Japanische Studie

Lange Bildschirmzeiten im ersten Lebensjahr können Entwicklung stören

  • Kinder, die im ersten Lebensjahr viel Zeit an Bildschirmen verbrachten, wiesen in einer prospektiven Kohortenstudie im Alter von zwei Jahren Entwicklungsstörungen auf.

  • Psycholog:innen warnen davor, Kleinkinder zu lange den Inhalten von Fernsehen, Computer, Tablet oder Smart­phone auszusetzen, die diese so sehr zu lieben scheinen. Tatsächlich greifen vor allem jüngere Frauen mit dem ersten Kind, die über eine geringe Bildung und ein niedriges Einkommen verfügen oder durch eine postpartale Depression mit anderen Problemen beschäftigt sind, gerne zu diesem Mittel.

    Dies war auch im Tohoku Medical Megabank Project Birth and Three-Generation der Fall. Die Studie begleitet seit 2013/2017 eine Gruppe von 23.130 Müttern und ihren Kindern, um den Einfluss von Genen und Umwelt auf die Entwicklung der Kinder zu untersuchen. Ein Team um Taku Obara von der Tohoku Universität in Sendai/Japan konnte den Einfluss der Bildschirmnutzung im ersten Lebensjahr bei 7.097 Kindern untersuchen.

    Mütter mit den genannten sozialen Risikofaktoren ließen ihre Kinder im ersten Lebensjahr häufiger an die Bildschirme: Insgesamt durften sich 29,5 % der Kinder pro Tag ein bis zwei Stunden, 17,9 % zwei bis vier Stunden und 4,1 % noch länger mit den Bildschirmgeräten beschäftigen.

    Die Mütter wurden im Alter von zwei und vier Jahren ihrer Kinder mit dem »Ages & Stages Questionnaires, Third Edition« (ASQ-3) nach dem Stand von Kommunikation (Plappern, Vokalisieren und Verstehen), Grob­mo­torik (Arm-, Körper- und Beinbewegung), Feinmotorik (Hand- und Fingerbewegung), Problemlösung (Lernen und Spielen mit Spielzeug) sowie zu persönlichen und sozialen Fähigkeiten (alleiniges soziales Spielen und Spielen mit Spielzeug und anderen Kindern) befragt.

    Bei der Untersuchung im Alter von zwei Jahren wiesen die Kinder, die im ersten Lebensjahr viel Zeit an den Bildschirmen verbringen durften, in vier der fünf Domänen Defizite auf. Nur die Grobmotorik hatte sich normal entwickelt.

    In den anderen Domänen gab es eine Dosiswirkungsbeziehung: Je mehr die Kinder sich mit den Geräten be­schäftigen durften, desto geringer waren ihre Fähigkeiten. Besonders deutlich war dies bei der Kommunika­tion, beim problemlö­senden Verhalten gefolgt von persönlichen und sozialen Fähigkeiten und Feinmotorik.

    Bei der nächsten Untersuchung im Alter von vier Jahren hatten die Kinder, die im ersten Lebensjahr viel an den Bildschirmen waren, ihre Rückstände vermindert. Bei der Kommunikation und den Problem­lösungen waren jedoch in der Gruppe mit den längsten Bildschirmzeiten noch signifikante Defizite vorhanden. Bei persönlichen und sozialen Fähigkeiten und bei der Feinmotorik waren die Entwicklungs­rückstände nicht mehr signifikant und auch eine Dosis-Wirkungsbeziehung war nicht mehr erkennbar.

    Eine Dosis-Wirkungsbeziehung ist immer ein Hinweis für eine Kausalität, die sich in epidemiologischen Stu­dien aber niemals zweifelsfrei belegen lässt. Theoretisch wäre es möglich, dass Kinder, die beispielsweise aus genetischen Gründen eine Entwicklungsstörung haben, sich häufiger am Bildschirm aufhalten, weil sie noch nicht zur Kommunikation und den anderen Fähigkeiten in der Lage sind. Dann läge eine reverse Kausalität vor. Die meisten Entwicklungspsycho­log:innen dürften sich durch die Ergeb­nisse der Studie allerdings in ihrer Ansicht bestätigt sehen, nach der der Bildschirm nicht die »Face to Face«-Kommunikation mit der Mutter ersetzen kann und deshalb die Entwicklung der Kinder stört.

    Quelle: Ishikuro, M et al. (2023). Screen Time at Age 1 Year and Communication and Problem-Solving Developmental Delay at 2 and 4 Years. JAMA Pediatr. doi:10.1001/jamapediatrics.2023.3057 ∙ aerzteblatt.de, 28.8.2023 ∙ DHZ

    Rubrik: 1. Lebensjahr

    Erscheinungsdatum: 29.08.2023