Qualitative Studie aus Australien

Abpumpen nach Frühgeburt frühzeitig unterstützen

  • Eine qualitative Studie aus Australien kommt zu dem Ergebnis, dass das frühzeitige Abpumpen von Muttermilch von Hebammen zwar als sehr wichtig erachtet wird, die vielfältigen anderen Aufgaben in der Situation dies jedoch oftmals in den Schatten stellen. Klinikinterne Richtlinien könnten dies verbessern.

  • Frühgeburtlichkeit ist häufig: Die Geburt eines Kindes vor der 37. Schwangerschaftswoche betrifft weltweit ungefähr jede zehnte Frau. Der Ernährung eines Frühgeborenen kommt eine große Relevanz zu, da viele Frühgeborene mit geringem Geburtsgewicht geboren werden und die Aufnahme der Nahrung zur notwendigen Gewichtszunahme erforderlich ist.

    Empfohlen wird die Ernährung mit Muttermilch. Da gerade bei kleinen Frühgeborenen das Saugen an der Brust häufig noch ineffektiv ist, wird den Müttern das Abpumpen der Muttermilch empfohlen. Trotz Empfehlungen, die das erste Abpumpen bereits innerhalb der ersten Stunde nach der Geburt vorsehen, wird häufig jedoch erst deutlich später damit begonnen. Das Ziel einer qualitativen Studie bestand darin, die Erfahrungen von Hebammen zu verstehen: Was behindert und was fördert ein Abpumpen von Muttermilch in der ersten Lebensstunde nach der Geburt?

     

    Fokusgruppengespräche mit zwölf Hebammen

     

    Durchgeführt wurden Fokusgruppengespräche mit zwölf Hebammen, die Mütter von Frühgeborenen im Alter zwischen 28 und 35 Schwangerschaftswochen bis zu sechs Stunden nach der Geburt betreuten. Alle Hebammen wurden im Rahmen von halbstrukturierten Interviews befragt. Die Interviews wurden einer thematischen Analyse unterzogen, um darüber relevante Themen und Unterthemen zu identifizieren.

    Zwei Hauptthemen ergaben sich: eine veränderte Erwartungshaltung hinsichtlich der Säuglingsernährung sowie ein Spannungsfeld zwischen der Verantwortung, das Abpumpen innerhalb der ersten Lebensstunde zu unterstützen, und der Übernahme einer Vielzahl organisatorischer Tätigkeiten.

     

    Veränderte Erwartungshaltung

     

    Die veränderte Erwartungshaltung hinsichtlich der Säuglingsernährung wurde darüber begründet, dass eine Frühgeburt häufig unerwartet sowohl für die Mutter als auch die Hebamme auftritt. Frühgeborene Kinder werden zudem oft früh von der Mutter getrennt. Aufgrund der Frühgeburtlichkeit wurde vielleicht das Thema Stillen zuvor noch nicht thematisiert. Eine Hebamme (Jenny, 7 Jahre Berufserfahrung) begründet ihre Entscheidung, Mütter zu ermutigen, Muttermilch für Ihr Kind abzupumpen, damit: »Muttermilch ist grundsätzlich die beste Ernährung für das Kind«.

    Eine andere Hebamme (Kelly, 5 Jahre Berufserfahrung) ergänzt, dass Muttermilch spezifisch den Bedürfnissen eines frühgeborenen Kindes entspricht und sich altersgemäß verändert. Gerade die besonderen Herausforderungen, mit denen frühgeborene Kinder konfrontiert sind, können aus übereinstimmender Sicht der Hebammen über eine Ernährung mit Muttermilch positiv beeinflusst werden.

    Eine erfahrene Hebamme (Mary, 18 Jahre Berufserfahrung) ergänzt den Aspekt der Wiedergewinnung des mütterlichen Gefühls der Kontrolle. Dieses kann nach der Geburt einer Frühgeburt verloren gegangen sein. Das Abpumpen von Muttermilch kann »Frauen das Gefühl der Kontrolle geben, weil sie etwas tun können«.

     

    Im Spannungsfeld

     

    Sie bemerkt in diesem Zusammenhang jedoch, dass viele Frauen dazu in der Praxis aus ihrer Sicht nicht ausreichend ermutigt werden. Die Aufnahme des Abpumpens kann aus Sicht einer anderen Kollegin (Eliza, 15 Jahre Berufserfahrung) dadurch erschwert sein, dass eine Frühgeburt von Gebärenden wie ein Schock erlebt werden kann, manchmal auch aufgrund des schnellen Ablaufs und möglicherweise verschiedenen und vielen Menschen im Raum.

    Dem Abpumpen der Muttermilch wird in solch einer Situation wenig Beachtung und Priorität gegeben. Eine Hebamme (Kim, 10 Jahre Berufserfahrung) beschreibt in diesem Zusammenhang, dass Frauen auch nicht überfordert werden sollen, gerade wenn sie mit einer Frühgeburt konfrontiert sind: »Wenn sie eine unerwartete Frühgeburt hatten, ist es wichtig, dass du achtsam mit der Frau umgehst und ihre Gefühle achtest. Manchmal kann man das Abpumpen nicht erzwingen.«

    Die Teilnehmerinnen diskutierten, dass dem Abpumpen der Muttermilch in der Praxis eine Vielzahl organisatorischer Erwartungen und Herausforderungen gegenüberstünden. Eine Hebamme (Jane, 4 Jahre Berufserfahrung) benennt notwendige medizinische Herausforderungen während der ersten Lebensstunde: »…die Reanimation des Neugeborenen, die Naht möglicher Geburtsverletzungen, die Geburt der Plazenta ... und eine Vielzahl an Dingen, die Frau nach der Geburt vom Kreislauf her stabil zu bekommen ...«

     

    Resümee

     

    Die Autor:innen schlussfolgern aus ihren Ergebnissen, dass die individuellen Ansichten hinsichtlich der Vorteile einer Ernährung mit Muttermilch überwiegend positiv waren. Gleichzeitig wird das Abpumpen von Muttermilch in der ersten Stunde nach der Geburt wesentlich durch die organisatorischen Aufgaben der Klinik beeinflusst. Sie empfehlen daher klare Ziele für ein Abpumpen von Muttermilch innerhalb der ersten Lebensstunde in klinikinterne Richtlinien aufzunehmen, um die Ernährung eines frühgeborenen Kindes mit Muttermilch bestmöglich zu unterstützen.

    Quelle: Anderson, L. A., Kildea, S., Kynoch, K., Gao, Y., & Lee, N. (2023). Midwives experiences of interventions to improve breast expression following preterm birth: A qualitative study. Midwifery, 116, 103530. https://doi.org/10.1016/j.midw.2022.103530 ∙ Beate Ramsayer/DHZ

    Rubrik: 1. Lebensjahr

    Erscheinungsdatum: 28.02.2023