Leseprobe: DHZ 07/2016

„Wochenbett light“ – besser als nichts?

Eine (Familien-)Hebamme betrachtet ihre Situation an vielen Arbeitsorten – und zwischen allen Stühlen: den Kolleginnen, die mit der Begleitung von geflüchteten Frauen im Wochenbett sehr unterschiedlich umgehen, der eigentlichen Versorgung der Frauen und der juristischen Absicherung durch eine lupenreine Dokumentation. Nebenbei fühlt sie sich den Entscheidungen der Behörden ausgeliefert. Ein nachdenklicher Bericht. Natascha Neben,
  • Für die Gesundheit von Mutter und Kind – auch unter schwierigen Bedingungen wie zum Beispiel nach Flucht – kann es keinen Kompromiss geben.

Es ist ein Verhängnis. Wir Hebammen sind seltener geworden und gleichzeitig haben sich die Anforderungen an uns ebenso wie unsere Arbeitsbereiche so ausgeweitet, dass die Zahl der berufstätigen Hebammen nicht ausreicht, um die gewünschte Versorgung zu leisten. In meinem Bereich, als Familienhebamme in den „Frühen Hilfen" tätig, führt das zu einem echten Dilemma.

Wir haben so viele Anfragen, dass wir, um der Versorgungssituation gerecht zu werden, mehr Frauen und Familien annehmen, als wir normalerweise betreuen können.

Der Hamburger Hebammen Verband schlug im letzten Sommer vor, Kurzzeitbetreuungen zu übernehmen, um den Bedarf zu decken. Wir sollten uns dann jedoch absichern mit einem Behandlungsvertrag. Dieser besagt, dass wir eine reduzierte Form der Wochenbettbetreuung leisten aufgrund der geringen Kapazitäten, um uns rechtlich abzusichern. Denn wie können wir beispielsweise die Heilung des Nabels oder auch einen beginnenden Ikterus beurteilen, wenn wir erst fünf Tage später den nächsten Hausbesuch machen? Die Familien müssen im Vertrag darüber aufgeklärt werden, dass sie bei Problemen zum Arzt oder auch in die Klinik gehen müssen. Welche Frau unterschreibt mir das? Und wie soll ich das als Hebamme juristisch so formulieren, dass ich wirklich abgesichert bin?

 

Mangel auf beiden Seiten

 

Diese Versorgung geht natürlich zu Lasten der Quantität und letztlich auch Qualität, da jede Hebamme nur begrenzte zeitliche Ressourcen zur Verfügung hat. Sei es aufgrund ihrer Anstellung wie zum Beispiel in meinem Fall. Wöchentlich habe ich 25 Arbeitsstunden als Familienhebamme zur Verfügung, die für sämtliche Tätigkeiten in unserem Team ausreichen sollen. In dieser Zeit betreue ich derzeit zwölf Frauen und leiste die Angebote, wie Babymassage, Rückbildung und ein Elternfrühstück sowie die wöchentlichen Sprechstunden in Flüchtlingsunterkünften. Unterstützt werde ich von meinen Kolleginnen, einer weiteren Familienhebamme (17 Wochenstunden für zurzeit neun Frauen) und einer Sozialpädagogin mit 30 Wochenstunden. Hausbesuche, Team-Austausch, Fachgespräche mit dem Jugendamt und anderen Fachpersonen, insgesamt Netzwerkarbeit zur „passgenauen" Versorgung der Frauen und Familien leisten wir zusätzlich.

Mit meinem Stundenkontingent kann ich das nicht alles leisten. Das Hamburger Modell der Familienhebammen sieht vor, dass wir zusätzlich zu unserer Anstellung als Familienhebammen Kassenleistungen abrechnen, also kombiniert angestellt und freiberuflich tätig sind. Das führt wiederum zu vielen weiteren Problemen. Schlicht gesagt macht es für meinen Geldbeutel keinen Sinn, wenn ich mehr als 450 Euro monatlich dazu verdiene, da sonst die laufenden Kosten wie Einkommenssteuer oder Rentenversicherung steigen und der Gewinn nur noch einem bezahlten Hobby entspricht.

 

Die Belastung steigt

 

Eine von mir betreute Frau sagte einmal sehr passend zu mir: „Natascha, hat dein Tag eigentlich auch 24 Stunden?" Ich musste mir eingestehen, dass wir als Hebammen und/oder Familienhebammen nicht alles auffangen können, was an anderen Stellen versäumt wurde. So wurden mit der Planung einer Zentralen Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge (ZEA) nicht zeitgleich die ortsnahen Familienteams aufgestockt. Dies geschah erst später und mit relativ begrenzten Mitteln. Es wurden auch keine zusätzlichen Hebammen eingestellt, die beim Träger „Fördern und Wohnen" der Stadt Hamburg für die Begleitung der Schwangeren, Familien und Frauen notwendig wären.

Ein Stadtteil wie beispielsweise Hamburg-Bergedorf mit mittlerweile 2.500 neuen BewohnerInnen in den Flüchtlingsunterkünften kann die zusätzlichen Anforderungen nicht ohne Aufstockung der Ressourcen leisten. Das führt zu einer Betreuung, die ich „Wochenbett light" nenne – eine Versorgung, die weder unseren Ansprüchen noch den Richtlinien entspricht. Wir betreuen als Familienhebammen aus den bestehenden Ressourcen nicht selten die doppelte Anzahl an Frauen. Betreute ich bisher 7 Familien, sind es jetzt 14 oder mehr. Sollte eine Frau nach der Geburt ihres Kindes neben der Familienhebamme keine Hebamme für die Nachsorge haben, hätte sie nach der neuen Regelung bis nach der 12. Woche keine Hebammenversorgung. Wenn ich hier Nothilfe leisten will, kann ich sie – entsprechend meiner Ressourcen – nur mit einem bis drei Hausbesuchen pro Woche versorgen. So versuche ich, in einen Hausbesuch alle notwendigen Inhalte zu packen. Zur rechtlichen Absicherung meiner Arbeit ist es notwendig, sehr genau zu dokumentieren, was wieder enorme zeitliche Ressourcen frisst. Für viele Frauen ist die Anzahl der Besuche vielleicht ausreichend und es ist besser als nichts. Aber wie ist es für die betreuende Hebamme? Weil die Frauen häufig keinen Vergleich haben, wissen sie nicht, was sie verpassen und wie es wäre, wenn eine Hebamme in den ersten Tagen täglich käme, um sie mit viel Ruhe zu beraten, ganz zu schweigen von der kontinuierlichen Stillbegleitung, die für viele Frauen das Stillen erst ermöglicht.

Auch die Begleitung der körperlichen Prozesse ist unter diesen Voraussetzungen der Zeitknappheit und Überfrachtung der Inhalte für die Frau und die Hebamme häufig schwierig. Gerade hier ist die juristische Absicherung umso wichtiger.

 

Schleudertrauma

 

Ständig begleitet mich die Überforderung. Termine müssen abgesprochen werden, Kurse gegeben werden, Teamgespräche und Fachaustausch stehen an, die Dokumentation muss zeitnah erfolgen und eventuell gibt es noch zusätzliche Termine, um sich mit anderen Projekten und Berufsgruppen abzusprechen

Unsere Hebammenordnung und Ethik legt zu Grunde, dass die Menschenwürde und die Rechte der Frau wesentliche Maßstäbe unserer Arbeit und unseres Handelns sind. Wie ist es mit der Würde und den Rechten, wenn ich in einer Sprechstunde acht Frauen hintereinander weg befrage und berate, getrennt nur durch einen Paravent? Die Beratung leidet und eine Schwangerenvorsorge „light" ist für die Frau, die stehen muss, während ich die Lage des Kindes ertaste, eine Zumutung. Ist das immer noch „besser als nichts"?

Nach nun fast drei Jahren einer regelmäßigen Sprechstunde und vielen Hausbesuchen in den Flüchtlingsunterkünften fühle ich mich manchmal nach der Sprechstunde wie nach einem Schleuderprogramm in der Waschmaschine. Dann habe ich nicht einmal Zeit und Ruhe, alles Erfahrene zu ordnen und konkrete Hilfen zu planen, sondern ich springe direkt in mein Auto auf dem Weg zum nächsten Hausbesuch. Zwischendurch muss ich natürlich noch die E-Mails checken, alle WhatsApp-Nachrichten einsehen und SMS lesen und auch die eine oder andere beantworten. Denn nachher ist ja keine Zeit!

Rubrik: Wochenbett | DHZ 07/2016