Wehret den Anfängen!

  • Dauerhaft und nachhaltig verfolgt uns weltweit das Thema Kaiserschnitt. Es ist eines der dominierenden Probleme der derzeitigen Geburtshilfe, die einen dringenden Wandel erfordern. Denn auch wenn bereits viele Fakten über die negativen Konsequenzen für die Mütter- und Kindergesundheit bekannt sind, zeigen die Zahlen, dass wir nicht von einem entscheidenden Wendepunkt sprechen können.

    In den vergangenen Jahren gab es viele Studien zu den Ursachen der steigenden Sectioraten. Ein wichtiges Ergebnis: Es sind vor allem die Kulturen und Haltungen der ExpertInnen in den einzelnen Institutionen, die bestimmen, unter welchen Bedingungen die Indikation für eine Sectio gestellt wird. Das bedeutet auch, dass die Verantwortung dafür alle Mitarbeitenden einer geburtshilflichen Abteilung betrifft. Die Studienergebnisse zeigen auch, dass hier umfassende systemische Lösungsansätze gefragt sind.

    Wie weitreichend die Folgen eines Kaiserschnitts das Leben beeinträchtigen können, erfahren wir aus Berichten von Frauen, die durch einen sogenannten Notkaiserschnitt traumatisiert wurden. Es sind Frauen, deren körperliche und psychische Grenzen massiv verletzt wurden. Nicht nur, weil sie die Entscheidung nicht nachvollziehen konnten, sondern auch, weil sie sich als Person nicht geachtet fühlten. Das Gefühl, „verloren zu sein" – das Erleben eines massiven Kontrollverlustes – ist nachhaltig gesundheitsschädigend, insbesondere für Frauen, die bereits traumatisiert waren. Und das sind nicht wenige. Mit den Folgen einer posttraumatischen Belastungsstörung haben Frauen oft noch jahrelang zu kämpfen. Nicht selten zerbrechen Partnerschaften daran und ein weiterer Kinderwunsch wird ad acta gelegt. Keiner möchte ihre traurigen Geschichten hören, auch den Hebammen ist das manchmal zu viel. Dabei sollte das Recht auf ein Nachgeburtsgespräch mit den Beteiligten ein Mindeststandard für die Qualität einer Abteilung sein.

    Wehret den Anfängen – die erste Sectio vermeiden – ist deshalb die Botschaft der WHO, die nun ein neues Klassifikationssystem entwickelt hat, das in allen Ländern eingesetzt werden kann. Es soll sowohl der fundierten Rechtfertigung einer Sectio im jeweiligen Land dienen als auch die Sectioraten einzelner Länder vergleichbar machen. Diese starke Botschaft macht Mut, ebenso wie die Tatsache, dass in Deutschland dank des unermüdlichen Einsatzes des Arbeitskreises Frauengesundheit nun eine S3-Leitlinie zum Kaiserschnitt entwickelt wird. Beeindruckend ist, welche Kraft Frauen entwickeln, wenn sie sich auf den Weg machen und die Energien aus dieser Verletzung umwandeln, wie die Hamburgerin Mascha Grieschat, die ihr Engagement gegen Gewalt in der Geburtshilfe als frauenpolitische Aufgabe begreift. Mit ihrer Webseite www.gerechte-geburt.de stellt sie ein engagiertes Forum für Information und Vernetzung zur Verfügung.

    Wir brauchen die gemeinsame Initiative aller Beteiligten. Hier sind lokale Bündnisse wie in Bremen ein vielversprechender Weg: Eltern, ExpertInnen und PolitikerInnen arbeiten zusammen, damit das Gebären als nachhaltig kraftvolle und die Gesundheit stärkende Erfahrung erlebt werden kann.