Immer im Kreis

  • Sie sind aus knallrotem Stoff genäht und in einer Zelle mit Maschendraht eingesperrt: Drei Köpfe auf einem Hals, mit zum Schrei aufgerissenen Mündern. Schmerz pur. Es ist eine der bizarren Zellen der international hochgeschätzten Künstlerin Louise Bourgeois, die 2010 verstarb. Findet sich jemand, der den stummen Schreien zuhört? Nach der Ursache des Schmerzes und seiner Beschaffenheit fragt? Die Situation ändert? Die Künstlerin hat in sich hinein gehorcht, um zu verstehen, und erklärte: „Die Zellen repräsentieren verschiedene Arten von Schmerz: physischen, emotionalen, psychologischen, geistigen und intellektuellen Schmerz. Dabei ist jedoch die Frage: Wann wird eine Emotion physisch? Wann wird das Physische emotional? Es geht immer im Kreis."

    Bourgeois bringt die Verschränkung von Soma und Psyche auf den Punkt. Denn diese sind tatsächlich über Regelkreise miteinander verbunden: Botenstoffe des Nervensystems wirken beispielsweise auf das Immunsystem und anders herum genauso. Die Schnittstellen sind in dem Fall Hirnanhangdrüse, Nebennieren und Immunzellen. Häufig ist es schwierig herauszufinden, wo Störungen in diesen Regelkreisen ihren Anfang nahmen. Man muss genau hinschauen. Hyperemesis gravidarum, Gestationshypertonie, protrahierter Geburtsverlauf, Stillschwierigkeiten oder andere Erkrankungen rund um die Geburt verweisen auf solche gestörten Wechselwirkungen zwischen seelischen, psychosozialen und körperlichen Prozessen. Hinter manch einer Wochenbettdepression steckt vielleicht zwar kein unbewältigtes psychisches Trauma, sondern die Schilddrüsenerkrankung Hashimoto-Thyreoiditis. Jedoch kann auch psychischer Stress so eine Schilddrüsenfehlfunktion hervorrufen. Nicht immer gelingt es, Auslöser eindeutig Soma oder Psyche zuzuschreiben.

    Die psychosomatische Medizin existiert seit 1935 als eigenes Fach. Immer mehr Spezialdisziplinen tun sich hier auf, wie die Psychoneuroimmunologie. Die geburtshilfliche Ausrichtung könnte von Hebammen genauer mitgestaltet werden. Erste spezifische Fortbildungen gibt es bereits. Ihre Inhalte sind Gesprächstechniken, Spiegelung, Wertschätzung und Achtsamkeit sowie Bewältigungsstrategien. Gelernt werden kann das Zuhören mit den richtigen Ohren, wie der Psychologe Ferdinand Schulz von Thun sie definiert hat: mit den Sach-Ohren, Selbstoffenbarungs-Ohren, Beziehungs-Ohren und Appell-Ohren. Der neue Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG), Dr. Wolf Lütje, betont: „Zuhören gelingt nur demjenigen, der sein Ohr auch in sich selbst hinein richtet und dadurch seine eigene Geschichte und seine Geschichten kennt." Auch hilfreich für das psychosomatische Wirken: Gespräche in Balintgruppen, bei denen man reflektierend und zuhörend in einem Kreis sitzt.