Leseprobe: DHZ 06/2014
Beckenendlagengeburten

Dankbar für das Besondere

Ein sehr persönliches Plädoyer, die Kunst der Entwicklung von Beckenendlagen auch unter Hebammen lebendig zu halten. Lernen von anderen, lernen an wirklichen Fällen, das Wissen weitergeben. Nur so kann es erhalten bleiben. Die Erfahrung der Autorin spricht für sich. Bettina Stawinski-Päsler,

„Die Entwicklung eines Kindes aus Beckenendlage ist ärztliche Aufgabe, sollte aber von der Hebamme im Notfall beherrscht werden.“ Dieser Satz, den ich während meiner Schülerinnenzeit gelernt habe, hat sofort meinen Widerspruch geweckt. Wie soll eine Hebamme den Notfall können, wenn sie die Entwicklung des Kindes ausschließlich am geburtshilflichen Phantom, nicht aber mit der Gebärenden lernen darf? Auch wollte mir nicht einleuchten, was denn Handwerk mit akademischem Grad zu tun hat?

Die erste Steißlage in meinem Leben habe ich bei meiner Hündin gesehen. Ein Junges kam mit den Hinterläufen zuerst. Ich wusste, dass das nicht der Regelfall ist und habe den Tierarzt angerufen. Sein Rat war: „Lass die Finger davon, die Natur regelt das, sollte der Kopf nicht von alleine kommen, nimm den Welpen vorsichtig an den Hinterläufen, lege die Daumen auf den unteren Rücken und bewege das Kleine vorsichtig sanft nach oben.“ Telefonische Geburtshilfe eines Tierarztes an ein 13-jähriges Mädchen. So blieb ich an der Wurfkiste sitzen und sah, wie sich das Junge seinen Weg bahnte, nach einigen Wehen aus der Mutter fiel und von dieser leckend stimuliert wurde. Es lebte wie die anderen auch. Den Handgriff nach Bracht musste ich nicht anwenden und darum war ich froh. Hatte ich doch mehr Angst davor, handeln zu müssen, als davor, dass die Natur das nicht regeln würde. Nun möchte ich die Geburt eines Menschenjungen nicht mit der eines Hundewelpen vergleichen, aber: Das „die Natur regelt das schon“, hat sich fest eingebrannt. Beeinflusse sie nicht, verhalte dich ruhig, lass die Hände in den Taschen und störe die Mutter nicht bei ihrer Arbeit!

In erster Ausbildung bin ich Gärtnerin. Auch in dieser Zeit machte ich die Erfahrung, dass die Natur ihren eigenen Gesetzen und Zeiten folgt. Bereite den Boden, sähe, begleite und beobachte, aber ziehe nicht am Gras: Es wächst dadurch nicht schneller und schon gar nicht besser!

 

Nicht Zuschauerin, sondern Aktive

 

Mein erstes Kind bekam ich 1985 spontan aus Schädellage in einer Klinik, das zweite Kind 1990 als Hausgeburt. 1991 begann ich dann meine Ausbildung zur Hebamme in Duisburg.

In den drei Jahren meiner Ausbildung habe ich nur eine Geburt aus Beckenendlage gesehen – beziehungsweise nicht gesehen. Der Kreißsaal war so voller Assistenzärzte, Fachärzte, Hebammen und ich als Schülerin, dass ein Sehen nur unter Einsatz von Ellenbogen möglich gewesen wäre. Ich habe den Kreißsaal noch vor der Geburt verlassen, weil ich nicht zu den „Zuschauern“ gehören wollte. Die examinierte Hebamme hat mich nach der Geburt sehr dafür gerügt. Wie ich als Schülerin ein solches Ereignis verlassen könnte? Ich bekäme die Möglichkeit, die Entwicklung einer Beckenendlage zu lernen, so schnell bestimmt nicht wieder!

Doch, ich hatte etwas gelernt, nur etwas anderes als sie meinte … Meine Externatszeit verbrachte ich bei zwei Kolleginnen, die in der Hausgeburtshilfe tätig waren. Eine davon ist Hebamme und Ärztin und hatte zu der Zeit schon viel Erfahrung in der Begleitung von Geburten aus Beckenendlage. In meiner Externatszeit begleitete meine Kollegin eine Zwillingsgeburt, bei der das zweite Kind aus Beckenendlage geboren wurde. Die Entwicklung erforderte erfahrenes handwerkliches Können und verlief gesund für Mutter und Kind. Ich durfte nicht im Zimmer sein, die Mutter hatte ihr Einverständnis nicht gegeben. Ich saß lauschend vor der Tür und hörte zu, wie Gebärende und Hebamme kommunizierten. Ich lernte mehr, als ich je beim Sehen hätte lernen können! Angst habe ich gehabt, mehr als ich ausdrücken könnte. Ich habe sehr viel von dieser Kollegin erfahren und lernen dürfen. Damals stand die Betreuung von BEL-Geburten durch Hebammen in Nordrhein-Westfalen noch im Einklang mit der Berufsordnung.

Bei der Examensprüfung am Phantom zog ich meine drei Aufgaben: hintere Hinterhauptslage, Beckenendlage mit Nabelschnurvorfall und – Entwicklung einer vollkommenen Steißlage. Ich hätte es da schon wissen sollen, was wohl meine berufliche Aufgabe wird.

So begann ich im Januar 1995 meine freiberufliche Hebammentätigkeit einschließlich Hausgeburtshilfe. In meinem Umfeld gab es zu der Zeit viele erfahrene Kolleginnen, die ich bei ihren Hausgeburten begleiten durfte und die ich zu meinen hinzuzog. Am Ende meines ersten Berufsjahres trat eine Oberärztin aus einer Klinik an mich heran und bot mir die Arbeit als Beleghebamme an. Ich war skeptisch – Klinikgeburtshilfe und ihre Strukturen sind mit meinem Wesen nur schwer vereinbar. Ich erfuhr dann, dass mit Jahresanfang ein neuer Chefarzt die Abteilung übernehmen würde, den ich schon als Oberarzt aus meinem Lehrkrankenhaus kannte und als sehr sensiblen und erfahrenen Geburtshelfer erlebt hatte. Ich nahm das Angebot an. Am Ende des ersten Jahres unserer Zusammenarbeit war gegenseitiges Vertrauen gewachsen: Ich hatte mir „Hausgeburtsstrukturen“ innerhalb einer Klinik gemeinsam mit dem Team erschaffen. Dafür war ich sehr dankbar.

 

Beckenendlage mit Bracht

 

1997 bekam ich meine dritte Tochter – aus einer hinteren Hinterhauptslage!

Drei Jahre waren seit meinem Examen vergangen, als die erste Frau mit einer Beckenendlage in meiner Betreuung war. Die Frau wünschte sich eine Chance, ihr Kind auf normalem Wege zu gebären. Ich besprach diesen Wunsch mit dem Chefarzt meiner Belegklinik und er stimmte zu. Auch dass ich die Entwicklung des Kindes übernehmen wollte, war für ihn kein Problem. Im Gegenteil: „Wie sollst du es lernen, wenn du es nicht machst?“, war sein Satz dazu.

Im Verlauf der Betreuung habe ich unzählige Male mit der Frau über die „Risiken“, den Verlauf, die Armlösungsmöglichkeiten gesprochen. Mehrere Mal war ich kurz davor, die Betreuung niederzulegen aus Angst vor der Verantwortung und meinem Nichtkönnen.

Nah am errechneten Termin kam eines Nachmittags der erste Ruf der Frau. Unregelmäßige leichte Wehen, die noch gut auszuhalten waren. Meine Frage, ob ich mal nachschauen sollte, verneinte sie. Ihr Mann sei bei ihr, es ginge ihr gut und sie würde sich melden, wenn die Dinge sich verändern. Ich war nervös und sämtliche Pathologie einer Beckenendlagengeburt zog an meinem geistigen Auge vorbei. Eine Stimme, die mir sagte „Du musst da hinfahren“, versuchte sich mahnend durchzusetzen. Der deutlich formulierte Wunsch der Mutter und mein inneres Wissen: „Lass die Natur ihre Arbeit machen und störe die Mutter nicht!“, haben mich aber davon abgehalten.

Zwei Stunden waren seit dem Anruf der Frau vergangen, als ich beschloss, mal telefonisch nachzufragen. Der werdende Vater war am Apparat und hocherfreut, meine Stimme zu hören. Er wollte mich auch gerade anrufen, die Wehen seien deutlich stärker geworden.

Bei meiner Ankunft kniete die Frau auf dem Sofa die Wehen kamen kräftig und in kurzen Abständen. Die Herztöne waren regelrecht und die Fruchtblase noch nicht gesprungen. Bei der vaginalen Untersuchung war der Muttermund bis auf Saum vollständig und der Steiß fest im Beckeneingang und die Frau gab beginnend Presslaute. Die Blase sprang und klares Fruchtwasser ging ab. Auch wenn die Klinik nur ein paar Minuten entfernt lag, erschien es mir geboten, jetzt nicht mehr zu verlegen. Die Mutter stimmte erleichtert zu. Ich rief eine erfahrene Kollegin an und bat sie um Begleitung. Nach etwa einer weiteren Stunde guter Wehen war der Steiß aber nur minimal tiefer getreten und wir beschlossen, doch noch in die Klinik zu fahren. Primär, weil ich vermutete, dass die Mutter mit ihrer spontanen Entscheidung zur Hausgeburt im Unreinen war und deshalb jetzt nicht gut loslassen konnte.

Ich informierte telefonisch den Kreißsaal und bei unserem Eintreffen war der Chefarzt schon anwesend. Er begrüßte mich ruhig und freundlich mit den Worten „Du machst, ich sitze daneben.“ Die Frau setzte sich auf den Gebärhocker und folgte ihrem deutlich stärker gewordenen Pressgefühl. Es ging reichlich Mekonium ab und der Steiß war auf Beckenboden, die Herztöne gut. Meine Kollegin, die mich begleitet hatte, ermahnte mich, den Steiß mit gutem Gegendruck solange in der Vulva zu halten bis ich merken würde, dass die Wehe stärker ist und das Kind sich rausschiebt. „Du nimmst die Hände nicht mehr weg und deckst mit deiner Hand die Vulva und den Steiß des Kindes zu.“ Ich war allerdings so paralysiert vom ungewohnten Anblick des einschneidenden Steißes und der geschwollenen Hoden des Kindes, dass ich Hemmungen hatte, den Steiß mit dem nötigen Gegendruck zu halten. Das Kind schob sich über drei Wehen bis zum Schulterblatt heraus, die Arme folgten nicht. Ein kurzer Blick in das Gesicht meines Chefarztes reichte und dieser übernahm. Der hintere Arm ließ sich nur schwer lösen, kam dann aber, der vordere rutschte nach und das Kind wurde mit Bracht entwickelt. Das Kind war etwas irritiert, war aber schnell rosig und lebensfrisch (Apgar 8/9/10). Der Chefarzt verließ sofort den Geburtsraum, um die Eltern ihr Kind begrüßen zu lassen. Als ich einige Minuten später mit hoch roten Wangen, zittrigen Händen und Knien ebenfalls nach draußen ging, wurde ich herzlich von ihm in Empfang genommen mit den Worten: „Na, das brauchst du so schnell auch nicht wieder, oder?“

 

Man weiß es!

 

Meine Kollegin ging am nächsten Tag weniger sanft mit mir um! Sie erklärte mir eindringlich, warum es so wichtig sei, den Steiß mit Gegendruck in der Vulva zu halten. Das Kind werde, wenn der Druck so stark sei, dass man sehr genau merke, er ist nicht mehr zu halten, sehr elegant, in einer Wehe bis zum Schulterblatt geboren. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Arme dann hochschlagen, sei deutlich geringer. Das Kind sei, durch die verkürzte Durchtrittszeit und die kürzere Kälte- und Lufteinwirkung auf den Rücken weniger irritiert. So lautete ihre für mich einleuchtende Erklärung zur Vorgehensweise bei der Entwicklung des Kindes, die sie von einem alten, sehr erfahrenen Geburtshelfer gelernt hatte. Sie hatte sie seitdem selbst mit guten Erfahrungen viele Jahre lang praktiziert. Von dem Zeitpunkt an habe ich nie wieder den Steiß früher kommen lassen, als ich musste! Ich habe mich bis zur nächsten Beckenendlage immer gefragt: Woher weiß ich denn, wann der richtige Moment gekommen ist? Ähnlich dem Gefühl vieler Erstgebärener, die sich fragen, ob sie wohl erkennen, wann Wehen „ernst“ sind. Glaubt mir, man weiß es.

In den darauf folgenden zwei Jahren hatte ich jeweils sechs Frauen mit einem Kind in Beckenendlage. Ich habe manches Mal bei meiner Kollegin gesessen und mit meinem Schicksal gehadert: „Warum immer ich? Reicht die „normale“ Geburt nicht aus?“ Ihre Antwort hat mein Gezeter abrupt beendet: „Man muss es nicht nur lernen wollen, man muss es auch wert sein, lernen zu dürfen.“ Von da an habe ich jede BEL als Geschenk erachtet. Ich war dankbar und demütig, erlöst und auch stolz, nachdenklich, lernwillig und neugierig auf mehr …

Diese Flamme konnte ich im Team der Belegklinik ebenfalls entzünden. Jedes Mal, wenn ich eine Beckenendlagengeburt ankündigte, war das Team zwar, ebenso wie ich, in erhöhter Spannung, aber auch in freudiger Bereitschaft. Wer dabei sein durfte, weil „er“ oder „sie“ im Dienst war, wurde beneidet, nicht bedauert. Und wer nicht im Dienst, sondern nur in der Klinik anwesend war, kam nicht mal ansatzweise auf die Idee, als Zuschauer dabei sein zu wollen.

Bei dem damaligen Chefarzt war es niemals ein Thema, dass ich ab „Steiß Beckenboden“ die Geburtsleitung an den diensthabenden Arzt abgeben sollte. Die OberärztInnen sahen das allerdings anders. Sie beriefen sich auf die Berufsordnung (siehe auch DHZ 5/2014, Seite 38ff.) und bestanden auf die Entwicklung des Kindes. Ich habe ein einziges Mal wort- und tatenlos mit angesehen, wie die Fachärztin an die Assistenzärztin fachlich unkorrekte Anweisungen gegeben hat, was bei der Gebärenden zu Angst und Schmerz geführt hat. Diese Verkettung aus Betreuungswechsel in der späten Austreibungsphase, früh geschnittener und somit schmerzhafter Episiotomie, unnötigem Fundusdruck, hat zu einer Wehenschwäche geführt, wie man sie bei einer BEL gar nicht gebrauchen kann. Die Entwicklung des Kindes war schwierig. Ich habe, um die Mutter nicht noch mehr zu verunsichern, auf ein deutliches Veto im Kreißsaal verzichtet, obwohl ich mir im Klaren war, dass – käme es zur Klage – ich deutliche Aussagen und Dokumentationen hätte machen müssen. Das Kind wurde gesund geboren, aber das Trauma für die Mutter war erheblich. Es kam nach einer Zeit zu einer weiteren BEL-Geburt mit dieser Oberärztin, bei der die Arme des Kindes hochgeschlagen waren. In ihrer Angst führte sie keinen ruhigen, fachlichen Griff zur Armlösung aus, so dass ich ihr schließlich das noch nicht entwickelte Kind aus den Händen genommen habe, die Arme löste und die Geburt beendete. Von da an habe ich Eltern, die sich zu einer spontanen Geburt entschieden hatten, darüber aufgeklärt, dass ich zum Ende der Geburt die Leitung an den diensthabenden Facharzt abgeben muss, es sei denn, die Eltern unterschreiben mir beziehungsweise dem Arzt, dass sie dieses nicht wünschen. Es hat nie Eltern gegeben, die dieses nicht unterschrieben haben.

Ich bin kürzlich mal gefragt worden, worin meiner Meinung nach das Risiko einer Beckenendlagengeburt liege. Meine Antwort: in der Angst des Geburtshelfers.

Fast alle in unserem Team haben verinnerlicht, dass gerade am Ende einer solchen Geburt ein Betreuungswechsel wenig zuträglich ist. Ebenso wenig, wie die Frau ins Kreißbett zu legen oder Steißtuch, Epi, PDA, Wehentropf oder zig Menschen im Raum zuzulassen! Das Gebot von äußerster Ruhe und der Schutz vor Störungen gelten einfach als unumstößlich.

 

Hocker, Hocke oder Vierfüßler?

 

Als 2005 die geburtshilfliche Abteilung geschlossen wurde, konnte ich auf 22 betreute Beckenendlagengeburten blicken. Davon waren 19 Spontangeburten, ein Kind per Extraktion, eines per sekundärer Sectio bei Geburtsstillstand und ein zweiter Zwilling per Notsectio. Dazu kam es, weil der diensthabende Oberarzt auf Weisungsbefugnis bestand und die Fruchtblase trotz hoch stehendem Steiß und guten Herztönen öffnete, was einen Nabelschnurvorfall zur Folge hatte. Drei der von mir begleiteten Steißkinder sind – unter Hinzuziehung einer erfahrenen Ärztin – zu Hause zur Welt gekommen. Bis zu diesem Zeitpunkt musste ich keine Arme mehr lösen, einmal habe ich statt eines Bracht einen Veit-Smellie durchgeführt. Nicht weil er nötig war, sondern weil ich wissen wollte, ob er mir gelingt und wie es sich anfühlt. Alle spontanen Geburten haben auf dem Gebärhocker oder in tiefer Hocke stattgefunden. Meine „Lehrmeisterin“ hat mich schon seit 1997 immer wieder ermuntert, die Frauen im Vierfüßler gebären zu lassen zu lassen, weil dann der Bracht fast automatisch vom Kind selbst vollzogen wird und die Herzfrequenz in der Position häufig am besten ist. Da ich aber, bis zum jetzigen Zeitpunkt immer noch diejenige bin, die im Kreißsaal über die meiste Erfahrung mit Beckenendlagen verfügt, fühle ich mich wohler, wenn die Frau auf dem Hocker oder der tiefen Hocke ihr Kind zur Welt bringt. Ich reflektiere hier meine eigene Angst und Unerfahrenheit durchaus kritisch und bin mir bewusst, hier noch wachsen zu müssen. 

Seit 2005 arbeite ich in einer anderen Belegklinik, wo Frauen ebenfalls die Chance auf eine spontane BEL-Geburt haben. Einige der Kolleginnen dort überweisen die Frauen an mich bei einer am Termin bestehenden Beckenendlage. Auch Frauen ohne Betreuung durch eine Beleghebamme, die sich in der Klinik vorstellen, um sich über die Möglichkeiten der Geburt zu informieren, werden bei Wunsch nach vaginaler Geburt und nach sorgfältiger Selektion – Schätzgewicht nicht über 3.700 Gramm und nicht unter 2.800 Gramm – an mich überwiesen. Die Betreuung bleibt bei der primär betreuenden Kollegin und ich werde bei gutem Geburtsbefund hinzugezogen. Ich biete jeder Kollegin an, das Kind selbst zu entwickeln und gebe mein Wissen und meine Erfahrung weiter. Ich bin in Rufbereitschaft, wenn das Team eine erstgebärende Frau mit einem Kind in Beckenendlage begleitet. Dieses war und ist Bedingung des Chefarztes, dass eine erfahrene Hebamme anwesend ist. Auch in dieser Klinik gibt es mit einer Fachärztin Diskussionen um ärztliche Aufgaben. Bisher hat es sich noch nicht ergeben, dass wir gemeinsam eine Beckenendlagengeburt begleitet haben.

Fortbildungen folgten für das Hebammen- und Ärzteteam, zu denen Prof. Dr. Frank Louwen aus Frankfurt aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen mit BEL-Geburten eingeladen wurde. Louwen propagiert ebenfalls die Vierfüßler-Position bei einer Beckenendlage. Seine Bilder und Berichte haben mich sehr angesprochen. Auch ich habe mein Wissen in Fortbildungen weitergegeben.

 

Man muss es wert sein …

 

Vor drei Jahren habe ich meine bislang letzte Beckenendlagengeburt begleitet. Da sich die Frau im Vierfüßlerstand wohlfühlte, habe ich zu der betreuenden Kollegin gesagt „Komm, wir versuchen es mal im Vierfüßler, lass mal die Hände ganz weg und das Kind macht selbst, was es will.“ Nach etwa drei Wehen wurde ein Bein geboren, es folgte kein zweites. Auch zeigte die Richtung des Oberschenkels klar an, dass das Kind sich in dorso posteriorer Lage befand. Ich habe die Frau auf das Kreißbett gebeten und in Rückenlage der Frau, vorsichtig unter den Fuß des Kindes gedrückt, die Kniekehle gebeugt und das Bein wieder hochgeschoben. Ich war erstaunt wie einfach das ging. Die Herztöne waren sehr gut, wir sind dennoch zügig zur Sectio gefahren.

Zwei Tage später hatten wir Louwen wieder zu Gast. Im Laufe der Fortbildung hat er das Video einer fast identisch verlaufenden Geburt gezeigt. Bei dem Kind wurde nach ein paar Minuten das zweite Bein geboren. Es hat sich von allein mit dem Rücken nach vorn gedreht und ist dann spontan geboren!

Im Oktober dieses Jahres werde ich mein 20-jähriges Examen begehen. Ich blicke jetzt auf 34 spontane Steißlagengeburten. Ich habe sie nicht geschenkt bekommen. Oft habe ich sie zusammen mit den Frauen „erarbeiten und erkämpfen“ müssen. Ich habe mich manchmal „vor die Kreißsaaltür geworfen“ und diskutiert. Man muss es wert sein, lernen zu dürfen! Und ich durfte und darf weiterhin von den Frauen und den Kindern, von ÄrztInnen und KollegInnen, denen mein besonderer Dank gehört, und von der Natur und dem Leben lernen!

Rubrik: Geburt | DHZ 06/2014