Schwangerschaftsabbruch

Barrieren abbauen

Einer selbstbestimmten, informierten Entscheidung über den Schwangerschaftsabbruch werden in Deutschland viele Steine in den Weg gelegt. Die Coronapandemie verschärft die Lage noch, sowohl für die betreffenden Frauen wie für die gynäkologischen Praxen und Kliniken. Nachbarländer zeigen politische Lösungswege – auch mit Beteiligung von Hebammen. Inge Lang
  • Die rechtliche Situation für Schwangerschaftsabbrüche sieht in Deutsch­land so aus: Nach § 218 Strafgesetzbuch (StGB) ist ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich für alle Beteiligten strafbar. Es sei denn, folgende Bedingungen sind erfüllt:

    • Die Schwangerschaft wird innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch einen Arzt oder eine Ärztin abgebrochen.
    • Die schwangere Frau verlangt den Abbruch.
    • Sie hat dem Arzt oder der Ärztin durch die Bescheinigung einer anerkannten Beratungsstelle eine mindestens drei Tage zurückliegende Schwangerschaftskonfliktberatung nach § 219 StGB nachgewiesen.
    •  Der Abbruch wird von einer Ärztin oder einem Arzt durchgeführt, die oder der nicht selbst die Beratung gemacht hat.

     

    Methoden: Vor- und Nachteile

     

    Der medikamentöse Abbruch ist bis zum Ende der neunten Schwangerschaftswoche post menstruationem zugelassen. Hierbei wird der Wirkstoff Mifepriston in Form der sogenannten »Abtreibungspille« mit Prostaglandin kombiniert. Die betreffende Frau nimmt Mifepriston in der ärztlichen Praxis ein. Es verursacht eine artifizielle Gelbkörperinsuffizienz, die eine Ablösung des Gewebes von der Uteruswand auslöst. 48 Stunden später erfolgt die Einnahme von Misoprostol, was Uteruskontraktion und den Abgang der Schwangerschaft bewirkt. Das geschieht meist ebenfalls in der Praxis, teilweise auch zu Hause (»Home use«).

    Bei zwei Dritteln der Frauen passiert der Abgang innerhalb von einigen Stunden, bei einem Drittel innerhalb von zwei Tagen. Die Schmerzen können mit üblichen Schmerzmitteln behandelt werden. Nach zehn Tagen wird zur Sicherstellung, dass der Schwangerschaftsabbruch vollständig erfolgt ist, eine Nachuntersuchung durchgeführt. Die Erfolgsquote liegt bei über 95 % (Bettahar et al. 2016).

    Der chirurgische Eingriff mittels Vakuumaspiration oder Kürettage erfolgt meist ambulant und in Vollnarkose. Selten entscheiden sich Frauen für eine Lokalanästhesie. Die Zervix wird zunächst entweder medikamentös durch die vorherige Einnahme von Misoprostol oder mechanisch zu Beginn des Eingriffs geweitet. Dann wird mit einem Saugröhrchen oder einer Curette das Schwangerschaftsgewebe abgesaugt beziehungsweise abgetragen. Der Eingriff dauert circa zehn Minuten und nach ein bis zwei Stunden werden die Frauen nach Hause entlassen.

    Im Vergleich zur Vakuumaspiration und zum medikamentösen Abbruch stellt die Kürettage ein höheres Risiko dar und wird daher von der WHO nicht empfohlen (WHO 2012). Insgesamt sind Komplikationen wie Uterusperforation, Infektionen, starke Blutungen, Verletzungen des Muttermundes oder anästhesiebedingte Komplikationen jedoch sehr selten (Statistisches Bundesamt 2020).

    Für Folgeschwangerschaften ist der chirurgische Abbruch ein unabhängiger Risikofaktor für Frühgeburten vor der 37. Woche. Hingegen hatten Frauen mit einem medikamentösen Abbruch ein vergleichbares Risiko für eine Frühgeburt wie Frauen ohne vorherigen Schwangerschaftsabbruch (Saccone et al. 2016). Auch für spätere Plazentationsstörungen stellt die Kürettage einen Risikofaktor dar (Piñas Carrillo & Chandraharan 2019).

    Mit den jeweiligen Methoden verbinden die Frauen subjektive Erwartungen und Vorstellungen, die ihre Entscheidung für den Eingriff beeinflussen. Ort, Dauer und Zeitpunkt spielen eine Rolle, aber auch die finanzielle Situation, Ängste vor Schmerzen, anhaltenden Blutungen und dem Moment des Abgangs, vor der Narkose oder Komplikationen. In dieser belastenden Situation muss die Frau zusätzlich individuelle Fragen klären wie Anreise zum Ort des Eingriffs, Organisation einer Begleitung, Abwesenheit vom Arbeitsplatz, Aufenthaltsmöglichkeit vor Ort, Versorgung von Kindern oder zu pflegenden Angehörigen und Optionen der Nachkontrolle am Wohnort – und das alles eventuell unter höchster Geheimhaltung.

    Eine freie informierte Entscheidung über die Methode bedarf einer persönlichen Abklärung der jeweiligen Vor- und Nachteile. Darüber hinaus sind mehrere Barrieren zu überwinden.

     

    »Werbeverbot«, Beratungspflicht und Wartefrist

     

    Die Schwierigkeiten starten bereits bei der Informationssuche: § 219a StGB macht es Frauen unmöglich, über die jeweiligen Internetseiten Auskünfte von Praxen einzuholen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Dieser seit 1933 bestehende Paragraf verbietet »Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft«. Er kriminalisiert Ärzt:innen, die Informationen zum Schwangerschaftsabbruch auf ihrer Internetseite veröffentlichen. Wörter wie »medikamentös« und »narkosefrei« auf der Homepage führen zu Verurteilungen mit zum Teil hohen Geldstrafen (Der Spiegel 2018). Dabei ist die Informationssuche zu medizinischen Angeboten und Behandlungsoptionen über das Internet im Zeitalter der Digitalisierung eine für Laien übliche Vorgehensweise.

    Welche Einrichtungen und Praxen Abbrüche durchführen, ist über eine Liste auf der Internetseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) einsehbar, die die Bundesärztekammer erhoben hat. Die meisten aufgeführten Praxen beschreiben lediglich, ob sie operative oder medikamentöse Abbrüche anbieten. Die Frau erfährt weder, ob es sich bei dem operativen Abbruch um eine Kürettage oder Vakuumaspiration handelt noch welche Anästhesiearten möglich sind. Manche Praxen machen gar keine Angaben zur Art des Eingriffs. Die Aufnahme in diese Liste ist freiwillig und daher ist sie nicht vollständig. Beispielsweise sind für alle mit 8 beginnenden Postleitzahlenbereiche Bayerns nur sechs Ärztinnen aufgeführt, vier von ihnen mit Niederlassung im Münchener Stadtgebiet (BZgA: familienplanung.de 2021).

    Eine weitere Barriere stellen die rechtlichen Bedingungen der Schwangerschaftskonfliktberatung mit der Wartezeit zwischen Beratung und Eingriff dar. Dabei handelt es sich um eine Pflichtberatung, welche die Frau nachweisen muss, selbst wenn für sie die Entscheidung zum Abbruch bereits feststeht. Die Tage bis zur Beratung, drei Tage Bedenkfrist und die zusätzliche Wartezeit bis zur Durchführung des Eingriffs verursachen Verzögerungen, die letztendlich die Option eines medikamentösen Abbruchs aufgrund der Fristüberschreitung ausschließen.

     

    Strukturelle Barrieren: ungleiche Versorgung, unsichere Qualität

     

    Die Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs als Straftat zieht eine Barriere auf der Versorgungsebene nach sich. Die Rechtslage führt zu einer moralischen Diskreditierung des medizinischen Personals, das Abbrüche vornimmt. In manchen Regionen erfahren Ärzt:innen und Frauen öffentliche Anfeindungen durch Abtreibungsgegner:innen, die sich vor den entsprechenden Praxen positionieren. Diese gesellschaftliche Missbilligung mindert bei Gynäkolog:innen die Bereitschaft, Schwangerschaftsabbrüche überhaupt anzubieten. Gerade auf dem Lande und in katholisch geprägten Regionen ist für Frauen der Zugang zu einem Abbruch in Wohnortnähe nicht gewährleistet. Sie müssen längere Anreisewege in Kauf nehmen (Doctors for Choice Germany 2020).

    Die vorhandenen Kliniken und Praxen bieten darüber hinaus nicht alle Methoden des Schwangerschaftsabbruchs an. Laut Pro Familia gibt es Praxen, die erst ab der siebten oder achten Schwangerschaftswoche Absaugungen machen, andere wiederum nehmen nur bis zur siebten oder achten Woche medikamentöse Abbrüche vor (Pro Familia 2017).

    Hier spielt auch die Qualifikation und Erfahrung von Ärzt:innen eine Rolle, die Abbrüche vornehmen. Die Durchführung von Interruptiones ist kein expliziter Bestandteil der Weiterbildungsordnung von Fachärzt:innen, obwohl diese zu einer der häufigsten gynäkologischen Eingriffe zählt. Außerhalb der Weiterbildung bestehen kaum Möglichkeiten, die Kompetenzen anderweitig zu erwerben. Die in der Facharztweiterbildung erworbenen Erfahrungen mit bestimmten Methoden des Abbruchs können daher zu persönlichen Präferenzen führen, welche die Frauen in ihrer Wahl sicherlich beeinflussen.

    Untersuchungen zeigen, dass 50 % aller Frauen sich für einen medikamentösen Abbruch entscheiden würden, wenn sie die Wahl hätten (Riese 2020). Laut Pro Familia sind viele Frauen nicht gut über die unterschiedlichen Methoden informiert und machen sich falsche Vorstellungen (Pro Familia 2017).

    Eine Beratung über die unterschiedlichen Arten des Eingriffs und deren medizinischen Aspekte ist gesetzlich vorgesehen. Von welcher Qualität diese Beratungen sind, ist nicht bekannt. Frauen wissen zum Beispiel oft nicht, dass sie den operativen Eingriff auch in örtlicher Betäubung machen lassen können. Diese Unkenntnis kann mit ein Grund sein, warum die meisten Abbrüche in Vollnarkose stattfinden (Statistisches Bundesamt 2019).

    Die jährlichen Statistiken des Bundesamtes lassen vermuten, dass eine freie Wahl nicht überall gegeben ist. Die prozentualen Anteile der verschiedenen Eingriffe in den einzelnen Bundesländern unterscheiden sich teilweise erheblich. In Bremen wurden 2020 lediglich 7,5 % aller Abbrüche medikamentös vorgenommen, in Rheinland-Pfalz und im Saarland 14 %. Hingegen lagen Berlin und Schleswig-Holstein mit 45 % und 47,6 % an der Spitze. In Schleswig-Holstein werden entgegen der Empfehlung der WHO noch immer über 25 % der Abbrüche mittels Kürettage durchgeführt. In Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und im Saarland liegt diese Rate um die 18 %. Trotz der Einführung der Abtreibungspille vor über 20 Jahren liegt der Bundesdurchschnitt der medikamentösen Abbrüche bei gerade mal 29 %, wohingegen dieser Anteil in Ländern wie Frankreich, England und Wales, Schweiz oder Finnland zwischen 70 und fast 100 % beträgt (Radio France 2020; Abortion statistics, England and Wales 2019; Bundesamt für Statistik 2020; Induced abortions in the Nordic countries 2019).

     

    Finanzielle Barrieren: Kosten beeinflussen die Entscheidung

     

    Letztlich spielen auch finanzielle Aspekte bei der Wahl der Methode eine Rolle. Nur bei medizinischer oder kriminologischer Indikation ist der Schwangerschaftsabbruch eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Für einen Abbruch aufgrund eines Schwangerschaftskonfliktes übernehmen die Kassen in der Regel keine Kosten. Je nach Methode liegen diese derzeit zwischen 350 und 600 Euro (BZgA 2019). Die finanziellen Mittel der Frau sind daher sicher mitentscheidend bei der Wahl der Methode. Bis zu bestimmten Einkommensgrenzen kann eine Kostenübernahme bei den Krankenkassen beantragt werden. Diese Bescheinigung erstellen zu lassen, kann wiederum zu einer zeitlichen Verzögerung bis zur Durchführung des Eingriffs beitragen.

     

    Schwangerschaftsabbruch in Coronazeiten

     

    Im März 2020 haben Ärztinnen, Beraterinnen und Fachverbände eine gemeinsame Pressemitteilung geschrieben, weil sie das Leben und die Gesundheit von ungewollt Schwangeren in Gefahr sehen (Arbeitskreis Frauengesundheit 2020). Sie erläutern darin, wie die Coronapandemie den Zugang zu Abbrüchen weiter einschränke: Beratungsstellen und Praxen seien geschlossen, was mit weniger Terminen und längeren Wartezeiten einhergehe. In Praxen und Kliniken mangele es an Schutzausrüstung. Aufgrund von Erkrankungen oder Quarantäneauflagen sei die Personalsituation noch angespannter als ohnehin. Eventuell sei die Schwangere auch selbst davon betroffen. Die Versorgung von Kindern und Angehörigen könne nur noch zu Hause stattfinden, was die Schwangere zeitlich einschränke. Einschränkungen des öffentlichen Personenverkehrs reduzierten Transportmöglichkeiten zu den erforderlichen Terminen und zum Ort des Abbruchs.

    Zahlreiche elektive Eingriffe in den Kliniken sind aufgrund der Pandemie verschoben worden – hierzu zählen auch Schwangerschaftsabbrüche (Hecht & Riese 2020). All diese Aspekte könnten zu einer Überschreitung der gesetzlichen Frist führen oder die Option eines medikamentösen Abbruchs ausschließen. Die Autorinnen befürchten, dass Frauen wieder zu unsicheren Methoden des Schwangerschaftsabbruchs greifen würden mit der Gefahr gesundheitlicher Folgeschäden. Zudem könnte die Zunahme von häuslicher Gewalt mit einhergehender sexueller Gewalt infolge der Coronaauflagen zu mehr unerwünschten Schwangerschaften führen.

    Sie fordern daher die Möglichkeiten von Video- oder telefonischer Beratung, Onlineantragstellungen für die Kostenübernahme, die Zulassung des Home-use für den medikamentösen Abbruch unter telemedizinischer Begleitung, die Anerkennung von Schwangerschaftsabbrüchen als medizinische Notfallleistungen, mehr Angebote von medikamentösen Abbrüchen sowie die Aufrechterhaltung der chirurgischen Kapazität.

    Sowohl im vierten Quartal 2020 als auch im ersten Quartal 2021 ist laut Statistischem Bundesamt die Zahl der Abbrüche gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Eine eindeutige Ursache sei anhand der Datenmeldungen nicht zu erkennen (Statistisches Bundesamt 2020). Hier wären weitergehende Analysen notwendig, um den Einfluss der Pandemie einschätzen zu können.

     

    Lösungsansätze

     

    Um den Frauen einen niedrigschwelligen Zugang zu einem Abbruch und eine informierte Entscheidung zu ermöglichen, bedarf es einer Abschaffung der §§ 218 und 219a und einer qualitativ hochwertigen Aufklärung über die Möglichkeiten des Abbruchs. Die Durchführung aller Methoden des Schwangerschaftsabbruchs muss Bestandteil der Facharztweiterbildung werden. Die Kosten für einen Abbruch müssen von den Kassen getragen werden.

    Der medikamentöse Abbruch kann in die Hände der Frauen gegeben werden. Studien zeigen, dass die Durchführung zu Hause genauso sicher ist wie unter ärztlicher Aufsicht (Gambir et al. 2020).

    Das Versorgungsangebot kann durch Einbeziehung von geschultem medizinischem Personal wie Pflegekräften oder Hebammen erweitert werden. Der internationale Hebammenverband beschreibt die Aufklärung und Beratung zu Schwangerschaftsabbrüchen als eine der »Kernkompetenzen« des Hebammenberufes. Als »zusätzliche Kompetenz« wird unter Voraussetzung einer entsprechenden Qualifikation die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen bezeichnet (International Confederation of Midwives 2019).

    Von rechtlicher Seite sind Hebammen in Deutschland bisher als Begleiterinnen im Prozess eines Schwangerschaftsabbruchs nicht vorgesehen. Die Expertise interessierter Kolleginnen sollte jedoch auch hierfür genutzt werden. In vielen Ländern wird das bereits erfolgreich praktiziert (Barnard et al. 2015).

    Rubrik: Ausgabe 11/2021

    Erscheinungsdatum: 27.10.2021

    Hinweis

    In der kommenden Ausgabe befassen sich Dr. Beate Ramsayer und Prof. Dr. Valerie Fleming mit der Rolle von Hebammen beim Schwangerschaftsabbruch.

    Literatur

    Abortion statistics, England and Wales: 2019. www.publishing.service.gov.uk.

    Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V.: Gemeinsame Pressemitteilung: Ärztinnen, Beraterinnen und Fachverbände sehen Zugang zum Schwangerschaftsabbruch während Corona-Pandemie gefährdet – Leben und Gesundheit von Frauen in Gefahr! – (arbeitskreis-frauengesundheit.de) 2020. https://arbeitskreis-frauengesundheit.de/2020/03/22/gemeinsame-pressemitteilung-corona-schwangerschaftsabbruch/

    Barnard S, Kim C, Park M, Ngo TD: Doctors or mid-level providers for abortion. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015. Issue 7. Art. No.: CD011242. DOI: 10.1002/14651858.CD011242.pub2

    Bettahar K, Pinton A, Boisramé T, Cavillon V, Wylomanski S, Nisand I, Hassoun D. Interruption volontaire de grossesse par voie médicamenteuse [Medical induced abortion]. J Gynecol Obstet Biol Reprod (Paris). 2016 Dec;45(10):1490–1514. French. doi: 10.1016/j. jgyn.2016.09.033....

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