Leseprobe: DHZ 08/2013
Frühe Schwangerenvorsorge

Eine Lust entwickeln

Bislang sind es nur wenige Hebammen, die Frauen von Beginn der Schwangerschaft an kontinuierlich – vielleicht sogar ausschließlich – betreuen. Aber es wenden sich auch nur wenige Frauen bei positivem Schwangerschaftstest an eine Hebamme zur ersten Vorsorgeuntersuchung. Warum finden Frauen in der Frühschwangerschaft und Hebammen so schwer zusammen? Ulrike Peitz,

Ein Blick in die Geschichte macht deutlich, dass ÄrztInnen bereits seit 1965 kontinuierlich Vorsorgeuntersuchungen anbieten und diese auch von der Krankenkasse bezahlt werden. Seit 1966 gibt es den Mutterpass, in dem die Untersuchungsergebnisse dokumentiert sind. Eine ganz andere Tradition haben die Vorsorgeuntersuchungen durch Hebammen. Die Besuche vor einer Hausgeburt gehörten schon immer zur Hebammenbetreuung im Paket der Gesamtleistungen. Allerdings wurden sie lange Zeit nur im Kontext der Hausgeburt vergütet. Während ihres Besuchs vor der Hausgeburt hörte die Hebamme die Herztöne des Kindes, maß den Blutdruck der Schwangeren, sie tastete ihren Bauch ab und sprach mit ihr.

 

Unterschiedliche Konzepte

 

Seit 1986 sind Hebammen berechtigt, Vorsorgeuntersuchungen für schwangere Frauen anzubieten und diese Leistung auch abzurechen, allerdings in alleiniger Verantwortung nur bei Frauen mit einem „normalen Schwangerschaftsverlauf“. Denn Hebammen dürfen laut Berufsordnung nur Frauen mit einem physiologischen Schwangerschaftsverlauf allein begleiten, es sein denn, die Frau möchte trotz einer Pathologie ausschließlich von einer Hebamme betreut werden. Tritt eine Pathologie auf, müssen Hebammen die Frau darüber aufklären und sie an einen Arzt verweisen. Die Frau ist allerdings frei in ihrer Entscheidung. Heute ist es häufig so, dass Hebammen in Absprache mit dem Arzt die Frau gemeinsam begleiten.

Durch die Möglichkeit der Abrechnung und weil viele Hausgeburtshebammen es für sinnvoll erachteten, nutzten sie diese Gebührenposition und boten der Frau Vorsorgeuntersuchungen an. Diese fanden bei der Frau zu Hause oder in der Hebammenpraxis statt. Dies stieß bei den GynäkologInnen auf Abwehr, Misstrauen und Angst, die Frau ganz an die Hebamme zu verlieren.

Heute ist die Situation zwischen Hebammen und ÄrztInnen immer noch nicht entspannt. Es gibt zwar Zusammenschlüsse, in der Regel in einer gynäkologischen Praxis. Aber die Modelle der Zusammenarbeitet sind sehr unterschiedlich und für Hebammen oft unbefriedigend, weil sie nicht so arbeiten können, wie es ihrer Berufsordnung, den Mutterschaftsrichtlinien (MSR) und dem evidenzbasierten Arbeiten entspricht.

Manche Hebammen arbeiten als Arzthelferin mit oder ohne Festanastellung. Andere arbeiten zwar alleine in der Praxis, allerdings nach strengen Vorgaben von ärztlicher Seite. Und es gibt Praxen, in denen Hebammen und ÄrztInnen gut zusammen arbeiten. Dies ist dann möglich, wenn beide das Konzept für die Vorsorgeuntersuchungen gleichberechtigt erarbeitet haben und die Frau im Vordergrund steht – nicht der finanzielle Gewinn.

 

Eigene Vorstellungen entwickeln

 

Es gibt Hebammen und ÄrztInnen, die sich massiv „bekriegen“, und auf der anderen Seite solche, die einvernehmlich nebeneinander zum Wohl der Frau arbeiten, ohne sich je gesehen zu haben. Der Konflikt zwischen den Berufsgruppen ist alt und ungelöst. Ausgetragen wird er auf dem Rücken der Frau. Sie muss die Entscheidung treffen, von wem sie betreut werden möchte, und sie verliert gegebenenfalls einen von beiden. Allerdings entsteht oft eine andere Situation: Die Hebamme verzichtet auf die Vorsorgeuntersuchung, um die Frau nicht in Bedrängnis zu bringen. Sie verzichtet, wenn der Arzt Druck macht oder die Frau vor die Wahl stellt, die Hebammenvorsorge zu nutzen und sich einen anderen Arzt zu suchen.

  • Hier drängen sich Fragen auf: Warum reagieren viele Hebammen so nachgiebig, so wenig kämpferisch? Steht der Schutz der Frau im Vordergrund? Oder ist es vielmehr eine Art Selbstschutz, um sich der Auseinandersetzung nicht stellen zu müssen?
  • Ist es eine Form der Existenzangst, die Frau für die komplette Betreuung zu verlieren, wenn die Hebamme auf die Vorsorgeuntersuchungen besteht? Oder scheut sie sich vor der Verantwortung, die sie sich selbst aufbürdet?

 

Auseinandersetzung mit der ärztlichen Vorsorge

 

Die ärztliche Vorsorge ist dominiert von zwei Untersuchungen: dem Ultraschall und der vaginalen Untersuchung. Diese nehmen mehr Raum ein als das Gespräch, das im Durchschnitt fünf Minuten dauert. Ärztliche Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft dienen primär der Kontrolle und können allenfalls als Check-up bezeichnet werden. Eine solche Art der Untersuchung wird jedoch nicht der Situation einer Schwangerschaft gerecht. Handelt es sich hierbei doch um einen physiologischen Zustand, der primär der Begleitung und weniger der Kontrolle bedarf.

Doch die ärztliche Vorsorge hat sich sehr eingeprägt in den Köpfen der Frauen, vielleicht auch in den Köpfen der Hebammen. Ein bewusstes Umdenken ist gefordert. Welchen Anspruch hat die Frau an die Vorsorgeuntersuchungen? Und welchen Anspruch an die Vorsorgeuntersuchung hat die Hebamme? Möchte sie nur die Untersuchungen erbringen, die laut Mutterschaftsrichtlinien gefordert sind, oder hat sie darüber hinaus eine eigene Zielsetzung? Zum Beispiel die Frau darin zu bestärken, auf sich zu achten, den eigenen Gefühlen zu vertrauen und die Bindung zu ihrem Kind bewusst zu stärken. Gelingt dies, dienen die Vorsorgeuntersuchungen gleichzeitig der Vorbereitung auf die Geburt.

 

Laboruntersuchungen in der Frühschwangerschaft

 

Ob die erste Vorsorgeuntersuchung in der 8., in der 12. oder erst nach der 16. Schwangerschaftswoche stattfindet, sollte die Frau selbst entscheiden. Während der ersten Vorsorgeuntersuchung wird gemeinsam der Mutterpass angelegt und besprochen, für welche Untersuchungen die Krankenkasse die Kosten übernimmt. Außerdem sollte besprochen werden, in welchen Abständen die Vorsorgeuntersuchungen vereinbart werden, was im Einzelnen untersucht wird und welche Erkenntnisse die Untersuchung liefert. Bei der ersten oder zweiten Vorsorgeuntersuchung sollte Blut abgenommen werden. Ähnlich wie beim HIV-Test – hierfür gibt es ein Merkblatt – sollte vor jeder Untersuchung über deren Sinn und Zweck informiert werden, so dass die Frau die Möglichkeit hat, zuzustimmen oder abzulehnen. Für folgende Untersuchungen übernimmt die Krankenkasse die Kosten: Blutgruppen- und Rhesusfaktorbestimmung, erster Antikörpersuchtest, Bestimmung von Rötelntitter, Untersuchung auf Lues, kleines Blutbild und Clamydienuntersuchung aus dem Urin. All diese Werte werden aus der Menge von zwei, höchstens drei Blutröhrchen bestimmt. Für die Clamydienuntersuchung bekommt die Frau einen Urinbecher mit, den sie mit Morgenurin gefüllt zur nächsten Vorsorgeuntersuchung mitbringt. Während der ersten Vorsorgeuntersuchung sollte laut Mutterschaftsrichtlinien ein Pap-Abstrich abgenommen werden. Dies sollte sinnvollerweise von einem Arzt gemacht werden, da der Hebamme meist die Möglichkeiten (Lichtquelle, Spekulum, Gynstuhl) für eine optimale Abnahme fehlen.

„Eine Geburt findet nicht im Kopf, sondern im Körper der Frau statt“, sagt die Medizinhistorikerin und Soziologin Barbara Duden (1995). Hebammen haben aufgrund ihrer Ausbildung und der Nähe zu der Frau die Möglichkeit, den Vorsorgeuntersuchungen mehr Inhalt zu geben als das, was im Mutterpass dokumentiert werden soll. Sie sollten den Mut haben, den Frauen zu vermitteln, was während einer Schwangerschaft im positiven Sinne geschieht und wie sie diese Zeit begleitet und dadurch auf die Geburt und das Muttersein vorbereiten kann. Jede Hebamme sollte sich zutrauen, ihre Sichtweise und ihr Vorgehen gegenüber dem Arzt oder der Ärztin zu vertreten.

 

Arbeitspensum und Betreuungsangebot überdenken

 

Welche freiberufliche Hebamme kennt nicht die Sorge, am Ende des Monats zu wenig verdient zu haben, um die monatlichen Kosten zu decken? Viele Kolleginnen treibt die Existenzangst dazu an, sehr viel zu arbeiten. Es bleibt keine Zeit innezuhalten, um die eigene Arbeitsweise, das Arbeitspensum und das Betreuungsangebot zu überdenken und gegebenenfalls zu verändern. Ein neues Arbeitsfeld zu integrieren, bedeutet, sich dieses Feld individuell zu erschließen. Dies kann in Form einer Fortbildung, eines Nachschlagewerks oder mit Hilfe einer erfahrenen Kollegin geschehen. Das braucht Zeit. Um diese aufzubringen, ist es wichtig, eine Fantasie, eine Lust zu entwickeln, diese Idee zu verfolgen und schließlich in die Tat umzusetzen.

Welche Vorteile bieten die Schwangerenvorsorgeuntersuchungen der Hebamme? Die Betreuung läuft über einen längeren Zeitraum, im Idealfall von Beginn der Schwangerschaft bis zum Zufüttern – das sind etwa 14 Monate. Dieser lange Zeitraum bietet die Möglichkeit der kontinuierlichen Betreuung und des regelmäßigen Kontaktes. Durch die Gespräche entsteht Nähe und damit Vertrauen. Die Hebamme lernt die Persönlichkeit der Frau kennen und kann dadurch deren Gefühle und Reaktionen, aber auch Besonderheiten im Schwangerschaftsverlauf besser verstehen und einschätzen. Durch den längeren Betreuungszeitraum ist es möglich zu beobachten, wie die Frau sich verändert, wie sie selbstbewusster wird, wie sich die Körperwahrnehmung verändert und die Beziehung zu ihrem Kind intensiver wird.

Die längere Betreuungszeit erfordert eine veränderte Arbeitsstruktur. Es können nicht mehr so viele Frauen pro Monat angenommen werden. Die Betreuungszeit für die einzelne Frau vermehrt sich. Aber es reduzieren sich die Lebens-, Familien- und Krankengeschichten, welche die Hebamme mitträgt und zu verarbeiten hat. Der finanzielle Gewinn steigt, insbesondere dann, wenn die Frau während einer Vorsorgeuntersuchung Schwangerschaftsbeschwerden angibt, die behandelt oder besprochen werden. Dadurch entsteht die Möglichkeit, zwei Gebührenpositionen abzurechen, nämlich Vorsorge und Hilfe bei Schwangerschaftsbeschwerden. Dies sind 42,06 Euro bei einer Betreuungszeit von 40 Minuten. Dieser Betrag beinhaltet 20 Minuten Schwangerenvorsorge und 20 Minuten Beratung. Benötigt die Hebamme für die Behandlung der Beschwerden mehr als eine halbe Stunde Zeit, kann sie insgesamt 58,91 Euro abrechen.

 

Zu große Verantwortung?

 

Ein neues Arbeitsfeld bedeutet, sich der fehlenden Routine und damit dem Gefühl der Unsicherheit zu stellen. Vielleicht ist dieses Gefühl bei Vorsorgeuntersuchungen verstärkt, weil sich die Hebamme hierbei in unmittelbarer Nähe zur ärztlichen Tätigkeit befindet – im Gegensatz zur Wochenbettbetreuung und zur Behandlung von Schwangerschaftsbeschwerden? Ärztin oder Arzt lesen die Eintragungen der Hebamme im Mutterpass und erfahren etwas über ihre Arbeits- und Sichtweise. Vielleicht erleben sich Hebammen weniger kompetent, weil sie keine Möglichkeit haben, in den Bauch zu schauen. Sie können „nur“ durch äußere Untersuchungen erkennen, ob sich das Kind zeitgerecht entwickelt. Hier hilft nur eins: mit der Frau besprechen, was eine Hebamme mit den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erkennen kann und was nicht. Dies ist auch wichtig, um zu erfahren, welche Erkenntnisse sich die Frau durch den Ultraschall erhofft und ob diese realistisch sind. Hier sollten Informationen über den Ultraschall und dessen Bedeutung einfließen. Zum Beispiel, dass im Ultraschall bei einem niedergelassenen Gynäkologen nur 41 Prozent der kindlichen Besonderheiten erkannt werden (Jahn 2002). Dies trifft nicht auf den Feindiagnostik-Ultraschall zu. Bedingt durch eine bessere Ausbildung, mehr Erfahrung, und die systematische Suche nach Besonderheiten liegt die Erkennungsrate kindlicher Besonderheiten hier bei 96 Prozent (Schindler 2005). Dies würde für mindestens einen Ultraschall während der Schwangerschaft sprechen, der zur Wahl des Krankenhauses und des Geburtsmodus beiträgt.

Bis zur zwölften Schwangerschaftswoche haben viele Frauen bereits drei Ultraschalluntersuchungen hinter sich. Ob eine Schwangerschaft glücklich endet, hängt nicht davon ab, ob das Kind bereits in der neunten Schwangerschaftswoche gesehen wurde. Das Kind bleibt oder geht, folgt eigenen Gesetzen und lässt sich vor allem in dieser frühen Zeit nicht aufhalten. Können Hebammen eine Alternative zum ersten Bild, zum ersten Sehen des Kindes anbieten? Nein, aber sie können der Frau so begegnen, dass sie sich angenommen fühlt. Dass sie spürt, dass sie und ihr Kind im Mittelpunkt der Betreuung stehen, ohne dass ein Gerät dazwischengeschaltet ist.

Rational betrachtet gibt es keinen Grund, vor der zwölften Schwangerschaftswoche einen Ultraschall zu machen. Ausnahmesituationen sind, wenn die letzte Periode oder die Empfängnis unklar oder eine extrauterine Schwangerschaft in der Anamnese ist. Hebammen und schwangere Frauen brauchen beide viel Mut, um die ersten Wochen der Schwangerschaft anders zu gestalten als es aktuell üblich ist: einfach nichts Medizinisches tun und stattdessen abwarten, mit viel Vertrauen in den eigenen Körper und die eigene Wahrnehmung.

Hebammen fällt es leicht, die Vorsorgeuntersuchungen der Ärzte zu kritisieren. Wie etwa die Eisensubstitution trotz normaler Werte laut Mutterschaftsrichtlinien oder reichlich Magnesium bei Kontraktionen und Wadenkrämpfen, die Praxis von zahlreichen Ultraschalluntersuchungen und CTG-Schreiben ab der 28. Schwangerschaftswoche. Aber wie reagieren Hebammen, wenn sie eigenverantwortlich Vorsorgeuntersuchungen machen? Sind sie sicher in ihrem Tun? Oder übernehmen sie dann gerne indirekt die ärztliche Art der Vorsorge, indem sie die Frau sicherheitshalber zum Arzt schicken? Hier bietet die evidenzbasierte Medizin wertvolle Anhaltspunkte, welche Untersuchungen sinnvoll sind, welche keinen Nutzen haben oder sich sogar schädigend auswirken. Allerdings sind die Studien nur eine der drei Säulen der evidenzbasierten Medizin. Die zweite ist das Erfahrungswissen der Hebamme und die dritte sind die Wünsche und Bedürfnisse der Frau.

Um Erfahrung zu gewinnen, ist es sinnvoll, sich mit Kolleginnen zusammenzutun, die bereits längere Zeit in der Schwangerenvorsorge tätig sind. Eine evidenzbasierte Fortbildung und die Teilnahme an einem Qualitätszirkel unterstützen den Erfahrungsschatz ebenfalls.

Ist eine Frau auf Hebammensuche, hat sie oft konkrete Vorstellungen, was eine Hebamme alles anbieten sollte. Warum machen es Hebammen nicht genauso? Warum benennen sie nicht, wie eine effektive Betreuung während der Schwangerschaft nach ihrer Vorstellung aussehen soll? „Um Sie gut begleiten zu können, würde ich Sie gerne regelmäßig sehen und Vorsorgeuntersuchungen übernehmen.“ Auf keinen Fall sollte die Hebamme sagen: „Wenn Sie wollen, kann ich auch die Vorsorgeuntersuchungen machen.“

Beide haben ein Ziel, vielleicht sogar das gleiche. Die Frau möchte eine Anlaufstelle haben für alle Fragen, die sie beschäftigen. Sie möchte sich medizinisch gut betreut fühlen und alle Informationen zur Schwangerschaft bekommen, um eigene Entscheidungen zu treffen. Sie möchte in ihrer Wahrnehmung für sich und ihr Kind so gestärkt werden, dass sie eigenverantwortlich durch die Schwangerschaft und die Geburt gehen kann.

Ein hohes Ziel, das nicht immer erreicht werden kann, weil nicht jede Frau bereit ist, etwas zu verändern. Hebammen betreuen sehr unterschiedliche Frauen, auch solche, die sich während der Schwangerschaft nicht entwickeln und wachsen wollen. Und manchmal ist es die Hebamme, die sich nicht bewusst ist, welche Möglichkeiten die frühe Begleitung während der Schwangerschaft bietet, und sie deshalb ungenutzt verstreichen lässt.

 

Die Wahrnehmung der Frau stärken

 

Mein Hauptanliegen ist es, die Frau in ihrer Wahrnehmung zu sensibilisieren, indem ich ihr während der Vorsorgeuntersuchung Fragen stelle. Vor Beginn der Untersuchung frage ich: „Haben Sie das Gefühl, dass alles in Ordnung ist“? Anstelle einer vaginalen Untersuchung frage ich: „Wie fühlt sich Ihr Bauch an“? Kann die Frau mit meiner Frage nichts anfangen, kann ich weiterhelfen, indem ich frage, ob der Bauch sich hart, weich, schwer, leicht angespannt anfühlt oder schmerzt. „Wie sieht der Ausfluss aus?“, frage ich weiter und konkretisiere das, indem ich mich nach Farbe, Menge und Geruch erkundige. Mein Wissen, meine Erfahrung und meine Wahrnehmung sowie das Bedürfnis der Frau tragen zur Entscheidung bei, ob ich heute vaginal untersuche.

Grundsätzlich lasse ich jede Frau ihren Urin selbst kontrollieren. Besteht während der Schwangerschaft der Verdacht auf einen Harnwegsinfekt, ist die Frau im Ablesen geübt und kann den Urin eigenständig kontrollieren. Genauso verfahre ich mit dem Gewicht. Die Frau trägt am Tag der Vorsorgeuntersuchung ihr Nacktgewicht in den Mutterpass ein. Viele Frauen kostet es zu Beginn ein wenig Überwindung, in dieses offizielle Dokument etwas einzutragen. Vor dem Abtasten des Bauches frage ich, wann der letzte Wachstumsschub war. Wie oft sich das Kind bewegt und durch welche Reize es in Bewegung gebracht werden kann. Ich gehe während einer Vorsorgeuntersuchung nicht auf Risikosuche, sondern stelle das Normale in den Vordergrund. Es gibt viele Varianten der Normalität, die aber nur dann zu verstehen oder als solche zu erkennen sind, wenn ich mehr über die Frau weiß.

Das Gespräch, das Erfragen und Verstehen, wer die Frau ist, was sie denkt und fühlt, hat Priorität. Sollten Besonderheiten oder Normabweichungen auftreten, ist es meist möglich, diese mit der Komplementärmedizin zu behandeln. So gewinnt oder behält die Frau das Gefühl, dass es Besonderheiten im Schwangerschaftsverlauf geben darf, die meistens behandelbar sind und nur eine Episode darstellen.

Während der ersten Vorsorgeuntersuchungen sind einige Untersuchungen noch nicht möglich, so zum Beispiel das Messen des Bauchumfangs und des Symphysen-Fundus-Abstands (SFA). Das Hören der Herztöne ist erst ab der zwölften Schwangerschaftswoche möglich.

Deshalb nehmen die eigentlichen medizinischen Untersuchungen nur wenig Zeit in Anspruch. Die verbleibende Zeit kann genutzt werden zum besseren Kennenlernen, für die Anamneseerhebung, aber auch für die Auseinandersetzung mit der Pränataldiagnostik (PND) und der grundsätzlichen Erklärung, was Hebammenvorsorge leisten kann und wo ihre Grenzen sind.

 

Pränataldiagnostik

 

Ein Thema, das in der Schwangerenvorsorge allgegenwärtig ist und dennoch zur Seite geschoben wird sowohl beim Arzt als auch bei der Hebamme, ist die vorgeburtliche Diagnostik: Besonderheiten im Ultraschall, Kind zu groß oder zu klein, Besonderheiten, die eine weitere Abklärung herausfordern. Nicht selten entsteht eine Situation, dass beim Ultraschall zwischen der neunten und zwölften Schwangerschaftswoche ohne entsprechende Beratung die Nackentransparenz gemessen wird. Ist das Untersuchungsergebnis unauffällig, muss kein weiteres Wort darüber verloren werden, alle sind erleichtert, es ist keine weitere Auseinandersetzung nötig. Erhält die Frau aber ein positives Untersuchungsergebnis, ist sie völlig unvorbereitet.

Wenn die Frau zu den ersten Vorsorgeuntersuchungen zu einer Hebamme geht, kommt der Hebamme die Pflicht zu, mit ihr über die pränatale Diagnostik zu sprechen, sofern eine Indikation laut Mutterschaftsrichtlinien vorliegt. Das heißt, mit der Frau darüber zu sprechen, welche Gedanken sie sich bislang zu diesem Thema gemacht hat. Möchte sie keine pränatale Diagnostik, sollte trotzdem geklärt werden, welche Untersuchungen sie der pränatalen Diagnostik zuordnet.

Es besteht für eine Hebamme laut Mutterschaftsrichtlinien keine Verpflichtung, mit jeder Frau über PND zu sprechen, eben nur, wenn eine Indikation vorliegt. Die Ärzte hingegen sind verpflichtet, vor jeder Ultraschalluntersuchung mit der Frau zu sprechen und ihre Einwilligung einzuholen.

Der Ultraschall wird interessanterweise nicht als pränataldiagnostische Untersuchung angesehen. Der Hebamme kommt die Aufgabe zu, darauf aufmerksam zu machen und zu informieren. Wozu dient der Ultraschall, wie oft ist er sinnvoll? Welche unrealistischen Erwartungen werden ihm zugeschrieben? Welche Belastungen kann er auslösen? Möglich ist, dass die Frau durch dieses Gespräch erst einmal verunsichert wird. Dies muss die Hebamme aushalten. Gleichzeitig sollte sie der Frau zutrauen, dass sie trotz dieser ersten Verunsicherung in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen, wie sie den Ultraschall genutzt wissen möchte.

 

Ausblick

 

Schwangerenvorsorge anzubieten, bedeutet in erster Linie, sich damit auseinanderzusetzten, was ich der Frau tatsächlich vermitteln möchte und wie das gelingen kann. Für mich bedeutet das, sie in dem Bewusstsein zu stärken, dass sie die wichtigste Person in diesem Geschehen ist und dass ihre Wahrnehmung für sich selbst und das Kind den höchsten Sicherheitsfaktor während der Schwangerschaft ausmacht. Die Art und Weise, wie ich eine schwangere Frau begleite und was ich ihr vermittle, ist entscheidend für ihre Vorbereitung auf die Geburt.

 

Laboruntersuchungen  in  der  Frühschwangerschaft

Ob die erste Vorsorgeuntersuchung in der 8., in der 12. oder erst nach der 16. Schwangerschaftswoche stattfindet, sollte die Frau selbst entscheiden. Während der ersten Vorsorgeuntersuchung wird gemeinsam der Mutterpass angelegt und besprochen, für welche Untersuchungen die Krankenkasse die Kosten übernimmt. Außerdem sollte besprochen werden, in welchen Abständen die Vorsorgeuntersuchungen vereinbart werden, was im Einzelnen untersucht wird und welche Erkenntnisse die Untersuchung liefert. Bei der ersten oder zweiten Vorsorgeuntersuchung sollte Blut abgenommen werden. Ähnlich wie beim HIV-Test – hierfür gibt es ein Merkblatt – sollte vor jeder Untersuchung über deren Sinn und Zweck informiert werden, so dass die Frau die Möglichkeit hat, zuzustimmen oder abzulehnen. Für folgende Untersuchungen übernimmt die Krankenkasse die Kosten: Blutgruppen-  und Rhesusfaktorbestimmung, erster Antikörpersuchtest, Bestimmung von Rötelntitter, Untersuchung auf Lues, kleines Blutbild und Clamydienuntersuchung aus dem Urin. All diese Werte werden aus der Menge von zwei, höchstens drei Blutröhrchen bestimmt. Für die Clamydienuntersuchung bekommt die Frau einen Urinbecher mit, den sie mit Morgenurin gefüllt zur nächsten Vorsorgeuntersuchung mitbringt.

 

Während der ersten Vorsorgeuntersuchung sollte laut Mutterschaftsrichtlinien ein Pap-Abstrich abgenommen werden. Dies sollte sinnvollerweise von einem Arzt gemacht werden, da der Hebamme meist die Möglichkeiten (Lichtquelle, Spekulum, Gynstuhl) für eine optimale Abnahme fehlen.

 

 

 

Rubrik: Schwangerschaft | DHZ 08/2013

Literatur

Schwarz, Cl.: Entwicklung der geburtshilflichen Versorgung am Beispiel der Interventionsraten 1984–1999 in Niedersachsen. URL: http://opus.kobv.de/tuberlin/volltexte/2008/2031/ (2008)

Enkin, M.W.; Keirse, M.J.N.C.; Renfrew, M.; Neilson: J.: Effektive Betreuung während Schwangerschaft und Geburt. Ullsein medical. S. 21 (1998)

Duden, B.: Der Frauenleib als öffentlicher Ort. dtv Sachbuch (1994)
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