Leseprobe: DHZ 09/2018
Hebammen ohne Grenzen

Im Verborgenen

Eine Reportage aus der »Medizinischen Ambulanz ohne Grenzen« für Menschen ohne Krankenversicherung in Mainz: Hebammen arbeiten dort ehrenamtlich in der geburtshilflichen Versorgung schwangerer Frauen. Melanie M. Klimmer,
  • Drei der ehrenamtlichen Hebammen der »Medizinischen Ambulanz ohne Grenzen« (v.l.n.r.): Michaela Michel-Schuldt, Annika Schröder und Sabrina Grote.

  • Der Flur zu den Behandlungszimmern, Funktions- und Büroräumen und dem Wartezimmer

  • Blick in das gynäkologische und geburtshilfliche Sprech- und Untersuchungszimmer

  • Der Untersuchungsraum, den der Verein den ehrenamtlichen Hebammen zur Verfügung stellt

  • Auf dem Gelände vor dem Eingang der »Medizinischen Ambulanz ohne Grenzen« hängt ein zurückgelassenes weißes Shirt einer verschwundenen Frau.

Auf das historische Festungsgelände der Zitadelle von Mainz führen nur wenige Zugänge. Eine schmale, steile Auffahrt bringt mich zum Franz Adam Landvogt-Haus, in dem der Verein Armut und Gesundheit (a+G) seit 2013 im ersten Stock eine »Medizinische Ambulanz ohne Grenzen« unterhält. Es ist eine Art Poliklinik, die nicht krankenversicherte und wohnungslose Menschen und Menschen ohne Papiere kostenlos medizinisch versorgt und berät. Auf dem Hof höre ich das Klirren von Geschirr; nebenan im Erdgeschoss befindet sich eine Teestube für Wohnungslose der Pfarrer-Landvogt Hilfe e.V. Eine schwangere Frau hat sich dort vor dem Eingang für ein paar Minuten in die Sonne gesetzt. Es ist sehr heiß heute.

Hier hat der Verein Armut und Gesundheit in Deutschland e.V. vor fünf Jahren eine »Medizinische Ambulanz ohne Grenzen« für Menschen ohne Krankenversicherung ins Leben gerufen. Alle, die durch das Raster der medizinischen Fürsorge fallen, erhalten kostenlose Hilfe. Rund 3.600 Behandlungen sind inzwischen dokumentiert. Hebammen kümmern sich ehrenamtlich um die geburtshilfliche Versorgung schwangerer Frauen.

Der Flur zu den Behandlungszimmern, Funktions- und Büroräumen in der Ambulanz wirkt freundlich, die Wände sind mit blauen und grünen Wasser- und Strandmotiven bemalt. Aus den Zimmern dringen Stimmen. Ich bin verabredet mit Michaela Michel-Schuldt, PHD Midwifery-Studierende, die zuletzt als Beraterin für die UN tätig war, Annika Schröder von der Hebammengemeinschaft Kokobelly und Sabrina Grote, die als freie Hebamme und angestellt im Katholischen Klinikum Mainz arbeitet – drei selbstbewusste Kolleginnen.

Welche Frauen sind es, die hier Hilfe in Anspruch nehmen? Wie gelingt die Betreuung unter diesen Umständen über viele Schwangerschaftsmonate und das Wochenbett hinweg? – Die Anfänge der Initiative gestalteten sich nicht leicht. Es waren behördliche Hürden zu überwinden. Heute vermitteln Mund-zu-Mund-Propaganda, engagierte Bürgerinnen und Bürger, Sozialdienste und Sozialbehörden die Menschen zu a+G. Die Zahl der Schwangeren ist derzeit wieder rückläufig. Die Hebammen können es sich nicht erklären und suchen nach den Barrieren.

 

Kontakte durch Arztmobil und Frauen-Sprechstunde

 

Michaela Michel-Schuldt erzählt: »In den zentralen Unterkünften für Geflüchtete und AsylbewerberInnen war unser Arztmobil präsent, der Verein hatte gute Kontakte zu den BetreiberInnen. So sprach sich herum, dass wir auch schwangere Frauen betreuen. Ganz zu Beginn unserer Arbeit haben wir in den größeren Unterkünften von a+G zudem eine monatliche, interdisziplinäre Sprechstunde eingerichtet, gemeinsam mit einer Sozialarbeiterin, einer Allgemeinärztin, einer Gynäkologin und einer Hebamme. Damit unsere ‚Von-Frauen-für-Frauen-Sprechstunde‘, bekannter wurde, liefen wir dort von Haus zu Haus. Die SozialarbeiterInnen in den Einrichtungen waren wichtige VermittlerInnen.«

Wie viele schwangere Frauen aktuell tatsächlich unversorgt sind, ist nicht sicher. »Der Schritt, eine Hebamme zu kontaktieren, funktioniert oft nicht. Wir vermuten sprachliche Gründe, vielleicht fehlende Kenntnisse der schwangeren Frauen über ein Recht auf Hebammenversorgung und dass die SozialarbeiterInnen Schwangere erst bei fortgeschrittener Gravidität zu uns schicken.«

Der Untersuchungsraum, den der Verein den ehrenamtlichen Hebammen zur Verfügung stellt, ist hell und ansprechend. Ein Paravent schirmt die Schwangere ab. Gynäkologischer Stuhl, Behandlungsliege, Tisch und Stühle, Schränke für Arznei- und Verbandsmittel und ein Ultraschallgerät – alles wichtige Sachspenden – gehören heute zur Ausstattung.

Der Begründer und erste Vorsitzende von Armut und Gesundheit in Deutschland e.V. Dr. Gerhard Trabert ist promovierter Sozialmediziner, diplomierter Sozialarbeiter und Professor an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden. Er setzt sich schon seit Mitte der 1990er Jahre für Wohnungslose und Personen ohne Krankenversicherung oder Papiere ein und entwickelte auf steinigem Weg das »Mainzer Modell«, eine aufsuchende medizinische Ambulanz. Ein tiefes Schubfach in seinem »Arztmobil« ist dicht bepackt mit gelben Krankenakten. An anderer Stelle sind im Sommer Sonnenmilch und Elektrolyt-Brausetabletten, im Winter warme Socken und Mützen verstaut. Arznei- und Verbandsmittel drängen sich auf engstem Raum in abschließbaren Fächern des rollenden Sprechzimmers.

 

Schwangere verschwinden spurlos

 

»Ich habe um 11.30 Uhr einen Termin mit einer schwangeren Frau in der Ambulanz. Sie ist nicht krankenversichert und ich sehe sie zum ersten Mal. Ich weiß nicht, welche Sprache sie spricht«,schreibt Michaela Michel-Schuldt wenige Tage vor unserem Treffen. Dann sagt die Schwangere plötzlich ab.

Der Kopierer im Eingangsbereich der Ambulanz schafft nur wenige Seiten. Wie die Technik aus zweiter Hand, kommt auch die Arbeit immer wieder ins Stocken. – Es kommt vor, dass Frauen während der Schwangerschaft und im Wochenbett plötzlich spurlos verschwinden: OsteuropäerInnen, Geflüchtete, Au-Pair-Mädchen. Wie geht man als Hebamme damit um?

Annika Schröder antwortet: »Man macht sich so seine Gedanken, ob es den schwangeren Frauen und ihrem ungeborenen Kind weiter gut geht.« Sie erzählt von einer Schwangeren aus Osteuropa mit vier Kindern, deren Mann vom Arbeitgeber nicht versichert war: »Als ich zur Wochenbettbetreuung kommen wollte, stand ich vor verschlossener Tür. Mein Versuch, herauszufinden, was passiert ist, scheiterte. Vermutlich ist die Familie wegen des Mannes überstürzt umgezogen. Man darf es dann nicht zu sehr an sich heranlassen.«

Michaela Michel-Schuldt berichtet: »Papierlose Frauen sind sehr mobil. Der Kontakt zu ihnen kann abrupt abreißen. Es ist fast die Regel, dass sie unsere kostenlosen Untersuchungen nach den Mutterschafts-Richtlinien nicht bis zum Schluss in Anspruch nehmen.«

Auf dem Geländer vor dem Eingang der Medizinischen Ambulanz hängt ein zurückgelassenes weißes Shirt. Eine leere Plastiktüte weht über den Hof. Das rätselhafte Verschwinden schwangerer Frauen ohne Papiere hat viele Gründe. Ich finde heraus, dass die Frauen zwar ein Recht auf eine Geburtsurkunde für ihr neugeborenes Kind haben, der Gang zum Sozialamt jedoch ein Risiko darstellen kann.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisiert seit Jahren den § 87 Aufenthaltsgesetz, der dazu führe, dass Sozialbehörden durch ihre Übermittlungspflicht von personenbezogenen Daten an Ausländerbehörden in die Migrationskontrolle eingebunden sind – eine undurchschaubare Zwitterfunktion, wenn man bedenkt, dass Sozialbehörden im Kern eine menschenrechtskonforme, gesundheitliche Versorgung gewährleisten sollen. Für papierlose, schwangere Frauen ist das eine nahezu unüberwindliche Hürde, denn eine Geburtsurkunde für das Kind kann eine Abschiebung zur Folge haben. Auch die Geheimhaltung personenbezogener Daten bei der Leistungsabrechnung einer Krankenhausverwaltung mit dem zuständigen Sozialamt ist trotz des geltenden »verlängerten Geheimnisschutzes« des medizinischen Personals nicht sichergestellt.

 

Belastende Begegnungen verarbeiten

 

Annika Schröder: »Deutlich heftiger war für mich die Konfrontation mit dem Thema Genitalverstümmelung. Ich habe einige Zeit gebraucht, damit emotional umzugehen.« Im vergangenen Jahr hatte sie zwei Fälle. »Allein darüber ins Gespräch zu kommen, ist schon ein sehr langer Weg. Die betroffenen Frauen vertrauen sich nicht jedem an. Es braucht erst eine gewisse Vertrauensbasis, bis sie sich öffnen können. Da das Tabuthema nicht Teil unserer Ausbildung war, stand ich anfangs entsprechend unwissend da und musste mich erst einarbeiten. Ein Prinzip für uns im Verein ist dann, belastende Probleme gemeinsam zu besprechen und im Verein eine gemeinsame Linie zu fahren. Der Austausch in regelmäßigen Teamsitzungen und bei Hebammentreffen ist deshalb ganz wichtig.«

Der Besprechungsraum ist groß. Das interdisziplinäre Team umfasst rund 15 haupt- und 40 ehrenamtliche FachärztInnen, Pflegefachkräfte, SozialarbeiterInnen und Hebammen. Sie leisten Hilfe für Menschen aus mehr als 30 Nationen. Zusammen mit seinem Team und anderen Hilfsorganisationen versucht Gerhard Trabert für das Tabuthema »Weibliche genitale Beschneidung« zu sensibilisieren. Gemeinsam mit dem Hebammenteam engagiert er sich im Fachdialognetz von pro familia (siehe Link). Regelmäßig trifft man sich in Mainz zu einem Runden Tisch zum Thema Geburtshilfe und bemüht sich, auch über den Verein hinaus um eine andere Philosophie, eine andere ethische Haltung im Umgang mit kritischen Themen, um Zugänge, um interdisziplinären Kompetenz­erwerb.

Sabrina Grote berichtet: »Auffällig für uns ist, dass immer häufiger Männer mit zur Geburt kommen, in deren Kulturkreisen es traditionell unüblich ist. Ich bin immer wieder sehr überrascht, wie liebevoll und aufmerksam sie mit ihren Frauen sind.«

Michaela Michel-Schuldt ergänzt: »Hier in Deutschland gibt es die Möglichkeit, sich als Paar auch einmal anders auszuprobieren als im Herkunftsland. Das Beziehungsgeflecht ändert sich, wenn die Männer wahrnehmen und erkennen, was diese Frauen leisten.«

 

Empowerment für Frauen

 

Annika Schröder erläutert: »Das versuche ich in meiner Arbeit auch zu vermitteln: Die Frau ist wichtig. Man muss die Frauen motivieren, ihre Communitys gegenüber deutschen Frauen zu öffnen.« Doch gerade bei Themen wie der weiblichen genitalen Beschneidung sei der Druck aus den Herkunftsländern sehr groß. Man fliege die Mädchen zur Beschneidung aus dem Land und bringe sie danach wieder zurück. »In diesem Bereich müssen wir deshalb sehr intensiv beraten und den Eltern vermitteln, dass die Genitalverstümmelung verboten ist und welche gesundheitlichen Auswirkungen sie für die Mädchen hat. Unsere Grundaufgabe ist das Empowerment von Frauen: sie in ihren Rechten und Bedürfnissen zu stärken, auf ihren Körper zu hören und selbst Entscheidungen zu treffen.«

Charlotte Weil von Terre des Femmes schätzt in ihrer »Dunkelzifferstudie« im Juli 2017 (siehe Link), dass mindestens 13.000 Mädchen in Deutschland von einer Genitalverstümmelung bedroht sind. Die bereits eingebürgerten Frauen, Mädchen und Frauen ohne Papiere und die gefährdeten Minderjährigen mit deutscher Staatsbürgerschaft sind dabei nicht einmal berücksichtigt. Weil unterscheidet »vermutlich Gefährdete«, das heißt minderjährige Mädchen mit ausländischer Staatsbürgerschaft, die in Deutschland leben, und »vermutlich Betroffene«, volljährige Mädchen. Sie geht davon aus, dass das kulturelle Wertesystem des Heimatlandes Einfluss nimmt, sich die Zahl der Genitalverstümmelungen über eine in Deutschland lebende Generation jeweils halbiert.

58.000 Mädchen und Frauen, die in Deutschland leben, wurden bereits dieser grausamen Prozedur unterzogen – während Kurzreisen in die Herkunftsländer und teils durch bereitwillige MedizinerInnen in Deutschland. Auf die Beschneidung von Jungen wird vor allem von syrischen Frauen Wert gelegt, auch ohne Indikation einer Phimose.

Die Hebammen von a+G geben nicht auf. Michaela Michel-Schuldt betont: »Genitalverstümmelten Frauen sagen wir: ‚Da gibt es Rekonstruktionsmöglichkeiten. Das Recht deines Kindes ist es, unversehrt zu bleiben. Eine drohende Beschneidung in deinem Land kann Grund sein, eine Abschiebung auszusetzen!‘» – Über Menschenrechte aufzuklären sei ein wesentlicher Teil ihrer Arbeit. »Das Wichtigste an der Vereinsarbeit für mich ist, dass es nicht bei der Betroffenheit bleibt, sondern wir die Probleme, die uns beschäftigen, auf eine politische Ebene heben und Wellen schlagen lassen.« Da es Schwierigkeiten gibt, genitalverstümmelte Frauen interdisziplinär zu versorgen, plant der Verein 2019 eine Fortbildung dazu.

Das Thema Genitalverstümmelung und die Vermittlung kultureller Kompetenz gehören für Michaela Michel-Schuldt in das Kerncurriculum der Hebammenausbildung. »Wenn es um die Entwicklung von Leitlinien zum Umgang von medizinischem Personal mit weiblicher Genitalverstümmelung geht, sollten Hebammen mitreden! Denn für schwangere Frauen sind wir ein wichtiges Navigationssystem: Unsere Aufgaben bestehen überwiegend im Vermitteln, Erklären, Organisieren und Aufklären. Manchmal wäre es hilfreich, wir könnten hierbei noch mehr durch digitale Apps unterstützt werden – zum Vorlesen in verschiedenen Sprachen, um Frauen aufzuklären.«

 

Politisches Engagement und Partnerschaften

 

Dass sich politischer Einsatz zusammen mit Partnerorganisationen wie MediNetz Mainz e.V. lohnt, zeigt beispielsweise die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für neu ankommende Geflüchtete und AsylbewerberInnen seit Juli 2017 in Mainz. Michaela Michel-Schuldt erinnert sich an die Bedingungen zuvor, wie sie andernorts noch heute überwiegender Alltag in der Versorgung von Geflüchteten sind: »Wir hatten anfangs Zettel als Krankenbehandlungsscheine, die ein Quartal lang gültig waren. Die Kliniken behielten die Originale oft ein, folglich hatten wir für das Wochenbett keine Abrechnungsmöglichkeit mehr. Das war für uns ein echtes Problem. Man musste beim Sozialamt dann jedes Mal ein Ersatzpapier ausstellen lassen, um im Gegenzug die Rechnung schicken zu können. Zuerst hieß es, das sei unmöglich – das war kompliziert!«

Auch papierlose, nicht krankenversicherte schwangere Frauen benötigen hin und wieder intensive Betreuung und Therapie, zum Beispiel eine antiretrovirale Kombinationstherapie bei HIV-Infektion oder eine Immunsensibilisierung bei Rhesusinkompatibilität. Was die Hebammen aus organisatorischen Gründen nicht selbst nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder über den Verein für Frauen ohne Krankenversicherung in der Medizinischen Ambulanz durchführen können, vermitteln sie an MediNetz Mainz e.V., die Vermittlungsstelle zur medizinischen Versorgung von Menschen ohne Papiere und Krankenversicherung.

MediNetz trifft Abkommen mit Kliniken vor Ort, so dass Schwangere, die bei a+G oder niedergelassenen ÄrztInnen die Schwangerenvorsorge wahrgenommen haben, zur Geburt kommen können. Im Falle von HIV erhalten sie dann auch das Medikament Viramune. Für die Geburt bezahlen die Schwangeren einen festen Betrag von 450 Euro an die Klinik.

 

Mehrklassenmedizin überwinden

 

Im Berufsalltag erfahren die Hebammen immer wieder die Konsequenzen der Mehrklassenmedizin. Viele Lücken sind zu schließen. Die SozialarbeiterInnen von a+G tun ihr Möglichstes, um alle Menschen in eine Krankenversicherung zu bringen. Armut, Isolation und Stigmatisierung erhöhen das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen wie Frühgeburten, Fehlgeburten und Fehlbildungen. Ein Teil der marginalisierten Frauen findet jedoch schnell Anschluss zu ihren Communitys und meistert die Situation relativ gut, wie Michaela Michel-Schuldt berichtet.

»Es gibt zwei Richtungen: Wir haben es einmal mit Frauen zu tun, die in ein gesundes, stabiles Netzwerk eingebunden sind oder es schnell schaffen, sich ihren Communitys anzuschließen. Hier müssen wir Hebammen nicht viel tun: Sie brauchen etwas soziale Unterstützung, vor allem aber Hilfe bei der Navigation durch das deutsche Gesundheitssystem. Und dann gibt es die marginalisierten Frauen, die dann auch häufiger Schwangerschaftskomplikationen haben.«

Vieles, was a+G für die Versorgung der PatientInnen braucht, hat der Verein selbst kreiert, zum Beispiel den Ratgeber »point + talk« für die Sprechstunde bei Arzt oder Hebamme – eine Übersetzungshilfe mit Piktogrammen auch für Menschen, die nicht lesen und schreiben können. »point + talk« gibt es in Arabisch, Farsi und Tigrinya. Außerdem arbeitet a+G mit Anamnesebögen in allen Sprachen (siehe Links). Die Räume des Vereins sind bespickt mit Informationsmaterial.

Rund 800.000 Personen können in Deutschland ihre Krankenversicherungsbeiträge nicht mehr bezahlen, rund 800.000 Menschen haben keine Wohnung und nach Schätzungen sind bis zu 600.000 ohne Papiere. Ich stelle mir vor: Unter all jenen sind Schwangere ohne anerkannte Identität, mit Zukunftsängsten und Angst vor Abschiebung. In Anbetracht dessen frage ich mich, ob es – zum Schutz des Lebens – von Seiten der Gesundheitspolitik nicht dringend geboten wäre, den Blick auf Menschen abseits der breiten Straßen und in die verborgenen Winkel der Gesellschaft zu richten. Es gilt, eine medizinische Versorgung zu schaffen, die nicht nur den tatsächlichen Lebensbedingungen der Menschen gerecht wird, sondern diese auch konsequent verbessert – eine Versorgung, die in diesem Bereich nicht allein auf die Arbeit von Ehrenamtlichen abstellt.

 

Hintergrund: Frauen in der »Medizinischen Ambulanz ohne Grenzen«

 

  • wohnungslose Schwangere ohne Sozialleistungsbezug
  • Hartz IV-EmpfängerInnen
  • Haftentlassene während der Übergangszeit
  • Geflüchtete (nach dem Asylbewerberleistungsgesetz) und Frauen ohne Papiere
  • Kontingentflüchtlinge ohne Versicherungsschutz
  • Frauen aus anderen EU-Staaten ohne Sozialleistungsbezug
  • Ehefrauen von Leiharbeitern in Subunternehmen aus Osteuropa und von Wanderarbeitern
  • Au-Pairs, die aufgrund einer Schwangerschaft nicht mehr arbeiten können, nicht krankenversichert sind
  • Frauen in finanzieller Schieflage
  • Frauen, die Kassenbeiträge nicht mehr bezahlen können
  • Frauen, die zugehende Hilfen und bürokratische Unterstützung benötigen

Rubrik: Politik & Gesellschaft | DHZ 09/2018