Infantile Hämangiome

Blutschwamm behandeln?

Das Hämangiom, der sogenannte „Blutschwamm“ spielt in der alltäglichen Praxis der Hebammen und KinderärztInnen eine zunehmende Rolle. Eine Übersicht über die verschiedenen Arten und mögliche Therapien. PD Dr. med. Ingo Königs, Dr. med. Miriam Fattouh
  • Abbildung 1: Infantiles Hämangiom im Bereich der rechten Axilla bei einem vier Monate alten Säugling

  • Abbildung 2: Kutanes Hämangiom bei einem zwölf Monate alten Säugling mit Involutionszeichen

  • Abbildung 3: Gemischt infantiles Hämangiom mit einem deutlich subkutanen Anteil bei einem sechs Wochen alten Säugling im Bereich des rechten Fußrückens

  • Abbildung 4: Ulzeration bei einem sehr großen Hämangiom hochfrontal

  • Abbildung 5: Kongenitales Hämangiom (NICH) im Bereich des Unterschenkels bei einem vier Monate alten Säugling

  • Abbildung 6a: Männlicher Säugling mit einem gemischt kutan/subkutanen Hämagiom der Nasenspitze im Alter von vier Wochen

  • Abbildung 6b: Männlicher Säugling mit einem gemischt kutan/subkutanen Hämagiom der Nasenspitze mit sechs Wochen

  • Abbildung 6c: Männlicher Säugling mit einem gemischt kutan/subkutanen Hämagiom der Nasenspitze vier Wochen nach beginn der systematischen Propanolothearpie im dritten Lebensmonat

  • Abbildung 6d: Männlicher Säugling mit einem gemischt kutan/subkutanen Hämagiom der Nasenspitze fünf Monate nach Initiierung der systemischen Propanolotherapie. Man beachte das rasche Wachstum des Hämagioms innerhalb von vier Wochen mit Beginn der Deformation der Nase (a+b).

Mit einer perinatalen Gesamtinzidenz von 1 bis 2,6 Prozent sind Blutschwämme die häufigsten gutartigen Tumore im Kindesalter. Betrachtet man das ganze erste Lebensjahr, so treten sie etwa bei fünf Prozent der Säuglinge bis zum dritten Lebensmonat und bei bis zu zwölf Prozent bis zum zwölften Lebensmonat auf. Mädchen sind häufiger betroffen als Jungen und zwar im Verhältnis drei zu eins (Hoeger et al. 2015, AWMF 2015). Die Hauptrisikofaktoren, ein infantiles Hämangiom zu entwickeln, bestehen aus weiblichem Geschlecht, Frühgeburtlichkeit und einem geringen Geburtsgewicht unter 1.000 Gramm (Dickison et al. 2011, Munden et al. 2014). In mehreren Studien wurden ebenso ein erhöhtes Alter der Mutter, In-Vitro-Fertilisation, Präeklampsie und Plazentaabnormalitäten (beispielsweise Placenta praevia) als mögliche Risikofaktoren für die Entwicklung eines Hämangioms beim Kind determiniert (Munden et al. 2014; Haggstrom et al. 2007). Trotz der hohen Inzidenz ist die Pathophysiologie der Entstehung eines Hämangioms noch immer nicht vollständig geklärt. Wie alle vaskulären Tumore weisen auch Hämangiome einen erhöhten Zellumsatz – in diesem Falle Endothelzellen – auf.

 

Theorien der Pathophysiologie von Hämangiomen

 

Zurzeit werden drei Theorien zur Pathophysiologie von Hämangiomen favorisiert (Hoeger et al. 2015):

  1. Somatische Mutation endothelialer Stamm- und Vorläuferzellen und Veränderung zellulärer Signalwege:
    Hämangiomstammzellen (CD34+/CD133+ endotheliale Vorläuferzellen) differenzieren zu Glut-1 positiven Endothelzellen und während der weiteren Regression zu Adipozyten. Daher sind die Mediatoren von endothelialen Vorläuferzellen und verschiedenen Wachstumsfaktoren, die bei der Vaskulogenese eine Rolle spielen (beispielsweise Vascular endothelial growth factor VEGF-A), bei Kindern mit infantilen Hämangiomen erhöht.
  2. Plazentare Herkunft der Hämangiomzellen:
    Die typischen Marker, welche man immunhistochemisch in Hämangiomzellen findet (GLUT-1m Lewis Y, FcRIII, Merosin), sind denen in Plazentagewebe sehr ähnlich, so dass die Hypothese entstanden ist, dass es sich bei den Hämangiomzellen um versprengte Plazentazellen handeln könnte.
  3. Hypoxie induzierte Proliferation:
    Gewebshypoxie führt zur Proliferation vaskulärer Strukturen. Risikofaktoren wie Frühgeburtlichkeit, Plazentaabnormalitäten und geringes Geburtsgewicht, welche eine Hämangiomentstehung begünstigen können, können mit einer Hypoxie einhergehen.

 

Die Klassifikation

 

Hämangiome gehören gemäß der aktuellen ISSVA-Klassifikation (International Society for the Study of Vascular Anomalies) der Gruppe der vaskulären Tumore an und sind deren Hauptvertreter. Weiterführend unterscheidet man zwei Typen von Hämangiomen: die klassischen infantilen Hämangiome (IH) sowie die kongenitalen Hämangiome (KH). Die infantilen Hämangiome werden entsprechend ihrer Tiefe in kutane (also nur die Haut betreffende), subkutane (unter der Haut liegende) oder gemischte (sowohl kutan als auch subkutan gelegene) IH unterteilt. Zudem erfolgt die Einteilung bezüglich des Verteilungsmusters (lokalisiert, multifokal, segmental oder unbestimmt).

 

Entstehung und Lokalisation

 

Infantile Hämangiome manifestieren sich typischerweise in der ersten oder zweiten Lebenswoche und nicht später als in der zwölften Lebenswoche (Munden et al. 2014). In etwa 65 Prozent der Fälle sind bereits bei der Geburt sogenannte Vorläuferläsionen sichtbar, welche als weißlicher oder rötlicher Fleck oder als Teleangiektasie vorhanden sein können (Tollfson & Frieden 2012). Unter Teleangiektasien versteht man makroskopisch sichtbare Erweiterungen der oberflächlich gelegenen kleinsten Blutgefäße der Haut (Kapillaren) oder auch Schleimhaut. Daraus entwickelt sich dann in den ersten Lebenswochen das Erscheinungsbild des Hämangioms. Oberflächliche beziehungsweise kutane Hämangiome dringen maximal bis in die Dermis ein und sind erhaben und rot (siehe Abbildung 2). Tiefe beziehungsweise subkutane Hämangiome hingegen liegen in der tieferen Dermis, Subkutis oder sogar intramuskulär. Sie präsentieren sich eher als bläuliche Läsion und sind unscharf begrenzt (siehe Abbildung 3). Meistens werden sie erst in den ersten zwei bis drei Lebensmonaten entdeckt. Das infantile Hämangiom zeigt ein typisches Wachstumsverhalten. In den ersten drei bis vier Lebensmonaten zeigt es ein sehr rasches und exponentielles Wachstum (Proliferationsphase). Daran anschließend folgt das sogenannte „steady state", in dem es zu einem Wachstumsstopp und einer Stagnation kommt (Ruhephase). Diese kann oft bis zum zweiten Lebensjahr andauern. In dieser Ruhephase zeigt das Hämangiom keine Veränderung. Nach Abschluss dieser Ruhephase, welche unterschiedlich lang sein kann, tritt die Entwicklung des Hämangioms in eine neue Phase ein – die Involutionsphase. In dieser Phase kommt es zu einer spontanen Rückbildung des Hämangioms abhängig von seiner letztlichen Größe sowie der Lokalisation. Diese Involutionsphase kann Monate bis Jahre andauern (Dickison et al. 2011; Luu & Frieden 2013). Bei etwa der Hälfte der Kinder ist die spontane Rückbildung bis zum fünften Lebensjahr abgeschlossen. Die Regression ist dabei keineswegs stets komplett. Man findet bei etwa der Hälfte der Fälle auch nach Abschluss der spontanen Involution sichtbare Residuen in Form von Teleangiektasien, Hautüberschuss (je nach vorangegangener Ausdehnung des Hämangioms), überschüssigem Bindegewebe und Fettpolstern oder auch Narben, falls es vorangegangen zu Ulzerationen (tiefen Substanzdefekten) gekommen ist. Wenn sich das Hämangiom einmal spontan zurückgebildet hat, kommt es nicht erneut zu einem Wachstum. Jedoch muss man sagen, dass die Geschwindigkeit des Wachstums und das Ausmaß eines Hämangioms am Anfang nie ersichtlich sind. Daher sind gerade in den ersten Lebensmonaten engmaschige klinische Verlaufskontrollen sehr wichtig. Bei den meisten Hämangiomen handelt es sich um völlig harmlose, gutartige Läsionen. In ungefähr fünf bis zehn Prozent der Fälle können jedoch auch Komplikationen auftreten, die eine Therapie bedingen.

 

Ulzerationen

 

Die Ulzeration ist die häufigste Komplikation der infantilen Hämangiome und kommt bei etwa zehn Prozent vor (Chamlin et al. 2007). Stellen, an denen Hämangiome bevorzugt auftreten können, sind die Unterlippe, der Anogenitalbereich und der Nacken. Aber auch große oberflächliche, sehr stark proliferierende Hämangiome laufen Gefahr zu ulzerieren (siehe Abbildung 4). Die Ulzeration tritt typischerweise im dritten bis vierten Lebensmonat auf, als Folge des schnellen Wachstums während der Proliferationsphase. Folgen oder Risiken einer Ulzeration sind Blutung, Infektion, Schmerzen und Narben.

 

Funktionelle Einschränkung

 

Insbesondere Hämangiome im Gesicht können zu einer funktionellen Einschränkung führen. Beispielsweise können Hämangiome im Bereich des Augenlides oder der Periokkularregion zu einer Einschränkung des Sehvermögens, Schielen, Stabsichtigkeit oder Amblyopie (Schwachsichtigkeit) führen. Hämangiome im Bereich der Nase können eine behinderte Nasenatmung sowie auch eine Deformität der Nase bedingen. Insbesondere bei den sogenannten „Bart-Hämangiomen" besteht die Gefahr einer Einengung der Atemwege. Bei den Bart-Hämangiomen handelt es sich um Hämangiome im Bereich der Unterkiefer- und Halsregion, die nicht selten einen erheblichen unterhalb der Stimmritze gelegenen (subglottischen) Anteil besitzen und dieser wiederum zu eine lebensbedrohliche Einengung der Atemwege hervorrufen kann. Die Symptome sind typischerweise Stridor, Heiserkeit oder Zyanose. Hämangiome im Bereich der Lippe können die orale Nahrungsaufnahme beeinträchtigen. Im Nackenbereich können sie bei raschem Wachstum zu einer Bewegungseinschränkung führen mit nachfolgendem Schiefhals.

 

Infantile Hämangiome der Leber

 

Kinder mit multiplen Hämangiomen (> 5 (Horii et al. 2011) oder > 10 (Vredenborg et al. 2013), der sogenannten neonatalen Hämangiomatose, weisen ein erhöhtes Risiko für Hämangiome im Bereich anderer Organe, insbesondere der Leber auf. Daher sollte in diesem Fall unbedingt eine Sonografie des Bauchraumes erfolgen. Bei den Leberhämangiomen unterscheidet man eine fokale, multifokale oder diffuse Form. Die fokale Form ist meist asymptomatisch. In seltenen Fällen können multifokal hepatische Hämangiome aufgrund eines erhöhten kardialen Auswurfvolumens zu einem Herzversagen führen (Puttgen et al. 2012).

 

Kongenitale Hämangiome

 

Kongenitale Hämangiome sind im Unterschied zu den infantilen Hämangiomen bereits bei der Geburt voll ausgeprägt und sichtbar. Es findet kein weiteres Wachstum nach der Geburt statt. Sie können eine spontane Regredienz aufweisen. Entsprechend ihrer Wachstumstendenz werden sie in

  • schnell involutierende (RICH – rapid involuting congenital hemangioma)
  • nicht involutierende (NICH – non involuting congenital hemangioma/siehe Abbildung 5) und
  • teilweise involutierende kongenitale Hämangiome (PICH – partial involuting congenital hemangioma) eingeteilt.

Charakteristisch für alle kongenitalen Hämangiome ist eine erhabene Läsion, gräulich bis violett verfärbt mit Teleangiektasien. Häufig findet sich ein Halo (blasser Ring) um die Läsion. Die spontane Rückbildungstendenz eines RICH beginnt im Vergleich zu den klassischen infantilen Hämangiomen sehr früh, die komplette Rückbildung (Involution) ist etwa im Alter von 9 bis 14 Monaten erreicht. Ein NICH zeigt keinerlei Rückbildungstendenz, ein PICH eine unvollständige.

 

Die Diagnostik

 

In der Regel handelt es sich bei der Diagnosestellung klassischer infantiler Hämangiome um eine klinische Blickdiagnose. Bei ausgeprägten tiefen (subkutanen) Hämangiomen oder Hämangiomen im Bereich der Parotis oder Paratrachealregion ist eine Sonografie mit Farbdoppleruntersuchung hilfreich, um das Ausmaß des Hämangioms zu verifizieren. Eine Sonografie des Abdomens sollte bei Auftreten multipler Hämangiome erfolgen, um ein Hämangiom an den Organen, insbesondere der Leber, auszuschließen. Bei sonografisch nicht eindeutigem Befund, zur Abgrenzung anderer vaskulärer Tumore und Malformationen sowie zum Ausschluss syndromaler Malformationen ist eine MRT-Untersuchung indiziert. Dies gilt regelhaft bei PatientInnen mit segmentalen Hämangiomen des Gesichts- oder Halsbereichs. Hier ist bei Befall der Augenregion zudem eine augenärztliche Untersuchung indiziert.

Eine Echokardiografie sollte bei allen PatientInnen mit sehr großflächigen Hämangiomen erfolgen aufgrund des erhöhten Risikos, ein Herzversagen zu entwickeln. Bei einem segmentalen Hämangiom der unteren Gesichtshälfte sollte aufgrund der Gefahr der Mitbeteiligung der Atemwege bei entsprechendem Befund (beispielsweise Stridor) eine Bronchoskopie erfolgen. Eine Biopsie zur Diagnosesicherung bei infantilen Hämangiomen ist in der Regel nicht indiziert. Bei unklarer Abgrenzung zu anderen vaskulären Malformationen oder Tumoren kann eine Biopsie mit entsprechender immunhistochemischer Färbung die Diagnose sichern (infantile Hämangiome: GLUT-1 positiv; kongenitale Läsionen und zum Beispiel Kaposiformes Hämangioendotheliom: GLUT-1 negativ).

 

Die Therapie

 

Die Indikation zum aktiven therapeutischen Vorgehen muss individuell gestellt werden. In der Regel müssen kleine Hämangiome, die zu keinerlei Beeinträchtigung führen, nicht therapiert werden. Jedoch kommt es nicht selten vor, dass auch kleine Hämangiome an exponierten Stellen zu einer Stigmatisierung führen und so seitens der Eltern ein Therapiewunsch besteht. Letzten Endes muss stets eine genaue Aufklärung der Eltern über den Befund, den weiteren Verlauf und mögliche Therapieoptionen geführt werden. Indikationen für die Zuweisung in eine spezialisierte Klinik sollten in jedem Falle Hämangiome an potenziell gefährlichen Lokalisationen (periokkulär, Lippen, Nase, Bart-Hämangiome), großflächige Hämangiome, sehr rasches Wachstum, bereits vorhandene oder drohende Komplikationen (Ulzeration, Atemwegsprobleme) oder Unsicherheit in der Diagnose sein. Im besten Falle sollte die Zuweisung im Alter von circa vier Wochen erfolgen. Folgende Therapieziele entsprechend der aktuellen AWMF-Leitlinie für infantile Hämangiome sind zu erreichen:

  • Wachstumstopp des infantilen Hämangioms
  • beschleunigte Rückbildung bei großen infantilen Hämangiomen
  • Verhinderung oder Beseitigung funktioneller und ästhetischer Probleme (beispielsweise Auge, Atemwege, Visus, Gesicht)
  • gegebenenfalls beschleunigte Abheilung der Ulzeration.

Lange Zeit basierte das Management klassischer infantiler Hämangiome auf einer überlegten Kombination aus verschiedenen Therapieverfahren wie beispielsweise Lasertherapie, Chirurgie und gegebenenfalls medikamentöser Therapie. In den vergangenen Jahren kam es jedoch zu einer grundlegenden Wandlung des Therapieregimes. Seit der zufälligen Entdeckung ihrer hervorragenden Wirksamkeit stellen nicht kardioselektive Betablocker (Propanolol) die Therapie der Wahl da.

Kongenitale Hämangiome benötigen in der Regel keine Therapie, da kein Wachstum mehr stattfindet und ohnehin bei einem RICH eine sehr rasche Rückbildung eintritt. Jedoch sollten auch kongenitale Hämangiome im Verlauf kontrolliert werden, um Überreste in Folge einer unvollständigen oder ausbleibenden Regression zu evaluieren und gegebenenfalls chirurgisch zu entfernen.

 

Was ist Propanolol?

 

Propanolol ist ein Arzneimittelstoff aus der Substanzgruppe der Betablocker und wird unter anderem zur Therapie der arteriellen Hypertonie (Bluthochdruck), Herzinsuffizienz oder auch der koronaren Herzerkrankung eingesetzt. Propanolol gehört zu den nicht kardioselektiven Betablockern, die sowohl an ß1- als auch an ß2-Rezeptoren binden.

 

Ist Abwarten eine Option?

 

Auch die Entscheidung, keine Therapie einzuleiten, ist letzten Endes eine Therapie. Bei kleinen oder mittelflächigen Hämangiomen, welche zu keiner funktionellen oder ästhetischen Einschränkung führen, ist dies die „Therapie" der Wahl. Wenn der Arzt sich zu einem bestimmten Zeitpunkt gegen eine Behandlung oder Intervention entscheidet, bedeutet dies nicht zwingend, dass im gesamten klinischen Verlauf nicht doch noch eine Intervention nötig sein wird. Gerade bei sehr rasch proliferierenden Hämangiomen kann dies durchaus der Fall sein, da die Wachstumsschnelligkeit der einzelnen Hämangiome schwer vorauszusagen und nur mittels engmaschiger klinischer Kontrollen beurteilbar ist. Auch bei kleinen Hämangiomen in Pro­blemzonen (Anogenitalbereich, Auge, Lippe, Nase) können initial durchaus engmaschige klinische Kontrollen erfolgen. Falls sich jedoch in dieser Zeit ein objektiv dokumentiertes relevantes Wachstum zeigt, ist eine Therapie im Frühstadium indiziert. Bezüglich der Frequenz der klinischen Kontrollen gilt die Faustregel: Patientenalter in Monaten = Verlaufskontrolle in Monaten (Hoeger et al. 2015, AWMF 2015).

 

Systemische Propanololtherapie

 

Bereits seit 1964 wurde Propanolol bei Kindern zur Behandlung kardialer Probleme, Hyperthyreodismus und Migräne mit einer Dosierung von 6 bis 8 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag eingesetzt. Seit der zufälligen Entdeckung der Wirksamkeit des Propanolols auf die infantilen Hämangiome im Jahre 2008, wird das Präparat weltweit eingesetzt und aufgrund der guten Datenlage mit ausreichenden PatentInnenzahlen hat es sich als Therapie der Wahl etabliert.

Die zufällige Entdeckung entstand dadurch, dass ein Patient sowohl an einer Kardiomyopathie als auch an einem Hämangiom im Gesicht litt und so erstmals die „Nebenwirkung" des Medikamentes auf das Hämangiom herausgefunden wurde. In der Literatur wird die Ansprechrate bei einer empfohlenen Dosis von 2 bis 3 mg/kg KG/Tag über einen Mindestzeitraum von sechs Monaten mit 96 bis 98 Prozent angegeben. In der Regel sind die Nebenwirkungen, die auftreten können, reversibel und gutartig. In 15 bis 25 Prozent können Schlafstörungen auftreten, selten auch Bronchiolitis, Bronchospasmus, Diarrhoe und minime Bradykardien (< 1 Prozent).

Vor Therapiebeginn muss durch einen klinisch erfahrenen Arzt per Anamnese und körperlicher Untersuchung eruiert werden, ob mögliche Kontraindikationen bestehen. Kontraindikationen für die Behandlung mit Propanolol stellen höhergradige atrioventrikuläre Überleitungsstörungen, eine unkontrollierte bronchiale Hyperreagibilität sowie persistierende Hypotonien dar. In der Regel wird das Medikament von den Kindern gut vertragen. Es wird allgemein empfohlen, die Initiierung der systemischen Propanololtherapie unter stationären oder teilstationären Bedingungen durchzuführen und zu monitorisieren (Messung des Blutdrucks und der Herzfrequenz). Ein EKG vor Therapiestart ist in der Regel nur dann nötig, wenn eine positive Familienanamnese bezüglich kardialer Erkrankungen oder Bradykardien bestehen. In solchen Fällen sollte vorangehend eine Konsultation eines Kardiologen erfolgen.

Die Startdosis des Propanolols beläuft sich auf 1 mg/kg KG/Tag verteilt auf zwei Einzeldosen. Nach 24 Stunden erfolgt dann die Erhöhung auf die Zieldosis, welche 2 mg/kg KG/Tag verteilt auf zwei Einzeldosen beträgt. Eine geringgradige asymptomatische Reduzierung des mittleren systolischen und diastolischen Blutdruckes wird häufig zu Therapiebeginn beobachtet, ist aber in der Regel selbstlimitierend im Sinne eines Gewöhnungseffektes. Eine weitere Nebenwirkung kann eine Hypoglykämie sein, jedoch ist das Ausmaß sehr variabel und daher werden in der Regel keine Routine-Blutzuckermessungen durchgeführt. Es sollte jedoch darauf geachtet und auch hingewiesen werden, dass das Medikament zu oder nach den Mahlzeiten verabreicht werden sollte. In der Regel sollte die Therapiedauer sechs bis zwölf Monate betragen. Studien haben gezeigt, dass die Gefahr eines Rebound Phänomens nach Absetzen des Medikamentes 5 Prozent nach zwölfmonatiger im Gegensatz zu 20 Prozent nach sechsmonatiger Therapie beträgt (Giachetti et al. 2014).

Während der Therapiedauer sollten in regelmäßigen Abständen Herzfrequenzkontrollen stattfinden. Weiterführend sollten Gewichtskontrollen erfolgen, um die Dosis anzupassen.

 

Topische Propanololtherapie

 

Betablocker können auch lokal äußerlich eingesetzt werden (wie zum Beispiel Timolol). Die Ansprechrate bei kleinflächigen oberflächlichen infantilen Hämangiomen ist gut, zudem ist die klinische Anwendung sehr einfach. Das Gel wird zwei bis drei Mal täglich dünn auf die betreffende Stelle appliziert. Bislang fehlen noch größere randomisierte Daten bezüglich der systemischen Resorption, welche wiederum zu Bradykardien und Hypotension führen können, so dass es noch nicht als Therapie zugelassen ist, sondern als Off-label-Therapie bei oberflächlichen Hämangiomen eingesetzt wird.

 

Lasertherapie

 

Durch die Entdeckung und die sehr gute Wirkung der systemischen (oralen) Propanololtherapie ist die Bedeutung der Lasertherapie in den Hintergrund getreten. Lange Zeit war die NdYAG- Lasertherapie (Neodym-dotierter Yttrium-Aluminium-Granat Laser) die Therapie der Wahl, um Hämangiome in ihrer Proliferationsphase zu bremsen. Bei dem NdYAG-Laser handelt es sich um ein Festkörperlaser, der infrarote Strahlung emittiert. Aktuell wird sie zur primären Therapie nur noch selten eingesetzt. Jedoch kann die Lasertherapie bei Residuen wie Teleangiektasien sehr hilfreich sein (AWMF 2015).

 

Kryotherapie

 

Auch diese Art der Therapie ist wie die Lasertherapie deutlich in den Hintergrund gerückt, kann jedoch aufgrund der einfachen Anwendung und der geringen Schmerzhaftigkeit bei kleinflächigen (< 1 cm) oberflächlichen Hämangiomen eingesetzt werden. Die Kryotherapie mit Stickstoff ist bei -32°C (elektrisch erzeugt) und bei -196°C (flüssiger Stickstoff) möglich. Die maximale Eindringtiefe der Kryotherapie beträgt 2 bis 4 Millimeter. Mögliche Komplikationen der Therapie sind Hypopigmentierungen, Narben, Blasen und Nekrosen (AWMF 2015).

 

Chirurgische Exzision

 

Die operative Entfernung des Hämangioms kommt insbesondere bei kosmetisch störenden Residuen zum Einsatz oder wenn Kontraindikationen für eine systemische Propanololtherapie bestehen.

Rubrik: 1. Lebensjahr | DHZ 02/2017

Hinweis

Erklärung zum Interessenkonflikt

Miriam Fattouh gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Ingo Königs gibt eine einmalige Berater- und Vortragstätigkeit für Pierre-Fabre Dermatologie an.

Literatur

AWMF Leitlinie: Infantile Hämangiome im Säuglings- und Kleinkindesalter. AWMF-Register-Nummer 006/100, Stand 28.02.2015

Chamlin SL et al.: Multicenter prospective study of ulcerated hemangiomas. J Pediatr 2007. 151:684–689

Dickison P, Christou E, Wargon O: A prospective study of infantile hemangiomas with a focus on incidence and risk factors. Pediatr Dermatol 2011. 28:663–669
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