Keine Sicherheit ohne Restrisiko

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  • „Sie sind eine potenzielle Mörderin!“ Mit Sätzen wie diesem wurde mir vor fast 30 Jahren von einzelnen Frauenärzten der Beginn meiner Arbeit als freie Hebamme für Hausgeburten „gewürzt“. Umso mehr hatte ich mir über die Sicherheitskultur guter Hausgeburtshilfe im Klaren zu sein: Ein umfassendes Risikomanagement war mir und den meisten meiner Kolleginnen schon zu einer Zeit selbstverständlich, als wir das Wort dafür noch nicht verwendeten. Eine sichere Geburt ohne Schaden für Mutter und Kind ist das Qualitätsziel aller GeburtshelferInnen, unabhängig vom Geburtsort.

    Die Diskussion um die Sicherheit des Geburtsortes wird seit Jahrzehnten emotional, oft irrational aufgeladen geführt. Was als sicher, was als riskant empfunden wird ist häufig eine individuelle Einschätzung, je nach Erfahrungshorizont. Wo Angst oder Unkenntnis im Spiel sind, fehlt oft eine sachliche Analyse. Ob ein „Restrisiko“ in Verzögerungen durch Transportwege im Notfall gesehen wird, in Infektionen durch multiresistente Keime, in Folgen von forcierten geburtshilflichen Eingriffen oder Fehlern durch Organisationsmängel – jedes Paar wägt ab, womit es leben kann. Wo Stärken eines Geburtsortes liegen, finden sich auch seine Schwächen. Am anderen Ort wären sie anders gelagert.

    Nicht nur für Mutter und Kind, auch aus Selbstschutz war mir Risikomanagement von Anfang an wichtig: Ich hatte den Fall meiner Vorgängerin vor Augen. Nach über 40 Jahren Berufstätigkeit, in denen sie nie ein Kind zu Hause „verloren“ hatte, waren „ihr“ innerhalb eines Monats zwei Kinder gestorben. Sie waren leblos zur Welt gekommen und sie hatte sie nicht hatte reanimieren können. Ein jahrelanger Prozess folgte; sie erhielt vorläufiges Berufsverbot. Als sie mit 67 Jahren schließlich freigesprochen wurde, hatte sie das Rentenalter überschritten. Ein bitterer Abgang nach über 3.000 Geburten.

    Wenn Hebammen in einen Schadensfall bei einer außerklinischen Geburt verwickelt sind, stehen sie ohne schützende Institution da. Eine Schwierigkeit ist dabei, dass Gutachter in der Regel ärztliche Geburtshelfer aus Universitätskliniken sind. Es dürfte schwer fallen, die unterschiedlichen Sicherheits- und Risikofaktoren sowie Arbeitsweisen angemessen zu bewerten. Ein neutraler Blick aus dem eigenen System heraus, ohne je das andere System kennengelernt zu haben, dürfte für jeden Gutachter eine Herausforderung sein. Man darf gespannt sein, wie dies aktuell im Fall einer Kollegin gelingen wird, die am Landgericht Dortmund des Totschlags angeklagt ist, weil ein Kind bei einer außerklinischen Geburt gestorben ist.