Stärkt Trampolinspringen den Beckenboden?

Sport stärkt den Beckenboden, heißt es. CrossFit ist in. High-Impact-Sportarten wie Springen auf dem Trampolin auch. Alles Trends, die auch junge Mütter ansprechen sollen. Doch sind diese Sportarten wirklich tauglich für den Beckenboden? BSc, Bakk. rer. nat. Kathrin Mattes

Der Beckenboden der Frau hält die Beckenorgane an ihrem Platz und ist verantwortlich für die Verschluss- und Öffnungsmechanismen von Harnröhre, Vagina und Anus (Almeida et al. 2015). Funktioniert er nicht richtig, kann es zu Problemen wie Inkontinenz, Organsenkungen und sexuellen Dysfunktionen kommen.

Sportliche Betätigung trägt maßgeblich zum gesunden Lebensstil bei und beugt effektiv zahlreichen Krankheiten vor. Lange Zeit dachte man, Sport wirke sich auf den Beckenboden ebenso positiv aus wie auf die restliche Muskulatur, SportlerInnen hätten einen besonders starken Beckenboden und daher ein geringeres Risiko für Inkontinenz (Eliasson et al. 2002).

 

Sport als Auslöser für Inkontinenz

 

Je nach Sportart kann jedoch das Gegenteil der Fall sein, wie mehrere Studien zeigen. Sportarten, die eine große Kraftanstrengung erfordern oder bei denen Kräfte massiv von außen einwirken, belasten den Beckenboden und erhöhen das Risiko für Harninkontinenz, Windinkontinenz und sexuelle Dysfunktionen, wie die Physiotherapeutin Maria Beatriz de Almeida und ihr Team in Belo Horizonte (Brasilien) 2015 in einer Studie feststellte: Die WissenschaftlerInnen befragten 163 Amateur- und Nicht-Sportlerinnen. Die sportlich aktiven Frauen klagten öfter über Inkontinenz, vor allem bei Sportarten wie Turnen, Trampolinspringen, Schwimmen und Judo. Deswegen fordern die ForscherInnen, dass diese Sportlerinnen über Risiken aufgeklärt werden und Präventionsprogramme angeboten werden sollten.

Die isländische Sport- und Gesundheitswissenschaftlerin und CrossFit-Trainerin Igunn Ludviksdottir kam mit einem Team von WissenschaftlerInnen der Universität Island zu ähnlichen Schlüssen. Das Team teilte kinderlose Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren in zwei Gruppen – Sportlerinnen (Handball, Fußball, Turnen, Badminton, BootCamp, CrossFit seit mindestens drei Jahren) und untrainierte Frauen. Die Kraft der Beckenbodenmuskulatur wurde vaginal gemessen und war im Durchschnitt in beiden Gruppen gleich. Doch in den Fragebögen zeigte sich ein wesentlicher Unterschied: Während bei den untrainierten Frauen 12,5 % über Inkontinenz klagten, waren es bei den Sportlerinnen 61,1 %. Die Inkontinenz trat hierbei üblicherweise während des Trainings auf (Ludviksdottir et al. 2018).

Die brasilianische Physiotherapeutin Franciele da Silva Pereira nahm 2017 in einer systematischen Übersichtsarbeit mit 47 Studien zum Thema Inkontinenz bei Volleyballerinnen eine weitere Sportart unter die Lupe. Je nach Studie klagten 9 bis 30 % der Sportlerinnen über Inkontinenz während des Volleyballtrainings, 17 bis 18 % litten auch im Alltag darunter. Die Brasilianerin kommt zu dem Schluss, dass die Ausübung von Volleyball ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Harninkontinenz ist und daher ein begleitendes Beckenbodentraining zu empfehlen wäre.

Diese Erkenntnisse sind zwar wenig bekannt, aber nicht neu. Bereits 2002 fand Kerstin Eliasson von der Karolinska-Universität in Stockholm mit ihrem Team heraus, dass beim Trampolinspringen sehr starke Kräfte auf den Beckenboden einwirken. Die ForscherInnen befragten für ihre Untersuchung alle Elite-Trampolinspringerinnen des Landes zur Belastungsinkontinenz. Eine große Mehrheit der Befragten klagte über Harnverlust beim Sport (80 %). Die Teilnehmerinnen waren kinderlos und 12 bis 22 Jahre alt, wobei von den über 15-Jährigen ausnahmslos alle inkontinent waren.

2008 weitete die Schwedin, diesmal mit einem anderen Team, die Erhebung aus und befragte 305 ehemalige Trampolinspringerinnen, die zwischen 18 und 44 Jahre alt waren (durchschnittlich 21). Sie hatten größtenteils keine Kinder und ihre Trampolinkarriere schon vor mehreren Jahren beendet. Von denjenigen, die zu ihrer aktiven Zeit beim Springen inkontinent waren, litten 76 % nach wie vor unter unfreiwilligem Harnverlust. Ihr Beckenboden hatte sich also auch Jahre später nicht erholt. Je länger und häufiger sie früher trainiert hatten, desto eher litten sie aktuell an Inkontinenz.

Auch die Physiotherapeutin Thuane Da Roza kam mit ihrem Team der Sportfakultät der Universität in Porto (Portugal) zu einem ähnlichen Ergebnis: Rund 73 % der befragten Leistungs-Trampolinspringerinnen klagten über Harninkontinenz beim Springen. Je öfter die Frauen trainierten und je höher das sportliche Niveau war, desto stärker war die Inkontinenz. Die WissenschaftlerInnen betonen, dass Sportlerinnen informiert und von PhysiotherapeutInnen und vergleichbaren Berufsgruppen unterstützt werden müssten, da sie Beschwerden aus Scham oft nicht thematisieren (Da Roza et al. 2015).

All diese Studien zeigen also, dass Trampolinspringen und andere High-Impact-Sportarten den Beckenboden nicht stärken, sondern ihn belasten und das Risiko erhöhen, eine Inkontinenz zu entwickeln (siehe Kasten Seite 54).

 

Was ist was?

 

Bei High-Impact-Sportarten wird der Körper sehr stark belastet beziehungsweise beansprucht. Dazu gehören Joggen, Fußball oder eben auch BootCamp und CrossFit. High-impact ist entweder die Art der Bewegung, also Laufen oder Springen, die meisten Ballsportarten, oder aber Sportarten mit hoher Gewichtsbelastung.

CrossFit ist eine junge Trainingsmethode, die den Anspruch erhebt, alle Fitnessaspekte in einem Training zu versammeln: Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Koordination.

BootCamps waren ursprünglich die Orte, an denen die US-amerikanischen Militärs ihre Grundausbildung erhielten. Heute ist es ein intensives Outdoor-Intervall-Zirkeltraining, das nach neuesten trainingswissenschaftlichen Methoden gestaltetet wurde. An die persönlichen Grenzen zu gehen, ist Teil des Konzepts.

Jumping Fitness ist ein lizenziertes Fitnesskonzept, das auf einem eigens dafür hergestellten Minitrampolin ausgeübt wird.

 

Bedenkliche Trendsportart

 

Beispielsweise der Trendsport Jumping Fitness erfreut sich auch unter jungen Müttern großer Beliebtheit. Auf der Website der Marke wird gut sichtbar damit geworben, dass die Sportart »für jeden geeignet« sei. Erfreulicherweise findet sich auch ein Blogbeitrag von Mai 2017 auf der Jumping-Seite, in dem darauf hingewiesen wird, dass nach einer Geburt zuallererst ein Rückbildungskurs abgeschlossen werden sollte und beim Springen anfangs Vorsicht geboten ist. Im November 2017 folgte allerdings ein Beitrag im gleichen Blog (> www.jumping.fitness/de/blog/beckenboden-und-jumping-fitness/), der wortreich erklärt, dass Jumping entgegen anderslautender Behauptungen bei richtiger Durchführung keinesfalls schädlich für den Beckenboden sei. Leider wird dabei die spezielle Situation nach einer Schwangerschaft mit keinem Wort erwähnt.

Auch eine kurze Google-Suche zeigt, dass Jumping in einigen Blogs, zum Beispiel zum Thema Abnehmen oder Gesundheit, für frischgebackene Mütter empfohlen und als hilfreich für die Rückbildung bezeichnet wird (> www.schwangerschaftsbauch-weg.de/jumping-fitness-sport-nach-schwangerschaft/, > www.wunschfee.com/inhalt/fit-gesund/artikel/spielend-schlank-mit-dem-trampolin-workout).

Aufgrund der genannten Studienergebnisse ist dieser Trend bedenklich. Die beim Jumping verwendeten Trampoline sind zwar wesentlich kleiner als die in den erwähnten Studien untersuchten Hochleistungstrampoline, auf ihnen erreichen die Frauen auch nicht so eine hohe Beschleunigung. Doch der Beckenboden einer Frau, die an so einem Fitnesskurses teilnimmt, ist wesentlich weniger belastbar als der der untersuchten Sportlerinnen, die jung und kinderlos waren und dennoch zum Großteil inkontinent wurden.

Der Beckenboden ist für derartige Beschleunigungskräfte nicht gebaut. Hebammen und PhysiotherapeutInnen, die Rückbildungsgymnastik anbieten, wissen nur zu gut, dass viele Teilnehmerinnen bereits Probleme haben, Wirbelsäule, Beckenboden- und Bauchmuskulatur in statischen Positionen zu stabilisieren. In der Dynamik erhöht sich die Anforderung um ein Vielfaches. Junge Mütter, die wieder mit Joggen beginnen wollen, sollten mindestens neun bis zwölf Monate warten – sofern die Stabilisation der genannten Strukturen bei den gelernten Übungen perfekt funktioniert.

Beim Trampolinspringen wirkt im Vergleich zum Joggen ein Vielfaches dieser Kräfte auf den Beckenboden, die in dieser Ausprägung in der Natur nicht vorkommen. Die Evolution hat bei der Entwicklung des Beckenbodens, der für Alltagsbelastungen passend konstruiert ist, keine Trampolinsprünge vorgesehen. Muskeln können zwar relativ schnell trainiert werden, so dass schon nach einigen Wochen ein deutlicher Kraftzuwachs spürbar ist. Doch die bindegewebigen Anteile im Beckenboden und im Halteapparat der Beckenorgane brauchen wesentlich mehr Zeit, um nach Schwangerschaft und Geburt wieder in Richtung ihres Ursprungszustandes zu gelangen. Die Mutterbänder benötigen beispielsweise mehrere Monate, um sich nach der Geburt wieder auf ihre ursprüngliche Länge und Stärke zurückzubilden – bis dahin wird der Uterus im Becken nur ungenügend stabilisiert (Heller 2002).

 

Workout birgt Risiken

 

Eine weitere Trendsportart, die mittlerweile flächendeckend angeboten wird und sich auch bei sportlichen Frauen großer Beliebtheit erfreut, ist CrossFit. Es handelt sich dabei um eine Art Zirkeltraining mit hoher Intensität, bei dem verschiedene Übungen vor allem im Kraftausdauerbereich gefordert werden. Eine Studie von der texanischen Wissenschaftlerin Laura Faye Gephart und ihrem Team liefert interessante Ergebnisse: Bei zehn Frauen (Durchschnittsalter 36) wurde während eines CrossFit-Workouts der intraabdominale Druck über Vaginalsonden gemessen. Hier zeigte sich zwar kein signifikanter Unterschied in den Druckspitzen zwischen CrossFit-erfahrenen und unerfahrenen Teilnehmerinnen, doch bei denjenigen, die bereits Kinder hatten, unterschieden sich die gemessenen Druckwerte signifikant von denen der kinderlosen Frauen. Während bei manchen Übungen die Mütter höhere Werte erzielten, waren es bei anderen Übungen die Kinderlosen. Bei allen Frauen jedoch stieg der gemessene Druck mit der Anzahl der Wiederholungen der Übungen. Die AutorInnen zeigten sich überrascht über die bei einigen Übungen außergewöhnlich hohen Druckwerte. Sie fordern weitere Forschung für klare Aussagen. Ob die deutlich unterschiedlichen Druckwerte der Mütter an einem veränderten Tonus oder einer veränderten Funktion der Bauch- und Beckenbodenmuskulatur liegen, darüber kann nur spekuliert werden. Leider ist die Studie aufgrund der geringen Zahl der Probandinnen nur eingeschränkt aussagekräftig (Gephart LF et al. 2018).

Auch eine Untersuchung von Monique Middlekauff und ihren KollegInnen von der Universität in Utah zeigt, dass die in den eingangs erwähnten Studien untersuchten Sportarten den Beckenboden nicht stärken. Auch in dieser Untersuchung war die Beckenbodenmuskulatur der getesteten CrossFit-Sportlerinnen nicht kräftiger als die der Frauen, die sich nicht regelmäßig körperlich anstrengten (Middlekauff et al. 2016).

 

Auf die korrekte Durchführung kommt es an

 

Es scheint, als würden frischgebackene Mütter zunehmend als lohnende Zielgruppe für diverse Fitnessangebote entdeckt. So wird bei der Vermarktung häufig der Eindruck erweckt, ein Sportkurs – egal welcher – habe einen Nutzen für die Rückbildung. Die fachliche Qualifikation fehlt meist, die Belastung ist oftmals zu hoch und die einzige Anpassung an die besonderen Bedürfnisse der Teilnehmerinnen bleibt die gelegentliche Aufforderung, den Beckenboden anzuspannen. Unglücklicherweise ist jedoch die korrekte Durchführung einer Kontraktion der Beckenbodenmuskulatur nicht selbstverständlich, wie Studien zeigen.

Von den 250 Teilnehmerinnen an einer amerikanischen Studie von Dr. Padmasini Kandadai aus Massachusetts (USA) waren 24 % nicht in der Lage, den Beckenboden nach Aufforderung korrekt anzuspannen. Auch von den 83 Teilnehmerinnen, die angaben, über Beckenbodenübungen Bescheid zu wissen, führten 23 % die Anspannung nicht korrekt durch. Genauere verbale Instruktion und Feedback führten meist zu einwandfreien Durchführung (Kandadai et al. 2015).

Schon 1991 fanden der Gynäkologe Richard C. Bump und seine Kollegen in Virginia (USA) in einer Untersuchung heraus, dass eine kurze verbale Instruktion nicht automatisch eine korrekte Anspannung des Beckenbodens zur Folge hat. Bei 49 % führte sie zum Erfolg, doch 25% der Teilnehmerinnen zeigten gar die gegenläufige Bewegung, indem sie den Beckenboden nach außen drückten (Bump et al. 1991).

Zu Beckenbodendysfunktionen und Beckenbodentraining befragten Dr. Michael Moen aus Illinois und seine KollegInnen 325 Frauen. Anschließend wurden diese Frauen untersucht. 73 % hatten schon von Beckenbodenübungen gehört, 42 % waren in der Vergangenheit bereits instruiert worden, sie durchzuführen – doch nur 23 % der Frauen waren bei Tests in der Lage, eine adäquate Kontraktion der Beckenbodenmuskulatur herbeizuführen (Moen 2009).

 

Pilates als Alternative

 

Nicht einmal in der wenig anspruchsvollen Rückenlage ist es gewiss, dass Frauen nach der Aufforderung, den Beckenboden anzuspannen, dies korrekt ausführen und nicht auf eine nutzlose oder gar kontraproduktive Art. Ob es gelingen kann, dass Frauen mit ohnehin geschwächtem Beckenboden diesen auch noch während verschiedenster Bewegungen oder sogar während des Springens auf einem Trampolin korrekt stabilisieren, ist ungewiss.

Bleibt also die Frage: Welche Sportart können wir den Frauen nach der Rückbildung vorbehaltlos empfehlen? Studien dazu sind rar, daher ist diese Frage nicht leicht zu beantworten. Es ist wenig überraschend, dass der intraabdominale Druck beim Radfahren gering ist und nur ein Drittel des Wertes beträgt, der beim Gehen gemessen werden kann (Shaw et al. 2014). Mehr gesundheitlichen Nutzen bringen allerdings Sportarten, die die Muskulatur des ganzen Körpers fordern.

Hier könnte Pilates eine Möglichkeit sein: WissenschaftlerInnen der Universität in Utah untersuchten bei 20 Frauen den intraabdominalen Druck bei verschiedenen Pilates-Übungen. Sie fanden heraus, dass dieser nicht höher war als beim simplen Aufstehen von einem Stuhl. Die AutorInnen kommen daher zu dem Schluss, dass eine negative Auswirkung auf den Beckenboden durch Pilates unwahrscheinlich ist (Coleman et al. 2015a).

Bei all der Diskussion um geeignete oder ungeeignete Sportarten nach der Geburt sollte man auch die Auswirkungen alltäglicher Belastungen für den Beckenboden nicht außer Acht lassen – so führt das Heben und Tragen einer Babyschale beispielsweise zu hohem intraabdominalem Druck und sollte daher auf ein Minimum reduziert werden (Coleman et al. 2015 b).

Rubrik: Wochenbett | DHZ 04/2019

Literatur

Almeida MB, Barra AA, Saltiel F, Silva-Filho AL, Fonseca AM, Figueiredo EM: Urinary incontinence and other pelvic floor dysfunctions in female athletes in Brazil: A cross-sectional study. Scand J Med Sci Sports. 2016 Sep;26(9):1109-16. doi: 10.1111/sms.12546. Epub 2015 Sep 15

Bump RC, Hurt WG, Fantl JA, Wyman JF. Assessment of Kegel pelvic muscle exercise performance after brief verbal instruction 1991. Am J Obstet Gynecol. 1991 Aug;165(2):322-7; discussion 327-9

Coleman TJ, Hamad NM, Shaw JM, Egger MJ, Hsu Y, Hitchcock R, Jin H, Choi CK, Nygaard IE. Effects of walking speeds and carrying techniques on intra-abdominal pressure in women 2015 b. Int Urogynecol J. 2015 Jul;26(7):967-74. doi: 10.1007/s00192-014-2593-5. Epub 2014 Dec 20
»

Ich bin Abo-Plus-Leserin und lese das ePaper kostenfrei.

Ich bin Abonnentin der DHZ und erhalte die ePaper-Ausgabe zu einem vergünstigten Preis.

Upgrade Abo+

Jetzt das Print-Abo in ein Abo+ umwandeln und alle Vorteile der ePaper-Ausgabe und des Online-Archivs nutzen.