"Zuckerharnuhr"

  • „… und ein süßer Honig floss wie Wasser von einem tiefen Tal auf einen hohen Berg; das waren seltsame Geschichten …“, heißt es bei den Gebrüdern Grimm im Märchen vom Schlaraffenland. Diabetes mellitus ist eine griechisch-lateinische Wortkombi-nation für mellitus: „honigsüß“ und altgriechisch diabainein: „hindurchfließen“.

    Bis heute stellt der Diabetes mellitus eine Sammelbezeichnung für verschiedene Stoffwechselstörungen dar, deren Leitsymptom die Überzuckerung des Blutes ist. Die Ausscheidung von Zucker im übermäßig ausgeschiedenen Urin führte auch zu der deutschen Bezeichnung Zuckerharnruhr.

    Im Schlaraffenland sei Genießen die größte Tugend der BewohnerInnen, harte Arbeit und Fleiß würden als Sünde betrachtet. Was in Zeiten bitterer Armut als paradiesisch erschien, ist in unserer Wohlstandsgesellschaft mithin trauriger Alltag geworden. Wir essen zu viel und bewegen uns zu wenig. Als Strafe für den Müßiggang steigen die Zahlen diabetischer Erkrankungen – nicht zuletzt in der Schwangerschaft – von 0,6 Prozent im Jahr 1960 auf heutige 5 Prozent. Tendenz steigend. Ja, auch schlanke Frauen können Diabetes bekommen, doch ist Übergewicht der größte Risikofaktor für Diabetes Typ II. Obwohl besser behandelbar als je zuvor, gilt Diabetes weltweit als eine der größten Herausforderungen der modernen Medizin.

    Ein grönländisches Sprichwort sagt: Eine Schwangere sollte nicht zu viel Speck essen, weil sie sonst riskiert, ein Kind mit zu viel Babyspeck zu gebären. „Mäßige dich für eine gute Geburt“, könnte die verkürzte Version lauten. Wird die Diagnose Diabetes erstmals in der Schwangerschaft gestellt, haben Frauen mit guter Betreuung realistische Chancen, diese Zeit hoher Motivation zu nutzen und ihre Ernährung vielleicht sogar langfristig umzustellen. Doch wie viele Kohlenhydrate werden in der Schwangerschaft wirklich gebraucht und wie kann eine Schwangere mit Sport ihr Risiko für einen Gestationsdiabetes senken?

    Es ist noch keine 100 Jahre her, dass Frauen mit Diabetes gar nicht schwanger werden konnten. Und keine 50 Jahre, dass die Kindersterblichkeit in diesem Fall noch bei über 20 Prozent lag. Die geburtshilflichen Gefahren sind heute nicht verschwunden, doch besser behandelbar. Manche Kollegin wird sich noch an „dicke Kinder“ im Kinderzimmer erinnern, die klaglos hypoglykämisch einschliefen und nie mehr erwachten. Oder an Frauen, denen plötzlich schwindelig wurde, weil sie vergessen hatten zu essen, und sich noch immer die gleiche hohe Dosis Insulin spritzten. Auch die Wundheilungsstörungen beeinträchtigen Wöchnerinnen mit abdominalen und perinealen Verletzungen länger als gesunde Frauen.

    Diabetes kann man nicht sehen und er tut nicht weh. Deshalb fällt es so schwer, ihn mit allen Anforderungen an die eigene Disziplin zu akzeptieren. Auch in der interprofessionellen Zusammenarbeit ist noch Luft nach oben.