Valsalva-Manöver

»Ich habe falsch gepresst!«

Wie Mütter die Geburt erleben, wird bei Analysen zum Valsalva-Manöver im Vergleich mit dem spontanen Mitschieben selten erfragt. Zwei werdende Hebammen haben Studien ausgewertet und Antworten gefunden. Ronja Stadler, Lea Maria Peter

Das Valsalva-Manöver (VM) als Form des angeleiteten Mitschiebens in der aktiven Geburtsphase wird weltweit in vielen Ländern routinemäßig angewendet. Als werdende Hebammen haben wir das VM in der Praxis schon häufig erlebt: Die Gebärende wird in Rückenlage angeleitet tief einzuatmen, die Luft anzuhalten, das Kinn an die Brust zu ziehen und während der Kontraktion lange und kräftig mitzuschieben.

Frau G., die wir in einem unserer Praxiseinsätze kennengelernt haben, wurde während der Geburt ihres ersten Kindes dazu angeleitet, nach dem Valsalva-Manöver mitzuschieben. Ihr Fazit nach der Geburt lautete: »Ich habe falsch gepresst.« Auch von weiteren Frauen, die in diesem Modus zum Mitschieben angeleitet wurden, haben wir im Nachhinein gehört, ihnen sei es schwergefallen, den Anweisungen zu folgen. Ihren Aussagen entnahmen wir eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Erleben der Geburt. Der potenziell enorm selbstermächtigende Weg des Gebärens hinterließ bei ihnen Unsicherheit über ihre Selbstwirksamkeit.

 

Definition und Studienlage

 

Das Valsalva-Manöver wird definiert als intrathorakaler Druckaufbau durch verlängertes Atemanhalten und Bauchpresse bei geschlossener Glottis. Es ist nicht nur aus der Geburtshilfe bekannt, sondern wird auch in der Kardiologie und der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde angewendet.

Zahlreiche Studien vergleichen die klinischen Auswirkungen des VM mit dem spontanen Mitschieben. Dabei werden primär das maternale und fetale Outcome untersucht (Vaziri et al. 2016; Lemos et al. 2017). Die Studien erheben Daten über die Dauer der aktiven Geburtsphase, Geburtsverletzungen, arterielle Nabelschnur-pH-Werte und Apgar-Werte und vergleichen die Ergebnisse miteinander. Farideh Vaziri und KollegInnen betonen, es gebe Bedenken hinsichtlich schädlicher Auswirkungen des VM. Sowohl eine verminderte Sauerstoffzufuhr für das Ungeborene, reduzierter transplazentarer Blutfluss, ein erhöhtes Risiko für Verletzungen des Dammes dritten und vierten Grades, maternale Erschöpfung als auch erhöhte Laktatwerte im mütterlichen und kindlichen Blut werden mit der Anwendung des VM in Verbindung gebracht (vgl. Vaziri et al. 2016: 1f.). Es fällt auf, dass das VM weder evidenzbasierte Vorteile für die Mutter noch für das Kind mit sich bringt.

Das Cochrane-Review von Andrea Lemos und ihrem Team kommt zu dem Fazit: »We are unable to say whether spontaneous pushing or directed pushing coaching methods are best. [...] Women should be encouraged to push and bear down according to their comfort and preference« (Lemos et al. 2017: 2).

Was allerdings in allen hier genannten Studien vernachlässigt wird, ist die persönliche Perspektive der Gebärenden auf die eigene Geburtsarbeit. Dies zu untersuchen, ist jedoch vor dem Hintergrund der routinemäßigen Anwendung des VM während der Geburt von immenser Bedeutung. Deshalb rückt dieses Poster einen Faktor in den Mittelpunkt, der im Kontext des VM nur sehr selten erwähnt oder gar erhoben wird: das maternale Erleben.

 

Das Geburtserleben in der Theorie

 

Um sich dem Thema anzunähern, wurde eine systematische Literaturrecherche in PubMed und in der Cochrane Library durchgeführt. Lediglich zwei Studien haben das Geburtserleben als zu untersuchenden Gegenstand neben der Auswertung des maternalen und fetalen Outcomes aufgegriffen.

In der randomisierten Studie von Gulay Yildrim und Nezihe Kizilkaya Beji wurden ausschließlich Erstgebärende (n=100) mit risikoarmer Schwangerschaft ausgewählt, die zwischen der 38. und 42. Schwangerschaftswoche ein 2.500–3.999 g schweres Kind spontan zur Welt brachten (Yildrim & Beji 2008). Die Möglichkeit einer epiduralen Analgesie war nicht gegeben und keine der Teilnehmerinnen hatte an einem Geburtsvorbereitungskurs teilgenommen. Neben den oben genannten klinischen Werten wurden mithilfe eines Fragebogens die Erfahrungen der Gebärenden während des Mitschiebens in der aktiven Geburtsphase untersucht. Eine Stunde postpartal wurden die Teilnehmerinnen aufgefordert, zwölf Aussagen anhand einer Skala von 0 (»disagree«) bis 10 (»agree at all«) zu bewerten (Yildrim & Beji 2008: 27).

 

Zufriedenheit in Zahlen

 

Yildrim und Beji stellen nicht den gesamten Fragebogen vor, nennen aber einige Beispielsätze: »I am satisfied with my efforts during delivery«; »I believe I pushed enough for the delivery of my baby during birth« und »The breathing technique I used while pushing was very difficult for me.« (ebd.: 27).

Die Ergebnisse des Fragebogens wurden im »pushing score« zusammengefasst, der zwischen 0 und 120 liegt. Der durchschnittliche Score der Gebärenden, die spontan mitschoben, liegt bei 53,2 ± 6,1. Im Vergleich zur Gruppe, die mit dem VM angeleitet wurde (pushing score: 42,7± 10,7) bringt das spontane Mitschieben eine signifikant höhere Zufriedenheit. Die Frauen berichteten, weniger Probleme gehabt zu haben, effektiv mitschieben zu können, und zufrieden mit ihrer Technik gewesen zu sein (vgl. ebd.: 29).

Die Autorinnen kommen zu dem Ergebnis, dass die Gebärenden in der Latenzphase über die verschiedenen Techniken des Mitschiebens aufgeklärt werden sollten und die Unterstützung zum spontanen Mitschieben in der aktiven Geburtsphase mit den aufgezeigten positiven Resultaten einhergehe (vgl. ebd.: 30).

Auch Su-Chuan Chang und KollegInnen untersuchen in ihrer quasi-experimentellen Studie neben klinischen Werten die Erschöpfung, das Schmerzlevel und die Geburtserfahrung Gebärender in einem medizinischen Zentrum in Taiwan (Chang et al. 2011). 66 Schwangere, davon 33 Primiparae, wurden zu gleichen Teilen in eine Kontrollgruppe und eine Interventionsgruppe aufgeteilt. Wie bei Yildrim et al. gebaren alle Teilnehmenden zwischen der 38. und 42. Woche nach einer komplikationsarmen Einlingsschwangerschaft. Schwangerschaftsvorbereitungskurse konnten sie im selben medizinischen Zentrum besuchen (vgl. Chang et al. 2011: 826).

Die Kontrollgruppe wurde während der aktiven Geburtsphase nach geburtshilflichem Standard in Taiwan mit dem VM angeleitet. Die Interventionsgruppe hingegen wurde unterstützt, eine aufrechte Position zu finden und ihrem reflektorischen Drang zum Mitschieben nachzugeben. Die Frauen wurden in dem medizinischen Zentrum anstelle von Hebammen von Pflegenden und ÄrztInnen betreut (vgl. ebd.: 827). Eine epidurale Analgesie wurde von 21 Gebärenden, die nach dem VM angeleitet wurden, und von 13 Gebärenden der Interventionsgruppe in Anspruch genommen.

Das Geburtserleben wurde mit einem Fragebogen erforscht, der zuvor in einer Pilotstudie erhoben und getestet worden war. Die Frauen konnten zehn Aussagen mithilfe einer Skala von 1 (»strong disagreement«) bis 5 (»strong agreement«) bewerten. Der daraus resultierende Score reicht von 10 bis 50, wobei letzterer für ein positives Geburtserleben steht (vgl. ebd.: 827).

Dem Poster sind alle Fragen des Fragebogens sowie die Auswertung der einzelnen Aussagen zu entnehmen. Die Wahrnehmung der aktiven Geburtsphase der Interventionsgruppe liegt bei 39,88 ± 6,12, die der Kontrollgruppe bei 29,64 ± 5,88. Auch hier liegt ein signifikanter Unterschied vor, wie bei Yildrim et al.: Die Frauen der Interventionsgruppe berichteten vor allem von einem größeren Erfolgserlebnis während des Mitschiebens und der Möglichkeit, ihre eigenen Kräfte vollständig einsetzen zu können (vgl. ebd.: 329).

Die AutorInnen um Chang schlussfolgern, dass aufrechte Gebärpositionen und spontanes Mitschieben in Taiwan weitreichender durchgesetzt und Schwangere in ihrer eigenständigen Geburtsarbeit unterstützt werden sollten. Wie auch das Team von Yildrim fordern sie dazu auf, Schwangere über Vor- und Nachteile unterschiedlicher Möglichkeiten des Mitschiebens aufzuklären (vgl. ebd.: 830).

 

Zurück zur Praxis

 

Eine einheitliche Anleitung durch das VM ist nicht evidenzbasiert. Die Analysen der klinischen Outcomes durch die Teams von Farideh Vaziri und Andrea Lemos zeigen, dass von einer routinemäßigen Anleitung nach dem VM abzusehen ist. Auch Su-Chuan Chang und Gulay Yildrim mit KollegInnen stützen diese Empfehlung, da in ihren Studien das maternale Erleben der Geburt beim spontanen Mitschieben signifikant positiver ausfällt. Um tiefere Einblicke in das Erleben Gebärender zu erhalten und sie so gut wie möglich zu unterstützen, braucht es weitere Forschung mit validierten, einheitlichen Fragebögen, höheren Fallzahlen sowie qualitativer Forschung.

Rubrik: Geburt | DHZ 04/2021

Literatur

Chang S-C, Chou M-M, Lin K-C, Lin L-C, Lin Y-L, Kuo S-C: Effects of a pushing intervention on pain, fatigue and birthing experiences among Taiwanese women during the second stage of labour. Midwifery 2011. 27(6), 825–831. doi:10.1016/j.midw.2010.08.009

Lemos A, Amorim MMR, Dornelas de Andrade A, de Souza AI, Cabral Filho JE, Correia JB: Pushing/bearing down methods for the second stage of labour. Cochrane Database of Systematic Reviews 2017. Issue 3, Art. No.: CD009124. doi:10.1002/14651858. CD009124.pub3

Vaziri F, Arzhe A, Asadi N, Pourahmad S, Moshfeghy Z: Spontaneous Pushing in Lateral Position versus Valsalva Maneuver During Second Stage of Labor on Maternal and Fetal Outcomes: A Randomized Clinical Trial. Iran Red Crescent Medical Journal 2016. 18(10): e29279. doi:10.5812/ircmj.29279
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