Wertschätzung und Selbstführung

  • Die Situation der angestellten Hebammen hat sich weiter verschärft, die Arbeitsbelastung ist enorm. Susanne Steppat vom Deutschen Hebammenverband (DHV) rät, sich gegenüber der Geschäftsleitung zu verbünden: „Beachten Sie die Hierarchien und planen Sie strategisch. Seien Sie kreativ und visionär.“ Der DHV könne nicht zum Streik aufrufen, denn dieser sei nur erlaubt, wenn er von einer Gewerkschaft getragen wird, in dem Fall die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di). Aber manche Hebammen haben bereits die Idee zu einer eigenen Gewerkschaft. Dr. med. Hans-Christoph Kühnau, Betriebsratsvorsitzender einer großen privatisierten Hamburger Klinik, rät zum Engagement im Betriebsrat, wo man hierarchiefrei, auf gleicher Ebene mit Vorgesetzten und Arbeitgeber agieren könne. Eine ganz andere Kommunikation sei möglich, aber auch Durchsetzungskraft gefordert. Kühnau: „Die meisten Direktorien sind hervorragend geschult und streben ohne Rücksicht wirtschaftlichen Erfolg an.“ Er kämpft für eine Verbesserung des Lebensarbeitsplatzes Krankenhaus mit mehr Wertschätzung.

    „Menschen wollen wirksam sein“, betont die Hebamme Margarita Klein angesichts der schwierigen Arbeitssituation vieler Hebammen. „Aufgaben erfolgreich bewältigen, etwas Gutes, Sichtbares schaffen, soziale Anerkennung finden, Anstrengung und Erholung in Balance bringen.“

    Wie wichtig Wertschätzung ist, erläutert in dieser Ausgabe auch Dr. med. Heide Otten, ehemalige Präsidentin der Internationalen Balint Föderation: „Eine einfühlsame Teamleitung mit der Fähigkeit zu kritischer Betrachtung ist gefragt. Die Mitglieder des Teams möchten sich anvertrauen können, unterstützt fühlen, ihren Horizont erweitern, von den anderen KollegInnen profitieren.“ In einer Zeit, in der der Narzissmus zugenommen habe und jeder einzelne um persönlichen Erfolg kämpfe, sei Gemeinschaftssinn immer seltener zu finden und das Risiko für Burnout zusätzlich gestiegen. Und obwohl seit 1996 das Arbeitsschutzgesetz für eine „menschengerechte Arbeitsgestaltung“ gilt, formulierte es mal ein Richter so: „Suizid ist ein ganz normales Berufsrisiko im Krankenhaus.“

    Hebammen sollten genau hinschauen, wo sie arbeiten möchten, und auf einen guten Führungsstil achten. Nur wer sich selbst führen kann, könne andere führen, so der deutsche Benediktinerpater und Betriebswirtschaftler Anselm Grün. Es gibt Führungsstile, die von diesem Anspruch weit entfernt sind. In den 1950er Jahren teilte man sie ein in Stufen von autoritär über patriarchalisch, beratend, kooperativ und partizipativ bis hin zu demokratisch. Später gab es eine Einordnung in befehlend, visionär, gefühlsorientiert, demokratisch, leitungsorientiert oder beratend. Inzwischen gibt es noch fordernd und coachend. Überzeugend angesichts dieser verwirrenden Vielfalt klingt die dialogische Führung, entwickelt in den 1990er Jahren vom Friedrich von Hardenberg Institut für Kulturwissenschaften in Heidelberg: Es geht darum, wie man frei, aber am Ganzen orientiert wirksam werden kann. Führung soll dabei zur Selbstführung werden, der einzelne Mensch soll wirklich ernstgenommen und von den anderen in seiner Entwicklung gefördert werden.