Leseprobe: DHZ 02/2015
Poster: Die Angst der Hebammen

Hemmschuh oder hilfreich?

Kann es konstruktive Angst für Hebammen in der Geburtshilfe geben? Aufgrund von fünf problemzentrierten Interviews kommt eine Masterarbeit zu dem Ergebnis, dass Angst bei der Geburtsbegleitung förderlich sein kann, wenn die Hebamme die Physiologie der Geburt als begleitendes Konzept im Vordergrund sieht. Denn das Vertrauen in die normale Geburt gibt Sicherheit. Die Autorin stellte ihr Poster auf dem 2. DHZCongress Ende Juni 2014 in Hannover vor. Birgit Landwehr,

"Haben Hebammen Angst?" Diese Frage stand erstmal in den Augen von so mancher Frau, der ich vom Thema meiner Masterarbeit erzählt habe. Dass Frauen, die Kinder kriegen, immer wieder Angst haben, das wissen zumindest die meisten, die selbst Kinder haben. Selbst den ÄrztInnen scheinen eher angstbesetzte Gefühle zugetraut zu werden. Aber Hebammen? Das sind doch die mit dem Vertrauen in die normalen Abläufe von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett.

Die Kolleginnen waren zwiegespalten. Entweder es kam Zustimmung: „Oh ja, das ist wirklich ein wichtiges Thema!", oder die Reaktion war eher verhalten: „Ist das nicht zu problemorientiert?"

 

Angst – ein menschliches Thema

 

Angst ist ein grundlegendes mensch­liches Thema (Riemann 2011:7). Sie bestimmt immer wieder unser Handeln, auch in der Geburtshilfe. Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett bergen durch die naturgemäße Ungewissheit der Zukunft nicht nur für die Frauen und Familien angstbesetzte Situationen, sondern auch für diejenigen, die sie in dieser Lebensphase begleiten.

Diese natürliche Angst wurde in der Geburtshilfe durch die Einführung des Begriffs „Risiko" verstärkt. Das Risikokonzept in der Geburtshilfe hat die Haltung der Betreuenden und damit auch deren Handlungen von einem sozialen zu einem medizinischen Geburtshilfemodell hin verändert (McKenzie Bryers &van Teijlingen 2010:488). Das zeigt sich in vielen Interventionen und wird unter anderem an den steigenden Kaiserschnittzahlen sichtbar (Lütje 2013:53). Das Risikokonzept ist an sich nicht greifbar und beeinflusst doch viele Entscheidungen in der Hebammenarbeit und der Geburtshilfe. Das Risiko prägt die Atmosphäre nicht nur rund um die Geburt und schwingt im Hintergrund immer mit.

 

Hebammen wollen Gesundheit fördern

 

Die Berufsordnung beschreibt ein großes Feld, in dem Hebammen Verantwortung übernehmen sollen. Von der Schwangerschaft über die Geburt bis ins Wochenbett soll die Hebamme Frauen zur Seite stehen, indem sie sie überwacht, betreut und berät. Dafür braucht sie ein großes grundlegendes Wissen: genaue Kenntnisse der physiologischen Abläufe während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett, Kenntnisse über die soziale Einbettung der Frau, eine wache Beobachtungsgabe und einen Rahmen, in dem diese Arbeitsweise möglich ist. Viele Interventionen können Hebammen in einen Konflikt bringen, da sie häufig mit physischen und psychischen Folgen für Mutter und Kind assoziiert sind. Dieser Konflikt kann Angst verstärken, da Hebammen eigentlich Frauen und Kinder schützen wollen.

Die gründliche Kenntnis der Physiologie spielt eine zentrale Rolle in der Hebammenkunst. Die Hebamme und Lehrerin traditioneller Hebammenkunst Barbara Kosfeld betont die Wichtigkeit fundierten Wissens: „Die holistische Sichtweise, das Wahrnehmen der Gesamtpersönlichkeit und das ‚Lesen‘ des Prozesses selbst ist die einzig vernünftige Alternative zum medizinischen Ereignis unter Leitung eines Gynäkologen" (Kosfeld 2005:23).

Im Konzept der Salutophysiologie der Hebamme Verena Schmid wird schon im Namen die enge Verbindung von Salutogenese und Physiologie deutlich. Sie legt den Schwerpunkt auf Erkennen und Fördern des Gleichgewichtes in der Physiologie von Schwangerschaft, Geburt und Exogestation. Dieses Konzept bildet einen Kontrast zum in der Medizin momentan vorherrschenden pathogenetischen Modell, das danach fragt, was Menschen krank macht und eine Krankheit als Defekt betrachtet, der bekämpft oder repariert werden muss (Lorenz 2004:31).

 

Qualitative Forschung

 

Bei meiner Forschung ging es darum herauszufinden, welche Erfahrungen von Angst oder Unsicherheit Hebammen, die in der Geburtshilfe tätig sind, in angstauslösenden Situationen machen. Veränderte sich das Erleben unter Einbeziehung der vertieften physiologischen Kenntnisse durch den Lehrgang „Praktische Salutogenese in der Hebammenarbeit" von Schmid und wenn ja, wie? Als Methode wurde ein qualitatives Forschungsdesign mit fünf problemzentrierten Interviews gewählt. Die Interviews wurden zwischen dem 5. April und dem 13. Mai 2013 geführt. Die befragten Hebammen arbeiteten zu dieser Zeit alle in der Geburtshilfe. Drei Hebammen waren in der Hausgeburtshilfe tätig, eine in einem Geburtshaus und eine in einer Klinik. Alle Hebammen hatten den zweijährigen Lehrgang „Praktische Salutogenese in der Hebammenarbeit" bei Verena Schmid absolviert.

Die Auswertung der Interviews wurde in die zwei Bereiche unterteilt: „Das Erleben von Angst" und „das Erleben von Sicherheit". Dabei kann zusammenfassend gesagt werden: Ängste konnten in diffuse und konkrete Ängste unterteilt werden. In den diffusen Ängsten spiegelt sich das Risikokonzept der Geburtsmedizin wider. Angst kann aufmerksam machen, aber auch viel Kraft kosten und zu Überreaktionen in Form von Interventionen führen, unter denen dann Mütter und Kinder leiden können.

Das Sicherheitsbestreben entsteht durch das Wahrnehmen von Angst. Das Sicherheitserleben einer Hebamme wird gefestigt durch gute Kenntnisse der Physiologie und deren Einbettung in eine zirkuläre Bewertung, durch einen guten Kontakt zu den werdenden Eltern, Kolleginnen und anderen Kooperationspartnern.

 

Ein positiver Kreislauf

 

Indem die Hebamme die Säulen der Gesundheit nutzt, um mit ihren Sinnen Mutter und Kind zu beobachten und zu begleiten, bekommt sie ein realistisches Bild der Situation. Wenn sie Ressourcen und Symptome in den Kontext der Salutophysiologie einordnen kann, kann die Hebamme ruhiger und gelassener sein. Dies führt zu einem verstärkten Gefühl des Vertrauens in die Prozesse von Mutter und Kind und der Sicherheit der eigenen Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten. Es entspricht der Berufsethik von Hebammen, Frauen und Kinder in ihrer Eigenverantwortung und Unversehrtheit zu unterstützen. So werden sowohl Hebammen wie auch die von ihnen begleiteten Frauen in ihrem Sicherheitsgefühl und ihrem Vertrauen gestärkt. Ein sich selbst positiv verstärkender Kreislauf entsteht.

Es ist wichtig, dass Hebammen genügend konstruktive Angst haben, die sie wachsam und voller empathischer Sorge für ihre Frauen sein lässt. Auf der anderen Seite sorgt die Zuversicht, die durch Vertrauen, Sicherheit und Kompetenz getragen wird, dafür, dass die Angst nicht übermächtig werden kann. Die Forschungsfrage war: Wie wirkt sich die Zuhilfenahme der Säulen der Gesundheit auf die Beurteilung einer Geburtssituation und den Umgang mit den eigenen Ängsten einer darin geschulten Hebamme aus? Eine Antwort lautet: Die Salutophysiologie mit den Säulen der Gesundheit kann helfen, die Balance zu halten, um nicht von falscher Sicherheit eingeschläfert zu werden oder aus Angst in Starre oder Überaktivität zu verfallen. >

 

Definitionen

 

Salutogenese ist ein Konzept des amerikanischen Professors der Soziologie Aaron Antonovsky. In seiner Vorstellung bilden Gesundheit und Krankheit ein Kontinuum, in dem sich jeder Mensch ständig bewegt (Lorenz 2004: 29). Das heißt, der Mensch ist keine Maschine, sondern Gesundheit entsteht durch die Bewegung (Reaktionsfähigkeit) zwischen Gesundheit und Krankheit.

Die Physiologie untersucht, wie Organismen funktionieren, um zu überleben und sich zu vermehren.

Die Salutophysiologie ist eine Haltung in der Hebammenbetreuung, die den Hebammen ein eigenes theoretisches Berufsmodell anbietet, unabhängig vom medizinischen Modell. Es gründet auf den Säulen der Gesundheit, nämlich Ressourcen, biologischen Kompetenzen der Frauen und Kinder und Copingfähigkeiten im Umgang mit dem Ereignis Mutterschaft und Umwelt.

Rubrik: Ausbildung & Studium | DHZ 02/2015

Literatur

Dahlen, H.: Undone by fear? Deluded by trust? In: Midwifery 26 (2), S. 156–162 (2010)

Kosfeld, B.: Wehenarbeit – diskret, elegant, wissend. In: Deutsche Hebammen Zeitschrift. (7) S. 21–23 (2005)

Lorenz, R.: Salutogenese. Grundwissen für Psychologen, Mediziner, Gesundheits- und Pflegewissenschaftler. Reinhardt (2004)
»