Stillen: Ihr Körper, Ihre Entscheidung und Ihre Verantwortung

  • Wenn Stillen das Recht jeder Mutter ist, ist es dann auch ihre Pflicht? Bieten wir Hebammen Stillen im Rahmen einer informierten Entscheidung als Option an? Oder setzen wir es voraus, so wie die Tatsache, dass die Frau die Schwangerschaft austragen muss, um ein Kind zu bekommen? Die World Alliance for Breastfeeding Advocacy (WABA) hat sich eine Welt zum Ziel gesetzt, in der Stillen zur kulturellen Norm erhoben wird.

    Das würde aber bedeuten, dass es nicht mehr die persönliche Entscheidung der Frau wäre, ob sie stillt oder nicht. Im gleichen Maß, wie sich auf der einen Seite Mütter für Langzeitstillen entscheiden, für Stillen in der Öffentlichkeit stark machen, die Vereinbarkeit von Job und Stillen suchen, wächst auf der anderen Seite der Widerstand dagegen, dass nur stillende Mütter gute Mütter sein könnten. Und dagegen, dass nicht stillende Mütter ihre Kinder mit Formula willentlich schädigen oder zumindest die bekannten Risiken wie Asthma, Übergewicht oder Intelligenzminderung billigend in Kauf nehmen würden. Womit müssen sich Hebammen und Eltern auseinandersetzen, wenn in einem Artikel des renommierten Wissenschaftsjournals Pediatrics davon abgeraten wird, Stillen als „natürlich“ zu bezeichnen, weil es dazu führen könnte, „natürlich immer als gesünder und besser anzusehen“?

    Kein biologischer Prozess arbeitet garantiert fehlerfrei. Bei allen Schwangerschaften gibt es eine Fehlgeburtsrate von 20 Prozent. Es sind viel weniger Frauen – nur etwa zehn Prozent – die nicht anfangen zu stillen. Und: Die international veröffentlichten Zahlen, dass Stillen 820.000 Babys und 20.000 Müttern jährlich das Leben retten könnte, gehen am Alltag der Frauen in Deutschland vorbei. Globale Aussagen motivieren hier vermutlich keine einzige Mutter dazu, ihr Kind zu stillen.

    Stillen sei das Fundament der Gesellschaft eines Landes und nicht nur ein Eckstein der gesunden Entwicklung eines Kindes, war Anfang August das Motto der World Breastfeeding Week. Damit wird den jungen Müttern eine Last aufgebürdet, gegen die sich Frauen zu Recht wehren.

    Im Vergleich zu anderen Ländern bietet Deutschland die einzigartige Möglichkeit, Frauen durch Hebammen intensiv beim Stillen zu unterstützen. Es ist viel leichter mit einem „personal trainer“ die kleinen Stillkrisen zu meistern, die sich in den Weg schieben. Denn Stillen ist mehr als Brustfütterung. Stillen muss in das neugeordnete Familiensystem integriert werden und erfordert ein Zeitmanagement. Es muss die Bedürfnisse der Mutter und anderer Familienmitglieder berücksichtigen. Ein Plakatspruch bringt die berechtigten Ansprüche der Mütter auf den Punkt: „Informiert über meine Optionen – respektiert auf meinem Weg – unterstützt in meinen Entscheidungen“.

    Als Hebammen tun wir gut daran, die Kompetenz der Mütter zu stärken, ohne die Gesundheit der Kinder aus den Augen zu verlieren. Doch Hebammen tragen nicht die Verantwortung für die Wahl der Ernährungsform der Neugeborenen. Es entscheidet immer die Mutter.