzl, B., Richter, M., Virmani, K., Linseisen, J. for the German Nutrition Society (DGE). DGE position statement on a more sustainable diet. Ernährungs Umschau 2021; 68(7): 144–54. DOI: 10.4455/eu.2021.030
  • Wiedmann, C., Pyanova, A., Soydaner, O.E. (2024). Plantbased von Anfang an: Baby & Kleinkind, Schwangerschaft & Stillzeit. Pflanzenbasiert, vegan, vegetarisch. Wissenschaftlich fundiert & praktisch mit über 70 Rezepten. TRIAS - Thieme Verlag.

Falls Mütter Kaffee und Tee konsumieren, sollten sie unbedingt auf einen ausreichenden zeitlichen Abstand zur Nahrungsaufnahme von mindestens 30 Minuten achten (vgl. Quarks, 2018). Getreide sollte nur in calciumfreier Flüssigkeit eingeweicht und zubereitet werden. Auch durch das Zerkleinern fester Nahrungsmittel steht das Eisen leichter zur Verfügung.

Der Jodbedarf Stillender ist um 30 % gesteigert und kann durch Jodsalz oder Meeresalgen sichergestellt werden, die jedoch nicht mehr als 20 mg Jod/kg enthalten sollten.

Stillende benötigen weitaus mehr Zink. Die Aufnahme dieses Minerals wird durch Eiweiß und Zitronensäure unterstützt, hemmend wirken dabei Phytate, Tannine, Ballaststoffe, Calcium, Eisen und Kupfer. Nachhaltige und zuverlässige Zink­lieferanten stellen Haferflocken, Linsen, Erdnüsse und Sojabohnen aus Europa dar, wenn sie eingeweicht, schonend gegart, geröstet, fermentiert oder gekeimt aufgenommen werden.

In der Stillzeit steigt der Bedarf an Selen um 25 %, da es als Enzymbestandteil an vielen Schutzmechanismen des Immunsystems und im Schilddrüsenhormonhaushalt mitwirkt. Der pflanzliche Selengehalt ist stark von der jeweiligen Bodenqualität abhängig. Steinpilze, Sojabohnen und Vollkornprodukte versorgen uns nachhaltig mit diesem lebenswichtigen Spurenelement (vgl. Gätjen, 2019; DGE, 2024).

 

Bewegung für Körper und Geist

 

Zu einer nachhaltigeren Ernährung trägt indirekt auch die Kampagne »Handyfrei bis 3« bei, damit sich insgesamt ein gesunder mobiler Lebensstil entwickeln kann.

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Ernährungsthemas ist die Frage der Gerechtigkeit. Nicht vergessen werden darf der Großteil der Menschheit, der hungert und der aktuell von den entsorgten Lebensmitteln gesättigt werden könnte.

Dass Veganer:innen laut aktueller Studienlage gesünder ernährt sind als andere Bevölkerungsgruppen, liegt mutmaßlich an ihrem hohen Bildungsstand sowie besseren finanziellen Möglichkeiten.

Kritisch zu sehen ist die Produktion von Nahrungsergänzungsmitteln, denn diese ist nicht immer so umweltschonend und klimaschützend, wie es wünschenswert wäre. Und dennoch können diese zum Teil teuren Produkte es nicht mit der Wirksamkeit der gelungenen Nährstoffkomposition natürlicher Nahrungsmittel aufnehmen.

Ernährung sollte nie losgelöst von Bewegung betrachtet werden. Hier deshalb die Nachhaltigkeits-Challenge für den Advent: Schaffen Sie es, jeden Tag 10.000 Schritte zu gehen, im Idealfall in einer halben Stunde an der frischen Luft, verbunden mit 15 Minuten Sonnenlicht für Ihren Vitamin-D-Spiegel, und zwei Mahlzeiten vegan zu gestalten? Auch unser Denken sollte in Bewegung bleiben, um Dogmatismus, Stillstand und fehlenden Austausch zu verhindern.

Rubrik: Ausgabe 12/2024

Vom: 25.11.2024