Leseprobe: DHZ 11/2014
Gebären im 21. Jahrhundert

Welches Wissen brauchen wir?

Das Gebären ist in der Krise. In Deutschland und weltweit steigen die Kaiserschnittraten. Auch der Berufsstand der Hebammen ist angesichts immenser Haftpflichtversicherungspolicen und einer ungeheuren Arbeitsbelastung in den Kliniken in einer bedrohlichen Situation. Zunehmend geben Hebammen ihren Beruf auf, weil er sie nicht mehr ernährt oder weil sie nicht so arbeiten können, wie es ihren Werten entspricht. Diese prekäre Situation fordert uns heraus zu fragen: Welches Wissen, welche Geburtshilfe brauchen wir, damit Frauen im 21. Jahrhundert ihre Kinder gesund, sicher und selbstbestimmt gebären können? Welche Strategien erfordert es, damit dieses Wissen wirken kann? Dr. Angelica Ensel,
  • Gebären hat ein hohes Potenzial für Gesundheit im weiteren Leben.

Wir sind Geborene", sagt die Philosophin Hannah Arendt. Sie meint damit, dass das Geborensein den Menschen ausmacht und sein In-der-Welt-sein bestimmt (Arendt 1960). Angesichts weltweit steigender Kaiserschnittraten und einer stetig zunehmenden Pathologisierung von Schwangerschaft und Geburt ist das physiologische Gebären als etwas dem Menschen Wesenhaftes schon lange nicht mehr selbstverständlich.

Im vergangenen Sommer gingen schwangere Brasilianerinnen auf die Straße, um ihr Recht auf das Gebären einzufordern. In Brasilien liegt die Kaiserschnittrate in den privaten Klinken bei 98 Prozent – ein extremes Beispiel, und doch ein Indikator für eine weltweite Entwicklung. Das Gebären ist in der Krise. In Deutschland und vielen Ländern Europas liegen die Kaiserschnittraten mittlerweile bei über 30 Prozent. Laut WHO gibt es keine Rechtfertigung für eine Rate über 15 Prozent (WHO 1996). Eine Studie der Bertelsmannstiftung von 2012 zeigte, dass die Kaiserschnittraten in den einzelnen deutschen Bundesländern sehr unterschiedlich sind (Bertelsmannstiftung 2012). Ein Hinweis darauf, dass die jeweilige Geburtskultur – das heißt auch, die leitende Wissenskultur einer Klinik – hier entscheidend ist.

Es sind die Ebenen und Kulturen des Wissens, die die geburtshilflichen Praktiken bestimmen. Angesichts einer weltweit interventionsreichen Geburtshilfe müssen wir fragen: Welches Wissen gilt? Und welches Wissen wird gebraucht, um ein möglichst hohes Maß an Gesundheit für Mutter und Kind zu erreichen? Vor welchen Herausforderungen stehen Forschung und klinische Praxis?

 

Ein dichter Erfahrungsraum

 

Am Anfang steht die Frage: Was braucht das Gebären? Ich möchte hierzu die Geschichte einer Geburt erzählen, die mich auf besondere Weise beeindruckt hat. Damals arbeitete ich als Hebamme in einer Klinik mit etwa 1.300 Geburten im Jahr. Mit jeweils zwei Hebammen in einer Schicht versorgten wir die Frauen.

An diesem Nachmittag ist nur eine Frau zur Geburt da. Ich übernehme ihre Begleitung und habe den Luxus, meine Zeit nur ihr widmen zu dürfen – eine Situation, die in den meisten Kliniken die absolute Ausnahme ist. Frau S. bekommt ihr erstes Kind. Sie spricht kein Deutsch, aber ich kann sie über ihre Körpersprache verstehen und so mit ihr kommunizieren. Sie hat starke Wehen, der Muttermund ist vier Zentimeter geöffnet, als ich zu ihr komme, noch einige Stunden Geburtsarbeit liegen vor ihr. Sie wirkt angespannt und kämpft mit den Wehen.

Ich zeige ihr, wie sie atmen kann, damit die Schmerzen erträglicher werden, massiere ihren Rücken und manchmal ermuntere ich sie zum Positionswechsel. Zunehmend entspannt sie sich, ihr Mann unterstützt sie beim Atmen. In den nächsten Stunden entsteht eine besondere Atmosphäre in diesem Kreißsaal: sehr konzentriert und ruhig – ein dichter Erfahrungsraum, in dem sich der Prozess des Gebärens entfaltet. Frau S. kommt ohne Schmerzmittel aus. Immer besser gelingt es ihr, sich auf den Rhythmus der Wehen einzulassen und den Impulsen ihres Körpers zu folgen. Die Veränderungen ihres Körpers, die Intensität der Wehen, die Art und Weise, wie sie atmet und sich bewegt oder leise stöhnt, und die Herztöne des Kindes zeigen mir, dass alles in Ordnung ist.

Ich beschließe, die diensthabende Ärztin erst ganz zum Schluss zu holen, weil eine neue Person im Raum die Geburtsatmosphäre verändert und stören kann. Doch Frau S. ist noch mitten in der Übergangsphase, als die Ärztin kurz hereinschaut – und den Kreißsaal wieder verlässt. Sie sieht, alles ist gut. Auch das ist besonders. Irgendwann verändern sich die Wehen. Frau S. beginnt, ihr Kind herauszuschieben. Sie selbst sucht sich den Vierfüßlerstand als Gebärhaltung aus. Die diensthabende Ärztin kommt leise herein und stellt sich zu uns und wieder eine ganze Weile später wird ein gesundes Kind geboren. Mutter und Kind geht es sehr gut.

Eine gute Geburt. Eine Frau, die ihr Kind aus eigener Kraft ohne Interventionen zur Welt bringt. In vielen deutschen und europäischen Kliniken ist das nicht der Normalfall.

 

Interventionsreiche Geburtshilfe

 

Die Auffassung vom Gebären als einem physiologischen Geschehen ist schon lange im Wandel. Schwangerenvorsorge und die Geburtshilfe sind von Risikodenken und Pathologisierung geprägt. 70 bis 80 Prozent der Frauen in Deutschland gelten als Risikoschwangere. Nicht nur eine hohe Kaiserschnittrate, sondern insgesamt viele Interventionen zeichnen unsere Geburtshilfe in vielen Kliniken aus. In Deutschland bekommen etwa 25 Prozent der Frauen eine Periduralanästhesie, rund 25 Prozent erhalten einen Dammschnitt und fast ein Viertel aller Geburten wird eingeleitet (AQUA-Institut 2014) – eine Entscheidung, die häufig weitere Interventionen nach sich zieht. Weil jedes Eingreifen den sensiblen Prozess der Geburt stört, sollten Interventionen nur dann durchgeführt werden, wenn sie klare Vorteile für Mütter und Kinder haben. Laut WHO sollte die Rate der Geburtseinleitungen zehn Prozent nicht überschreiten (WHO 1996).

Zwar sind die medizinischen Risiken für einen Kaiserschnitt heute viel geringer als vor 20 Jahren, ein Blick auf die postpartale Gesundheit zeigt jedoch, dass die interventionsreiche Geburtshilfe physische und psychische Folgen hat wie unter anderem:

  • Ein Kaiserschnitt ist mit allen Risiken einer Operation verbunden sowie mit einem höheren Risiko für Komplikationen bei folgenden Schwangerschaften und Geburten (Groß 2006).
  • Für die Kinder birgt der Kaiserschnitt ein höheres Risiko für Atemprobleme, Infektionen und Allergien sowie die Entwicklung eines Diabetes Typ 1 (Renz-Polster 2012).
  • Unabhängig vom Geburtsmodus erleben viele Frauen die Geburt nicht als positiv. Jede dritte Frau beschreibt traumatische Aspekte (Ayers 2004). Ein Drittel der Erstgebärenden bewertet ihr Geburtserleben auch ein halbes Jahr nach der Geburt noch als negativ. Das hat signifikante Auswirkungen auf die gesundheitsbezogende Lebensqualität (Schäfers 2011).

Trotz eines hoch entwickelten und kostenintensiven Gesundheitssystems haben Mütter und Kinder in Deutschland viel zu häufig einen schlechten Start. Das ist bedenklich, angesichts der großen Ressource, die eine Geburt für die Gesundheit sein kann.

 

Diskurs und Deutungsmacht

 

Für diese schlechten Ergebnisse sind viele Faktoren verantwortlich – ökonomische, juristische und gesundheitspolitische. Eine zentrale Ursache liegt darin, dass evidenzbasierte Medizin viel zu wenig das geburtshilfliche Handeln leitet. Das in den Kliniken vorrangig leitende Wissen beruht in erster Line auf dem Erfahrungswissen von ÄrztInnen und Hebammen – in unterschiedlicher Gewichtung. Die allermeisten Leitlinien in der Geburtshilfe sind S1-Leitlinien, die auf ärztlichem Expertenwissen beruhen – Wissen, das die Gesundheit fördern, aber auch schaden kann, das jedoch nicht per se einen Anspruch auf Gültigkeit haben kann.

Demgegenüber gibt es eine Reihe von wichtigen geburtshilflichen Ergebnissen mit hoher Evidenz in Bezug auf die Förderung der physiologischen Geburt. Wir wissen zum Beispiel:

  • Eine Eins-zu-eins-Betreung ist mit weniger geburtshilflichen Interventionen und weniger Schmerzmitteln verbunden, es gibt weniger Kaiserschnitte und operative Geburten, die Frauen berichten von größerem Wohlbefinden (Hodnett et al. 2011; Page et al. 1999; Walker et al. 1995).
  • Frauen mit einer sogenannten Low-risk-Schwangerschaft – laut WHO 70 bis 80 Prozent aller Schwangeren – profitieren am meisten durch eine hebammengeleitete Geburt (WHO 1996).
  • Hebammenbegleitung in der Schwangerschaft reduziert das Risiko einer Frühgeburt (Sandall et al. 2013).

In der klinischen Praxis bleibt dieses Wissen weitgehend folgenlos. Ob eine Erkenntnis umgesetzt wird, beruht nicht unbedingt auf der Qualität des Wissens. Manche Studienergebnisse verändern quasi über Nacht einschneidend und weltweit die geburtshilfliche Praxis, wie etwa die Ergebnisse der sogenannten Hannah-Studie im Jahr 2000 zur Geburt aus Beckenendlage bei Erstgebärenden (Hannah et al. 2000). Sie führte dazu, dass fortan der Kaiserschnitt in diesem Fall als beste Option galt. Auch wenn folgende Studien dieses Ergebnis relativierten, ist es bis heute Pionierarbeit, wenn ÄrztInnen in diesem Fall eine Spontangeburt anbieten und fast verlorenes Wissen hierzu in den Kliniken wieder etablieren.

Im Gegensatz dazu wird Jahrhunderte alte gute Praxis, die nun auch evidenzbasiert ist, wie zum Beispiel die aufrechte Haltung während der Wehen und der Geburt, nicht umgesetzt. Wir wissen, dass Bewegung und aufrechte Haltung zu einer besseren Sauerstoffversorgung von Mutter und Kind beiträgt und das Schmerzempfinden verringert (Lawrence et al. 2009; Gupta et al. 2004; Hartmann et al. 2005). Dennoch gebärt die überwiegende Zahl der Frauen – 86,1 Prozent sind es laut einer Studie von 2011 – in deutschen Kliniken nicht in aufrechter Haltung (GVK-Spitzenverband 2011).

Daneben werden viele Routinen und Rituale praktiziert, obwohl nachgewiesen wurde, dass sie mit einem höheren Risiko für schädliche Interventionen verbunden sind, wie zum Beispiel die kontinuierliche elektronische Überwachung der kindlichen Herztöne (Alfirevic et al. 2006). Und es werden Mythen weitergegeben, die Vorurteile bestärken, wie beispielsweise von der Gefährlichkeit der Hausgeburt (Arabin et al. 2013) – obwohl zahlreiche Studien die guten Ergebnisse der außerklinischen Geburtshilfe belegen (Loytved & Wenzlaff 2007). Auch das Wissen der Frauen als Expertinnen für ihren Körper hat in der klinischen Geburtshilfe wenig Platz. Vor welchen Herausforderungen steht also die Geburtshilfe im 21. Jahrhundert? Welches Wissen brauchen wir, damit Frauen gebären können und eine gute Geburt erleben?

 

Evidenzbasiertes Wissen umsetzen

 

Zum einen sollte evidenzbasiertes Wissen mit seinen drei Säulen – dem besten Wissen aus Evidenzen, dem Erfahrungswissen aus verschiedenen Fachrichtungen und den Wünschen der Frau – einen angemessenen Platz im geburtshilflichen Alltag erhalten. Dieser Standard berührt Fragen der Deutungsmacht im medizinischen Diskurs. Zwar hat die Deutungsmacht der Hebammen in den letzten Jahren unter anderem durch eine eigene wissenschaftliche Fachgesellschaft zugenommen. Die Akademisierung des Berufsstandes wird jedoch ein unumgänglicher Schritt sein, damit Ärztinnen, Ärzte und Hebammen die Diskussion über das jeweils bestmögliche Handeln auf Augenhöhe führen und Geburtshilfe evidenzbasiert sein kann.

Gleichzeitig wissen wir, dass Gebären weit mehr ist als ein physiologischer Vorgang. Evidenzbasierung ist nur eine Ebene, die es braucht, um die Physiologie des Gebärens und eine für die Frau gute Geburt zu fördern. Ein gutes Geburtsergebnis – eine Spontangeburt und ein gesundes Kind – ist nicht gleichbedeutend mit einem guten Geburtserlebnis für die Mutter. Für sie kann es eine katastrophale Erfahrung gewesen sein, die sie so traumatisiert hat, dass sie kein zweites Kind mehr bekommen will. Gebären ist ein komplexes, biopsychosoziales, existenzielles Geschehen – ein durchaus dramatischer Übergang in einen neuen Lebensabschnitt, der eine essenzielle Prägung im Leben einer Frau bewirkt.

 

Die Komplexität des Gebärens

 

Die zweite Herausforderung ist es deshalb, die Kunst der guten Geburtsbegleitung und das Gebären als einen komplexen Prozess mit hohem Gesundheitspotenzial zu erforschen. Was genau macht die Hebamme, wenn sie die Gebärende über Stunden begleitet? In der Hebammenwissenschaft wird das etwas trocken als „gekonnte Nichtintervention" oder als „achtsame Präsenz" bezeichnet. Welche Kompetenzen braucht diese Begleitung, damit sich das Potenzial der Frauen am besten entfalten kann? Woher weiß die Hebamme, lange bevor medizinische Parameter es anzeigen, dass „etwas nicht stimmt" oder dass es besser ist, nun doch in eine Klinik zu gehen? Und was braucht es, damit eine Frau am Ende sagt, es war eine gute Geburt – unabhängig davon, wie lange es gedauert hat und auf welche Weise ihr Kind geboren wurde? Die Kunst einer guten und sicheren Geburtsbegleitung und das komplexe Zusammenwirken von hormonellem Geschehen, psychosozialer Unterstützung und minimalen Interventionen sind noch lange nicht umfassend erforscht.

Um dieses Wissen zu vergrößern und ihm einen angemessenen Raum zu geben, braucht es einen Forschungsrahmen, der dieser Komplexität gerecht wird – wie zum Beispiel das Konzept der britischen Hebammenwissenschaftlerin Soo Downe. Sie spricht von einem Paradigmenwechsel in der Forschung über das Gebären. Downe schlägt vor, die derzeitig das geburtshilfliche Handeln bestimmenden Kriterien wie Einfachheit, Linearität, Sicherheit und Pathologie durch die Dimensionen Komplexität, Ungewissheit und Salutogenese zu ersetzen (Downe 2004). Gebären ist kein linearer Prozess, sondern hat seine eigene individuelle Zeit. Es ist ein Prozess des Werdens, dessen Evidenz aus einer ganzheitlichen Perspektive ermittelt werden muss. Ursache-Wirkungs-Analysen einzelner klinischer Parameter können diesen Prozess nicht zufriedenstellend erfassen. Auch gehört es zum Wesen des Gebärens, dass dieser Prozess mit Unsicherheit verbunden ist. Hier gilt es, so Downe, Ungewissheit als einen wesentlichen Bestandteil des Prozesses zu akzeptieren und damit angemessen umgehen zu lernen, statt durch enge Normierungen Pathologie zu erzeugen (Downe 2004).

Gebären hat ein hohes Potenzial für Gesundheit. Es kann die Resilienz und Kompetenz einer Frau nachhaltig stärken oder schädigen. Eine gesundheitsfördernde Geburtshilfe bezieht das Wissen der Frau als zentrale, die Erkenntnis leitende Quelle mit ein. Bisher gibt erst sehr wenig Forschung, die im Kontext von Geburt einen salutogenetischen Ansatz verfolgt.

 

Mehrdimensionales Wissen

 

Die dritte Herausforderung ist die Lehre dieses mehrdimensionalen Wissens. Notwendig ist auch hier ein Paradigmenwechsel. Hebammen und ÄrztInnen müssen von Beginn ihrer Ausbildung an gemeinsame Lernräume haben, in denen sie das Spektrum der Physiologie des Gebärens gemeinsam erfahren. Nur wer den Erfahrungsraum Geburt kontinuierlich über Stunden erlebt und intensiv kennengelernt hat, weiß um einen angemessenen Umgang mit Ungewissheit und kann einer Frau vermitteln, dass Gebären aus eigener Kraft zu bewältigen und stärkend ist. Für die Auszubildenden und später zusammen arbeitenden Fachkräfte wird der Dialog auf Augenhöhe in einem gemeinsamen Lernprozess eine Selbstverständlichkeit. Auf einer gemeinsamen Wissens- und Erfahrungsbasis ist auch die Weiterentwicklung des Wissens durch gemeinsame Fortbildung und Forschung als kontinuierlicher Prozess und im wechselseitigen Austausch zwischen Theorie und Praxis vorstellbar. Hier besteht die große Chance, dass eine gemeinsame Vorstellung von bestem Wissen entsteht und dass gemeinsame Ziele angestrebt werden.

 

Transfer in Praxis und Politik

 

Gehen wir einmal visionär davon aus, dass dieser Paradigmenwechsel eingeleitet wäre, dann ist die vierte Herausforderung der Transfer des neuen und alten Wissens in die Praxis und in die Gesundheitspolitik. Auf Basis gemeinsamer Wissenshorizonte und gegenseitiger Wertschätzung können Leitlinien entstehen, die bestmögliche Gesundheit anstreben. Wenn Vorstellungen über Ziele und Wege übereinstimmen, ist die Chance weitaus größer, dass man auch gemeinsam Strategien für ihre Umsetzung in der Gesundheitspolitik entwickelt und alle Kräfte einsetzt, die physiologische und salutogenetische Geburt ins Zentrum zu stellen.

Geburtshilfe im 21. Jahrhundert braucht das beste Wissen aus neuen und alten Erkenntnisquellen. Unsere Geburtshilfe braucht neue Forschungsrahmen und theoretische Modelle, um die Komplexität des Gebärens zu erfassen und das salutogenetische Potenzial des Geschehens zu sichern. Dieser Wandel braucht den engagierten gesundheitspolitischen Einsatz aller verfügbaren Kräfte für das Gebären als Quelle der Familiengesundheit. Dieses Projekt kann nur gelingen, wenn ÄrztInnen und Hebammen gemeinsam lernen, forschen und auf Augenhöhe zusammenarbeiten.

„Es ist nicht egal, wie wir geboren werden", sagt der renommierte Geburtshelfer Michel Odent, der sein Lebenswerk dem guten Gebären gewidmet hat (Odent 2005). Das Bewahren und Fördern des Gebärens als etwas Gesundes und zutiefst zum Menschsein Gehörendes ist nicht nur eine Aufgabe der Wissenschaft und der beteiligten Professionen. Ein sorgfältiger Umgang mit den Ressourcen im Gesundheitsbereich und das Recht auf eine selbstbestimmte Geburt und bestmögliche Gesundheit von Frauen und Kindern ist ein ethischer Auftrag für die Gesellschaft und die Gesundheitspolitik.

Rubrik: Geburt | DHZ 11/2014

Hinweis

Der Artikel basiert auf dem Eröffnungsvortrag, den Angelica Ensel am 27. Juni auf dem 2. DHZCongress in Hannover unter dem Titel „Gebären im 21. Jahrhundert – Welches Wissen brauchen wir?" gehalten hat. Er wurde für die DHZ leicht überarbeitet.

Literatur

Alfirevic, Z.; Devane, D.; Gyge, G.M.L.: Continuous cardiotokography (CTG) as a form of electronic fetal monitoring (EFM) for fetal assessment during labour (Cochrane Review). The Cochrane Library. Issue 3 (2006)

Arabin, B.; Chervenak, F.A.; Mc Cullough: Die geplante Hausgeburt in industrialisierten Ländern: Bürokratische Traumvorstellung vs. professionelle Verantwortlichkeit. In: Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie. 217: 7–13 (2013)

Arendt, H.: Vita activa oder Vom tätigen Leben. Stuttgart (1960)
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