Industrielle Welt

  • Birgit Heimbach vor der Skulptur „Figur des Ungeborenen“ (1995) von Bruno Gironcoli

  • Es heißt, die Wissensgesellschaft habe unsere Industriegesellschaft abgelöst. Aber in Krankenhäusern lebt nun die alte Epoche neu auf: „Industrieerprobte Verfahren" will man etwa im Klinikum Aachen umsetzen, denn eine Klinik sei wirtschaftlich kaum anders als ein Industriebetrieb. Und die Rhön-Klinikum AG entwarf einen „industrialisierten Ansatz" mit „personenbezogenen Beratern", „Spezialisten", „Systembetreuern" und „Beratungsspezialisten". Der Arbeitswissenschaftler Prof. Dr. Gerd Wobbe definierte bereits 1978 das Krankenhaus als eine Art Industriebetrieb – aufgrund der Faktoren Leistung, Transformation und Wirtschaftlichkeit. Aber der Arbeitsgegenstand sei kein Objekt, sondern ein Subjekt – auch wenn oft in einen Objektstatus gedrängt. Zementieren die neuen Reformen diesen Status nun – durch weitere Schematisierung, Technisierung und Ökonomisierung? In der Uniklinik Dresden deklariert man den Patienten bereits als „externen Produktionsfaktor". Martin Grauduszus, Präsident der Freien Ärzteschaft, wettert: „Die Krankenversorgung wird durch die Industrialisierung des Gesundheitswesens nicht nur entmenschlicht, sondern auch teuer, gefährlich und ungesund". Es werde ein virtueller und elektronischer Patientenkörper für die Behandlung am Fließband geschaffen.

    Immerhin billigt man dem Patienten einen Kundenstatus zu. Wie etwa in den Kreiskliniken Berchtesgadener Land, die auch „ wie ein Industriebetrieb denken" lernen wollen: „Ohne Qualität keine Kunden, ohne Kunden kein Umsatz und keine vernünftigen Zahlen. Das Letzte, woran wir sparen dürfen, ist die Qualität der Behandlung." Gesundheit als Ware? Kommerzielle Interessen allein sind auf Dauer nicht erfolgreich, erklären Reformgegner. Sie befürchten, dass die Ökonomisierung, die für viele der rund 2.100 deutschen Kliniken das Aus bedeutet, in einer humanistischen Sackgasse endet. Dabei könnten Krankenhäuser Gestalter einer humanen Gesellschaft sein, meint Prof. Dr. Klaus Diethart Hüllemann vom Deutschen Netz Gesundheitsfördernder Krankenhäuser: etwa als „Healing Hospital", das bereits durch Bau und Gestaltung mit heilt. Doch die Industrialisierung tut sich auch optisch kund: Viele Kliniken ähneln bereits Fabriken. Die viele Technik wird wohl noch ergänzt durch Pflegeroboter, wie Riman oder Care-O-bot: anpackende Humanoide mit Kameraaugen.

    Bruno Gironcoli (siehe Kulturteil) hat künstlerisch visualisiert, wie das Industriezeitalter den Menschen in seinen Eigenschaften Maschinen angenähert hat. Und von dieser Kultur der Abwertung müssen wir wegkommen, rät Dr. Charles M. Savage, Präsident von Knowledge Era Enterprises, Boston, USA. Humanität sei nötig: Der Mensch gehöre als soziales Wesen in den Mittelpunkt des Wissenszeitalters. Hebammen – früher die „wissenden Frauen" genannt – sollten bei einer Neuorientierung der Werte mithelfen. Dafür möchte dieses Heft sogenanntes „Orientierungswissen" vermitteln.