»Wir glauben an die Zukunft«

Drei werdende Hebammen berichten über ihre Sicht auf die aktuelle Geburtshilfe, alte und neue Weisheiten, Handwerk und Studium sowie ihre künftige Zusammenarbeit mit ÄrztInnen und werdenden Eltern. Isabelle-Marie Wunsch, Maika Keil, Bente Schwarz
  • Maika Keil, Bente Schwarz und Isabelle-Marie Wunsch werfen auf dem DHZCongress online einen Blick in die Zukunft.

Die Zukunft. Das ist die Zeit, die noch bevorsteht, Zeit die kommt, Zeit die ungewiss ist. Das Hebammenwesen steht vor einer spannenden und ungewissen Zukunft – ein aufregender Wandel findet statt. Vor allem der Weg, Hebamme zu werden, hat sich zuletzt durch die Akademisierung verändert. Doch wie stellen wir uns eigentlich unsere Zukunft vor?

Das ist gar nicht leicht zu beantworten. Aus diesem Grund haben wir Kommilitoninnen gefragt, was sie sich wünschen. Worte wie Empowerment, Zusammenhalt, mehr Zeit während, vor und nach der Geburt, Einklang von Traumberuf und Familie durch angemessene Vergütung, Selbstständigkeit, physiologische, gewaltfreie und interventionsarme Geburtshilfe und eine Annäherung an eine Eins-zu-eins-Betreuung fielen dabei häufig. Ganzheitliche Betreuung für Frauen als Standard, die durch Wertschätzung unserer Arbeit möglich gemacht wird. Zusammen lernen, Vertrauen in unsere Arbeit und den gebärenden Körper zu haben. Bedingungen schaffen, dass Hebammen wieder in der Geburtshilfe arbeiten wollen. Der Wunsch für jede schwangere Person in Deutschland lautet: selbstbestimmt und aufrecht gebären zu können.

Aber ist dies nur das romantische Wunschdenken von werdenden, unerfahrenen Hebammen, das nicht zu erreichen ist? Kann man diese Ziele erreichen und was muss dafür getan werden?

Was es auf jeden Fall auch zukünftig geben wird, sind Schwangerschaften und Geburten. Egal ob Kinder mehr oberhalb oder unterhalb der Symphyse geboren werden oder ob es mehr Menschen geben wird, die Kinder gebären, die keine Frauen sind – das Hebammenhandwerk wird unabhängig von den Veränderungen immer gefragt sein. Denn Hebammen sind unerlässliche Fachpersonen für Geburtshilfe. Solange also weiterhin Kinder geboren werden, müssen auch weiter Hebammen geboren werden. Und wenn man sich die Ausbildung einer Hebamme genauer ansieht, so weist sie doch erstaunlich viele Parallelen zu einer vaginalen Geburt auf. Wie kann man sich das vorstellen?

 

Phasen des Hebammenwerdens

 

Die Latenzphase ist der Beginn einer Geburt. Sie ist sehr vielfältig und folgt keinem klaren Schema. Die Entscheidung einer Person, Hebamme zu werden, ist genauso vielfältig. Manche brauchen gar nicht lange, um sich für den Weg der Hebamme zu entscheiden, und die Latenzphase vergeht wie im Flug. Bei anderen dauert es seine Zeit. Praktika geben einen kleinen Vorgeschmack auf die zukünftige Arbeit. Dennoch ist ungewiss, was einen erwartet. Vielleicht wird der Gedanke noch einmal verworfen und die ersten Interessewehen verebben zeitweilig, werden später aber wieder stärker. Jede Person findet am Ende ihren Weg, nur das Innerste und Individuelle zählt und führt letztendlich zum Erfolg.

Bald darauf beginnt die aktive Eröffnungsphase. Die Ungewissheit ist anfangs immer noch ein ständiger Begleiter. Wie wird es werden? Lang oder kurz? Anstrengend oder einfach? Viele Fragen liegen hier in der Luft. Doch nun heißt es, sich Zeit zu lassen, alles in Ruhe kennenzulernen und sich auf die neuen Erfahrungen zu freuen. Ein vorsichtiges Kennenlernen und Herantasten findet statt, um einen ersten Eindruck zu bekommen – so, wie Hebammen mit den Leopold-Handgriffen das Kind kennenlernen wollen.

Nun heißt es, das zuvor in der Theorie Gelernte auch in der Praxis anzuwenden. Doch das gestaltet sich manchmal nicht so leicht wie gedacht. Was in den »Wehenpausen« − den Theoriestunden − gelernt und gehört wird, lässt sich »in der Wehe« − den Praxiseinsätzen − manchmal gar nicht so umsetzen wie geplant. Drehungen müssen vollzogen werden und ein Tiefertreten in das Becken des Hebammenwissens findet statt. Dennoch ist die aktive Eröffnungsphase flexibel. Man ist aufnahmefähig und es stehen viele verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Und ob dies die freiwillige Rückenlage, die Bewegung zum Ausgleich oder ein angenehm temperiertes Bad zur Entspannung zwischendurch ist, ist dabei wieder ganz individuell.

Die passive Austrittsphase ist wohl eine der anstrengendsten und kräftezehrendsten Phasen einer Geburt. Egal welches Outcome − es gibt kein Zurück mehr. Ein langer Weg wurde bereits geschafft, viel Kraft und Mut investiert, eine Menge Arbeit geleistet und dabei viel gelernt, kleine und große Erfolge gefeiert und vielleicht auch mal eine Träne vergossen. Das allgemein bekannte Gefühl »Ich kann nicht mehr!« wird nun präsent. Doch nun heißt es, noch einmal alle Kräfte zu sammeln und sich zu motivieren, denn das Ziel, die Geburt − unser Examen − ist nicht mehr weit entfernt.

Der Druck von innen und außen auf die neue Hebamme wird in der aktiven Austrittsphase sehr groß. Das Gelernte muss nun in den Prüfungen abgerufen werden. Zweifel können aufkommen − kann der letzte Weg auch noch geschafft werden? Am Ende sammelt man alle Kräfte und mit Glück ist es bald ohne Druck und Zug von außen geschafft.

Mit der Geburt ist plötzlich alles vorbei. Viele Hürden wurden überwunden. Jede WeHe hat sich nun als Hebamme geboren und ihren individuellen Weg gefunden. Nun kann sie eigene Wege gehen und sich weiterentwickeln. Durch den Mix von Muttermilch und Vitamin K zur Prophylaxe wird in den ersten Lebensminuten bereits der bittersüße Geschmack des Hebammenlebens deutlich. Jede trägt nun mit ihrem individuellen Outcome zum Hebammenwesen bei. Wie das Neugeborene hat eine frisch examinierte Hebamme ihre Berufslaufbahn noch vor sich. Auf diesem Weg wird sie von den unterschiedlichsten Erfahrungen, Ereignissen und Wegbegleitenden geprägt. So entwickelt sich jede Hebamme zu einem eigenen Individuum und trägt somit zur Vielfalt und Schönheit des Berufes bei. Aber wie und wo will man jetzt Hebamme sein? Ist man diesem Beruf schon gewachsen? Gefühlt kann man doch noch gar nicht alles!

 

Interprofessionelles Lernen als Chance

 

Mit dem neuen Hebammengesetz vom 22. November 2019 wurde dem Hebammenwesen eine neue Form der Berufsausbildung gegeben: das Studium. Es bietet die Möglichkeit, die Umstände der Hebammenarbeit nachhaltig und zu besseren Bedingungen zu verändern. Im Studium besteht die Chance, gemeinsam mit MedizinstudentInnen, PhysiotherapeutInnen, PflegerInnen und anderen Fachbereichen der Gesundheitswissenschaften in Vorlesungen, Seminaren und Übungen zu lernen. Dabei profitiert jeder Fachbereich vom Wissen der anderen Fachrichtungen. Interprofessionelles Arbeiten können die Studierenden dadurch von Anfang an lernen und praktizieren. Für die spätere Arbeit als Hebamme ist dies eine wichtige Grundlage.

Den Großteil der praktischen Ausbildung absolviert man als werdende Hebamme in krankenhausintegrierten Kreißsälen, die hauptsächlich von ÄrztInnen geleitet werden. In der Historie zeigt sich bis zum 16. Jahrhundert noch ein ganz anderes Verhältnis, denn bis dahin dominierten Hebammen die Geburtshilfe. Das hat sich heute geändert und damit auch die Kreißsaalhierarchien.

Nun ist die Zeit gekommen, in der wir mit ÄrztInnen auf Augenhöhe arbeiten sollten nach dem Prinzip: »Physiologie zu uns Hebammen, Pathologie zu den ÄrztInnen.« Unter diesen Voraussetzungen ist es nämlich großartig, dass Hebammen nicht allein sind! Es gibt Eingriffe, die Hebammen nicht gelernt haben durchzuführen. Verläufe, die nicht dem Kompetenzprofil einer Hebamme entsprechen und andere Kenntnisse verlangen. ÄrztInnen haben einen anderen Beruf erlernt und somit andere Qualifikationen als Hebammen. Deswegen sind Aussagen wie »Die können mehr als wir« nicht gerechtfertigt. ÄrztInnen und Hebammen haben unterschiedliche Fähigkeiten, weshalb sie sich – falls erforderlich – wunderbar ergänzen. Die Realität in der Berufspraxis ist dennoch eine andere.

Das bestehende Ungleichgewicht liegt größtenteils an einem hierarchischen Gefälle. Hebammen arbeiten den ÄrztInnen in den Kliniken zu, bewegen sich in deren Kompetenzbereich, führen primär deren Anweisungen aus oder müssen sich ärztlichen Hausstandards in ihrem Handeln anpassen. Häufig hört man Sätze wie: »Mach schon mal drei Einheiten Oxy fertig.« Und: »Der hat das nicht gern, wenn das mit der Plazenta so lange dauert.« Obwohl allen bekannt ist, dass Hebammen viel Handwerk in ihrem Hebammenkoffer haben, um dasselbe Ziel zu erreichen. In der Praxis lernt eine werdende Hebamme anstelle des Ausführens ihres Handwerks als erstes, sich dafür zu rechtfertigen.

Daraus entwickelte sich über die Zeit die unterschwellige Annahme, dass bei jeder Schwangerschaft eine Pathologie zu vermuten sei. »Es kann ja immer was passieren.« Ein Satz, den man sowohl von Hebammen und ÄrztInnen als auch von den Gebärenden und ihren Familien immer wieder hört. Und er hat auch zum Teil seine Berechtigung, denn im Grunde genommen ist er wahr. Es kann immer etwas passieren, das stimmt. Eine Geburt kann Komplikationen mit sich bringen. Sie kann − aber sie muss nicht.

Gebärenden wird heutzutage in einigen Kliniken immer noch nicht erlaubt, während der Geburt zu essen, weil sie im Falle einer sekundären Sectio möglichst nüchtern sein sollten. Da wird ihnen eher eine 500 ml Glucosteril i.v. verabreicht, anstatt ihnen ihren Müsliriegel zu lassen − den sie mit Sicherheit dabeihaben, weil auf jeder Kliniktaschen-Packliste steht: Snacks für den Kreißsaal.

 

In Schieflage

 

Wir lernen, PatientInnen davor zu bewahren, was ihnen unter der Geburt passieren könnte. Wir betrachten sie aufgrund ihrer Schwangerschaft als gefährdet, anstatt primär auf die Physiologie des Ganzen zu vertrauen. Das ist seltsam, denn dadurch untergraben wir nicht nur die Autorität und Autonomie dieser Personen, sondern auch unsere eigene und die unseres Berufs. Unser Studium ist kurz. Und dennoch reicht die Zeit aus, um festzustellen, dass das Kinderkriegen in Deutschland heute in Schieflage geraten ist. Nicht jede Schwangere braucht eine medizinische Maximalversorgung, sondern eine Begleitung, die auf individuelle Bedürfnisse abgestimmt ist. Aber die Begleitung, die wir anbieten, ist überwiegend auf die Bedürfnisse der Versicherungen und der ÄrztInnen abgestimmt.

Wenn Pathologie wirklich auftritt, dann ist interprofessionelle Zusammenarbeit mit ÄrztInnen unbedingt von Nöten. Wenn Hebammen suspekte Befunde erheben, sollte dies in der gynäkologischen Praxis abgeklärt werden. Aber da die Schwangerenvorsorge bereits hauptsächlich in den Arztpraxen stattfindet, wird von Beginn an ein anderes Risikodenken impliziert.

Es fehlen Ruhe und Zeit, um zu sprechen, Befunde zu erheben, die Situation richtig zu interpretieren und im Sinne der Frauen zu handeln, nachdem wir sie ausreichend aufgeklärt und gefragt haben, wo ihre Bedürfnisse liegen und wofür sie sich entscheiden. Lassen wir sie doch von ihrem Müsliriegel abbeißen, herumlaufen und mit ihrer Begleitperson in die Wanne. Denn jede Hebamme, die das wunderbare Hebammenhandwerk beherrscht, wird früh genug feststellen, wann zu anderen Mitteln und Methoden gegriffen werden muss oder wann die Übergabe an einen Arzt oder eine Ärztin nötig ist.

 

Was bedeutet das für uns?

 

Wir erlernen das schönste Handwerk, das wir uns hätten vorstellen können, mit unseren Händen und unseren Sinnen. Unsere Hände sind Allrounder. Sie ertasten die Lage des Kindes im Bauch, können Kontraktionen spüren. Es sind helfende und unterstützenden Hände, die sich alle in Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit wünschen. Es geht nicht um die Arbeit an den Gebärenden, sondern um das gemeinsame Arbeiten mit ihnen. Ob Ausbildung oder Studium – uns Hebammen verbindet ein Handwerk, auf der Suche nach dem Weg zurück zu alten Weisheiten und dem Ursprung des Berufs.

Unser Beruf hat nur weiterhin Bestand, wenn wir selbstbewusst für seinen Wert einstehen und uns mit unserer Methodik deutlich von anderen Berufsgruppen abgrenzen. Sonst wird unser Handwerk einfach verlernt und wichtiges, altes Wissen nicht weitergegeben − wodurch beides verloren geht.

Man sagt: »Der Bauch kommt neun Monate und geht neun Monate.« Aber ein Geburtserlebnis ist jeder Person, die geboren hat, ihr ganzes Leben präsent. Und deshalb müssen wir uns dafür einsetzen, diese Erlebnisse so schön wie nur möglich für die Gebärenden zu gestalten und ihnen zu einer selbstbestimmten Geburt zu verhelfen. Nicht nur, um den Eintrag »Zustand nach traumatischer Geburt” zu vermeiden, sondern auch, um Schwangeren das Selbstverständnis wiederzugeben, gebären zu können.

Jackie Griggs, eine Hebamme aus Texas, hat einmal in einem Interview gesagt: »It’s important to have midwives at home, at the birth center, at the hospital. Women should have that option, no matter where they give birth.” (Griggs 2012, > www.youtube.com/watch?v=gIvQaVkhZ-Y&t=8s) (»Es ist wichtig, Hebammen zu Hause, im Geburtshaus und im Krankenhaus zu haben. Frauen sollten diese Option haben, egal wo sie gebären.«)

 

Das Selbstvertrauen stärken

 

Schwangere sollten Optionen haben. Und die haben sie nur, wenn sie wissen, an wen sie sich wenden können, um ausreichend von kompetentem Fachpersonal unterstützt und betreut zu werden.

Wir möchten das Selbstvertrauen von Hebammen und werdenden Hebammen stärken und uns allen bewusst machen, wie viel Kraft und Können in uns liegt. Dann können wir nämlich auch das Selbstvertrauen einer jeden schwangeren Person stärken und sie in einer der wichtigsten Phasen ihres Lebens unterstützen. Wir glauben an die Zukunft!

Rubrik: Beruf & Praxis | DHZ 04/2021

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