Anatomie der Frau

Deutungshoheit der Weiblichkeit

Die weibliche Anatomie wird in zahlreichen Fachbüchern auch heute noch deutlich reduziert dargestellt. Neue Erkenntnisse werden überwiegend ignoriert und falsche Darstellungen immer wieder reproduziert. Eine kritische Bestandsaufnahme. Tara Franke
  • „Das Weltall“ ist eine Zeichnung, die Hildegard von Bingen zugeordnet wird und im 12. Jahrhundert entstanden ist. Die Anmutung der Vulva ist offenkundig.

Sexualaufklärung gehört zu den Aufgaben der Schule, denn Kinder haben ein Recht darauf, Informationen über ihren Körper und über Sexualität zu bekommen. In Nordrhein-Westfalen gehören ausdrücklich auch „Bau und Funktion der Geschlechtsorgane" dazu. Dennoch überraschte mich mein Sohn nach dem Ende wochenlangen Sexualkundeunterrichtes in der siebten Klasse, als sich herausstellte, dass er nicht wusste, dass Mädchen und Frauen eine Klitoris haben. Wir fanden dieses weibliche Lustorgan tatsächlich nicht in seiner 40-seitigen Arbeitsmappe zum Thema. Jungen haben Hoden und einen Penis. Mädchen eine Scheide – sonst nichts?

 

Geistige Kastration der Frau

 

Der renommierte „Prometheus Lernatlas der Anatomie" enthält auch in der aktuellen vierten Auflage noch immer den – bei der Frau gar nicht existenten – „M. transversus perinei profundus" (Thieme, 4. Auflage 2014, S. 184, 186). Hebammen kennen ihn als „tiefen queren Beckenbodenmuskel", der real bei der Frau aber nur aus einer Faszie besteht (vergleiche Seehafer, DHZ 2/2016). Dafür zeigt der Atlas weiterhin an der Stelle der weiblichen Prostata – im Lateinischen der prostata feminae: nichts (Thieme 2014, S. 184, 190; siehe auch DHZ 10/2007, Seite 62ff.).

Die männliche Anatomie wird auf acht Seiten ausführlich erklärt und dargestellt. Für die Frau stehen dahinter nur vier Seiten zur Verfügung – immer mit dem Hinweis, dass alle Strukturen denen des Mannes entsprechen. „Über die Kohabitationsreflexe beim Mann", seinen „Mechanismus der Erektion" sowie den Ejakulationsvorgang bietet das Fachbuch eine ganze Seite voller Abbildungen und Beschreibungen. Aber es findet sich keinerlei Information über die Erektions- und Ejakulationsfähigkeit der Frau, die längst bekannt ist. Stattdessen werden die LeserInnen über eine ganze Seite zu „Indikation und Durchführung eines Dammschnittes" unterrichtet.

Wenigstens enthalten die Erklärungen zur weiblichen Anatomie gegen Ende einen Hinweis auf „zwei rudimentäre, blind endende kurze Ausführungsgänge", die sogenannten „Paraurethralgänge", die ihre Bezeichnung von der Lage der Drüsen rund um die Harnröhre der Frau haben (siehe Zeichnung). „Sie entsprechen entwicklungsgeschichtlich der Prostata beim Mann, haben jedoch keine Funktion. Sie können aber, wie die Vorhofdrüsen, von Bakterien besiedelt werden." Frauen hätten demnach nur diese angeblich verkümmerten Drüsenausgänge, die zu nichts nütze sind und obendrein krank werden können. Die tatsächliche Existenz verschiedener Schwellkörper, Venengeflechte und sekretierender Drüsen in den weiblichen Sexualorgangen wird verschwiegen – und damit negiert. Keine Erektion, keine funktionierenden Drüsen, keine Ejakulation bei der Frau. Und das, obwohl die weibliche Prostata ein komplettes aktives Organ ist – und nicht einmal mikroskopisch klein, sondern mit bloßem Auge erkennbar. Diese Drüsen sind in ein Venengeflecht eingebettet, das die Harnröhre umgibt. Sie erhielten 2001 vom International Anatomical Nomenclature Committee den Namen „Prostata feminae", womit ihre Existenz offiziell anerkannt wurde.

 

Abbildung 1: Äußeres Genitale und Drüsen

Glandulae paraurethralis (auch: Prostata femininae, Paraurethraldrüsen, „Skene-Drüse“): Sie liegt im Schwellkörper des Scheidenvorhofs und der Urethra. Sie verfügt meist über mehrere Ausführungsgänge, die in den Endabschnitt der Harnröhre sowie rechts und links der Harnröhrenöffnung münden. Milan Zaviacic und Kollegen haben von 1985 bis 1999 bei 150 Autopsien die Anatomie, Histologie und Pathologie des paraurethralen Drüsen der Frau untersucht. Zaviacics’ definierte je nach Ausprägung und Lage unterschiedliche Formen der weiblichen Prostata, die auf die embryonale Reifung zurückzuführen sein könnten.

Glandulae vestibulares majores (auch: große Vorhofdrüse, „Bartholinische Drüse“): gehört zu den akzessorischen (zusätzlichen) Geschlechtsdrüsen der Frau.

Glandulae vestibulares minores (nicht dargestellt, auch: kleine Vorhofdrüsen): kleinere ebenfalls akzessorische Geschlechtsdrüsen im Bereich des Introitus.

Was bedeutet es, wenn die Körper von Mädchen und Frauen durch Autoritäten wie Schule oder Medizin heute noch verkümmert dargestellt und ihre sexuellen Potenziale ignoriert oder unterschlagen werden?

Der „Prometheus" ist nur ein Beispiel. Es erscheinen immer neue Auflagen von anatomischen Lehrbüchern, die weiterhin die weiblichen Drüsen und ihre Potenz teilweise auslassen oder nur rudimentär darstellen.

Eigentlich ist die Sache noch komplexer, wenn nämlich berücksichtigt würde, dass das körperliche Geschlecht nicht als klarer Dualismus existiert, sondern seine Vielfalt und Uneindeutigkeit anerkannt würde. Die Ärztin und Sexualtherapeutin Sabine zur Nieden wies in ihrer Arbeit „Weibliche Ejakulation" darauf hin, dass wir „genetisch dimorphe Lebewesen" und „potenziell zweigeschlechtlich" sind und dass „eine große Ähnlichkeit und Plastizität in der Differenz der beiden Geschlechter" existiert (zur Nieden 2004, S. 9).

 

Ignoranz oder Unterdrückung?

 

Auch die US-amerikanischen Gynäkologinnen Donna Mazloomdoost und Rachel Pauls beklagen, dass die Klitoris meist als weibliche Variante des Penis beschrieben wird und weniger untersucht wurde als dieser. Sie betonen in ihrem Review zur Klitoris und deren Rolle für die Sexualität der Frau: „Während ihre Bedeutung durch Berichte, die überwiegend die vaginale Erotik betonen, überschattet wurde, bleibt sie bei der Mehrheit der Frauen doch das wichtigste Organ für ihre Fähigkeit zum Orgasmus." (Mazloomdoost & Pauls 2015).

Nancy Tuana, Professorin der Philosophie in den USA, stellte gleichfalls in ihrer Lehrtätigkeit fest, dass ihre Studierenden weit mehr über das männliche als über die weiblichen Lustorgane wissen. Und dass früher bereits bekanntes Wissen über die Lustorgane und den Orgasmus der Frau wieder „verlernt" wurde. Der weibliche Zyklus und die Reproduktionsorgane sind dagegen deutlich besser bekannt. Dass der Penis in nicht-feministischen Lehrbüchern zumeist ausführlich auch in erigiertem Zustand dargestellt wird, die Erektionsfähigkeit der Klitoris dagegen nicht einmal erwähnt wird, hält sie für symptomatisch. Sie geht davon aus, dass Unwissenheit in diesem Zusammenhang nicht als bloße Wissenslücke oder Gleichgültigkeit verstanden werden kann, sondern dass sie die Konsequenz aus Interessenkonflikten innerhalb der Gesellschaft ist. Unwissenheit oder Ignoranz können demnach ebenso als Folge wie auch als Instrumente von Unterdrückung von Weiblichkeit angesehen werden. Sie glaubt andererseits, dass der Körper und die Lust der Frauen gerade im jetzigen Zeitalter ein Schlüssel dazu sein könnten, um einem geschlechtlichen Normierungsdruck zu widerstehen (Tuana 2004).

Der deutschen Sexologin und Kommunikationswissenschaftlerin Laura Méritt erscheint es ebenfalls so, als würde „bewusst Verwirrung geschaffen und klare Definitionen vermieden und ein eindeutiger sprachlicher Umgang für eine weibliche Sexualität verhindert". Sie beanstandet, dass der Vergleich der Klitoris mit dem Penis und die Darstellung der Scheide als bloßes Loch und Weg zum Uterus den Fokus auf die Fortpflanzung der Frau setzen – und nicht auf ihre Sexualität (Méritt 2015). Méritt hat 2012 im renommierten Frauenverlag Orlanda eine Überarbeitung des feministischen Klassikers „Frauenkörper neu gesehen" herausgegeben. Dieses illustrierte Handbuch, das 1981 in den USA unter dem Titel „A New View on Woman´s Body" und 1987 erstmals auf Deutsch beim Orlanda Frauenverlag erschien, war ein wichtiges Selbsthilfebuch für die Frauengesundheitsbewegung in beiden Ländern. Die klaren liebevollen Grafit-Zeichnungen von Suzanne Gage sind noch überwiegend unverändert in der neuen Ausgabe enthalten. Die ersten Fotos von Vulven in Nahaufnahme wurden dagegen durch eine Reihe neuer ersetzt, die die enorme Bandbreite der Formen äußerer weiblicher Lustorgane verdeutlichen. Ziel des Ratgebers war und ist nicht in erster Linie, über die Zeugungsfähigkeit von Frauen aufzuklären, sondern Frauengesundheit und die Freude am eigenen Körper und der eigenen Lust zu fördern. Dazu gehören sowohl die möglichst exakte Darstellung der Organe und deren Potenziale als auch deren positive Beschreibung, sowie Anleitungen zur Selbstuntersuchung, Selbsthilfe und selbstbestimmten Verhütung.

Es ist heute vielleicht schwer vorstellbar, dass auf vielen autonom organisierten „Frauenwochen" in den 1980er Jahren als eines der Highlights eine Diashow über die Klitoris gezeigt wurde. Dabei konnten sich die Besucherinnen – meist zum ersten Mal in ihrem Leben – auf einer Leinwand die riesigen Projektionen von echten Vulven anschauen. Ein Tabubruch – und für viele Besucherinnen eine innerliche Befreiung von Scham und Unwissenheit. Frauen begannen damals, sich als politischen Akt ein eigenes, positives Bild von ihren Lustorganen zu machen und sich selbst als Expertinnen ihres Körpers und ihres Geschlechts zu verstehen.

Die Ärztin und Sexualtherapeutin Sabine zur Nieden hatte bereits 1994 in ihrer als Buch veröffentlichten Dissertation die vorhandenen Homologien der weiblichen und männlichen Geschlechtsorgane und ihrer Physiologie dargestellt und die Existenz einer weiblichen Ejakulation längst bewiesen. Seither wurde zwar viel über die weiblichen Lustorgane, den Orgasmus und die weibliche Ejakulation geforscht und geschrieben – eine größere Klarheit aber ist nicht entstanden. Stattdessen scheint mehr denn je ein regelrechter Deutungskrieg über die Funktion der diversen Strukturen zu toben, der stark vom Blickwinkel und der Haltung der AkteurInnen gefärbt ist.

 

Penis oder Klitoris?

 

„Eine weibliche Ejakulation, eine männliche Klitoris, eine weibliche Prostata? Gibt es das?", fragte zur Nieden mit ihrem feministischen Hintergrund (zur Nieden 2004, S. 9).

Der italienische Mediziner und Sexologe Vinzenzo Puppo beispielsweise vertritt in seinem aktuellen Review über die Anatomie und Physiologie der erektilen weiblichen Organe die Meinung, dass die korrekte Bezeichnung für die Strukturen der Frau, die ihren Orgasmus erzeugen, der „weibliche Penis" sei (Puppo 2013). Er geht davon aus, dass es keine vaginalen Orgasmen gebe und auch keine G-Zone – die Fläche an der vorderen Scheidewand, hinter der sich ein Großteil der Drüsen der weiblichen Prostata verbirgt. Nach seiner Definition ist „having sex" – Sex haben – danach zu definieren, ob beide Partner einen Orgasmus haben, unabhängig davon, ob es zum Geschlechtsverkehr gekommen ist.

Mit der gleichen Berechtigung ließe sich sagen, dass die korrekte anatomische Bezeichnung der primären äußeren Geschlechtsorgane des Mannes die männliche Klitoris ist. Vaginale Orgasmen existieren laut den Aussagen von Frauen ebenso wie klitorale, labiale, anale und alle weiteren unzähligen Arten von Orgasmen, die Frauen erleben können. Es braucht für sexuelle Aktivitäten weder grundsätzlich einen anderen Menschen noch immer einen Orgasmus bei allen Beteiligten. Angesichts der Vielfalt menschlicher Körper und sexuellen Erlebens sollten Menschen ihre Lustorgane wie auch ihren Sex so definieren, wie sie selbst es wollen.

 

Geistige Impotenz

 

Nicht nur Teile der Genitalien, auch sexuelle Funktionen der Frau werden systematisch unterschlagen. Ihre Potenz – also ihre Macht, ihre sexuelle Kraft, ihre erotische Fähigkeit – wird dadurch negiert und unterdrückt. Wir wissen bis heute nicht, wie viele Frauen ejakulieren, weil viele dafür gar keinen Begriff haben. Oder weil sie die Ergüsse unterdrückt haben, da sie dachten, sie seien inkontinent.

Inzwischen gibt es immerhin zahlreiche Studien, die versuchen, alle organischen Strukturen im Geschlecht der Frau und ihre genauen sexuellen Funktionen zu klären. Schon der Blick auf die Titel der Studien der letzten Jahre auf das Thema weibliche Ejakulation verrät allerdings mehr über die Sichtweise der AutorInnen auf den Körper und die Sexualität der Frau als über das tatsächliche Wesen ihrer Ejakulationsfähigkeit.

 

Diese Nahaufnahme einer Vulva bei gespreizten kleinen Labien zeigt den Ausgang der Harnröhre und daneben, als dunklere Punkte, die beiden äußeren Ausführungsgänge der weiblichen Prostata oder paraurethralen Drüsen. Weitere Ausgänge münden in die Harnröhre.

 

Pathologisch oder potent?

 

Eine Metastudie des tschechischen Gynäkologen und Sexualmediziners Zlatko Pastor zum „Weiblichen Orgasmus mit Ejakulation versus Inkontinenz beim Koitus" bemühte sich, eine Differenzierung zwischen gesundem sexuellem Erguss und sexueller Inkontinenz zu ziehen (Pastor 2013). Pastor ermittelte in seinem Review, für das er über 130 Studien und andere Quellen (davon 15 eigene Publikationen) ausgewertet hat: Weibliche Ejakulation kommt seiner Studie nach bei 10 bis 54 Prozent aller Frauen vor und bezeichnet eine kleine Menge weißlicher Flüssigkeit aus der weiblichen Prostata. Werden größere Mengen ausgestoßen, wie bei 0,2 bis 66 Prozent der Frauen, handelt es sich um Urin. Weibliche Ejakulation und Urinausstoßung können auch kombiniert auftreten. Manchmal geht die Ausstoßung größerer Mengen Urin beim Sex mit einer Überaktivität des Detrusormuskels und einer Stressinkontinenz einher. Alle Ausstoßungen mit Beteiligung von Urin sind seiner Auffassung nach eine Form der Harninkontinenz während des Orgasmus, die eine Pathologie darstellt und behandelt werden sollte.

Die Vermutung, dass größere Mengen der bei sexueller Erregung ausgestoßenen Flüssigkeit aus der Blase kommen und daher aus Urin bestehen, äußerten auch der französische Gynäkologe Samuel Salama und KollegInnen (Salama et al. 2015). Sie hatten sonografische Messungen der Blase bei sieben Frauen vorgenommen, und zwar vor einer sexuellen Stimulation, kurz vor und direkt nach einem Orgasmus. Die Blase füllte sich in der relativ kurzen Erregungsphase meist ungewöhnlich schnell und stark. Bei fünf der Probandinnen konnten sie im Erguss auch Bestandteile des Prostatasekretes nachweisen. Sie bewerten diesen Prozess nicht als eine Pathologie wie Inkontinenz.

Interessanterweise hat diese Erkenntnis seit 2014 auch Folgen für britische Pornofilme: Da vermutet wird, dass zumindest bei einem Teil der Frauen Urin im weiblichen Erguss enthalten ist, dürfen keine Szenen mit weiblicher Ejakulation mehr gezeigt werden (Thomson 2015). Bei aller berechtigten Kritik an der Pornoindustrie hat dies allerdings auch zur Folge, dass die weibliche Erguss-Fähigkeit selbst in diesem Bereich tabuisiert wird, während die männliche Ejakulation regelecht zelebriert wird.

Die österreichischen Urologen Florian Wimpissinger, Christopher Springer und Walter Stackl haben in den Jahren 2010 bis 2011 weltweit 320 Frauen ab 18 Jahren, die bei sexueller Stimulation Flüssigkeit ausscheiden, in einer Online-Studie zu ihren Erfahrungen befragt. Das Ergebnis: „Weibliche Ejakulation hat einen positiven Einfluss auf das Sexualleben von Frauen und ihren PartnerInnen" (Wimpissinger, Springer & Stackl 2013). Es zeigte sich, dass Frauen jeden Lebensalters ejakulierten und das Durchschnittsalter für das erste Erleben der Ejakulation bei 25,4 Jahren lag. Das spricht eher nicht dafür, dass es sich um eine Inkontinenz handelt. Nur drei der befragten Frauen hatten eine gynäkologische Operation wegen Inkontinenz hinter sich und die Hälfte (50,3 Prozent) der Befragten waren Nulliparae. Die Bandbreite der ersten Erfahrung bewegte sich zwischen 7 und 68 Jahren. Im Schnitt erlebten die befragten Frauen bei mehr als der Hälfte (57 Prozent) ihrer sexuellen Aktivitäten eine Ejakulation, besonders häufig geschah dies mit einem neuen Partner. Die Frauen berichteten gleichermaßen über Ejakulationen bei vaginalem wie bei klitoralem Orgasmus, wobei 53,4 Prozent eher über manuelle Stimulation und 48,1 Prozent beim Geschlechtsverkehr ejakulierten. Aber auch von spontanen Ergüssen (6,3 Prozent) und sogar Ejakulationen im Schlaf (4,1 Prozent) wurde berichtet. Es gab keinen Hinweis darauf, dass die Stimulation der G-Zone besonders häufig zur Ejakulation führte.

Auf die Frage, was sie als Quelle der Ejakulation vermuteten, gaben 44,1 Prozent an, es nicht zu wissen. 16,9 Prozent nannten die Vagina, 15,9 Prozent die G-Zone in der Vagina und 23,1 Prozent die Urethra oder die äußere Umgebung der Urethra. Dies kann mit dem eigenen Empfinden, aber auch mit unterschiedlichen Informationen über weibliche Ejakulation zusammenhängen. Die Menge des Ejakulates schwankte von einigen Tropfen bis zu über 150 Milliliter, etwa ein Drittel gab eine Menge von circa 60 Milliliter an. Die Beschreibung der Flüssigkeit war überwiegend „klar wie Wasser" (83,1 Prozent). Etwa jede vierte Frau (23,1 Prozent) beschrieb sie als „weißlich milchig" und nur vier Frauen beschrieben sie als „gelb" (Mehrfachnennungen möglich). Vor allem aber gaben 78,8 Prozent an, dass sie ihre Fähigkeit zu ejakulieren als eine Bereicherung ihres Sexlebens empfänden. 10,3 Prozent hatten keine Meinung dazu, und nur 3,1 Prozent wünschten, sie würden nicht ejakulieren. Bei den Partnern war der Anteil derer, die das Erleben als positiv beschrieben, mit 90 Prozent sogar noch höher.

 

Unsere Körper, unsere Deutung

 

Bei der Darstellung der weiblichen Schwellkörper und dem Phänomen der weiblichen Ergüsse werden die unterschiedliche Deutung und der Anspruch verschiedener ExpertInnen auf ihre Deutungshoheit am deutlichsten. Zwar ist bekannt, dass eine nennenswerte Zahl von Frauen kleine oder größere Mengen an Flüssigkeit ergießen oder sogar aus den Genitalien verspritzen können. Aber weder der Ursprung noch die Differenzierung der verschiedenen Phänomene sind zufriedenstellend aufgeklärt. Es ist bisher nicht geklärt, ob dies also grundsätzlich oder teilweise als eine Pathologie oder aber als eine weibliche Potenz und Lustquelle angesehen werden muss – ob es sich also bei der einzelnen Frau um eine Inkontinenz handelt, die mit dem weiblichen Orgasmus einhergeht, oder um einen weiblichen Orgasmus, der mit einer Ejakulation einhergeht. Aufgrund der vielfältigen Ausprägungen des Phänomens könnte beides zutreffen. Meiner Erfahrung nach können kontinente Frauen unbewusst oder bewusst die Ejakulation aufhalten, also auch lernen, ihre Ejakulationen zu steuern.

Vor allem aber ist die Frage bedeutsam, wie jede einzelne Frau ihre Ejakulation erlebt: ob sie diese sexuelle Reaktion als neutral, als angenehm, lustvoll oder als störend empfindet. Frauen, die einen unwillkürlichen Flüssigkeitsabgang beim Sex als störend oder belastend erleben, sollten selbstverständlich Hilfe erhalten, auf eine mögliche Inkontinenz untersucht und gegebenenfalls angemessen behandelt werden. Aber sollen MedizinerInnen bei einem Großteil der Frauen eine Pathologie definieren dürfen, wo gar kein Leidensdruck besteht, sondern im Gegenteil Freude, Potenz, Lust und Genuss erlebt werden?

In dieser Diskussion sollten Frauen sich dringend zu Wort melden. Als Expertinnen ihres eigenen Körpers und als Deuterinnen ihrer Körpervorgänge und ihres Lusterlebens sollten sie sich einmischen, um für ihre wundervollen Potenziale nicht erneut in falsche Definitionen, unsinnige Pathologisierungen und überflüssige Behandlungen gedrängt zu werden. 

Rubrik: Medizin & Wissenschaft | DHZ 11/2016

Literatur

Franke T: Quelle der Lust. Deutsche Hebammen Zeitschrift 2007. 10: 62–65

Mazloomdoost D, Pauls RN: A Comprehensive Review of the Clitoris and Its Role in Female Sexual Function. Sexual Medicine Reviews 2015.3(4) 245–263

Méritt L (Hrsg.): Frauenkörper neu gesehen. Neuauflage. Orlando 2016
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