Keine Einheitsgröße

  • Birgit Heimbach, Hebamme und Redakteurin der DHZ: »In diesem Punkt hilft sich die Natur selbst: Das Platzangebot im Uterus beeinflusst das zum mütterlichen Körper passende Wachstum des Kindes.«

  • Adipositas ist endemisch geworden – bereits pränatal. 10,4 % der Kinder in Deutschland wiegen bei ihrer Geburt über 4.000 g. Als Large for Gestational Age (LGA) wiegen sie damit mehr als mindestens 90 % ihrer Altersgenossen. Dieser Cut-off-Wert der 90. Perzentile wurde in den 1960er Jahren definiert. Theoretisch liegt es nahe, dass er gesenkt werden müsste. Denn fetales Übergewicht tritt immer häufiger unterhalb der 90. Perzentile auf. Hauptgrund: ein »Overfeeding« im Mutterleib.

    Auch wenn Hyperinsulinismus ein Zuviel an subkutanem Fettgewebe verursacht, weil die Mutter Diabetes hat, liegt dies meist an Überernährung. Dr. Wolf Lütje, bis Ende Februar 2023 Chef der Geburtshilfe im Amalie-Sieveking-Krankenhaus in Hamburg: »Unsere metabolisch gierige Lebensweise hinterlässt ihre Spuren.«

    Gerade bei großen Feten lässt sich das tatsächliche Gewicht zum E.T. hin schlecht ermitteln. Aus Angst vor Geburtskomplikationen fällt die Wahl dann oft auf eine Sectio. Laut Anthroplog:innen gibt es dadurch keinen Evolutionsdruck mehr, dass sich Becken oder Beckenboden anpassen. Dies könnte bedeuten, dass zukünftig eine natürliche Geburt immer schwieriger wird.

    Allerdings: Laut dem Wachstumsforscher PD Dr. Manfred Voigt gab es in den letzten Jahrzehnten Veränderungen von Größe und Gewicht der Mütter. Das habe Einfluss auf die Perzentilen der Gesamtpopulation. Mit Blick auf die veränderte weibliche Anthropometrie erarbeitete Voigt individualisierte Perzentilen für das Geburtsgewicht, basierend auf sechs Körperhöhen mit je drei Gewichtsgruppen der Mütter. Die derzeitigen Grenzwerte für LGA sollten entsprechend angepasst werden, wenn eine bessere Vorhersagbarkeit des perinatalen und postnatalen Risikos durch die Verwendung dieser Perzentilen-Tabellen belegt sind, erläutert Voigt.

    Das Gewicht der Mutter zum Beginn der Schwangerschaftswoche steht mit dem Geburtsgewicht in Beziehung. Dabei gilt auch: Je älter eine Frau, desto schwerer ist sie – und dann meist auch das Kind. Die mütterliche Größe ist weitgehend proportional mit dem fetalen Gewicht assoziiert. In diesem Punkt hilft sich die Natur selbst: Das Platzangebot im Uterus beeinflusst das zum mütterlichen Körper passende Wachstum des Kindes. Aber auch maternale, plazentare und fetale Hormone steuern das Wachstum des Kindes.

    PD Dr. Niels Rochow, Neonatologe am Klinikum Nürnberg hält die neuen Perzentilkurven für sinnvoll, da sie auf mütterlichen Daten und nicht auf regionalen oder ethnischen Besonderheiten basieren. Sie können Sorgen ersparen, ist er sich sicher. Auch die Definition vom American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG), die Makrosomie erst ab einem Geburtsgewicht von über 4.500 g definiert, könnte alle entspannen. Dann würde der 90. Perzentilwert auch wieder besser passen. Voigts Daten sind bereits Grundlage für ein neues kostenloses Online-Tool zur schnellen Berechnung der individualisierten Perzentilen für Geburtsgewicht, Länge und Kopfumfang. Obwohl kein Einheitsmaß (One size fits all) gilt, ist ein Overfeeding dringend zu vermeiden.