Leseprobe: DHZ 05/2021

Cannabiswirkstoff für Schwangere?

Der angesagte Cannabiswirkstoff soll werdende Mütter vor der Geburt entspannen, Ängste nehmen und krampflösend wirken. Ist das sinnvoll oder gar schädlich? Matthias Bastigkeit,
  • Cannabidiol soll entspannend und nicht halluzinogen wirken. Es wird gegen viele Erkrankungen empfohlen. Als Tropfen ist es über das Internet oder bei zwei großen Drogerieketten erhältlich.

Dass Drogen und Alkohol auch in kleinsten Mengen für den Fötus schädlich sein können, ist unbestritten. Das Wort »Droge« kommt aus dem Mittelhochdeutschen und heißt »getrocknet«. Ursprünglich waren damit getrocknete Heilpflanzen gemeint. Mittlerweile wird die Bezeichnung für alle Stoffe verwendet, die abhängig oder süchtig machen können.

Eine solche Pflanze ist das Hanfgewächs Cannabis. Mehr als 60 Inhaltsstoffe wurden identifiziert. Der bekannteste und für die Rauschwirkung zuständige ist Tetrahydrocannabinol (THC). In letzter Zeit ist auch Cannabidiol (CBD) ins Interesse gerückt (Ahrens 2020).

»Wir werden von einer schwindelerregenden Vielfalt von CBD-Produkten bombardiert: Biere, Weingummis, Schokoladen und Marshmallows, schmerzlindernde Lotionen zum Einreiben, Öle zum Schlucken, vaginale Zäpfchen zur Beruhigung«, war in der New York Times zu lesen (MacKeen 2021).

 

Drogen im Drogeriemarkt

 

Cannabidiol soll lediglich entspannend und nicht halluzinogen wirken. Es wird gegen Dutzende von Erkrankungen empfohlen. Als Tropfen ist es über das Internet oder bei zwei großen Drogerieketten erhältlich. Aber der rechtliche Status und die Unbedenklichkeit sind nicht hinreichend geklärt. In der Schweiz ist CBD legal. Legal heißt aber nicht unbedenklich. Auch die mit CBC versetzten Öle Limucan und Nutree werden im Internet oder in der Drogerie verkauft. Außerdem ist ein Kaugummi mit dem Namen »Taff inaff« mit CBD erhältlich, die Standardosierung beträgt 0,5 bis 20 mg.

 

Zulassung ungeklärt

 

Für die Einzelsubstanz Cannabidiol (CBD) wurde bisher kein Verzehr vor dem 15. Mai 1997 belegt. Sie wird daher im Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission unter dem Eintrag »Cannabinoids« als neuartig beurteilt und bedarf einer Zulassung nach der Novel-Food-Verordnung. Da eine Zulassung von CBD als neuartiges Lebensmittel bisher nicht erfolgt ist, sind derartige Erzeugnisse bislang nicht verkehrsfähig (Stand März 2019).

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) empfiehlt die Unterstellung unter die Verschreibungspflicht. Zwischen der Anwendung von Kaugummis für Kinder und der Zulassung als rezeptpflichtiges Arzneimittel liegen Welten. Es erscheint befremdlich, dass es hierüber in Deutschland keine Einigkeit gibt. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) stellt klar, dass Cannabidiol (CBD) in Lebensmitteln verkehrsfähig sei, also auch in Nahrungsergänzungsmitteln. Aus Sicht des BVL muss für CBD-haltige Erzeugnisse entweder ein Antrag auf Zulassung eines Arzneimittels oder ein Antrag auf Zulassung eines neuartigen Lebensmittels gestellt werden. Im Rahmen dieser Verfahren ist die Sicherheit des Erzeugnisses vom Antragsteller zu belegen.

Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat in einem Statement klargestellt, dass Cannabis-Produkte, für die ein therapeutischer Nutzen beansprucht werde, als Arzneimittel zugelassen werden müssten. Es sei ungesetzlich, Lebensmittel oder Nahrungsergänzungen mit Cannabidiol- oder THC-Zusatz landesweit zu verkaufen. Zur Begründung wird angegeben, dass beide auch Wirkstoffe in zugelassenen Arzneimitteln sein könnten (FDA 2021). Der US-amerikanische Eishersteller Ben & Jerry‘s setzt sich für Cannabidiol (CBD) in Lebensmitteln ein. »Wir sind offen dafür, CBD-haltige Eiscreme in eure Kühltruhen zu bringen, sobald es legalisiert ist,« teilt das Unternehmen mit, das zum Konsumgüterkonzern Unilever gehört. VerbraucherInnen werden aufgefordert, an die Arzneimittelbehörde FDA zu schreiben (Schwarz 2019).

 

Vielfältige Wirkung

 

Cannabinoide aktivieren die CB1-Rezeptoren im zentralen Nervensystem sowie CB2 im Immunsystem. Dabei handelt es sich um Bindungsstellen, an die die Substanzen andocken. Unser Körper verfügt nur über solche Bindungsstellen, wenn er körpereigene Substanzen produzieren kann oder konnte, die ebenso an den Bindungsstellen als Transmitter angreifen (Grotenhermen & Müller-Vahl 2012). Das Interesse an dem therapeutischen Potenzial von Cannabis, insbesondere CBD, ist in den letzten Jahren rasant gestiegen. Es wird angenommen, dass CBD nicht über die psychoaktiven Effekte von THC verfügt (Notari et al. 2018). CBD greift erheblich mehr Transmittersysteme ein. Es steigert die Menge an körpereigenen Cannabinoiden, bindet an Serotoninrezeptoren und stimuliert GABA-Rezeptoren, die den Schlafrhythmus und das Angstverhalten steuern. Es stellt also eine Art Ganzkörpermassage im neurobiologischen Mobile der Transmitter dar. Studien sprechen von antiepileptischen, antientzündlichen, neuroprotektiven, antidepressiven und schmerzlindernden Effekten. Zahlreiche dieser Wirkungen werden auch dem THC zugeschrieben. Dennoch sind THC-haltige Produkte lediglich für zwei Indikationen zugelassen: gegen Übelkeit und gegen Spastiken unter Multipler Sklerose. Bei CBD liegt gar keine zugelassene Indikation vor.

 

Schwangerschaft und Stillzeit

 

»Die Einnahme trägt zu einem gesunden Schlaf bei und wirkt der anfänglichen Schwangerschaftsübelkeit entgegen. So gesehen kann CBD als echtes Wunderheilmittel betrachtet werden, denn Nebenwirkungen gibt es nahezu keine«, so positiv ist das Statement im österreichischen Magazin CBD Vital (CBD Vital 2017).

Dabei handelt es sich um eine Information eines Onlineshops, der CBD-Öl verkauft. Einschränkend ist dort zu lesen: »Es liegen weder Studien mit positiven noch mit negativen Ergebnissen vor, die Aufschluss über die Unbedenklichkeit der Einnahme von CBD während der Schwangerschaft geben könnten. Allerdings existieren zahlreiche Erfahrungsberichte von Frauen, die ihrem Körper sowohl während der Schwangerschaft, als auch während der Stillzeit CBD zugeführt haben. Den Kindern dieser Frauen scheint es gut zu gehen und die Frauen selbst berichten von einer unbeschwerten Schwangerschaft ohne übermäßige Übelkeit, Heißhungerattacken oder hormonbedingten Stimmungsschwankungen«. Die erste Anlaufstelle für die Anwendung von Substanzen in Schwangerschaft und Stillzeit ist die Homepage Embryotox. Hier taucht kein Eintrag zu CBD auf.

 

Autismusrisiko erhöht

 

Eine kanadische Studie untersuchte, ob ein Cannabiskonsum in der Schwangerschaft das spätere Autismusrisiko für die Kinder steigert (Corsi et al. 2020). Die teilweise Legalisierung von Cannabis in den USA und Kanada hat dazu geführt, dass dort vermehrt Schwangere die Droge gegen Schwangerschaftsübelkeit einsetzen.

Es ist bewiesen, dass die Rezeptoren für die endogenen Cannabinoide vor der Geburt im Körper und insbesondere im Gehirn des Feten vorhanden sind. Es steht zu befürchten, dass der Konsum der Droge durch Schwangere dem werdenden Kind Schaden zufügt, wofür in den vergangenen Jahren Hinweise gefunden wurden. In einer Studie wurde gezeigt, dass Schwangere, die Cannabis rauchen, häufiger eine Frühgeburt erleiden (aerzteblatt.de 2019).

An einer Autismus-Spektrum-Störung leiden in den USA mittlerweile mehr als 1 % aller Kinder. Die Entstehung könnte nach Einschätzung von Hirnforschern in der vorgeburtlichen Phase liegen (Corsi et al. 2020).

Die StudienautorInnen konnten allerdings 2.200 Frauen ermitteln, die ausschließlich Cannabis und keine anderen Drogen konsumiert haben wollen. Für die Kinder, deren Mütter einen Cannabiskonsum angegeben hatten, ermittelten sie eine Inzidenz von Autismus-Spektrum-Störungen vom 4,00 pro 1.000 Personenjahre (erkrankte Personen pro Jahr).

Von den nicht pränatal mit Cannabis exponierten Kindern erkrankten dagegen nur 2,42 pro 1.000 Personenjahre. Je nach Studienkohorte ist damit das Risiko für die neurologische Störung bis zu doppelt so hoch. Die Kinder der Cannabis-konsumierenden Schwangeren erkrankten auch häufiger an anderen geistigen Behinderungen und Lernstörungen. Wie viel Cannabis die Mütter konsumiert hatten, wurde nicht untersucht. Deshalb müssen noch einige Fragen geklärt werden.

Da die meisten Studien über Cannabinoide in der Schwangerschaft mit Cannabis als Ganzpflanze oder -extrakt durchgeführt wurden, ist kein Rückschluss darüber möglich, ob die fetalen Schäden durch THC, CBD oder beide entstanden sind.

 

FrauenärztInnen warnen

 

Der Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte Dr. Christian Albring warnt: »Da das Gehirn des ungeborenen Babys sich von Tag zu Tag weiterentwickelt, wirkt Cannabis genau wie Alkohol nicht einfach nur als Droge, sondern als Gift« (aerzteblatt.de 2019). Er betonte, es sei zwar unklar, wie viele Frauen mit dem Cannabisrauchen aufhörten, wenn sie schwanger würden. Vor allem Schwangeren, die legale oder illegale Drogen regelmäßig und in größeren Mengen konsumierten, dürfte die Abstinenz aber schwerfallen, sagte er. Dem Berufsverband zufolge gibt es sehr deutliche Hinweise darauf, dass sich die Funktionsweise des kindlichen Gehirns dauerhaft verändert, wenn die Mutter während der Schwangerschaft Cannabis konsumiert (aerzteblatt.de 2019).

Eine weitere Studie zeigt, dass bereits eine einmalige Exposition von Cannabinoiden während der frühen Schwangerschaft Wachstumsstörungen bei einem sich entwickelnden Embryo verursachen kann. In der tierexperimentellen Studie wurde untersucht, wie sich Alkohol, THC und CBD auf die Hirnentwicklung auswirken. Die entstandenen Hirnschäden glichen einem fetalen Alkoholsyndrom (FAS). Werden Alkohol und Cannabinoide gemeinsam konsumiert, verdoppelt sich das Risiko (Fish et al. 2019).

 

Während der Geburt

 

»Im Allgemeinen wurden CBD und Hanf verwendet, um die Wehen zu stimulieren oder Blutungen zu stoppen, um Schmerzen zu lindern oder den Laktationsprozess zu starten« (FormulaSwiss 2018). Das klingt erstmal positiv. Aber Daten zur Anwendung von CBD während der Geburt sind quasi nicht existent. Es handelt sich um anekdotische und empirische Beschreibungen aus der Antike von THC-haltigem Cannabis (FormulaSwiss 2018). Diese sind nicht auf CBD zu übertragen. Außerdem ist es rechtlich heikel, wenn eine Hebamme unter der Geburt eine Substanz verabreicht, deren Zulassung nicht geklärt ist. Die Stadt Köln beispielsweise hat den Verkauf, den Kauf und die Anwendung von CBD untersagt.

 

Fazit

 

Zahlreiche Studien, gerade mit Schwangeren, haben Cannabis mit THC und CBD als Gesamtextrakt untersucht. Die valide Datenlage zu CBD für diese Indikation ist sehr dürftig. Weitere Untersuchungen wären notwendig, um den Nutzen und die Unschädlichkeit zu bestätigen.

 

Meinungen von Fachverbänden

 

Zum isolierten CBD existieren nur sehr wenige Studien. Es gibt verschiedene Meinungen zur Anwendung des Cannabinoids in der Schwangerschaft:

Das nationale Kompetenzzentrum »Sucht Schweiz«:

»Über Risiken des CBD-Konsums ist kaum etwas bekannt. Allerdings sollte CBD insbesondere während der Schwangerschaft nicht eingenommen werden, da CBD die Schutzfunktion der Plazenta reduzieren und ihre Eigenschaften verändern kann« (Sucht Schweiz 2017).

Verbraucherzentrale Deutschland:

»Gerade bei Vielverzehrern, Kindern oder Schwangeren sind dadurch gesundheitliche Beeinträchtigungen möglich. Die Beeinträchtigungen können zudem durch alkoholische Getränke und bestimmte Arzneimittel verstärkt werden.

CBD-Öle enthielten allerdings häufig Extrakte, die nicht nur in ihrem CBD-Gehalt, sondern auch bezüglich THC angereichert sind. Es ist sogar davon auszugehen, dass nicht CBD der eigentliche Wirkstoff bei diesen Produkten ist, sondern das ›versteckt‹ applizierte THC. Die Bewerbung von CBD-Ölen mit dem Werbeslogan ›THC-frei‹ stellt demnach eine erhebliche Täuschung und Irreführung der Verbraucher dar« (Verbraucherzentrale 2020).

Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg:

»Von insgesamt 49 untersuchten Lebensmittelproben wurde fast jede zweite als nicht sicher beurteilt. Grund waren zu hohe Gehalte an Tetrahydrocannabinol (THC), der wichtigsten psychoaktiven Substanz der Hanfpflanze. 29 der Proben wurden als Extrakte aus der Hanfpflanze sowie daraus gewonnene cannabinoidhaltige Produkte und damit als nicht zugelassene neuartige Lebensmittel eingestuft. Es ist nicht zweifelsfrei geklärt, ob CBD-Zubereitungen für den Fötus risikofrei sind. Dies liegt einerseits an der mangelnden Studienlage und andererseits an möglichen Verunreinigungen durch THC. Aus der Sicht mehrerer Verbände und des Autors dieses Beitrages sollten Schwangere und Stillende auf den Konsum von CBD-haltigen Produkten verzichten. Hinzu kommt, dass auch die Wirkungen nicht zweifelsfrei belegt sind« (Ministerium für ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg 2019).

Rubrik: Schwangerschaft | DHZ 05/2021

Literatur

Aerzteblatt.de: Frauenärzte warnen vor Cannabiskonsum in der Schwangerschaft, 2019. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/103976/Frauenaerzte-warnen-vor-Cannabiskonsum-in-der-Schwangerschaft

Ahrens S: Anteil der Neueinführung von Cannabidiol-Produkten nach Bereichen in Europa 2018. Statista 2020. https://statista.com/statistik/daten/studie/1025683/umfrage/anteil-der-neueinfuehrung-von-produkten-mit-cannabidiol-cbd-nach-produktgruppen-in-europa/

CBDVITAL: CBD während der Schwangerschaft. CBDVITAL, 2017. https://www.cbd-vital.de/magazin/cbd-allgemein/cbd-waehrend-der-schwangerschaft
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