Aus der Tabuzone holen

  • Katja Baumgarten, Hebamme, Filmemacherin und Redakteurin der DHZ: »Psychisch erkrankten Müttern kann die Scham zum Verhängnis werden.«

  • Kürzlich erzählte mir eine Freundin – eine belastbare Familienmutter und Ärztin – wie sie einmal mit ihrer privaten Krankenversicherung
    telefoniert hatte. »Wir versichern doch kein brennendes Haus!«, begründete ein Mitarbeiter am anderen Ende salopp, warum ihr Wunsch nach einem günstigeren Tarif abgelehnt worden war. Irgendwann Jahre zuvor hatte sie Psychotherapie in Anspruch genommen. Noch heute stecke ihr diese Demütigung in den Knochen.

    Situationen wie diese tragen dazu bei, psychische Erkrankungen zum Tabu zu machen. Müttern in seelischen Krisen kann die Scham, nicht dem landläufigen Bild der glücklichen Mutter zu entsprechen, zum Verhängnis werden. Die Dunkelziffer betroffener Frauen, deren Krankheit nicht oder nicht frühzeitig erkannt wird, ist enorm. Dramatisch können die Folgen sein, wenn Hilfe zu lange ausbleibt. Suizid gehört zu den häufigsten Gründen für Müttersterblichkeit in westlichen Ländern. Eine seelisch kranke Mutter kann durch rechtzeitige Therapie vor einer Ausweitung ihrer Erkrankung bewahrt und ein ganzes Familiengefüge wieder stabilisiert werden. Ihrem Kind wird damit viel Not im weiteren Leben durch einen wenig glücklichen Bindungsaufbau am Anfang erspart.

    Hebammen sitzen hier in einer Schlüsselposition, frühzeitig Hilfe anzubahnen. Doch auch sie erkennen häufig nicht die feinen Signale oder vermeiden ein klares, offenes Wort – vielleicht aus Sorge, die betreute Frau selbst mit vermeintlicher Stigmatisierung zu belasten – und werden damit auch zu Akteurinnen in dieser Tabuzone.

    Die Tagung »Psychische Erkrankungen in Schwangerschaft und nach der Geburt« im vergangenen Jahr in Bern (siehe DHZ 4/16) hat mir den Anstoß gegeben, dieses hochrelevante, vernachlässigte Thema der Müttergesundheit wieder aufzugreifen. Die Hebamme und Pflegewissenschaftlerin Eva Cignacco und ihr Team hatten unterschiedliche Disziplinen zusammengebracht. Besonders beeindruckt war ich von der Aufbruchsstimmung und wie emotional aufgeladen eine wissenschaftliche Tagung sein kann: Durch die verschiedenen Blickwinkel der Fachleute, die ihr Wissen hier teilten, potenzierte sich die Empfindung für die oft unerkannte Not und den enormen Handlungsbedarf einerseits und die große Chance für Familien andererseits, wenn frühzeitige Hilfe und Heilung möglich wird. Nur mit gebündelten Kräften in einem tragfähigen Netz kann es gelingen, den Frauen rechtzeitig zur Seite zu stehen – und durch eine offene gesellschaftliche Diskussion. Es sind die Fachleute, die den Stein ins Rollen bringen müssen.

    Katja Baumgarten