Eine normale Geburt

  • Katja Baumgarten, Hebamme, Filmemacherin und Redakteurin: »Mich zur Welt zu bringen, war für meine Mutter etwas aus allem Herausragendes und doch etwas ganz Normales, das nicht in Zweifel stand.«

  • Als ich klein war, hat mir meine Mutter zu meinem Geburtstag und auch sonst manchmal ausführlich von meiner Geburt erzählt. Von meinem Lebensanfang hatte ich immer ein lebendiges Bild vor Augen: Wie sie mich durch die Schwangerschaft getragen und wie sie das Abenteuer, mich zur Welt zu bringen, aus eigener Kraft gemeistert hatte, bis ich glücklich angekommen war. Schon als junges Mädchen hatte sie alles Nötige über das Kinderkriegen gewusst: Meine Mutter hatte das eigentlich geheime Gesundheitsbuch ihrer Mutter immer mal wieder gekapert und darin einiges gelesen, worüber in den 1940er Jahren in der Familie nicht gesprochen wurde.

    Als sie mit 25 Jahren ungeplant schwanger geworden war, war sie, wie damals üblich, dreimal bei ihrer älteren, mütterlich-herzlichen Frauenärztin gewesen – einmal zum Bestätigen, dass sie schwanger war, dann in der Mitte der Schwangerschaft und schließlich wenige Wochen vor der Geburt. Hebammenbetreuung hatte sie keine, und sie war die erste in ihrem Freundinnenkreis, die Mutter wurde. In einem Schwangerschaftsgymnastik-Kurs hatte sie die Atemtechnik für die Geburt nach Grantly Dick-Read erlernt, der letzte Schrei vor 60 Jahren. Vor der Geburt hatte sie keine Angst und zu ihren Schilderungen gehörte, wie sie sich mit Wehenbeginn nachts um drei, noch die Füße gewaschen hatte – meine Eltern steckten mitten im Umzug, hochschwanger schlief sie auf einer Matratze am Boden.

    Bei meiner Geburt war sie auf sich allein gestellt im Gebärraum einer kleinen Klinik: Mein Vater durfte nicht dabei sein und die Hebamme kam nur selten, um nach dem Rechten zu schauen. Gegen ihre Rückenschmerzen hätte sie eine Hand im Kreuz gebrauchen können, die gab es nicht. Aber die Wehen hat sie dennoch versunken, konzentriert auf die erlernte Atmung bewältigt. Es war eine zügige Geburt, vor Sonnenaufgang war ich auf der Welt. Erst ganz zum Schluss waren Hebamme und Belegärztin dazu gekommen.

    Später kannte ich mehr Details, physiologisch war meine Geburt am Ende nicht gewesen: Es hatte einen Dammschnitt gegeben und das Powerpressen, zu dem sie angefeuert worden war, hatte daraus einen Dammriss vierten Grades gemacht. Auch darüber hat meine Mutter gesprochen – wenn ich mehr wissen wollte, auch detaillierter – als habe ihr das alles trotz vorübergehender Einschränkungen nicht wirklich ein Härchen gekrümmt. Mich zur Welt zu bringen, war ihre Meisterschaft gewesen – etwas aus allem Herausragendes und doch etwas ganz Normales, das nicht in Zweifel stand. Als Kind und Heranwachsende hatte ich meine Mutter bei dieser Arbeit als starke Frau vor Augen, die das Wissen und das Handwerkszeug dafür in sich trug und mir weitergab. Vermutlich hätte ihr eine umfassende, achtsame Hebammenbetreuung nach heutigen Konzepten gut getan. Ihr gesunder Menschenverstand, ihr Freiraum für die erlebte Autonomie und ihr Hochgefühl über ihr eigenes Vermögen waren vielleicht eine Wurzel für ihre Unerschütterlichkeit, mit der sie nicht nur der Geburtshilfe der 50er, 60er Jahre standhalten konnte, sondern auch allen Herausforderungen in ihrem weiteren Leben.