Qualitative Studie unter Hebammen

CTG als »Babysitter«?

  • Die Rolle der CTG-Überwachung im Hebammenalltag geht über die Anwendung aufgrund der Evidenzlage weit hinaus und beeinflusst die Nutzung wohl stärker als die Leitlinien.

  • Die Überwachung der kindlichen Herztöne unter der Geburt wird aus sehr unterschiedlichen Perspektiven diskutiert. Aktuelle Leitlinien empfehlen bei Frauen mit geringem geburtshilflichem Risiko den Verzicht einer Dauerüberwachung per CTG während der Geburt, weil diese in Zusammenhang mit einer erhöhten mütterlichen Morbidität und überflüssigen medizinischen Interventionen stehen, ohne das kindliche Outcome zu verbessern. Trotzdem wird in vielen Ländern mit hohem durchschnittlichem Einkommen die CTG-Überwachung überdurchschnittlich häufig eingesetzt.

     

    Anwendung außerhalb der Evidenz

     

    Das Ziel einer qualitativen Studie bestand darin, die Beweggründe zu verstehen warum Hebammen, trotz gegenteiliger Evidenzlage, das CTG überdurchschnittlich häufig bei Frauen mit geringem geburtshilflichem Risiko anwenden. Durchgeführt wurden Fokusgruppengespräche unter 31 Hebammen und drei Hebammenschülerinnen aus Australien (AU), Neuseeland (NZ), Dänemark (DK) und Norwegen (NO). Die Daten wurden pro Fokusgruppe transkribiert und in Form einer vergleichenden Analyse ausgewertet, die auf einer Akteur-Netzwerk-Theorie basiert.

     

    Verschiedene »Rollen« des CTGs

     

    Die Ergebnisse zeigen auf, dass die Überwachung der kindlichen Herztöne anhand des CTG sehr vielschichtig wahrgenommen wurde und das Verhalten der Begleitpersonen der Geburt beeinflusste. Dabei übernahm das CTG verschiedene Rollen, die von den Hebammen wahrgenommen wurden: »Babysitter«, »Partner der Hebamme«, »Beschützer, der den Rücken freihält«, »Garant der gemeinsamen Verantwortung« sowie »Störfaktor bei einer physiologisch verlaufenden Geburt« und »angeforderter Gast«.

    Die Wahrnehmung als »Babysitter« umfasste, dass die CTG-Überwachung durch Hebammen in anstrengenden Betreuungssituationen eingesetzt wurde, um eine lückenlose Überwachung zu gewährleisten, obwohl nur eine sporadische Anwesenheit der Hebamme erfolgte. Eine Hebamme beschrieb: »Du bist nicht bei der Gebärenden … Du legst nur das CTG an … Das CTG fungiert dann wie eine Art Babysitter, was natürlich nicht Sinn und Zweck sein sollte…« (NO). Auch andere Hebammen teilten die Ansicht, dass diese Funktion des CTG unangemessen sei.

    Die Wahrnehmung des CTGs als »Partner der Hebamme« wurde in er Betreuung bei Frauen mit Risikofaktoren erlebt, indem Hebammen zum Ausdruck brachten, dass sie das CTG vermissen würden, wäre es nicht da: »Es wäre für mich ein größerer Aufwand, ein Pinard-Stethoskop oder einen Doppler zu verwenden, als einfach ein CTG anzulegen (DK)«. Zudem umfasst es auf Seite des betreuenden Teams, dass die CTG-Daten außerhalb des Gebärraums von Ärzt:innen und Hebammen eingesehen werden können, ohne dass ein Betreten des Raumes erforderlich wird.

    Für die Eltern können die Herztöne des Kindes als Zeichen wahrgenommen werden, dass das Kind lebt. Eine Hebamme berichtete: »Die Eltern beschwerten sich, dass sie die Herztöne des Kindes nicht hören konnten (DK). Aus forensischer Sicht schätzte dieselbe Hebamme ein: »Wir benötigen eine Dokumentationsform, bei der die Verantwortlichkeit mit anderen Mitgliedern des geburtshilflichen Teams geteilt werden kann.« (DK)

    Das CTG als »Beschützer, der den Rücken freihält« wurde als Nachweis beschrieben, der zum Ausdruck bringt, dass etwas getan wurde. Die Verwendung des CTG geht mit dem Wunsch einher: »Sich selbst zu schützen (NZ)«.

     

    Störung der physiologischen Geburt

     

    Gleichzeitig geht die CTG-Überwachung mit verschiedenen Arten der Störung einer physiologischen Geburt einher. Hebammen beschreiben, dass der Fokus weg von der Frau hin zum CTG-Gerät gelenkt werden kann. Eine dänische Hebamme beschrieb den Nachteil einer eingeschränkten Bewegungsfreiheit der Gebärenden: »Ich verwende zunächst den Doppler, um die Gebärende nicht in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken, wenn sie sich beispielsweise im Wasser oder im Vierfüßlerstand befindet.« (DK)

    Das CTG-Gerät als »angeforderter Gast« umfasst die Rolle der Dokumentation der kindlichen Herztöne. Es geht mit Anforderungen einher, beispielsweise der Erfüllung eines Aufnahme-CTGs. Eine Hebamme aus Australien trug hierzu bei: »Einige Hebammen erstellen das Aufnahme-CTG, um es dem Arzt vorlegen zu können, wenn danach gefragt wird.«. (AU)

     

    Widersprüche ans Licht bringen

     

    Die Autor:innen zeigen anhand der Akteur-Netzwerk Theorie auf, dass Hebammen die CTG-Überwachung sehr unterschiedlich in den verschiedenen Rollen wahrnehmen, welche weit über die Überwachung der kindlichen Herztöne hinausgeht. Diese wahrgenommenen Rollen scheinen einen größeren Einfluss auf die tägliche Praxis zu haben als evidenzbasierte Leitlinien. Sie empfehlen, diese Widersprüche stärker zu thematisieren und den zunehmenden Einsatz überflüssiger CTG-Anwendungen kritisch zu reflektieren. Aus Sicht der Autor:innen sollten Hebammen das Vertrauen und die Kompetenz der intermittierenden Auskultation wieder erlangen, um dies als sichere Alternative zu einer CTG-Überwachung anzuwenden.

    Quelle: Jepsen I et al.: The overuse of intrapartum cardiotocography (CTG) for low-risk women: An actor-network theory analysis of data from focus groups. Women Birth 2022. DOI: https://doi.org/10.1016/j.wombi.2022.01.003 ∙ DHZ

     

    Rubrik: Geburt

    Erscheinungsdatum: 16.02.2022