Sichelzellanämie

Kann der Einsatz der Genschere die Symptome lindern?

  • US-amerikanischen Forscher:innen ist es gelungen, mittels Genschere CRISPR-Cas9 die fetale DNA so zu verändern, dass nachgeburtlich die Erythrozyten ihre Eigenschaft als Sichelzellen weitgehend verloren haben. Die behandelten Patient:innen erreichten anschließend Hb-Werte von über 10 g/dl.

  • Die Symptome einer Sichelzellanämie können durch eine einmalige Behandlung von hämatopoetischen Stammzellen mit der Genschere CRISPR-Cas9 dauerhaft gelindert werden. US-Forscher:innen stellten das Verfahren nun im New England Journal of Medicine vor. Bei den ersten drei Patientinnen wurde eine deutliche Linderung der Symptome und ein Rückgang der Transfusionen erzielt.

     

    Entstehung der Sichelzellanämie

     

    Vor der Geburt werden die Erythrozyten überwiegend in der Leber produziert. Das fetale Hämoglobin besteht aus zwei Alpha- und zwei Gamma-Globinen. Patientinnen mit einer Sichelzellanämie sind noch gesund, da sich die für die Erkrankung verantwortlichen Mutationen im Gen für das Beta-Globin befinden.

    Nach der Geburt wird die Produktion der Erythrozyten auf das Knochenmark verlagert. Dort werden die roten Blutzellen mit dem adulten Hämoglobin gefüllt, das aus zwei Alpha- und zwei Beta-Globinen besteht. Bei Patientinnen mit der Sichelzellanämie kommt es jetzt zur Produktion eines instabilen Hämoglobins, das sich bei Sauerstoffmangel verklumpt.

    Die Erythrozyten nehmen die für die Erkrankung charakteristische Sichelform an. Die rigiden Zellen bleiben in den Kapillaren hängen und zerfallen. Es kommt zu einer Anämie und zu schweren Durchblutungsstörungen, die mit den schweren Schmerzattacken der Sichelzellkrise einhergehen.

    Die Erkrankung kann durch eine Knochenmarktransplantation geheilt werden, doch für weniger als 20 % der Patient:innen gibt es einen geeigneten Spender. Die allogene Stammzellbehandlung geht außerdem häufig mit einer »Graft-versus-Host«-Erkrankung (einer Reaktion von neu transplantierten Zellen auf den Körper des Empfängers, der als fremd angesehen wird) einher, oder es kann zu einer Abstoßung der Stammzellen kommen.

     

    Alternative Behandlung mittels Gentherapie?

     

    Eine Alternative besteht in einer Gentherapie der patienteneigenen Stammzellen. Diese werden per Apherese aus dem Blut gefiltert und dann im Labor mithilfe von Lentiviren (behüllte Einzel-Strang-RNA-Viren) mit einer intakten Kopie des Beta-Globin-Gens ausgestattet. Nach der Infusion produzieren die Stammzellen Erythrozyten, die nicht mehr anfällig für die Sichelzellbildung sind.

    Diese autologe ist deutlich besser verträglich als eine allogene Stammzellbehandlung. Sie vermeidet »Graft versus Host«-Erkrankungen und die Gefahr von Abstoßungen. Außerdem kann sie im Prinzip bei allen Patient:innen durchgeführt werden – so lange diese noch fit genug für die Behandlung sind.

    US-Forscher:innen konnten kürzlich zeigen, dass die Gentherapie den Hb-Wert über die kritische Grenze von 10 g/dl anhebt und Sichelzellkrisen verhindert. Die Behandlung hinterlässt allerdings Lentiviren in den Stammzellen. Außerdem wird das natürliche Gleichgewicht zwischen Alpha- und Beta-Globin gestört.

    Eine Behandlung, die diese Nachteile vermeidet, ist die Reaktivierung der Gamma-Globin-Produktion. Die Produktion des fetalen Hämoglobins wird nach der Geburt durch die Proteine BCL11A und LRF/ZBTB7A aktiv unterdrückt. Diese binden und blockieren den Promoter der HBG1- und HBG2-Gene, die den Bauplan für das Gamma-Globin enthalten.

     

    Einsatz der Genschere CRISPR-Cas9

     

    Forscher:innen am St. Jude Children’s Research Hospital in Memphis haben nach Wegen gesucht, die Bindung von BCL11A und LRF/ZBTB7A am Promoter der HBG1- und HBG2-Gene zu verhindern. Dies würde die beiden Gene aktivieren, und die Produktion von fetalem Hämoglobin würde erneut einsetzen – dieses Mal allerdings im Knochenmark.

    Als Mittel wählten die Forscher:innen die Genschere CRISPR-Cas9. Sie wurde mit verschiedenen Guide-RNAs ausgestattet. Die Guide-RNAs legen jeweils fest, an welcher Stelle der DNA-Strang durchgeschnitten wird. Auf diese Weise lassen sich Mutationen einfügen. Sie könnten die Promoter der HBG1- und HBG2-Gene so verändern, dass CL11A und LRF/ZBTB7A nicht mehr binden und die Produktion von fetalem Gamma-Globin nicht mehr verhindern könnten.

    Insgesamt wurden 72 Guide-RNAs im Labor ausprobiert. Die besten Ergebnisse wurden mit gRNA-68 erzielt. Sie wurde für die ersten drei Patientinnen einer klinischen Studie ausgewählt.

    Bei den Patient:innen wurden zunächst die Stammzellen aus dem Blut isoliert. Im Labor wurde dann das Gen für den Promoter der HBG1- und HBG2-Gene mit Hilfe der gRNA-68 gezielt zerschnitten. Danach wurden die Stammzellen den Patient:innen wieder infundiert. Wie bei einer Stammzelltherapie üblich, musste vorher das alte Knochenmark zerstört werden. Diese Konditionierung wurde mit dem Zytostatikum Busulfan durchgeführt.

    Wie Akshay Sharma und Mitarbeiter:innen berichten, ist es bei allen Patient:innen gelungen, die Produktion des fetalen Gamma-Globins zu reaktivieren. Der Anteil des fetalen Hämoglobins am Gesamthämoglobin stieg auf 19,0 % bis 26,8 %. Der Anteil der Erythrozyten, die (wenigstens teilweise) fetales Hämoglobin bilden, betrug sogar zwischen 69,7 % und 87,8 %.

    Die Erythrozyten haben durch die Behandlung weitgehend ihre Eigenschaften als Sichelzellen verloren. Die Zahl der Sichelzellkrisen und der Bluttransfusionen konnte laut Sharma durch die Behandlung deutlich gesenkt werden. Alle drei Patient:innen erreichten der Publikation zufolge Hb-Werte von über 10 g/dl.

    Quelle: Sharma, A., Boelens, J. J., Cancio, M., Hankins, J. S., Bhad, P., Azizy, M., Lewandowski, A., Zhao, X., Chitnis, S., Peddinti, R., Zheng, Y., Kapoor, N., Ciceri, F., Maclachlan, T., Yang, Y., Liu, Y., Yuan, J., Naumann, U., Yu, V. W. C., Stevenson, S. C., … LaBelle, J. L. (2023). CRISPR-Cas9 Editing of the HBG1 and HBG2 Promoters to Treat Sickle Cell Disease. The New England journal of medicine, 389(9), 820–832. https://doi.org/10.1056/NEJMoa2215643 · aerzteblatt.de, 1.9.23 · DHZ

     

    Rubrik: Medizin & Wissenschaft

    Erscheinungsdatum: 11.09.2023