Hebammen an Schulen

Gesundheit als Schulfach

Gesundheitsförderung soll Menschen dazu befähigen, ihr bestes Gesundheitspotenzial zu verwirklichen. Dazu zählt auch die sexuelle und reproduktive Gesundheit. Hebammen können einen wichtigen Beitrag leisten – auch im Unterricht an allgemeinbildenden Schulen. Karoline Lautz
  • Lernziele der Schüler:innen können sein, das Vertrauen in körperliche Fähigkeiten und das eigene Körperbewusstsein zu stärken.

Viele Hebammen mit eigenen Kindern kennen die Frage von Lehrkräften: »Können Sie bei uns in der Schule mal was zu Schwangerschaft und Geburt erzählen?« Manche haben schon einmal an einer allgemeinbildenden Schule eine Unterrichtseinheit gestaltet, meist in den Klassen der eigenen Kinder. Darüber hinaus engagieren sich einige Hebammen regelmäßig in deutschen Schulklassen.

 

Was ist Gesundheitsförderung?

 

Gesundheitsförderung legt eine salutogenetische Perspektive zugrunde, mit einem Fokus auf Kompetenzen, Schutzfaktoren und Ressourcen (Kaba-Schönstein, 2018). Dabei beinhaltet sie auch ein hohes Maß an Befähigung zur Selbstbestimmung über die eigene Gesundheit (WHO, 1986). Menschen sollen durch gezielte Maßnahmen dazu befähigt werden, die Kontrolle über ihre eigene Gesundheit zu erhöhen und durch gezielte Beeinflussung der Determinanten ihre eigene Gesundheit zu verbessern (4. Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung, 1997).

Ziel ist die Herstellung von Chancengleichheit (Kaba-Schönstein, 2018). Es sollen möglichst gleiche Bedingungen geschaffen werden, in denen jedes Individuum sein größtmögliches Gesundheitspotenzial verwirklichen kann (WHO, 1986). Als Qualitätsgrundlage für gesundheitsförderliche Projekte können die »Good Practice-Kriterien« für soziallagenbezogene Gesundheitsförderung des Kooperationsverbunds Gesundheitliche Chancengleichheit angelegt werden. Diese beurteilen unter anderem Kriterien wie den Zielgruppenbezug, Settingansatz – den Bezug zur Lebenswelt der Zielgruppe — und Empowerment eines Projekts (Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit, 2017). In Abgrenzung dazu beschäftigt sich Prävention mit Maßnahmen, um Krankheiten zu vermeiden. Dies beinhaltet zum einen das Auftreten und zum anderen die Ausbreitung und negativen Auswirkungen von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen (Franzkowiak, 2018). Die Konzentration liegt hier also mehr auf Defiziten und Risiken. Auch wenn sich in der Hebammenarbeit an allgemeinbildenden Schulen vermutlich auch präventive Aspekte finden, soll im Folgenden die Gesundheitsförderung im Zentrum stehen.

 

Die originäre Hebammenarbeit

 

Vielen ist bekannt, dass Hebammen mit ihrer Betreuung von Familien einen Beitrag zur allgemeinen Gesundheitsförderung leisten (DHV, 2018). Bereits aus dem 18 Jahrhundert ist überliefert, dass Hebammen Frauen auch zu Themen wie Schwangerschaftsverhinderung oder Frauenkrankheiten berieten, also gesundheitsförderlich arbeiteten (Loyvet, 2000, zitiert nach Schäfers, 2011).

Auch heute verstehen Hebammen sich als gesundheitsförderlich arbeitende Profession. Das zeigt sich beispielsweise im Motto des 11. Nationalen Hebammenkongresses: »Hebammen fördern Gesundheit – von Anfang an« (Schäfers, 2011). Beispiele für Gesundheitsförderung im Hebammenalltag sind die Hilfe beim Stillen, Verhütungsberatung im Wochenbett oder Beratungs- und Aufklärungsgespräche im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge (Schäfers, 2011). Auch während der Geburt ist Hebammenhilfe gesundheitsförderlich. Studien weisen darauf hin, dass das Modell des Hebammenkreißsaals, also die ausschließlich hebammengeleitete physiologische Geburt, gesundheitsförderndes Potenzial für Mütter und Kinder bietet (Schäfers, 2011). Die klassische Hebammenarbeit hat in vielen Bereichen einen gesundheitsfördernden Stellenwert in der Gesellschaft.

 

Hebammenthemen in der sexuellen Bildung

 

In Deutschland sind verschiedene Akteur:innen im Themenfeld der sexuellen Gesundheit aktiv, sowohl von Seiten des öffentlichen Gesundheitsdienstes als auch Nichtregierungsorganisationen. Trotz des breiten Angebots wird von einigen Stellen angemerkt, dass ein umfassendes Verständnis der sexuellen Gesundheit häufig noch fehlt (Bremer & Winkelmann, 2012). Auf Lücken in der sexuellen Bildung lassen auch Befragungen von Jugendlichen durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung schließen. Sie zeigen, dass sich vor allem Mädchen mehr Aufklärung über Schwangerschaft und Geburt wünschen (Heßling & Bode, 2015). Hier können Hebammen als Expert:innen einspringen.

Wie wichtig die frühzeitige Auseinandersetzung mit diesen Themen ist, zeigt sich beispielsweise in einer Erhebung zur Geburtsangst, von der 15 % der Schwangeren betroffen sind (O’Connell et.al., 2017). Zudem wird eine seit der Jugend bestehende Entfremdung vom Gedanken, vaginal zu gebären, mit dem Wunschkaiserschnitt assoziiert (Eide et. al., 2019). Die Auseinandersetzung mit Wunschkaiserschnitt und Geburtsangst sind wesentliche Themen im Alltag einer originär tätigen Hebamme. Also sollten Hebammen in der Lebenswelt der Heranwachsenden im Rahmen der schulischen sexuellen Bildung eine Rolle spielen, da einige für die Geburt relevante Themen nicht erst in der reproduktiven Phase von Menschen in ihr Bewusstsein zu treten scheinen.

 

Hebammen an Schulen

 

Die Idee, dass Hebammen an allgemeinbildenden Schulen gesundheitserzieherisch tätig werden können, entstand aus der Beobachtung, dass Kinder in ihrem Alltag immer weniger Kontakt zu Schwangerschaft, Geburt, Neugeborenen und Stillenden haben. So entstehen Lücken im Erfahrungswissen der Kinder (Petrus, 2008). Dies basiert unter anderem darauf, dass trotz wieder leicht steigender Geburtenrate von 1,54 Geburten pro Frau viele Kinder ohne Geschwister aufwachsen (Statistisches Bundesamt, 2020). So entstand das Projekt »Hebammen an Schulen«.

Hebammen besuchen Klassen in allgemeinbildenden Schulen, um dort ihr Wissen zu vermitteln. Die Themen sind vielfältig, an die Altersgruppe und den Wissensstand der Kinder angepasst. Lernziele können beispielsweise sein, das Vertrauen in körperliche Fähigkeiten und das eigene Körperbewusstsein zu stärken. Der Unterricht kann den Kindern Schwangerschaft, Geburt und Stillen als etwas Normales nahebringen und verdeutlichen, dass jede Frau gebären kann (Koschinski-Möller et.al., 2008). Als Effekte zeigten sich bei Grundschulkindern im Rahmen einer Untersuchung von Hebammenunterricht in Kassel, dass die Angst vor einer Schwangerschaft im Erwachsenenalter abnahm und das Wissen in den behandelten Themen zunahm (Pflanz, 2014).

 

 

Gesundheitsförderlicher Beitrag durch Hebammen an Schulen

Grafik: © Karoline Lautz

 

 

Gesundheitsförderlicher Effekt

 

Betrachtet man die Auswirkungen des Unterrichts unter dem Aspekt der Gesundheitsförderung, zeigen sich ebenfalls positive Ergebnisse. Durch den Hebammenunterricht entsteht eine positive emotionale Verbindung zum behandelten Themenkomplex, die die Kinder unter anderem darin bestärkt, an sich, ihren Körper und die Individualität jedes Menschen zu glauben, und die ihnen die Angst vor einer Schwangerschaft nimmt (Pflanz, 2014).

Durch dieses Empowerment wird die salutogenetische Perspektive mit Konzentration auf Kompetenzen und Ressourcen gefördert. Die Kinder können Ressourcen und Wissen erwerben, auf die sie in ihrer eigenen reproduktiven Phase potenziell zurückgreifen können. Der Hebammenunterricht realisiert eine aktive Teilhabe der Lernenden durch viele aktive Elemente, wodurch die Kinder im Spiel Selbstwirksamkeit erfahren, was ihre Gesundheit stärkt.

Durch die Konzentration auf die Physiologie und das Positive der hebammenbezogenen Themen im Rahmen der sexuellen Bildung wird eine positive Einstellung zu Sexualität gefördert, was laut WHO eine Voraussetzung für sexuelle Gesundheit ist (WHO, o.J.). Darüber hinaus erfahren die Kinder die Hebamme als Fachkraft und lernen, dass sie als Anlaufstelle bei Fragen zur Verfügung steht. Die gute Qualität von Hebammenunterricht an Schulen zeigt sich bei Anwendung der Good Practice-Kriterien (siehe Abbildung).

 

Umsetzung: Hürden und Initiativen

 

Als Hürden werden vor allem mangelnde finanzielle und personelle Ressourcen angeführt (Koschinski-Möller et. al., 2008). In Deutschland herrscht ein Hebammenmangel, der es erschwert, Hebammen neben ihrer originären Tätigkeit mit einer ohnehin schon hohen Arbeitsbelastung noch für den Unterricht zu begeistern. Darüber hinaus ist der Zugang zu den Schulen nicht überall niedrigschwellig und die Etablierung des Unterrichts gestaltet sich teilweise schwierig. So ist es denkbar, dass eine engagierte Hebamme zu Beginn Geld und unbezahlte Zeit in die Vorbereitung eines Unterrichtskonzepts und den Besuch einer Fortbildung investieren muss. Auch die Finanzierung des Unterrichts muss immer wieder neu verhandelt werden, da es bisher keine überregionale Regelung für die Vergütung gibt. Denkbar wäre hier neben schulinternen Lösungen, wie einem individuellen Beitrag, einer Klassenkasse oder einem Förderverein, auch eine Finanzierung über einen in der Gesundheitsbildung tätigen Träger oder Stiftungen (DHV, 2010). All diese Lösungen erscheinen regional unterschiedlich und mit verschieden hohem Aufwand verbunden. Ein weiterer möglicher Weg, den Zugang zu den Schulen zu erleichtern, wäre die Kooperation mit regional etablierten gesundheitsbildenden Akteur:innen. Hier darf es jedoch nicht um einen Wettbewerb gehen. Durch Kooperationen könnten die Angebote für die Schüler:innen erweitert und Bedarfe besser abgedeckt werden.

Auch der Deutsche Hebammenverband ist interessiert an der weiteren Etablierung des Hebammenunterrichts an allgemeinbildenden Schulen. Aktuell beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe mit der Neuauflage der Fortbildung »Hebammen an Schulen«. Das Projekt soll weiter gefördert werden.

 

Rubrik: Ausgabe 02/2023

Vom: 25.01.2023