Studie aus den USA zur Frühgeburtlichkeit

Fehlendes Plazentahormon verantwortlich für Autismusrisiko?

  • Ein Mangel des Hormons Allopregnanolon, das in der Spätphase der Schwangerschaft in der Plazenta gebildet wird, könnte bei Frühgeborenen das Autismusrisiko erhöhen.

  • Die Aufgaben der Plazenta beschränken sich nicht nur auf die Versorgung des Neugeborenen mit Sauerstoff und Nährstoffen und die Entsorgung von Stoffwechselschlacken. Die Plazenta ist auch ein Produzent von Hormonen. Im 3. Trimenon kommt es zu einer steigenden Produktion des Steroidhormons Allopregnanolon (ALLO). Dessen Wirkung ist erst ansatzweise erforscht. Auf die Schwangere könnte es eine beruhigende und anxiolytische Wirkung haben. Beim Fetus könnte ALLO im Gehirn unter anderem die Hirnentwicklung fördern.

    Eine Behandlung mit Finasterid, das die Synthese von ALLO blockiert, hat in Tierexperimenten zum Absterben von Hirnzellen in der Schwangerschaft geführt. Der Hormonentzug könnte sich darüber hinaus negativ auf die postnatale Entwicklung auswirken, wie ein Team um Anna Penn von der Columbia University in New York jetzt an genmodifizierten Mäusen zeigen kann, bei denen das ALLO-Gen in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft in der Plazenta ausgeschaltet wurde.

    Der ALLO-Mangel hatte bei den Tieren eine Verdickung der Myelinscheiden zur Folge. Auslöser ist vermutlich eine vermehrte Aktivität der Oligodendrozyten, den Produzenten der Myelinscheiden. Die Störung war bei männlichen Mäusen stärker ausgeprägt als bei weiblichen. Dies ist deshalb interessant, weil von den autistischen Störungen, zu denen es nach Frühgeburten beim Menschen häufiger kommt, meist Jungen betroffen sind.

    Auch die männlichen Mäuse mit dem ALLO-Mangel zeigten später oft Ausfälligkeiten im Verhalten, die denen von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen ähneln. Das Kleinhirn ist nicht nur für die Koordinierung von Bewegungen zuständig, die bei einer Störung weniger flüssig ausfallen. Im Extremfall kommt es zu Ataxien und anderen Bewegungsstörungen, die allerdings bei den Mäusen nicht beobachtet wurden.

    Weniger bekannt ist, dass das Kleinhirn auch Kognition und Emotion beeinflusst. In diesem Bereich zeigten die Mäuse, deren Plazenta während der Schwangerschaft zu wenig ALLO produziert hatte, tatsächlich Defizite. In einem 3-Kammer-Test mieden die Tiere soziale Kontakte und auch die bei schweren Autismusstörungen beim Menschen beobachteten stereotypischen Verhaltensmuster traten bei den Tieren auf.

    Bei den Tieren konnte der Autismus durch eine Behandlung mit ALLO oder mit einem anderen Agonisten am GABA-A-Rezeptor verhindert werden. Ob diese Behandlung auch bei Frühgeburten wirksam wäre, lässt sich aus Tierexperimenten nicht ableiten. Sicherheit und Wirksamkeit müssten erst noch in klinischen Studien geprüft werden.

    Penn kann jedoch zeigen, dass bei Kindern, die sechs Wochen nach einer Frühgeburt (aus anderen Gründen) gestorben sind, ähnliche Störungen der Myelinisierung auftreten wie bei den Tieren. Die Studienergebnisse dürften deshalb das Interesse der Pädiater:innen an der möglichen Behandlung wecken. Frühgeborene haben nämlich ein deutlich erhöhtes Risiko auf Autismus-Spektrumstörungen. Die Prävalenz wird mit 7 % angegeben gegenüber weniger als 1 % in der Allgemeinbevölkerung.

    Quelle: Vacher CM, Lacaille H, O’Reilly JJ et al.: Placental endocrine function shapes cerebellar development and social behavior. Nat Neurosci 2021. https://doi.org/10.1038/s41593-021-00896-4 ∙ aerzteblatt.de, 22.9.2021∙ DHZ

    Rubrik: Medizin & Wissenschaft

    Erscheinungsdatum: 23.09.2021