Leseprobe: DHZ 04/2021

Ein guter Plan

Ein für die BegleiterInnen verfasster Geburtsplan, in dem die Wünsche und Bedürfnisse der Gebärenden notiert sind, scheint aus Sicht der Frau eine Möglichkeit, auf die beeinflussbaren Faktoren in einer unplanbaren Geburt Einfluss zu nehmen. Gelingt das? Julia Steinmann,
  • Die wesentliche Frage, die eine Frau sich stellen sollte für ihren Geburtsplan, ist: »Was ist mir wichtig?«

Eine gebärende Frau ist in Deutschland bei der Geburt ihres ersten Kindes durchschnittlich 30,6 Jahre alt. Seit ihren jungen Erwachsenenjahren ist sie es gewohnt, auf die Gestaltung ihres privaten und beruflichen Lebens Einfluss zu nehmen. Sie setzt sich Ziele, plant deren Erreichung und beeinflusst den Verlauf von Situationen mit eigenen und externen Ressourcen. Oftmals erleben Frauen im Rahmen der vorangeschrittenen Schwangerschaft und nahenden Geburt erstmals eine Situation, über die sie keine vollständige Kontrolle zu jedem Zeitpunkt des Prozesses ausüben können (Jolles et al. 2019). Dies bewirkt vor allem im Hinblick auf das Geburtsereignis einen Zustand emotionaler Unsicherheit.

 

Ziele des Geburtsplans

 

Der Geburtsplan als Instrument der Vorbereitung und aktiven Entscheidungsbeteiligung von Gebärenden hat seine Ursprünge in den USA der 1970er und 1980er (DeBaets 2017). Als Antwort auf den massiven Anstieg medizinischer geburtshilflicher Interventionen und als Reaktion auf den subjektiven Verlust der Handlungsfähigkeit, wurde der Geburtsplan durch Frauen, GeburtsvorbereiterInnen und Doulas eingesetzt, um die Wünsche, Bedürfnisse und Werte für die Betreuung während der Geburt auszudrücken (Westergren et al. 2019). Der Plan sollte einerseits Gesprächsgrundlage für die Kommunikation mit dem geburtshilflichen Personal der Geburtseinrichtung sein, andererseits aber auch als Schutz vor nicht evidenzbasierten oder nicht indizierten Interventionen dienen. Im Sinne einer informierten Entscheidung fungierte der Geburtsplan wie eine Patientenverfügung (Bailey et al. 2008).

Geburtspläne liegen heute in erstaunlicher Vielfalt vor – in allgemeiner Beratungsliteratur ebenso wie im Internet. Tabellarische Vorlagen oder individualisierte, von Kliniken zur Verfügung gestellte Auswahlbögen zum Ankreuzen erscheinen ebenso bei einer Online-Recherche, wie die Ausführungen diverser Schwangerschafts- und Elternportale. Da es weder eine universelle Definition über die Inhalte von Geburtsplänen gibt, noch deren Entwicklung und Implementierung standardisiert evaluiert wurde, ist eine evidenzbasierte Aussage über Vorteile, Nachteile und Anwendbarkeit nur schwer zu treffen. Auch beziehen sich die vorhandenen Studien auf diverse unterschiedliche Versorgungskonzepte, Betreuungsmodelle und professionelle Sichtweisen auf den Geburtsprozess, dass ein Vergleich des Nutzens von Geburtsplänen aufgrund der hohen Heterogenität in den Settings kaum möglich ist (Westergren et al. 2019). Ein systematisches Review prüfte mehr als 1.000 Artikel zu den Einflüssen und Effekten von Geburtsplänen und deren Einschätzung durch Gebärende, GeburtsvorbereiterInnen und geburtshilflichem Fachpersonal wie Hebammen und ÄrztInnen (Mirghafourvand et al. 2019). Nach Ausschluss zahlreicher Studien aus Gründen niedrigerer wissenschaftlicher Güte konnten drei randomisiert-kontrollierte Studien weder Vor- noch Nachteile von Geburtsplänen auf das Geburtserleben oder die Zufriedenheit der Mütter sicher bestätigen. Es gibt aber Hinweise aus den ausgeschlossenen Studien mit anderen Designs, dass die Zufriedenheit mit dem Geburtserleben durch die Verwendung eines Geburtsplans erhöht sein könnte (Kuo et al. 2010; Farahat et al. 2015). Weitere Forschung ist nötig.

Qualitative Studien zum Erleben und der Zufriedenheit von Gebärenden im Kontext von Geburtsplänen könnten wegweisend sein, um eine Geburtsbegleitung gestalten zu können, die sich auf die ethischen Prinzipien für Hebammen stützt (International Confederation of Midwives 2014).

Kritisiert werden Geburtspläne aufgrund verschiedener Aspekte (Kaufman 2007; DeBaets 2017; Lothian 2006; Aragon et al. 2013). Kann die Gebärende in den unplanbaren Abläufen der Geburt flexibel bleiben und notwendige Änderungen oder Interventionen annehmen, ohne sich ihres Geburtserlebens beraubt zu fühlen? Warum enthalten viele Geburtsplanvorlagen immer noch so viele veraltete, nutzlose und negativ formulierte Informationen, die in der Geburtshilfe aktuell glücklicherweise so nicht mehr praktiziert werden? Strahlen Frauen, die solche veralteten Vorlagen benutzen, nicht Ablehnung, Misstrauen, Naivität und Desinformiertheit aus – und was löst dies beim geburtsbegleitenden Team aus? Was ist, wenn die Gebärende in der Realität der Geburt doch Möglichkeiten nutzen möchte, die sie im Geburtsplan ausgeschlossen hat – entsteht dann das subjektive Empfinden, versagt zu haben? Werden sehr ausführliche Geburtspläne vom geburtshilflichen Personal überhaupt gelesen? Diese und andere Vorbehalte existieren sowohl bei den NutzerInnen als auch bei den AdressatInnen von Geburtsplänen und waren Gegenstand von Untersuchungen. Doch was wollen werdende Mütter eigentlich mit dem Geburtsplan ausdrücken?

 

Bedürfnisse und Ängste von Frauen

 

Frauen wünschen sich, die Vorgänge der Geburt in ihrer physiologischen Gegebenheit und im Kontext ihres gewählten Geburtsortes zu verstehen. Sie wollen ein Gefühl der Selbstkontrolle und Handhabbarkeit bewahren und unerwünschte oder unnötige Interventionen vermeiden (DeBaets 2017). In erster Linie erwartet der Großteil aller gebärenden Frauen eine normale, hebammenbegleitete Geburt und bevorzugt eine beziehungsorientierte, frauenzentrierte Betreuungsform, die auch ihre Begleitperson miteinbezieht (Westergren et al. 2019). Manchen Frauen ist es ebenso wichtig, die Auswahl von Wehen erleichternden Maßnahmen, ihre Wünsche bei Überschreitung des rechnerischen Geburtstermins oder die Gestaltung von Plazentarperiode und Stillbeginn darzulegen (Aragon et al. 2013). Die körperliche Integrität, die Schaffung eines geburtsförderlichen Settings und die Wahrung der Intimsphäre sind ebenfalls bedeutsam für Gebärende (Westergren et al. 2019).

Auf der Homepage des britischen Gesundheitsservice (Nationale Health Service/NHS) finden NutzerInnen von Gesundheitsdienstleistungen eine kurze Einführung für die Verwendung des Geburtsplanes, der zum Download zur Verfügung steht. Einen Geburtsplan zu verfassen, wird hier mit der Möglichkeit zum Gespräch und Wissensgewinn für die Gebärenden verknüpft. Auch die Möglichkeit, die Wünsche und Bedürfnisse von Frauen durch die Formulierung eines Plans für das geburtshilfliche Team transparenter zu machen, wird als Vorteil angegeben (NHS 2018).

Während Frauen mit hohem sozioökonomischen Status vor allem Selbstkontrolle und Selbstermächtigung als wichtiges Ziel für die Geburt betrachten, ist für Frauen aus niedrigen sozioökonomischen Verhältnissen eine schmerzarme Geburt und ein gesundes Baby im Fokus einer als gut empfundenen Geburt (Lundgren et al. 2003). Erstgebärende und Frauen mit traumatischen Geburtserfahrungen in der Anamnese mögen andere Bedürfnisse haben als Frauen mit positiven Geburtsvorerfahrungen.

Eine Untersuchung der Hebamme Dr. Sabine Striebich an der Universität Halle (Saale) aus dem Jahr 2019 gibt die Gründe für große Angst vor der Geburt bei Frauen an. Auch wenn acht von zehn Frauen die Geburt insgesamt als bewältigbar einstuften, bestehe auch bei ihnen eine gewisse Nervosität und Ängstlichkeit vor der Geburt. Bei ungefähr 20 % zeigt sich eine ausgeprägte Geburtsangst. Die Sorgen oder Ängste beinhalten:

  • Kontrollverlust bei der Geburt, Unkontrollierbarkeit des eigenen Verhaltens
  • Unerträglichkeit von Schmerzen
  • Auslieferung gegenüber klinischem Personal
  • Alleingelassenwerden oder Unfreundlichkeit durch Personal
  • medizinische Eingriffe, Komplikationen oder Verletzungen (Striebich 2020)

Um mit Sorgen und Ängsten umzugehen und geburtshilfreiche Bewältigungsstrategien zu generieren, werden diese Gefühle gerne mit Hilfe eines Geburtsplans kanalisiert.

Zentrales Thema in der Geburtsbegleitung ist die natürliche Ambivalenz der Gebärenden zwischen der von ihr gewünschten Autonomie in einer selbstwirksamen, selbstbestimmten und natürlichen Geburt und ihrer subjektiven Abhängigkeit von Hebamme und Begleitung durch deren zugedachte Rolle (Westergren et al. 2019).

 

Den Geburtsort einschätzen

 

Betrachtet man den Geburtsplan als Instrument, um über die Auffassung und Deutung von Gebären ins Gespräch zu kommen, liegt darunter der Wunsch der Gebärenden, ihre Haltung und ihre Bedürfnisse mit denen der Geburtsbegleitenden abzugleichen. Während Beleghebammenteams oder Hebammenteams in der Geburtshaus- und Hausgeburtshilfe ihre Betreuungsphilosophie meist in Form eines Leitbildes veröffentlichen, verschwindet die Auffassung und Philosophie von klinisch tätigen Hebammenteams hinter einem großen institutionellen Apparat. Für die Frau ist nicht unbedingt ersichtlich, welche Werte die sie Betreuenden teilen.

Bereits das Erscheinungsbild vieler Klinikhomepages lässt die Hebammen anonym hinter einer ärztlichen DirektorIn oder einem räumlichen Rundgang »verschwinden«, während sie es sind, die in einer beziehungsgeleiteten Geburtsbetreuung die wesentliche Rolle spielen (Sandall et al. 2016). So entsteht die Notwendigkeit für werdende Mütter, ihre Wünsche zu thematisieren. Evaluationen zeigten, dass bereits ein einzelnes Vorgespräch zur Geburt, wird es nicht für reine bürokratische Formalia, sondern für den Austausch über Wünsche und Bedürfnisse genutzt, eine hervorragende Basis des Vertrauens und der Zusammenarbeit mit dem gesamten Hebammenteam einer Klinik schaffen und die Physiologie stärken kann (Scheurer & Hartmann 2017).

Wer sich die Bedürfnisse und Sorgen von Frauen bewusst macht, die ihren Ausdruck im Verfassen von Geburtsplänen finden, kann rasch zu einem eindrücklichen Schluss kommen: Frauen wünschen sich eine vertrauensvolle, bestärkende, ihre Integrität bewahrende Begleitung durch eine interventionsarme physiologische Geburt. Die aktuelle institutionelle Geburtshilfe verunsichert sie.

 

Die Früchte ernten

 

Doch das Rad muss nicht neu erfunden werden – es existieren bereits seit Jahren belastbare Daten und Zahlen: Hebammengeleitete Geburtsbetreuungsmodelle (midwifery-led maternity care) in einem Eins-zu-eins-Betreuungsschlüssel bieten das, was Frauen mit Hilfe ihrer Geburtswünsche ausdrücken. Sie zeigen sehr gute physische und psychologische Outcomes für Mütter und ihre Kinder bei einer niedrigeren Interventionsrate und höherer Betreuungszufriedenheit (Downe & Gyrom 2019). Die Chance auf körperliche Unversehrtheit des Perineums ist höher, der Analgesiebedarf niedriger und die effektive Sectiorate im Niedrigrisikoklientel gleich (Sandall et al. 2016). Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Gebärender, ihrer Begleitung und der betreuenden Hebamme führt zu einer gelungenen Kommunikation, zu Selbstermächtigung und Unterstützung der Frau (Ramsayer 2013), aber auch zu einer Führbarkeit bei medizinisch notwendigen Maßnahmen und deren Akzeptanz. Nicht zuletzt dürften auch die begleitenden Hebammen eine größere Zufriedenheit verspüren (Newton et al. 2014).

 

Wandel am Hauptschauplatz

 

Ein Geburtsplan, wie er in seiner umfangreichen, veraltete Interventionen enthaltenden und in Negierungen formulierten Version vielfältig im Netz zur Verfügung steht, könnte als pathologische Antwort auf eine pathologisierende, interventionsreiche Geburtsmedizin betrachtet werden. Es gilt zu bezweifeln, dass eine Liste von Ablehnungen zu einer echten, vertrauensvollen Beziehung zwischen einer Gebärenden und der Hebamme aus dem Geburtshilfeteam führt. Der Geburtsplan ist ein Nebenschauplatz. Sowohl die Wünsche und Bedürfnisse Gebärender nach einer physiologischen und bestärkenden Geburt mit einem Minimum an notwendigen Interventionen als auch das Bedürfnis von Hebammen nach einer ethisch vertretbaren, befriedigenden und wertschätzenden Geburtshilfe erfüllen sich, wenn sich am Hauptschauplatz ein Wandel vollzieht: die sukzessive Implementierung hebammengeleiteter Betreuungsmodelle für Low- und No-Risk-Frauen, die Umsetzung der neuen S3-Leitlinie zur Vaginalen Geburt und Hebammenbegleitung bei ärztlich geleiteten High-Risk-Geburten – in einem gesetzlich verankerten Eins-zu-eins-Betreuungsschlüssel.

 

Für die Praxis: Geburtspläne positiv einsetzen

 

In der Praxis könnten aus Sicht der Frau folgende Kriterien helfen, Geburtspläne positiv für sich zu nutzen:

  • vertiefte Auseinandersetzung mit den eigenen Wünschen für eine gesunde Geburt (im Sinne von: »Was ist mir wichtig?«)
  • positive, selbst gewählte Formulierung von Wünschen, Bitten und Bedürfnissen (im Gegensatz zu Vorlagendownloads aus dem Internet mit Negationen, Ablehnungen und Erwähnung völlig veralteter Praktiken)
  • Fokussierung auf wesentliche Aspekte (überschaubar und lesbar in kurzer Zeit)
  • Gesprächsangebote wie Hebammensprechstunde, Geburtsvorgespräche, Kreißsaalbesichtigung als Kontaktmöglichkeit mit den Hebammen nutzen
  • »Geburtspartnerschaft« mit der begleitenden Hebamme der Einrichtung für die Dauer der Geburtsbetreuung
  • Geburtsvorbereitung mit Fokus auf die körperlichen und mentalen Ressourcen (beispielsweise Mentaltraining, Vorbereitung mit Hypnose, autogenem Training)

Rubrik: Geburt | DHZ 04/2021

Literatur

Aragon M, Chhoa E, Dayan R, Kluftinger A, Lohn Z, Buhler K: Perspectives of Expectant Women and Health Care Providers on Birth PlanJournal of Obstetrics and Gynaecology Canada 2013. 35 (11), 979–985. DOI: 10.1016/S1701–2163(15)30785–4

Bailey JM, Crane P, Nugent CE: Childbirth education and birth planObstetrics and gynecology clinics of North America 2008. 35 (3), 497–509, ix. DOI: 10.1016/j.ogc.2008.04.005

DeBaets, AM: From birth plan to birth partnership: enhancing communication in childbirth. American journal of obstetrics and gynecology 2017. 216 (1), 31.e1–31.e4. DOI: 10.1016/j.ajog.2016.09.087
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