Leseprobe: DHZ 01/2015
Poster | Neugeborenenprophylaxe

Auf dem Prüfstand

Eltern und Fachleute sind häufig unsicher, denn für die Prophylaxe gegen Vitamin-K-Mangelblutung, Rachitis, Karies und Bindehautentzündung gelten weltweit unter­schiedliche Standards. Drei Studentinnen haben die aktuellen Studien, Leitlinien und Empfehlungen gesichtet, um eine Elterninformation zu erstellen. Ihr Poster zeigten sie auf dem 2. DHZCongress Ende Juni 2014 in Hannover. Manuela Sell, Jana Schütz, Mareike Schröder,

Unter Prophylaxen versteht man die Vorbeugung und Verhütung von Krankheiten. Bei Neugeborenen geht es dabei um Vitamin-K-Mangelblutung, Rachitis, Karies und Ophthalmia neonatorum. Diesen Krankheiten wird mittels Vitamin K, Vitamin D, Fluorid und der Augenprophylaxe vorgebeugt. Weltweit werden aufgrund unterschiedlicher Standards, Erfahrungen und Empfehlungen Neugeborenenprophylaxen ungleich gehandhabt. Das kann (werdende) Eltern verunsichern. Aufgrund aktueller Empfehlungen der Fachgesellschaften sowie neuester Studienlage haben wir, drei examinierte Hebammen und Studentinnen der Katholischen Hochschule Mainz, wissenschaftlich fundierte Informationen zur Neugeborenenprophylaxe erarbeitet.

Fachpersonal und (werdende) Eltern bekommen damit einen evidenzbasierten Überblick, um eine informierte Entscheidung („informed consent") zu treffen. Wir haben eine Elterninformation erarbeitet, die beispielsweise in gynäkologischen und kinderärztlichen Praxen sowie in Krankenhäusern ausgelegt werden könnte. Die evidenzbasierte Literaturrecherche erfolgte mittels Online-Datenbanken wie Cochrane, PubMed und CINAHL, Fachliteratur, Leitlinien und Veröffentlichungen von Experten. Die Ergebnisse entsprechen den Empfehlungen mit Stand vom Januar 2014.

 

Vitamin-K-Prophylaxe

 

Das Vitamin K ist ein fettlösliches Vitamin. Es gibt davon zwei Arten: Das Vitamin K1, auch Phyllochinon genannt, wird mit der Nahrung aufgenommen. Das Vitamin K2, Menachinon, wird von den Bakterien der natürlichen Darmflora synthetisiert, hauptsächlich von Escherichia coli. Vitamin-K-abhängige Proteine kommen in allen Geweben des Körpers vor. Vitamin K ist also nicht nur für die Gerinnung, sondern für den gesamten Organismus von großer Bedeutung. Da nur sehr wenig Vitamin K die Plazentaschranke überwindet, ist die Reserve beim Neugeborenen sehr gering. Das führt zu einem physiologischen Vitamin-K-Mangel. Im Kolostrum ist zwar ein höherer Anteil an Vitamin K als in der reifen Muttermilch (< 10 Mikrogramm pro Liter), doch dieser reicht nicht aus. Der Tagesbedarf von zwei Mikrogramm wird bei Neugeborenen, die mit Formula-Nahrung ernährt werden, mehr als gedeckt. Sie nehmen mindestens 50 Mikrogramm auf. Das ist unbedenklich, da eine Überdosierung unschädlich und keine Intoxikation bezüglich Vitamin K bekannt ist. Trotz allgemeiner Ansicht, dass alle Neugeborenen eine Prophylaxe erhalten sollten, um Blutungen aufgrund eines Vitamin-K-Mangels zu vermeiden, gibt es weltweit keine einheitliche Dosierung und Applikationsart. Die „ESPED-Erhebung" – Erhebungseinheit für seltene pädiatrische Erkrankungen – ergab, dass mit der in Deutschland durchgeführten oralen Prophylaxe Mangelblutungen unter 1:100.000 liegen. Hier erhält jedes Kind bei den Untersuchungen U1, U2 und U3 jeweils zwei Milligramm Vitamin K durch eine orale Gabe. Risikoneugeborene erhalten eine intramuskuläre Gabe nach der Geburt. Hierzu gehören Frühgeborene wie auch Reifgeborene mit Anpassungsstörungen oder nach einer Vakuumextraktion. Dass die parenterale Prophylaxe eine krebserregende Wirkung habe, konnte von keiner Studie bestätigt werden. Bei gestillten Kindern mit Gallen- oder Lebererkrankungen wirkt die orale Vitamin-K-Prophylaxe in der Regel nicht, da die Absorption im Darm gestört ist. Hier wäre eine intramuskuläre Gabe sinnvoll.

Fazit: Die Vitamin-K-Prophylaxe in Deutschland ist eine sinnvolle Prophylaxe bei reifen Neugeborenen ohne Risikofaktoren, die nicht an einer Gallen- oder Lebererkrankung leiden. Gestillte Neugeborene haben einen erhöhten Vitamin-K-Bedarf und sollten bei zusätzlichen Risiken eine intramuskuläre Prophylaxe von 200 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht erhalten. Dies ist in Deutschland bisher nur bei Risikoneugeborenen empfohlen, so beispielsweise bei gestillten Neugeborenen nach einer Vakuumextraktion. Neugeborene, die mit Formula ernährt werden, brauchen keine zusätzlichen Vitamin-K-Gaben. Weitere Forschung ist erstrebenswert, um die Verfahren weltweit anzugleichen.

 

Augenprophylaxe und Chlamydientest

 

Die Augenprophylaxe beim Neugeborenen wird verwendet, um die „Ophthalmia neonatorum" (Neugeborenen-Konjunktivitis) zu verhindern. Deren Symptome sind Rötung, Schwellung und mehr oder weniger eitrige Absonderungen, die das Auge verkleben. Sie tritt meist dann auf, wenn die Vaginalschleimhaut einer Frau bei der Geburt von Chlamydien oder Gonokokken besiedelt ist – selten auch durch andere Keime. In der aktuellen Leitlinie „Betreuung von gesunden reifen Neugeborenen in der Geburtsklinik" wird keine routinemäßige Augenprophylaxe empfohlen. Fast alle evidenzbasierten ausländischen Studien und Fachzeitschriftartikel empfehlen, bei allen Neugeborenen die routinemäßige Augenprophylaxe durchzuführen.

Infizieren kann man sich mit Gonorrhö nur über direkten Schleimhautkontakt – etwa beim Geschlechtsverkehr oder bei der Geburt. Da eine Infektion meist asymptomatisch verläuft, wird sie häufig nicht oder zu spät erkannt und ist lebensgefährlich. Die Ansteckungswahrscheinlichkeit bei einmaligem Kontakt liegt bei Frauen bei 60 bis 90 Prozent. Da in Deutschland keine Meldepflicht für eine Gonorrhö besteht, gibt es keine aktuellen Daten. Weltweit gibt es jährlich rund 60 Millionen Neuinfizierungen. Die Kinder der infizierten und unbehandelten Frauen stecken sich – je nach Quelle – zu 40 bis 60 Prozent an und entwickeln eine Gonoblennorrhö (Gonokokkenkonjunktivitis). Zu spät oder unbehandelt führt dies zur Narbenbildung sowie Perforation am Auge und Blindheit. Da sich jährlich rund 160 Millionen Menschen weltweit mit Gonorrhö infizieren und in vielen Ländern Resistenzen gegen die eingesetzten Breitbandantibiotika gemeldet wurden, hat die WHO 2012 einen Globalen Aktionsplan veröffentlicht.

 

Was zahlt die Kasse?

 

Die weltweit häufigste sexuell übertragbare bakterielle Infektion ist die mit Chlamydien. In Irland beispielsweise haben sich die Zahlen zwischen 1995 und 2004 verzehnfacht. In Deutschland besteht – außer in Sachsen – keine Labormeldepflicht. Die Zahlen sind allerdings drastisch gestiegen: von 26,3 Fällen pro 100.000 Einwohner 2003 auf 102 Fälle im Jahr 2012. Fast alle Fälle traten bei den 15- bis 24-Jährigen, also bei Frauen im gebärfähigen Alter, auf. Bei 80 Prozent der Frauen bleibt die Erkrankung lange unbemerkt. Unbehandelt führt sie in 10 bis 40 Prozent der Fälle zu einer Verklebung der Eileiter, Unfruchtbarkeit, chronischen Schmerzen und Eileiterschwangerschaften. Bei schwangeren Frauen steigt das Risiko einer Früh- oder Fehlgeburt, einer Amnioninfektion und vorzeitigem Blasensprung, einem niedrigen Geburtsgewicht und einer Vaginose.

Schwangeren wird seit 1995 ein Chlamydientest angeboten – mittels Erststrahlurin oder einem Zervixabstrich. Seit 2009 wird der Zervixabstrich bei Schwangeren nicht mehr von den Krankenkassen erstattet – lediglich der Urintest (mit hohen falsch-negativen Testergebnissen) wird noch übernommen. Unbehandelt übertragen sich die Bakterien in zwei Dritteln der Fälle bei der Geburt auf das Kind und sind die häufigste Ursache für eine Ophthalmia neonatorum. Außerdem verursachen sie ein Drittel aller pulmonalen Infektionen beim Neugeborenen.

Fazit: Die Konjunktivitis-Prophylaxe beim Neugeborenen sollte in der Behandlung der Schwangeren liegen. Krankenkassen sollten entweder einen Urintest auf Chlamydien zu Beginn und Ende der Schwangerschaft zahlen oder einmalig einen endozervikalen Test sowie eine Untersuchung auf Gonokokken. Die Meldepflicht sollte wieder eingeführt werden.

 

Rachitisprophylaxe

 

Als Rachitis wird eine mangelnde Mineralisierung und unzureichende Verknöcherung der wachsenden Knochen bezeichnet, deren Ursache ein Vitamin D-Mangel sein kann. Der Grund kann in geringer Sonnenbestrahlung im Frühling und Winter liegen. Die Folge ist eine unzureichende Kalziumaufnahme. Auch Neugeborene können ihr Vitamin D mithilfe von Tageslicht selbst herstellen und müssten für eine ausreichende Menge mindestens zwei Stunden in der Tagesmitte draußen verbringen. Nach den aktuellen Empfehlungen sollten Säuglinge mindestens von Oktober bis März 500 I.E. Vitamin D3 täglich ab der zweiten Lebenswoche bis zu ihrem zweiten Frühling erhalten. Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht unter 1.500 Gramm erhalten 800 bis 1.000 I.E. Vitamin D3 täglich. Die Versorgung mit Vitamin D in der Kindheit beugt auch gegen Asthma, Diabetes Mellitus Typ I und Infektionen der Atemwege vor.

Die Verabreichung kann durch Vitamin-D-Tabletten oder Vigantol-Öl erfolgen. Klassische Vitamin-D-Tabletten sind rezeptfrei. Aufgrund der enthaltenen Hilfsstoffe, wie Siliciumdioxyd, Maisstärke, Talkum, Saccharose, Gelatine oder Cellulose, können sie zu Blähungen oder Verdauungsstörungen führen. Das verschreibungspflichtige Vigantol-Öl führt selten zu Verdauungsstörungen und ist besonders für Kinder mit familiärer Disposition für Allergien geeignet. Säuglinge, die mit Formula ernährt werden, erhalten darüber eine gewisse Menge an Vitamin D, so dass eine Reduzierung der Vitamin-D-Zufuhr überdacht werden kann.

 

Kariesprophylaxe

 

Die aktuelle Kariesprophylaxe stellt sich aus Sicht der Kinder- und ZahnärztInnen unterschiedlich dar. ZahnärztInnen empfehlen, ab Durchbruch der ersten Zähne mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta einmal täglich zu putzen, ab dem zweiten Lebensjahr zweimal täglich. Dafür soll bis zum Schulalter des Kindes eine Zahnpasta mit 500 ppm Fluorid genutzt werden. Alternativ können die Kinder auch Fluoridtabletten lutschen. Dann sollte aber wegen des Fluorose-Risikos keine fluoridhaltige Zahnpasta zusätzlich verwendet werden. Begründet wird diese Empfehlung damit, dass eine Kariesprophylaxe vor dem Durchbruch der ersten Zähne nicht notwendig ist und Fluorid als Zellgift bei Überdosierungen zu Nebenwirkungen wie Schädigung der Magen- und Darmschleimhaut, Hemmung der Blutbildung, Fluorose (weißliche oder bräunliche Flecken auf den Zähnen), Vergesslichkeit und Konzentrationsschwäche führen kann.

KinderärztInnen empfehlen dagegen, ab der zweiten Lebenswoche eine tägliche Fluoridgabe (0,25 Milligramm pro Tag) mit den 400 bis 500 I.E. Vitamin D für 12 bis 18 Monate zu kombinieren (zum Beispiel mit D-Fluoretten oder Zymafluor). Ihrer Meinung nach soll fluoridhaltige Zahnpasta erst bei Kindern eingesetzt werden, die diese nach dem Zähneputzen ausspucken können. Für eine langfristige Kariesprophylaxe ist vor allem der lokale Effekt von Fluorid am Zahn von Bedeutung. 

Rubrik: Ausbildung & Studium | DHZ 01/2015