Leseprobe: DHZ 04/2014
Kommunikation

Hören auf mehreren Ohren

Im sogenannten Kommunikationszeitalter ist es nicht einfacher geworden, miteinander zu reden und einander zuzuhören. Zu bedenken ist, dass die Antworten, die Frauen rund um Schwangerschaft und Geburt von GeburtshelferInnen auf ihre Fragen erhalten, wegweisend für die Zukunft der jungen Familie sind. Und auch das genaue Hinhören ist in dieser Lebensphase für die Salutogenese wichtiger denn je. Dr. med. Wolf Lütje,
  • Zuhören beinhaltet Rückfragen, Spiegelung, Wertschätzung und Achtsamkeit. Es ist wohl der bedeutendste Teil der Kommunikation.

Die Komplexität medizinischer Fragestellungen dreht sich aus meiner Sicht um die vier B’s: Befund, Befindlichkeit und Bedeutung im Kontext von Beziehung. Durch Kommunikation werden sie vernetzt und verschlüsselt. Kommunikation ist das alles entscheidende soziale Bindeglied.

 

Nicht nur das Sach-Ohr …

 

Man sagt, wir leben im Kommunikationszeitalter. Seinen Segen mögen wir noch nicht so recht sehen, hingegen den Fluch der Omnipräsenz des vermeintlich Privaten und der Überwachungshoheit von Satelliten, iClouds und Hochleistungsrechnern. Lassen wir diese verdeckte Kommunikation einmal bei Seite und wenden uns dem Alltag zu. Nicht erst durch den deutschen Psychologen und Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun, Gründer des Schulz von Thun-Instituts für Kommunikation, wissen wir, dass wir nicht nur auf einem Sach-Ohr, sondern auch auf einem Selbstoffenbarungs-Ohr, einem Beziehungs-Ohr und einem Appell-Ohr hören und entsprechend auch unsere Botschaften verschlüsseln. Dass wir dies nicht immer gleichzeitig vor Augen haben, ist auch eine Binsenweisheit. Fehler und Scheitern in der Kommunikation sind zwangsläufig viel häufiger und vorprogrammierter als gelingende Verständigung. Das muss uns erst einmal grundsätzlich klar werden. Dennoch sind die Ansprüche an Kommunikation deutlich gestiegen. Es wird auf unendliche viele Arten kommuniziert, wobei viel nicht zwangsläufig ausreichend, mitunter sogar hinderlich ist. Zu viel Information produziert in gleicher Weise Fehler wie zu wenig.

Die vielen Möglichkeiten zu leben, produzieren zudem eine hohe Erwartungshaltung: Enttäuschung ist damit vorprogrammiert. Der Hierarchieabbau, also die Kommunikation auf Augenhöhe, tut ihr Übriges. Wo früher ein einfacher Befehl oder eine einfache Anweisung der Eltern ausreichte, setzen sie sich heute mit Säuglingen und deren Autonomiebestrebungen auseinander und drängen mühevoll auf eine gemeinsam mit dem Säugling getragene Haltung.

Beziehungen sind heute im Sinne des US-amerikanischen Paar- und Sexualtherapeuten David Schnarch „reine Beziehungen", also frei von irgendwelchen Verpflichtungen. Die Suche nach der nur selten möglichen gemeinsamen Wahrheit führt häufig zur Trennung. Hoch ist auch hier der Anspruch an das Verbindliche und nicht die Akzeptanz des Trennenden. Bedeutung und damit auch Konstruktion von Wirklichkeit haben zugenommen, schaffen neue Realitäten, die immer mehr Toleranz erfordern. Die Globalisierung macht die Welt zum Dorf und schafft kulturelle Parallelwelten, in denen Menschen an der zunehmenden Rollenvielfalt und den damit verbundenen Kommunikationsansprüchen immer wieder scheitern. Mit Zunahme von Unsicherheit und Diskontinuität nehmen Kontrollansprüche zu und schaffen Widerspruch und Spaltung, die durch Kommunikation kaum überwindbar sind.

 

Lebensschule für Kommunikation

 

Wenn wir das Leben als Schule betrachten, so ist wahrscheinlich das einzige Fach, in dem es keine Lehrer und keine Meisterschaft, sondern ausschließlich Schüler und Lernende gibt, das Fach Kommunikation.

Was bedeutet dies für GeburtshelferInnen im beruflichen Alltag? Man müsste an dieser Stelle auch die innere Kommunikation mit sich selbst und die Kommunikation im Team betrachten. An dieser Stelle soll es aber ausschließlich um Aspekte der Gesprächsführung mit KlientInnen gehen. Dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte psychosomatische Literatur von Anbeginn, getragen von illustren Namen wie Weizsäcker, Uexküll, Balint, Rogers bis hin zu den VertreterInnen der sogenannten narrativen Medizin, wie beispielsweise die Londoner Sozialwissenschaftlerin und Ärztin Trisha Greenhalgh. Allen gemeinsam ist ein Konzept ganzheitlicher Medizin, das neben objektivierbaren Befunden auch die Befindlichkeit, die Bedeutung, die Biografie und zuletzt die Beziehung in Diagnose, Therapie und Bewältigung von Krankheiten und Störungen einfließen lässt.

Die Entschlüsselung, Vereinfachung und Übersetzung der Komplexität ist das zentrale Anliegen psychosomatischen Denkens und Wirkens. Das praktizieren zum Beispiel die Briten durch die Unterscheidung von „Disease" und „Illness". Und die Dichterin Mascha Kaléko hat es in einem Gedicht mit der Differenzierung von Schmerz und Leid zum Ausdruck gebracht:

Schmerz quält den Leib,
die Seele martern Leiden.
Was trägt sich schwerer –
Schmerzen oder Leiden?
Ich kann mich immer noch nicht recht
entscheiden:
Ich werde täglich heimgesucht von beiden.

Mascha Kaléko, Dichterin (1907–1975)

Aktiv zuhören, Metaebenen herzustellen und damit Geschichten hinter den Geschichten ergründen, Zusammenhänge zu aktuellen und biografischen Lebensumständen herstellen, differenzieren, wo es sich um ein Strukturproblem oder eine Krise handelt – das alles ist die Kunst psychosomatischer Gesprächsführung.

 

Zuhören können

 

Das Zuhören kann verschiedene Ausprägungen haben. Es beinhaltet Rückfragen, Spiegelung, Wertschätzung und Achtsamkeit. Es ist wohl der bedeutendste Teil der Kommunikation. Damit ist jetzt nicht die Urform des analytischen „Zuhörens" gemeint – das oft jahrelange lediglich Präsentsein des Therapeuten beziehungsweise der Therapeutin im Rahmen einer Psychoanalyse. Eine Patientin des Mediziners und Psychiaters Klaus Dörner brachte es einmal auf den Punkt: „Wenn ich nur einen Arzt fände, der mir stundenlang zuhören könnte, würde ich schon selbst auf die Lösung meiner Probleme kommen." Das ist natürlich nicht umsetzbar. Wenn wir aber zumindest berücksichtigen würden, dass der überwiegende Teil der PatientInnen, wenn er nicht unterbrochen wird, seine Anliegen einschließlich subjektiver Theorien und Bedeutung in zwei bis drei Minuten zum Ausdruck bringen kann, so würden sich ungeheure Einsparpotenziale durch bessere, schnellere und zielführende Diagnosen und damit Therapiekonzepte ergeben.

Zuhören gelingt nur demjenigen, der sein Ohr nicht nur nach außen, sondern auch in sich selbst hinein richtet und dadurch seine eigene Geschichte und seine Geschichten kennt. Nur wer sich spiegelt und spiegeln lässt – durch Selbsterfahrung und Supervision – kann dem hohen Anspruch psychosomatischen Wirkens gerecht werden. Dies ist als Plädoyer für eine umfassende psychosomatische Weiterbildung in allen medizinischen Disziplinen und Subdisziplinen zu verstehen.

Im Rahmen dieser Ausbildung lassen sich unterschiedliche Techniken der Befragung lernen. Dazu gehört das sogenannte zirkuläre Fragen, bei dem reale und fiktive Personen einbezogen werden und die Außenperspektive des sozialen Umfeldes zur Spiegelung verwendet wird, wie beispielsweise: „Was würde Ihre Mutter an dieser Stelle sagen?".

So helfen bei der Verarbeitung eines Geburtstraumas Fragen nach dem, was sich nicht noch einmal wiederholen darf. Das führt schnell ins Zentrum der Problematik. Hier helfen auch wechselnde Fantasiereisen zwischen dem aktuell negativ erlebten Ereignis und positiven Erlebnissen der Bewältigung im Leben. Dies aktiviert Ressourcen und erleichtert die Bewältigung.

Rückfragen können mit viel Empathie versehen sein: „Ich kann mir gut vorstellen, wie schwer es für Sie ist darüber zu sprechen …". Dann öffnen sie überraschend verschlossene Türen und schaffen einen raschen Zugang zu Kernthemen der KlientInnen. Gerade wenn es darum geht, somatische Fixierung durch biopsychosoziale Aspekte zu erweitern und zu ergänzen, ist behutsames kommunikatives Vorgehen angesagt. Die Umschaltung ist verständlicherweise zunächst mit Abwehr verbunden. Wer will zu seinem somatisch empfundenen Leid schon auch noch psychisch erkrankt sein? In diesem Kontext helfen Bilder und Metaphern weiter. Das Stress- und Erschöpfungsmodell oder die Erklärung, dass es so etwas wie ein Schmerzgedächtnis gibt, helfen beim Übergang zu einem umfassenden Störungsverständnis.

 

Emotionen integrieren

 

Die Schwangerschaftsambivalenz, die sich beispielsweise in einer Hyperemesis ausdrücken kann, könnte man dahingehend bebildern, dass es durchaus auch anerkannte und nachvollziehbare Gründe gibt, eine Schwangerschaft oder auch ein Kind zwischendurch „zum Kotzen" zu finden. Dafür muss sich niemand schämen. Der Vergleich mit dem eigenen Partner, den man auch nicht immer lieb und nett findet, hilft diese – eigentlich unerlaubte – Emotion zu integrieren. Sie lässt sich durch die Akzeptanz von Ambivalenz und Aversion im Verlauf der Schwangerschaft zu einem Annehmen umgestalten.

Genauso lässt sich eine schwangerschaftinduzierte Hypertonie psychosomatisch durchaus als Störung begreifen, bei der zu viel „Druck" vorliegt. Die überaktive, wehende Gebärmutter drückt nichts anderes als die Überaktivität der möglicherweise noch intensiv berufstätigen Mutter aus und fordert nichts anderes als „Brutzeit". Auch bei der Bearbeitung von Geburtsängsten und -traumata helfen Bilder, Metaphern und Geschichten.

Auch wenn Angst und Zustand nach Trauma von vielen selbsternannten psychosomatischen GeburtshelferInnen instrumentalisiert werden, um psychologisch gerechtfertigte Kaiserschnitte zu indizieren, sind sie geburtshilfliche Realität und Alltag und bedürfen einer besonderen psychosomatischen Therapie. Die Hamburger Hebamme und Traumatherapeutin Viresha Bloemeke bearbeitet auf wundervolle Weise das Geburtstrauma ihrer Klientinnen am Beispiel des Märchens vom Wolf und den sieben Geißlein. Am Ende sind alle Stärken (Geißlein) wieder befreit und alle Ängste und Traumata (Wackersteine) werden im Brunnen versenkt.

Nicht zuletzt ist die Geburt selbst auch ein breites Feld kommunikativen Wirkens. Da geht es zunächst einmal um die Nomenklatur: „Blasensprengung" schafft Bilder von Schlachtfeldern. „Wehe" impliziert immer noch eine Drohung mit dem Zeigefinger und den Schmerz, der nicht zwangsläufig sein muss. Die Engländer sprechen hingegen von Arbeit, wenn sie von Geburtswehen sprechen.

 

Der Weg findet sich im Gehen

 

Im Kontext der Geburt spreche ich gern von der Besteigung eines großen Berges. Dabei ist der Weg das Ziel und die Schritte sind die Wehen, unterbrochen von einem tiefen Luftholen. Es gibt viele Wege auf diesen Berg, sei es barfuß oder auch mit dem Hubschrauber. Ein Weg findet sich beim Gehen und die Begleiterscheinungen von Schmerz, Anstrengung, mitunter auch Angst sind natürlich. Oft suchen Menschen freiwillig solche Herausforderungen, insbesondere dann, wenn sie sportlich aktiv sind. Die Geburt selbst ist auch eine Metapher für die große Herausforderung und Anstrengung eines Lebens mit Kindern. Nicht zuletzt setzt die innere Gestimmtheit des Teams, ob nun salutogenetisch oder eher pathologisch orientiert, Placebo- und Nocebo-Effekte frei, die sehr häufig auch den Geburtsverlauf bestimmen. Die Kommunikation mit dem Vater ist eine neue, noch relativ unerforschte Herausforderung, der beispielsweise durch Modelle gezielter Geburtsvorbereitung für Männer Rechnung getragen wird.

Zentralpersonen bei der Geburt sind Hebammen – und das werden sie hoffentlich immer bleiben. Gerade im psychosozialen Bereich sind sie die Hauptansprechpartnerinnen der Frauen, viel mehr als es Ärzte und Ärztinnen jemals waren oder sein können. Hebammen bringen viel Empathie mit, aber auch sie haben die Psychosomatik nicht mit der Muttermilch aufgesogen. Sie brauchen entsprechende Ausbildung und Schulungen; Ausbildungseinrichtungen müssen sich darauf einstellen. Dabei gibt es schon jetzt zahlreiche Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung durch die Hebammenverbände und auch durch die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Geburtshilfe und Gynäkologie (DGPFG, siehe Seite 24). Diese Verbände erweisen sich als zunehmend gute Kooperationspartner und finden wichtige Schnittstellen gemeinsamen öffentlichen politischen Wirkens.

 

Kommunikation berührt

 

Wenn Menschen miteinander reden, ist das ein Glücksfall. Zu häufig reden wir aneinander vorbei. Um diesen Anteil möglichst gering zu halten, ist gute Kommunikation eine lebenslange Herausforderung!

Meine schönste Kommunikation vor ein paar Tagen: Ein Paar verliert sein Kind in der 40. Schwangerschaftswoche. Ich besuche es und bemerke, dass ich diese Geschichte heute Abend nicht meiner Frau erzählen werde. Sie ist selbst hochschwanger. Das Paar schenkt mir freudiges Lachen und beste Wünsche. Als ich am nächsten Tag von unserer Geburt erzähle, fallen mir beide um den Hals. Das macht einen sprachlos: Die beste Kommunikation wird nicht gesprochen, sie berührt.

Rubrik: Beruf & Praxis | DHZ 04/2014