Populationsbasierte Kohortenstudie aus Dänemark

Frühgeburt beeinflusst Schulnoten und IQ im Jugendalter

  • Frühgeborene haben im späteren Alter signifikant häufiger schlechtere Schulnoten und einen niedrigeren IQ, doch soziale und erzieherische Faktoren scheinen dies noch eher zu verstärken als das Gestationsalter.

  • Dänische Kinder, die vorzeitig zur Welt kamen, erzielten am Ende der Schulpflicht schlechtere Ergebnisse in einem Rechtschreib- und einem Mathematiktest. Die Männer schnitten bei der Musterung in einem Intelligenztest umso schlechter ab, je früher sie geboren worden waren.

    Das letzte Schwangerschaftsdrittel ist eine wichtige Entwicklungsphase des Gehirns. In den letzten fünf Wochen vor der termingerechten Geburt verfünffacht sich der Anteil der myelinisierten, sprich ausgereiften weißen Hirnsubstanz. Es wird deshalb seit längerem vermutet, dass sich eine Frühgeburt ungünstig auf die spätere kognitive Entwicklung der Kinder auswirken könnte.

    Frühere Studien hatten auf dauerhafte Nachteile hingewiesen. So korrelierte in einer bevölkerungsbasierten Studie aus den Niederlanden die Dauer der Schwangerschaft mit dem Hirnvolumen der Kinder im Alter von zehn Jahren.

    Ob dies Auswirkungen auf die späteren Fähigkeiten der Kinder hat, war bisher unklar. Anders Husby vom Statens Serum Institut in Kopenhagen und sein Forschungsteam haben hierzu die Angaben zur Schwangerschaftsdauer in den Geburtsbescheinigungen von 792.724 Kindern der Jahrgänge 1983 bis 2003 mit den späteren Ergebnissen in den Dänisch- und Mathetests verglichen, an denen alle Schüler im Alter von 15 bis 16 Jahren teilnehmen.

    Insgesamt 930 Kinder (0,1 %) wurden vor der 27. Woche geboren. Für diese extremen Frühgeburten ermittelte Husby schlechtere Noten beim Dänisch-Test. Der Verlust im Z-Score (der Anzahl der Standardabweichungen der einzelnen Datenwerte vom Mittelwert) betrug 0,10 und war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,01 bis 0,20 signifikant.

    Beim Mathetest gab es bereits bei den 11.850 Kindern (1,5 %), die vor der 34. Woche geboren wurden, schlechtere Ergebnisse. Der Rückstand im Z-Score betrug für die 32. bis 33. Gestationswoche 0,05 (0,01 bis 0,08). Er vergrößerte sich bei einer Schwangerschaftsdauer von 28 bis 31 Wochen auf 0,13 (0,09 bis 0,17) und betrug 0,23 (0,15 bis 0,32) bei den Kindern, die in der 27. Woche oder früher geboren wurden. Diese »Dosis-abhängige« Wirkung ist in epidemiologischen Studien immer ein Hinweis auf eine Kausalität.

    Sie wird noch durch einen Vergleich der Ergebnisse in den IQ-Tests unterstrichen, die junge dänische Männer bei der Musterung absolvieren. Die Forscher:innen verglichen hier die Ergebnisse von 227.403 Brüderpaaren. Die Frühgeborenen schnitten hier schlechter ab. Bei einer Geburt in der 32. bis 33. Woche betrug der Rückstand 2,4 Punkte (1,1 bis 3,6), bei einer Geburt zwischen der 28. und 31. Woche 3,8 Punkte (2,3-5,3) und bei einer Geburt in der 27. Woche oder früher 4,2 Punkte (0,8-7,5).

    Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass eine Geburt vor der 34. Woche mit erheblichen Defiziten in mehreren kognitiven Bereichen verbunden ist, schreibt Husky.

    Asma Ahmed vom Hospital for Sick Children, Toronto, weist jedoch darauf hin, dass die Dauer der Gestation nicht der einzige Faktor ist, der die späteren schulischen Leistungen bestimmt. Bei den Kindern, deren Mütter nur eine Grundschulausbildung hatten, lag der Anteil (unabhängig vom Gestationsalter) bei 69 %. Auch die Zahl der Kinder in einer Familie beeinflusst die schulischen Leistungen: Der Anteil mit niedrigeren kognitiven Werten stieg von 44 % bei den Erstgeborenen auf über 60 % bei drei oder mehr älteren Geschwistern. Dies zeige, dass der Einfluss sozialer und erzieherischer Faktoren größer ist als das Gestationsalter bei der Geburt.

    Quelle: Husby, A., Wohlfahrt, J., & Melbye, M. (2023). Gestational age at birth and cognitive outcomes in adolescence: population based full sibling cohort study. BMJ (Clinical research ed.), 380, e072779. https://doi.org/10.1136/bmj-2022-072779 ∙ aerzteblatt.de, 24.1.2023 ∙ DHZ

    Rubrik: Medizin & Wissenschaft

    Erscheinungsdatum: 25.01.2023