Leseprobe: DHZ 02/2014
Beikost nach Bedarf

Mit dem Essen spielt man nicht. Oder doch?

Die ganze Familie sitzt zusammen, das neue Familienmitglied ist natürlich auch dabei, und alle essen das, was auf dem Tisch steht. Die Atmosphäre ist entspannt, keiner ist damit beschäftigt, das Baby zu füttern. Das jüngste Familienmitglied schaut selbst, was der Familientisch bietet, greift danach, mümmelt, stopft, kaut, lutscht. Es sorgt für sich selbst. Dann geht es zum Nachtisch an die Brust der Mutter. Utopie oder Realität? Lysann Redeker,
  • Das beikostreife Kind sollte so oft wie möglich die Gelegenheit bekommen, gesunde Nahrungsmittel im Rahmen der Familienmahlzeiten zu probieren.

Stellen Eltern heute die Frage, welches der beste Weg zur Einführung von Beikost sei, so erhalten sie seit 2009 in Deutschland die Aussage: „Beikost sollte frühestens mit Beginn des fünften, spätestens mit Beginn des siebten Monats eingeführt werden.“ Bis zum neunten Lebensmonat des Kindes sollte dies in Form von Brei sein. Danach „braucht (das Baby) keinen Brei“ mehr, heißt es in einer Broschüre des Netzwerks Junge Familie (Koletzko et al. 2013; aid 2012). Schauen Eltern und beratende Hebamme über den nationalen Tellerrand hinaus, finden sie bezüglich ihrer Frage weitere Empfehlungen.

 

Blick über den Tellerrand

 

Die Nationale Gesundheits- und Medizinforschungsgesellschaft Australiens spricht sich zum Beispiel für einen Start mit circa sechs Monaten aus. Die Texturen der eingeführten Nahrungsmittel sollten sich am jeweiligen Entwicklungsstadium des Kindes orientieren (NHMRC 2013).

Übereinstimmend mit den australischen Leitlinien empfehlen auch UNICEF und das britische Gesundheitsministerium seit 2011 den Beginn der Beikost­einführung mit rund sechs Monaten. Sie berufen sich dabei auf aktuelle Forschungsergebnisse der WHO, bei denen Babys in den ersten sechs Monaten nichts anderes als Muttermilch oder Formulanahrung benötigen. Die erste Beikost kann dabei dem Kind als weiches Obst und Gemüse in Form von Fingerfood oder als Brei angeboten werden. Mit dieser klaren Empfehlung, dass Fingerfood bereits zu Beginn der Einführung von fester Nahrung einen berechtigten Platz im Speiseplan des Babys hat, nehmen UNICEF und das britische Gesundheitsministerium eine Vorreiterrolle in den „amtlichen“ Empfehlungen zum Thema Beikost ein (Unicef 2011).

Ausgehend von den bisher gesammelten Erfahrungen und der Empfehlung von UNICEF, wird nun auch in Deutschland zunehmend eine Diskussion darüber geführt, ob jedes Baby tatsächlich zunächst Brei benötigt oder ob es möglicherweise eine Alternative dazu gibt.

War dieser Ansatz bisher eher unter Insidern mit guten Englischkenntnissen als „baby-led weaning“ bekannt, so hat man sich 2012 im deutschsprachigen Raum auf den Begriff „Beikost nach Bedarf“ verständigt. Die Hebamme und Stillberaterin Gill Rapley erklärte bereits 2005 den wissenschaftlichen Rahmen des „baby-led weaning“. 2008 folgte dann ein Buch sowie ihre Masterarbeit über die vom Baby gesteuerte Entwöhnung, wie sich die englische Wortschöpfung übersetzen lässt. Sie ging dabei der Frage nach, was passieren würde, wenn man den Kindern die Führung beim Übergang von Milch zu fester Nahrung überlassen würde (www.rapleyweaning.com).

Durch die Veröffentlichung der deutschen Übersetzung ihres Buches „baby-led weaning“ in diesem Jahr und dem Erscheinen eines weiteren Buches zum Thema „breifrei“ sowie einiger Flyer, Artikel und Interviews von Fachkräften zu diesem Thema nimmt das Interesse an dieser Methode derzeit rasant zu (Rapley, Murkett & Rahn-Huber 2013; Stern & Nagy 2013; Lehwald 2013).

 

Die Idee

 

Die Grundidee, die hinter der Methode „Beikost nach Bedarf“ steht, ist einfach. Nicht die Eltern entscheiden, wann und wie mit fester Nahrung in Form von gefüttertem Brei begonnen wird, sondern das Kind nimmt von Anfang an an den gemeinsamen Mahlzeiten der Familie teil. Dem Kind wird dabei die Möglichkeit gegeben, individuell und entsprechend seines Entwicklungsstandes mit allen Sinnen die Welt des Essens kennenzulernen. Selbst entscheidet es, was es in welcher Menge und ab welchem Zeitpunkt zu sich nimmt. Dabei steht in erster Linie der Forscherdrang und der Spaß des Babys im Vordergrund, neue Konsistenzen, Gerüche und Geschmacksrichtungen zu entdecken und weniger, so schnell wie möglich Milchmahlzeiten zu ersetzen.

Das beikostreife Kind bekommt dafür so oft wie möglich die Gelegenheit, gesunde Nahrungsmittel im Rahmen der Familienmahlzeiten zu probieren. Die weiterhin nach Bedarf angebotenen Stillmahlzeiten werden einfach ergänzt. Wird nicht (mehr) gestillt, so bekommt das Baby Säuglingsanfangsnahrung (Pre oder 1er) ebenfalls nach Bedarf. Durch Imitation der anderen Personen beim Essen lernt es nicht nur wichtige soziale Kompetenzen, sondern eignet sich das ihm vorgelebte Essverhalten an. Eltern sollten sich daher ihrer Vorbildfunktion bewusst sein und mit gutem Beispiel vorangehen.

 

Forschergeist

 

Anfänglich ähneln die Essenszeiten eher Spielzeiten, da die angebotenen Lebensmittel zunächst vom Kind ausgiebig mit Mund und Händen „erforscht“ werden dürfen. Dieses Verhalten hilft dem Kind, die unterschiedlichen Konsistenzen und Größen der Nahrungsmittel kennenzulernen und im wahrsten Sinne des Wortes zu „begreifen“. Dabei wird fast ganz nebenbei Motorik und Koordination trainiert. Das Kind agiert selbstwirksam. Dies bedeutet, dass es durch seine eigenen Kompetenzen etwas erreichen und verändern kann und somit seinen Alltag aktiv mitgestalten darf. Denn etwas selbst und in seinem eigenen Tempo machen zu können, ist für das Kind erst einmal wichtiger als satt zu werden!

Im Gegensatz zur Beikost nach Bedarf endet mit Beginn ihrer Einführung für die Kinder die Zeit der Autonomie beim Essen. Wurde ihnen bisher zugestanden, nach Bedarf an der Brust oder Pre-Nahrung ad libitum zu trinken, wie auch die aktuellen Empfehlungen dazu lauten, so entscheiden nun die Eltern anhand von Ernährungskonzepten und Beikostplänen über die Nahrungszufuhr. Dabei besteht die Gefahr, dass das Thema Essen zu einem wahren Stressfaktor im Familienalltag wird, wenn das Kind mit dem Angebot nicht einverstanden ist. Die fütternde Person kann außerdem nur schwer nebenbei selbst essen, so dass entweder das Kind vor der Familienmahlzeit gefüttert wird oder aber die fütternde Person später essen muss.

Bei der Beikost nach Bedarf essen alle gemeinsam und zur gleichen Zeit. Das Kind bedient sich von den angebotenen Nahrungsmitteln, während es auf dem Schoß oder im Hochstuhl aufrecht sitzt. Niemand steckt ihm dabei Essen in den Mund, um „zu helfen“, sondern das Baby entscheidet selbst, was es probieren möchte, und welche Menge es davon zu sich nimmt.

 

Reif für selbstbestimmtes Essen

 

Ein gesundes und reifgeborenes Baby zeigt mit rund sechs Monaten, dass es selbst essen kann und vollzieht dann den Umstieg von Milch zu fester Kost in seinem eigenen Tempo. Wenn das Kind ein großes Interesse an anderem Essen hat und in der Lage ist, danach zu greifen, es sich in den Mund zu stecken und die Bereitschaft zeigt, darauf zu kauen, kann ihm geeignetes Essen angeboten werden. Dafür sollte es mit wenig Unterstützung aufrecht sitzen können und der sogenannte Zungenstreck- oder auch Zungenstoßreflex, mit dem bisher feste Nahrung wieder aus dem Mund geschoben wurde, verschwunden oder deutlich abgeschwächt sein. Wenn es satt ist, verweigert es weiteres Essen.

Zu dieser Zeit ist das Immun- und Verdauungssystem so weit gereift, dass das Kind beginnt, feste Nahrung zu verwerten und zu tolerieren. Muttermilch oder Säuglingsanfangsnahrung sollte weiterhin nach Bedarf angeboten werden, um als Hauptnahrungsquelle im ersten Lebensjahr die Energie und Nährstoffversorgung sicherzustellen.

 

Geeignet oder ungeeignet?

 

Grundsätzlich gibt es bei der „Beikost nach Bedarf-Methode“ keine Vorgaben, welches Nahrungsmittel in welcher Menge wann angeboten werden sollte. Vielmehr orientiert sich das Angebot an den Gewohnheiten der jeweiligen Familie und die Auswahl letztlich am Baby selbst. Beim Kochen sollte auf Salz und scharfe Gewürze verzichtet werden. Am Tisch können die Erwachsenen dann selbst nachwürzen. Es gilt auch hier, dass eine vollwertige und abwechslungsreiche Ernährung am gesündesten ist. Saisonale und regionale Produkte, am besten aus biologischen Anbau, sind in der Regel optimal reif und weniger mit Schadstoffen belastet.

Beikost nach Bedarf kann den Eltern die Gelegenheit bieten, ihre eigenen Ernährungsgewohnheiten zu überdenken und gegebenenfalls zu ändern. Eine ausführliche Beratung der Familie zur gesunden Ernährung sollte bestenfalls schon zu Beginn der Schwangerschaft durch eine Hebamme stattfinden.

Für den Start eignet sich weiches Obst und Gemüse, welches eventuell gedünstet, mit wenig Wasser gekocht oder im Backofen mit etwas Öl geröstet wurde. Fisch und Fleisch sollten gut durchgegart und frei von Gräten oder Knorpeln sein. Kleinere runde Früchte wie Kirschen oder Weintrauben sollten halbiert und die Kerne entfernt werden. Zum Beginn des Essenlernens ist es für das Baby einfacher, sich Nahrung zu greifen, wenn es in Form von Sticks angeboten wird. Als Vorlage dient dabei ein Finger der Eltern. Fingerfood im wahrsten Sinne des Wortes!

Mit circa neun Monaten beherrschen viele Kinder bereits das Greifen mit dem Pinzettengriff, so dass die Stückchen auch kleiner angeboten werden können. Ungeeignet sind stark verarbeitete Lebensmittel wie Fertigprodukte und Fast Food. Sie enthalten oftmals Zusatzstoffe, extra Zucker sowie Salzzugaben und sollten daher vermieden werden. Kuhmilch sollte wegen des hohen Proteingehaltes im ersten Lebensjahr nicht als Getränk angeboten werden. Ebenso gilt, dass Säuglinge keinen Honig essen dürfen, da dieser Sporen von Clostridium botulinum enthalten kann. Ganze Nüsse und Samenkörner sind generell in den ersten Lebensjahren zu meiden.

 

Neue Methode?

 

Dass Babys auch schon weit vor dem ersten Geburtstag an Apfelspalten knabbern oder an Brötchen nagen dürfen, ist nicht neu. Familien mit mehreren Kindern berichten zum Beispiel häufig, dass sie sich beim Erstgeborenen noch streng an die Breivorgaben gehalten haben. Bei jedem weiteren Kind entspannte sich der Umgang – nicht nur in Bezug auf die Ernährung des Kindes – dann zusehends. Die Erfahrung und das Zutrauen in die Fähigkeiten ihrer Kinder zeigten ihnen, dass es für die meisten Kinder mit circa sechs Monaten möglich ist, am geselligen Miteinander teilzunehmen und geeignete Nahrung nach und nach selbst zu essen. Interessant daran ist, dass sowohl von Fachkräften, die Beikost nach Bedarf empfehlen, als auch von Familien mit Erfahrung in den unterschiedlichen Methoden berichtet wird, dass die „Selberesser“ von Anfang an eine größere Palette an Lebensmitteln probiert und akzeptiert haben. Dies habe sich im weiteren Verlauf auch wenig geändert.

Unterstützt werden diese Beobachtungen durch eine britische Studie der Gesundheitswissenschaftlerin Dr. Helen Coulthard und zwei Kollegen von der Universität Leicester aus dem Jahr 2009. Sie wiesen nach, dass Kinder, die im Alter von sechs bis neun Monaten keine Möglichkeit bekamen, festere Nahrung zu sich zu nehmen, noch im Alter von sieben Jahren signifikant weniger Obst und Gemüse aßen sowie größere Essprobleme entwickelt hatten. Dies zeigt, dass das frühe Einführen von festeren Konsistenzen einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung eines gesunden Essverhaltens hat (Coulthard, Harris & Emmett 2009).

Eine bereits 1928 und 1939 veröffentlichte Studie der amerikanischen Kinderärztin Clara Marie Davis über die „Freie Auswahl der Nahrung durch kleine Kinder“ findet auch im Zusammenhang mit Beikost nach Bedarf immer wieder Erwähnung. Kritiker bemängeln zwar, dass das Studiendesign an heutigen Maßstäben gemessen unethisch, veraltet und methodisch unsauber sei, jedoch zeigt sie mit ihren Ergebnissen, dass auch schon Säuglinge, die bisher ausschließlich gestillt worden waren, ab einem Alter von sechs Monaten in der Lage waren, eine geeignete Auswahl an Lebensmitteln zu treffen, diese zu verdauen und sich normal zu entwickeln (Davis 1928 & 1933).

 

Schutzreflex gegen Verschlucken

 

Trotz der positiven Resonanz von praktizierenden Eltern und Fachgruppen besteht eine gewisse Skepsis gegenüber Beikost nach Bedarf. Viele Eltern sind zu Beginn stark verunsichert, weil sie befürchten, dass sich das Kind an unpürierter Nahrung verschlucken könnte. Dabei haben Kinder, die selbst entscheiden können, was sie sich in den Mund stecken, laut Rapley ein eher geringeres Risiko als gefütterte Kinder.

Der bei Babys noch weit vorgelagerte Würgreflex stellt einen Schutzreflex dar. Dieser beginnt bei ihnen circa in der Zungenmitte und liegt somit noch weit entfernt von der Luftröhre. Gelangt ein Stück Nahrung, welches das Kind nicht schlucken kann oder will, an diesen Punkt, so wird es wieder nach vorne befördert. Dabei muss das Kind aufrecht sitzen können und darf nicht zurückgelehnt, wie zum Beispiel in einer Babywippe oder Autoschale, zum Essen positioniert werden. Nur das Kind steckt sich selbst Nahrungsstücke in den Mund und niemand anderes sonst, damit es die Kontrolle beim Essen behält! Zudem besitzen auch schon kleine Kinder einen Hustenreflex, der als zusätzlicher Schutzmechanismus dient.

Beim Füttern von Püriertem schlürft das Kind – je nach Konsistenz – anfangs den Brei eher vom Löffel, anstatt ihn mit den Lippen vom Löffel zu nehmen und mit koordinierten Zungen- und Kieferbewegungen nach hinten zu befördern.
Dabei gelangt die Nahrung recht schnell über den Punkt des Würgreflexes hinaus in den hinteren Mundraum. Durch die schnelle Mundpassage fehlt zum einen die erste Phase der Verdauung, in der die Nahrung ordentlich zerkleinert und eingespeichelt wird. Zum anderen wird das Kauen und die Zungenmotorik und somit der Umgang mit unterschiedlichen Konsistenzen nicht trainiert. Kinder, die in den ersten Monaten ausschließlich Püriertes erhalten, haben später oft größerer Probleme beim Umgang mit stückiger Nahrung.
Oft wird außerdem sehr schnell gefüttert. Obwohl das Kind kaum geschluckt hat, wartet der nächste gefüllte Löffel schon wieder vor dem Mund. Eltern können dabei leicht die Sättigungssignale ihres Kindes übersehen und sind versucht, noch ein „Löffelchen“ extra zu geben, um den Teller oder das Gläschen zu leeren.

Es ist demnach nicht verwunderlich, wenn es in einer 2012 im British Medical Journal veröffentlichten Studie der Ernährungswissenschaftlerinnen Ellen Townsend und Nicola J. Pitchford heißt, dass Kinder, die mit dem Löffel gefüttert werden, später eher eine Adipositas entwickeln, als Kinder, die sich nach der „Beikost nach Bedarf-Methode“ ernähren (Townsend & Pitchford 2012).

 

Die Frage der Nährstoffzufuhr

 

Beikost ist klar definiert als „zusätzliche Nahrung, Beigabe zu den üblichen Mahlzeiten“ und keine Ersatzkost (www.duden.de)! Muttermilch oder Säuglingsanfangsnahrung sollten auch nach der Einführung von Beikost die Hauptnahrungsquelle im ersten Lebensjahr darstellen. Bei der Beikost nach Bedarf wird dem Kind mehrmals am Tag die Möglichkeit zur Ergänzung seiner weiterhin nach Bedarf angebotenen Milchmahlzeiten gegeben und nicht wochenweise durch Brei ersetzt. Braucht das Kind weniger Milch, wird es sie allmählich selbst reduzieren – in seinem eigenen Tempo und dem Entwicklungsstand entsprechend (American Academy of Pediatrics 2013).

Die Angst vor einer Unterversorgung mit Eisen treibt einige Kinderärzte und Institutionen dazu, Eltern möglichst früh (nach dem vierten Monat) zum Reduzieren von Stillmahlzeiten zugunsten fleischreicher Gläschen zu bewegen, obwohl die Resorptionsfähigkeit der Darmschleimhaut in den ersten sechs Lebensmonaten herabgesetzt ist. Untersuchungen belegen zudem, dass bei einem reifgeborenen Kind, das sieben Monate lang ausschließlich gestillt wurde, sich auch am Ende des ersten und zweiten Lebensjahres keine Anzeichen einer Anämie finden ließen. Bis heute konnte außerdem nicht abschließend geklärt werden, ob die niedrigen Hämoglobin- und Ferritinwerte, die sich oft im Alter von sechs Monaten finden lassen, nicht auch sinnvoll sind. Ein Erklärungsansatz ist, dass Kinder in diesem Alter sich typischerweise nicht nur Nahrungsmittel in den Mund stecken, sondern ihre Umwelt vor allem auch mit dem Mund kennenlernen. Bakterien, die dadurch eventuell mit aufgenommen werden, benötigen Eisen für ihr Wachstum. Ist dies nur wenig vorhanden, fehlt ihnen die Wachstumsgrundlage.

Gestillte Kinder können das Eisen aus der Milch ihrer Mutter um circa 50 Prozent resorbieren. Das darin enthaltene Vitamin C und die Aminosäure Cystein beeinflussen auch die Eisenaufnahme aus der Beikost positiv. Von den resorptionshemmenden Stoffen wie Calcium und Phosphor enthält Muttermilch dagegen deutlich weniger als beispielsweise Kuhmilch. Auch in Form von Säuglingsanfangsnahrung wird Eisen aus Kuhmilch nur zu maximal zehn Prozent vom kindlichen Organismus aufgenommen.
Der Körper ist zudem in der Lage, seine Resorptionsfähigkeit in Abhängigkeit seines Eisenbedarfs und dem Füllungszustand des Eisenspeichers anzupassen (Kersting 2010; Fehrenbach 2013a; Fehrenbach 2013b).

 

Unter dem Schutz von Muttermilch

 

Gestillte Kinder haben den zusätzlichen Vorteil, dass neue Nahrungsmittel unter dem Schutz von Muttermilch eingeführt werden können. Dabei kommen nicht nur die verdauungsfördernden Eigenschaften der Muttermilch zum Zuge, sondern der Säugling kann sich auch die immunmodulierende Wirkung zunutze machen. So ist Muttermilch, im Gegensatz zu industriell hergestellter Milch, in der Lage, das Immunsystem so zu beeinflussen, dass Unverträglichkeiten seltener auftreten.

Dies gilt in besonderem Maße für Gluten. Ein systematisches Review und eine Meta-Analyse von mehreren Beobachtungsstudien zeigten, dass es einen Zusammenhang zwischen der zunehmenden Dauer des Stillens und einer Reduzierung des Risikos zur Entstehung einer Zöliakie gibt. Wird zum Zeitpunkt des Einführens von Gluten gestillt, so verringert sich das Risiko für den Säugling um 52 Prozent, eine Zöliakie zu entwickeln (Akobeng et al. 2006).

Wird während und nach der Beikost­einführung weiter gestillt, so hat dieses langsame und stillfreundliche Abstillen vielerlei Vorteile. In Phasen, in denen andere Nahrung verweigert wird, weil das Kind beispielsweise erkrankt ist, kann Muttermilch vor Austrocknung schützen und mit seinen Inhaltsstoffen zur Genesung beitragen. Die in der Muttermilch reichlich vorhandenen lebenden Zellen wie Leukozyten, Makrophagen und Lymphozyten leisten einen hervorragenden Beitrag zur aktiven Abwehr von Krankheitserregern. Lactoferrin wirkt antibakteriell, da es in der Lage ist Eisen zu binden, so dass es von möglichen pathogenen Keimen nicht als Wachstumsgrundlage genutzt werden kann.

Eine länger andauernde Laktation trägt effektiv zur Gesunderhaltung von Mutter und Kind bei. Das Risiko für eine Vielzahl an Erkrankungen lässt sich signifikant reduzieren, wenn länger als sechs Monate gestillt wird. Für die Mutter reduziert sich das Risiko zur Entstehung eines Milchstaus und die Rückbildung der Brustdrüsen erfolgt langsam und schonend. Außerdem sinkt für die Mutter die Erkrankungswahrscheinlichkeit für die Entstehung eines Mamma- oder Ovarialkarzinoms, Diabetes mellitus, Hypertonie und Übergewicht. Das Kind ist besser geschützt vor Diarrhoe, SIDS, Atemwegsinfektionen, Diabetes mellitus, Leukämie im Kindesalter und Übergewicht.

 

Beratungsleistung der Hebamme

 

In der Beratung zur Beikost sollten Hebammen auch über die Grundlagen der Beikost nach Bedarf Auskunft geben können, damit Eltern in der Lage sind, eine informierte Entscheidung zu treffen. Dabei geht es nicht um eine Entscheidung dafür oder dagegen. Vielmehr sollen Familien die Möglichkeit bekommen, ihren individuellen Weg in gesunder Ernährung zu gehen. Eine dogmatische Haltung, die eine strikte Ablehnung der einen oder anderen Beikostform beinhaltet, ist für ein entspanntes und genussvolles Erleben der Mahlzeiten und das Erlernen eines gesunden Essverhaltens nicht förderlich. Eltern und Kind sollten mit Unterstützung ihrer Hebamme den für sie passenden Weg finden und vor allem Spaß am gemeinsamen Essen haben. So wird sich die ganze Familie auf die Mahlzeiten freuen und das Kind gerne neue Nahrungsmittel probieren.

Rubrik: 1. Lebensjahr | DHZ 02/2014

Literatur

aid infodienst Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz e.V.: Das beste Essen für Babys. 0329 (2012)

Akobeng, A. K.; Ramanan, A. V.; Buchan, I.; Heller, R. F.: Effect of breast-feeding on risk of coeliac disease: a systematic review and meta‐analysis of observational studies. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2083075/ (letzter Zugriff: 6.12.2013) (2006)

American Academy of Pediatrics: Ages & Stages: feeding & nutrition. http://www.healthychildren.org/English/ages-stages/baby/feeding-nutrition/Pages/default.aspx (letzter Zugriff: 6.12.2013) (2013)
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